KIRCHE / LUTHERANER Gruß vom General
Ob der Papst noch ein Christ ist, fragte Katholik Ivan Illich, prominenter Priester Amerikas, im Februar 1970. Grund: Paul VI. schwieg zu den Verbrechen des Militärregimes in Brasilien.
Ob die Lutheraner bessere Christen sind, wird sich demnächst erweisen. Für die Zeit vom 14. bis 24. Juli hat der Lutherische Weltbund seine Vollversammlung in das südbrasilianische Pôrto Alegre einberufen. Es soll eine Art lutherisches Konzil werden: Dem Weltbund gehören 78 Kirchen mit 54 Millionen Mitgliedern an; fast ein Drittel sind Deutsche.
In dieser Woche entscheiden der nordamerikanische Weltbund-Präsident Fredrik Axel Schiotz und vier andere Spitzen-Lutheraner in Genf, ob das Christen-Treffen (700 Teilnehmer, acht Millionen Mark Kosten) aus Protest gegen das Militärregime abgesagt oder aber mit Brasiliens Staatspräsident General Garrastazu Medici als Ehrengast stattfindet.
Noch immer hoffen einige Lutheraner, das ganze Treffen verhindern zu können. Pôrto Alegre ist ohnehin nur ein Ersatz-Ort. Den Plan, 1969 in Weimar zusammenzukommen, durchkreuzte die gottlose DDR-Obrigkeit. Auf Einladung der lutherischen Minderheit Brasiliens (nur jeder 150. Einwohner ist dort lutherischen Glaubens) wichen die Lutheraner in die brasilianische Hafenstadt aus.
Während sie sich zu ihrer Brasilien-Tagung rüsteten, eskalierte in der übrigen christlichen Welt die Empörung über das Militärregime. In diesem Frühjahr griff sie sogar auf den Heiligen Stuhl über.
Am 23. Februar hatte Illich in einem SPIEGEL-Gespräch Papst Paul VI. so scharf angegriffen wie vor ihm nur Hochhuth Papst Plus XII. Er sagte über Paul VI. und Brasilien: »Der Papst weiß genausogut wie ich, was dort geschieht. Regierung durch Angst vor der Folter. Und er schweigt. Entweder ist er feige, oder er handelt aus Staatsräson. Wenn das ein Papst muß, so kann kein Papst Christ sein.
Einen Monat später, am 25. März, protestierte der Papst auf seine Weise dann doch gegen die Polizeifolter: »Wir bedauern jene Fälle von Folterungen durch die Polizei, die man Nationen zuschreibt, die Wir lieben.«
Deutlicher als der Papst beschrieb in Ihrem Mai-Heft die deutsche Jesuiten-Zeitschrift »Stimmen der Zeit« in einem Drei-Sterne-Artikel aus Brasilien die dortigen Zustände: »Gefoltert werden auch Frauen, Kinder, Greise und Jugendliche. Gefoltert wird auf die demütigendste' die unmenschlichste Weise: zumeist nackt, häufig vor anderen Familienmitgliedern, wobei Sippenhaft keine Seltenheit ist. Ebensowenig Vergewaltigung.«
Angesichts solcher Zustände streiten sich die Lutheraner in der Bundesrepublik wie überall in der Welt darüber, ob der Weltbund in Pôrto Alegre tagen solle. Hamburgs Bischof Hans-Otto Wölber warnte gar vor einer »Spaltung des Weltbundes«. Eine Minderheit, zu der Lübecks Bischof Heinrich Meyer gehört, will die Tagung in Brasilien verhindern oder jedenfalls selbst nicht teilnehmen. Die Mehrheit aber möchte reisen.
Was dann in Pôrto Alegre geschehen wird, ist ungewiß. Es gibt Opportunisten, die es mit dem Milltärregime nicht verderben wollen. Dazu gehören vor allem die einheimischen Lutheraner, die den General-Präsidenten als Ehrengast eingeladen haben. Er möchte die Christen-Tagung begrüßen und zu seinem Forum machen: Ein »Wort an die Welt« will Präsident Medici von dem lutherischen Konzil aus sprechen.
Genau das Gegenteil, ein Tribunal gegen die Verbrechen der Militärjunta, soll es nach dem Willen etlicher Delegierter werden.
Einem Kollisions-Kurs stimmten auch die deutschen Teilnehmer der Welt-Tagung zu, als sie sich jüngst in Arnoldshain trafen:
Nach Pôrto Alegre werde gefahren »nicht nur trotz, sondern auch wegen der Lage in Brasilien«. An Ort und Stelle wollen die Deutschen aussprechen, was sie in Arnoldshain bekundeten: »Wir sind erschrocken und bestürzt über die Häufung der Mitteilungen von Folterungen und anderen Gewalttaten.«
Vorsichtshalber baten die Deutschen darum, »Vorkehrungen zu treffen, damit In Krisensituationen der Vollversammlung schnell und flexibel reagiert werden kann«. Und sie wünschen die Zusage nicht nur der Einreise, sondern auch der »Ausreise für alle«.
Die Deutschen haben nicht vergessen, was 1939 in Deutschland geschehen ist. Damals tagte die Spitze des lutherischen Weltkonvents in Hannover und sagte zu NS-Verbrechen kein einziges Wort.