ENGLAND Grüne Göttin
Prinzessin Annes erster Sohn wird, kaum geboren, schon vom Schicksal hart mitgenommen: Erst entschied die königliche Großmama Elizabeth II., daß der noch namenlose Enkel als Bürgerkind auch Bürger ohne Titel bleiben soll.
Dann halbierten streikende Feuerwehrleute des Königreiches auch noch jene protokollarischen Ehren, die dem bürgerlichen Sproß von königlichem Blut zugestanden hätten: Nur eine der beiden traditionellen Artilleriebatterien feuerte die obligaten 41 Schuß Salut aus altmodischen Kanonen, die anderen Böllerer machten derweil Dienst als Ersatz-Pumpenmänner.
Doch sosehr sich eingefleischte Royalisten auch ärgerten, der Streik der 43 000 in der »Fire Brigades Union« (FBU) organisierten Feuerwehrmänner, die damit eine 30prozentige Lohnerhöhung durchsetzen wollten, hat noch ernstere Konsequenzen.
Denn was zu Beginn des Streiks am vergangenen Montag eher zuversichtlich mit dem Einsatz gutwilliger, wenn auch mangelhaft ausgebildeter und ausgerüsteter Soldaten begonnen hatte, wurde unter der Woche schließlich doch zur nationalen Sicherheitskrise.
Bei mehreren Großfeuern, so einem Brand im Londoner St.-Andrew"s-Hospital und im Kraftwerk Tilbury, östlich von London, stellte sich heraus, daß die Soldaten, nur mit altmodischen Löschfahrzeugen des Zivilschutzes, sogenannten »grünen Göttinnen«, ausgerüstet, überfordert waren.
Beide Fälle verdeutlichen aber auch Unsicherheit der streikenden Feuerwehrleute. Beim nächtlichen Krankenhausbrand eilten zwei Dutzend organisierte Streikposten zu Hilfe und verhinderten, wie Polizei und Armee einräumte, den Tod mehrerer Patienten.
Doch der Kraftwerk-Brand von Tilbury wurde ein Fiasko, weil hier die Streikenden hart blieben und die Armee das Feuer nicht unter Kontrolle bekam. Folge: Für mehrere Monate wird das Kraftwerk mit einer Leistung von 1250 Megawatt (2,5 Prozent des britischen Gesamtbedarfs) ausfallen.
Und: Wo und wann immer die Streikenden ihre Hilfe verweigerten, beschränkten sie sich nicht auf passive Maßnahmen, sondern versuchten, oft mit ungesetzlichen Mitteln, den Einsatz von Hilfskräften zu behindern.
Im Londoner Stadtteil Battersea etwa benutzten Streikposten die Radioausrüstung ihrer hochmodernen Einsatzfahrzeuge, um mobilen Streikposten Hinweise für ihren Einsatz zu geben.
Vor dem King"s-College-Hospital in London photographierten erbitterte Streikposten jene wenigen Kollegen, die den Truppen halfen -- wohl um die Streikbrecher später zu erpressen. Und in Rotherham wurde der Feuerwehrmann Glyn Draycott, 31, gar wegen Brandstiftung angeklagt.
Kein Wunder, daß viele Briten die Streikenden verdächtigen, auch für einen Großteil der auf das Doppelte angestiegenen Fehlalarme verantwortlich zu sein. So waren an einem einzigen Tag 51 von 117 Feueralarmen absichtliche Irreführungen, 41mal rückten die »grünen Göttinnen« ohne Not aus.
Die unmittelbare Bedrohung jedes einzelnen durch den Arbeitskampf der Feuerwehrleute hat dazu geführt, daß vertraute politische Fronten nicht mehr stimmen und sich auch solche Briten zu Wort melden, die sich sonst zurückhalten.
So stellte sich Gordon Honeycombe, populärer Nachrichtensprecher des kommerziellen Fernsehsenders ITN, mit einem engagierten Artikel in der »Daily Mail« vor die Streikenden. Einen Tag später war er arbeitslos: Er hatte sich »einvernehmlich«, wie es hieß, vom Sender getrennt.
Konservative Abgeordnete unterstützten die sozialistische Regierung gegen eine Rebellion linker Labour-Abgeordneter, die sofortiges Nachgeben der Regierung forderten. Basil Hume, der Erzbischof von Westminster, klagte: »Der Streik stellt unser christliches Gewissen vor akute moralische Probleme.«
In der Tat. Aber nicht nur moralische Probleme, wie etwa die Frage, ob Feuerwehrleute das Recht zum Streik haben oder nicht, blieben bislang ungelöst. Auch rechtlich scheiden sich die Geister, vor allem an der Frage, ob Feuerwehrleute, sollten sie denn streiken dürfen, noch das Verfügungsrecht über ihre Ausrüstung hätten. Zur Zeit nehmen sie es sich, und das macht ihren Streik so gefährlich.
Denn während die Soldaten, mit den alten »grünen Göttinnen« bei Großfeuern auf verlorenem Posten kämpfen, betrachten die streikenden Feuerwehrleute ihre hochmoderne Ausrüstung von der Gasmaske bis zum Löschzug als ihr persönliches Eigentum.
Innenminister Merlyn Rees: »In diesem Kampf wird es keine Sieger und keine Verlierer geben.«