SOWJET-UNION Gut trainiert
Alle Jahre wieder nimmt der erste Mann des Sowjetstaates seine Grippe. Dann platzen die Termine, im vergangenen Jahr ein Treffen mit Japans Außenminister, Ende letzten Monats das fest verabredete Rendezvous mit Frankreichs Staatspräsident Giscard d'Estaing.
Ob der Generalsekretär der KPdSU nur von einer, wie es offiziell heißt, »Erkältungskrankheit« geplagt wird, ist auch diesmal Anlaß zur Spekulation. Die »Hamburger Morgenpost« fragt: »Todkrank?«, und auch der Londoner »Daily Express« wollte von einer »lebensgefährlichen Erkrankung« wissen. Angeblich ließ die Kremlführung in der letzten Woche ein halbes Dutzend ärztlicher Koryphäen aus Westeuropa zu einem Konsilium einfliegen.
Daß West-Ärzte an Sowjetführern herumdoktern, hat eine lange Tradition: In Lenins Krankenzimmer drängelten sich schwedische, deutsche und Schweizer Professoren; Trotzki ließ sich lieber in Berlin als in Moskau operieren; Chruschtschow suchte den Rat amerikanischer Doktoren, und sein Nachfolger Breschnew vertraut schon seit Jahren einem Herzschrittmacher der US-Firma »Medtronic«.
Dieser elektronische Taktgeber sorgt dafür, daß das Herz des 72jährigen Politikers nicht ins Stolpern gerät: 70mal in der Minute, bei körperlicher Belastung auch häufiger, koordiniert ein kleiner Stromstoß die Pumpaktion des hohlen Muskels.
Mit dem Herzen, so erinnert sich Breschnew in seinen Memoiren, habe er schon vor 25 Jahren Kummer gehabt: Damals warfen ihn Herzattacken kurz hintereinander zweimal aufs Krankenbett.
Kein Wunder -- Breschnew ist seit seinem 30. Lebensjahr im angstvollen Job des Berufspolitikers tätig, schleppt Übergewicht, hat jahrzehntelang stark geraucht und tröstet sich mit beträchtlichen Mengen Wodka alles Gift fürs Herz. In seiner Begleitung reist deshalb fast ständig der Erste stellvertretende sowjetische Gesundheitsminister Jewgenij Tschasow, ein bekannter Moskauer Herzspezialist.
Allzu tragisch scheint der Kremlchef sein Herzleiden indes nicht zu nehmen. Er definiert es als »kleinere gesundheitliche Störung«. Was ihn wirklich schmerzt, ist ein »Adamantinom«, eine gutartige Geschwulst innerhalb des Kieferknochens. Diese seltene Erkrankung, für die es keinen deutschen Namen gibt, nimmt ihren Ausgang von übriggebliebenen Keimepithel-Zellen der Zähne, sogenannten Schmelzbildnern, den »Adamantoblasten"*.
Die Geschwulstzellen verdrängen auf sehr schmerzhafte Weise das gesunde Knochengewebe. Häufig kommt es zur Zystenbildung, einer Verflüssigung des Tumors. Das Fatale am Adamantinom ist seine Neigung zur Wiederkehr, dem »Rezidiv«, und dies
*Adamantinom: Kiefergeschwulst, von griech »adamantinos« = stählern, zum (harten) Zahnschmelz gehörend
trotz kunstgerechter Behandlung. Auch Breschnew blieb davon offenbar nicht verschont.
1973, bei seinem ersten Bonn-Besuch, konsultierte der Parteichef einen bekannten rheinischen Kieferchirurgen. Der Professor flog später seinem Patienten nach Moskau hinterher. Trotzdem heilte das Leiden nicht aus.
Die in Abständen immer wieder registrierten Sprachstörungen des früher so deutlich artikulierenden Redners Breschnew, seine Schwierigkeit, das Wort »Sotrudnitschestwo« (Zusammenarbeit) auszusprechen, rührt nach Meinung westlicher (Fern-)Diagnostiker von der Kieferkrankheit her.
Keinerlei Beweise indes gibt es für die dem Sowjetherrscher sonst noch gerne angehängten Krankheiten wie Blutkrebs ("Bild« 1975), Schlaganfall ("Bild« 1 978). Gicht, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Nierenversagen, Lungenblähung und Zuckerkrankheit. Sicher ist, daß Breschnew übergewichtig, durstig und schwerhörig ist: Seit 1975 trägt er hinter dem linken Ohr ein Hörgerät.
Den Strapazen seines Amtes zeigte sich der Russe trotz aller seiner Molesten im Zweifelsfall jedoch stets gewachsen. Denn Breschnew, vom Typ her ein Athlet, hat in seiner Jugend durch harte körperliche Arbeit, später durch Schwimmen und Tanzen seinen belastungsfähigen Leib offenbar stets gut trainiert. Nicht wie ein kranker Bär, eher wie ein Schwergewichtler im Ruhestand nahm der so oft schon todkrank Gesagte bei seiner letzten
Mit Eltern (Mitte, vorn) und Geschwistern in den zwanziger Jahren
Deutschland-Visite die Stufen der Hamburger Rathaustreppe.
Der Vorsitzende kann überdies auf einen glücklichen Umstand zählen -- er entstammt einer gesunden und langlebigen Familie, was den Medizinern noch immer als die wichtigste Voraussetzung für Leistungsfähigkeit und hohe Lebenserwartung gilt: Breschnews Vater, ein Hüttenarbeiter, blieb bis ins hohe Alter rüstig, seine Mutter starb erst vor vier Jahren mit 89.