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Guru Bhagwan im Gelobten Land

SPIEGEL-Redakteur Rainer Paul über die neue Heimat des Poona-Gurus in den USA
aus DER SPIEGEL 38/1981

Jede Wette« ist Ray Foreman bereit einzugehen, daß »das Land sie unterkriegen wird«. In gedehntem, kaum verständlichem Amerikanisch erwidert Albert Limmeroth, 70: »Wenn sie den Winter überstehen, könnten sie es schaffen.« Wetten will er nicht.

Die beiden Männer, die im einzigen Laden von Antelope, einem Flecken im Zentrum des nordwestamerikanischen Staates Oregon, ihren Mittagskaffee schlürfen, müssen es wissen. Ihnen gehören die beiden größten Farmen der Umgebung, auf denen Weizen und Mais wachsen, Schafe und Hereford-Rinder weiden.

An Fläche werden die Foreman- und Limmeroth-Ländereien nur von der Bigmuddy Ranch übertroffen, und die hat seit ein paar Wochen einen neuen Eigentümer. Der kaufte für sechs Millionen Dollar die knapp 26 000 Hektar große Farm, pachtete 6000 Hektar dazu und gab dem Anwesen einen neuen Namen: »Rajneeshpuram«.

So steht es auf Hindi (zu deutsch: »Stadt des Rajneesh") auf dem Schild neben der Schotterstraße, die nach 15 Meilen auf der Farm endet. Rajneeshpuram ist der neue Stützpunkt des auffälligsten indischen Gurus der letzten Jahre, des Bhagwan Shree Rajneesh, der aus Poona emigriert ist.

Gestiftet hat die Hochburg eine Bhagwan-Jüngerin aus den USA: Sheela Silverman, die vor zehn Jahren zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann Marc in New Jersey ein Meditationszentrum gegründet hatte. Nun legte sie anderthalb Millionen Dollar bar auf den Tisch, den Rest finanzierte eine Versicherungsgesellschaft aus Connecticut. Ma Anand Sheela (so ihr Sekten-Name): »Ich will das Land zum Grünen bringen.«

Welch ein Stück Land: Acht Monate im Jahr knallt die Sonne herab, im Juli und August wird es an die 45 Grad heiß, auf den braunen Hügeln halten sich gerade Salbeibüsche und Wacholder, nur mit Brunnenwasser und ein paar Bächen lassen sich die Felder nutzbar machen. Im Winter, bei 15 Grad Kälte, bedeckt diese Wüste eine Schneedecke, oft einen Meter hoch.

Dieses unfreundliche Stück Landschaft aus bizarrem Fels und leicht geschwungenen Hügeln, dessen Herausforderung nur wenige aufzunehmen wagen -- die Ortschaft Antelope wird trotz ihrer 35 Einwohner auf offiziellen Karten dieses Jahres als »Ghost Town« geführt --, soll nun das Gelobte Land der Bhagwan-Sekte werden?

»Ein schöner Traum«, zeigt sich Frau Silverman optimistisch. Die Tochter eines indischen Bauern ist eben wieder verheiratet, mit einem Aussteiger: dem ehemaligen New Yorker Banckaufmann und jetzigen Bhagwan-Schüler John Shelfer. Sie trägt ein burgunderrotes Sweat Shirt und gleichfarbige Cord-Jeans von Calvin Klein.

Sie glaubt an die Möglichkeit der Wandlung: »Diese Ranch ist seit Jahren mißbraucht worden, alle haben das Land bisher ausgebeutet und nichts hineingesteckt.«

Ein Blick von der mit Fliegendraht umgebenen Veranda ihres Fertighauses, das in zwei Teilen über die staubigen Geröllwege auf die abgelegene Farm gelangte, scheint die simple Regel aller Bauern dieser Welt zu stützen.

Etwa zwei Kilometer von Sheelas Haus entfernt grünt es tatsächlich. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang sind Amand Madhu und Satyam Simon, die Holzperlenkette mit dem S.192 Bhagwan-Photo-Anhänger um Hals und eine Schulter gewunden, eifrig dabei, die Bewässerungsrohre aus Aluminium über das Feld zu verrücken.

»Ist es nicht ein prächtiger Anblick«, freut sich Ma Prem Isabel, 28, geboren in Chile, französische Staatsbürgerin und im dritten Jahr Schülerin des indischen Guru. Isabel, die auf der Farm die Aufgabe übernommen hat, Besucher herumzufahren (wie sie es früher für das Touristenbüro von Tahiti getan hatte), versteht ihr PR-Handwerk.

»Vor drei Wochen war dies alles braun, und nun sind die Sonnenblumenpflanzen bereits zehn Zentimeter hoch«, sucht sie freudig Begeisterung zu vermitteln. Als eine »beeindruckende Leistung« stuft sogar Farmnachbar Al Limmeroth nach einer Ortsbesichtigung das bisher Erreichte ein. Doch er warnt: auch schnellwachsende Sonnenblumen müßten »wachsen und reifen, bevor sie geerntet werden können«.

Am Berghang steht ein gelber Lkw. Er hat Rasenrollen angeliefert, die nun vor einem beigefarbenen Wohnmobil zu einer Grünfläche ausgebreitet werden. Neben der Auffahrt zum Haus sind ein Dutzend Pflanzlöcher für Ahornbäume und Pappeln ausgehoben. Wasser für Rasen und Bäume liefert ein frisch gebohrter Brunnen.

Dieser Garten Eden, der da in der Wüstenei entsteht, dient als Rahmen, als Heimstatt und auch materieller Quell für den bärtigen Wundermann aus Indien: Bhagwan Shree Rajneesh residiert schon, weißgekleidet, auf dem kahlen Schädel ein turbanähnliches Gebilde, auf der Veranda.

