SPIONAGE Grünes Rosenholz
Die 34 Seiten starke Akte war so geheim, daß die Bundesanwaltschaft vom Bonner Justizministerium die Weisung erhielt, die Ermittlungen sofort einzustellen. Weitere Recherchen, so wurde den Karlsruher Ermittlern bedeutet, könnten »verheerende Folgen« für die Bundesrepublik und die westliche Allianz haben.
Ähnlich erging es den Mitgliedern des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, die den Spionagefall Lutze aufklären sollten und ahnungslos die Akte zusammen mit weiteren geheimen Schriftstücken im Verteidigungsministerium angefordert hatten. »Kein Wort darüber«, entschied Ausschuß-Vorsitzender Manfred Wörner (CDU), als er andeutungsweise über den Inhalt der »Grundbefehl« genannten Akte unterrichtet worden war.
Das Recherchier- und Auskunfts-Verbot der Bundesregierung hat tatsächlich gewichtige Gründe. Denn das Papier »Grünes Rosenholz« berührt nicht nur Interessen der Bundesrepublik, sondern auch amerikanische, britische und französische. Minutiös ist in dem Schriftstück die Krisenplanung des Westens im Falle wirtschaftlicher, politischer und militärischer Maßnahmen Moskaus gegen West-Berlin festgelegt: Sie reicht von Protesten und wirtschaftlichen Sanktionen bis hin zum Einsatz alliierter Truppen bei Blockade der Transitwege oder Ausbruch eines konventionellen Krieges.
Doch was weder Bundesanwälte noch Abgeordnete erfahren sollen, dürfte Ost-Berlin und damit Moskau schon seit über zwei Jahren bekannt sein. Der unter Spionage-Verdacht stehende Lothar-Erwin Lutze, im Verteidigungsministerium trotz schlechter Zeugnisse zum Geheimsachen-Verwalter aufgerückt, hat das Dokument im Oktober 1975 nach Aussage eines Zeugen »offen in den Händen« gehabt und darüber dann auch seinen Agentenführer Gerstner alias Ruckert in Koblenz informiert.
Den Beweis dafür liefern Aufzeichnungen Gerstners, die bei der Hausdurchsuchung im Juni 1976 gefunden worden waren und in denen unter dem Namen Lutze die handschriftliche Bemerkung steht: »Grundbefehl Grünes Rosenholz«.
Nicht mehr aufgeklärt werden konnte, ob Lutze (Deckname Charly) seinen Führungsoffizier nur mündlich über den Inhalt unterrichtet oder die als »streng geheim« klassifizierten wichtigsten neun Seiten der Akte photographiert hat.
Für die zweite Version spricht einiges: Lutze hatte nämlich nicht nur Zeit, das Geheimpapier zu lesen, er konnte es auch ablichten. In seinem Dienstzimmer lag, wie sich Zeugen erinnerten, wochenlang eine Minox-Kamera herum -- eine Tatsache, die damals allerdings keinen der Vorgesetzten stutzig gemacht hatte.
Vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) überprüft wurden Lutze und seine im Vorzimmer von Ministerialdirektor Herbert Laabs sitzende Ehefrau Renate erst, als andere Offiziere über den aufwendigen Lebensstil des Paares -- teure Mietvilla, teure Autos und teure Urlaubsreisen -- tratschten und ein Hauptmann schließlich den Sicherheitsreferenten einschaltete.
Doch der MAD winkte schon wenig später ab: Die Lutzes seien gründlich durchleuchtet worden. Auch eine neue Sicherheitskontrolle habe keine Verdachtsmomente ergeben.
Bei Durchsicht der 34 Aktenordner der Bundesanwaltschaft, die der Vorbereitung der Prozesse gegen die Eheleute Lutze, Wiegel und Gerstner dienen, stießen die mit der Aufklärung des Spionagefalles beauftragten Parlamentarier jedoch nicht nur auf den Vorgang »Grünes Rosenholz«, sonderil auch auf andere Merkwürdigkeiten.
Herbert Laabs, der seinen Dienst als Leiter der Sozialabteilung des Verteidigungsministeriums quittieren muß und in dieser Woche vor dem Untersuchungsausschuß aussagen soll, beteuerte bei seinen Vernehmungen zwar wiederholt, er habe kein »besonderes« oder gar »intimes Verhältnis« zu seiner Vorzimmerdame gehabt, mußte aber schließlich einräumen, daß er sich auf Bitten von Renate Lutze für ihren Mann eingesetzt hatte.
Mehr noch: Als Laabs Renate Lutze wegen nachlassender Leistungen in ein anderes Referat versetzen wollte, widersetzte sich die Dame energisch. Ihr Mann, so argumentierte »Renatchen« (Hardthöhen-Spitzname). wolle die Versetzung nicht, er bestehe darauf, daß sie Chefsekretärin bleibe. Laabs gab nach. Das schlechte Zeugnis landete im Papierkorb.
Die Koalitionsabgeordneten fürchten nun, daß die CDU/CSU-Opposition gerade diese Punkte bei der Laabs-Vernehmung genau ausleuchten will.
Ein Christdemokrat: »Wir wollen wissen, ob es besondere Abhängigkeiten zwischen Laabs und den Lutzes gegeben hat.«