Ihm zu Füßen auf der Treppe hockt seine langjährige Vertraute, die Engländerin Ma Yoga Vivel, die er aus Poona mitgebracht hat. Sein Anblick gibt Ma Prem Isabel -- auch noch aus 200 Meter Entfernung --Anlaß zu überschwenglicher Freude: Seit seiner Ankunft hatte sie »ihn noch nicht derart entspannt und gesund gesehen. Ist es nicht wunderschön?«

Am 1. Juni kam der Guru mit einem einjährigen US-Besuchervisum an Bord eines Pan-Am-Jumbos mit der Flug-Nummer 1 aus Bombay, die Ashram-Kommune von Poona nebst einer heillos verwirrten Schar von Schülern (Sanyasin) ließ er hinter sich.

»Ruhe, frische Luft, amerikanische Nahrung« (PR-Chef Swami Shayyamuni aus Montclair) und amerikanische Ärzte in New York und Chicago halfen dem an Asthma, Diabetes und zwei verklemmten Bandscheiben leidenden Guru wieder zu leidlicher Gesundheit. Isabel: »Er kann sogar wieder langsam gehen.« Auch habe er »nicht einen einzigen Hustenanfall erlitten« (Shayyamuni).

»Als wir sein Haus fertig gebaut hatten, habe ich ihn eingeladen, auf die Ranch zu kommen«, erzählt Sheela, die bislang den Wunsch vieler Sanyasin zurückgewiesen hat, auf der Farm mitzuhelfen. S.193 40 ausgewählte Jünger und 18 Jüngerinnen arbeiten unentgeltlich wie im Ashram zu Poona derzeit in der »Stadt des Rajneesh«.

Für insgesamt 53 Häuser haben die Behörden der Landkreise Wasco und Jefferson bislang die Baugenehmigung erteilt und dabei klargemacht, daß die Besiedlungsgesetze des Staates Oregon »vorurteilsfrei auch für die neuen Farmbesitzer gelten«, so Robert Martin, Planungschef des Kreises Jefferson. Nach diesen Richtlinien müsse die Zahl von Unterkünften und Bewohnern »in einem vertretbaren Verhältnis zur Nutzung des Landes stehen« (Martin).

An diese Auflagen will sich »die Mutter« (Sheela über Sheela) strikt halten, um alles zu vermeiden, was ihr Traumprojekt gefährden könnte. Sie baut eine eigene Schule auf dem Farmgelände für etwa 25 Kinder, um die sechsklassige Grundschule der Kommune Antelope (13 Farmkinder, eine Lehrerin) nicht zu belasten. Und sie wird, wichtig für den Fiskus, »Steuern zahlen, wie alle anderen Farmer auch«.

So begegnen die Einwohner von Antelope dem Treiben der Zuwanderer aus Indien nicht eben feindselig. Sie haben auch nichts dagegen einzuwenden, daß Bürgermeister Margaret Hill, 60, den Neu-Farmern zwei Geschäftslizenzen erteilt hat. Danach darf die »Balance International Corporation« als Großhandelsfirma für die Farmkommune kostengünstig einkaufen. Die zweite Lizenz berechtigt die Bhagwan-Jünger, ein Versandgeschäft zu betreiben, um die Schriften, Tonbänder und TV-Kassetten mit den Weisheiten des Gurus zu verschicken.

Die offensichtlich unbegrenzten finanziellen Mittel haben auch Argwohn geweckt. Für 325 000 Dollar besorgten S.196 sich die neuen Farmer schon Großgerät, einschließlich eines nagelneuen Spezialfahrzeuges für den Straßenbau, dessen Anblick vielen Gemeindevätern im Staate Oregon »das Wasser im Munde zusammenlaufen ließe«, schrieb die in Portland erscheinende Tageszeitung »The Oregonian«.

Wie bei einem mittelgroßen Industriebetrieb kurven Schwerlaster und Raupenschlepper über das Farmgelände, Gabelstapler versetzen Platten, Tischlerei- und Autowerkstatt sind komplett bestückt, und die Geräte für ein TV- und Ton-Studio stehen ausgepackt in einem der Mobilhäuser.

Drei dieser vorgefertigten Wohneinheiten werden pro Woche angeliefert und auf ihre Fundamente gestellt. »Bevor es Winter wird«, sagt Isabel, »hat jeder von uns ein eigenes Zimmer.« Viele der 58 Sanyasin verbrachten letzte Woche ihre Nächte noch in Zelten, die sich verstreut wie bunte Kleckse an den Berghängen ausnehmen.

In den USA hat der Guru 70 000 Anhänger. Da bleibt offen, ob »Mutter« Sheelas Vorhaben gelingt, die Anzahl der Jünger auf der Farm in Grenzen zu halten und Bhagwans Lehre weiterhin in den anderen 20 US-Zentren praktizieren zu lassen, statt nach Oregon zu pilgern. Der als lebendiger Gott verehrte Guru selbst sprach in Poona noch häufig vom Plan einer autarken Stadt für 50 000 Menschen.

Für den Sektenchef ist auch der städtische Nahverkehr schon geregelt. Sein blauer und ein silberfarbener Rolls-Royce parken tagsüber neben Sheelas Haus, immer frisch gewaschen und mit blauem Leinenüberzieher gegen Staub und Sonne geschützt.

Ungefragt chauffiert sie allabendlich zum Sonnenuntergang einen »Silver Shadow« über den Schotter zur Residenz des Weisen. Sheela: »Damit er ausfahren kann, wenn er möchte.«

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