BAUERN / PREISE Gute Besserung
Der Bauernpräsident bat um Schonung für den Bauernminister. Der Westfale Constantin Freiherr Heereman schirmte den Bayern Josef Ertl gegen allzu lautes Kampfgeschrei der Grünen Front ab: »Nun lassen Sie ihn erst mal ausreden, ich werde ihm hinterher noch das Nötige sagen.«
Im Angesicht von einigen hundert buhenden und pfeifenden Landwirten, vor Transparenten mit Sinnsprüchen wie »Die Agrarpreise sind unsozial, Brandt, nun erhöh sie mal« stand Bonns Landwirtschaftsminister Josef Ertl am Dienstag letzter Woche in der Bad Godesberger Stadthalle sein politisches Comeback nur mit Mühe durch.
Entgegen dem Rat seiner Ärzte, die dem kreislaufschwachen, zwei Zentner schweren Ertl Schonung verordnet hatten, war der Minister In sein Bonner Ministerium zurückgekehrt. Denn auf dem Terminplan standen die Mitgliedsversammlung des Deutschen Bauernverbandes, der bis zu 15 Prozent höhere Agrarpreise fordert, sowie die Agrardebatte des Bundestages.
Beinahe, so Wirtschaftsminister Karl Schiller, der den grippekranken Kanzler am vergangenen Mittwoch vertrat, hätte sogar »der Mantel der Geschichte durchs Hohe Haus geweht«.
Als 469 Abgeordnete zum Hammelsprung über ein von der CDU/CSU gewünschtes höheres Altersgeld für Landwirte antraten, fürchtete SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, die Koalition werde erstmals in einer wichtigen Abstimmung unterliegen.
In diesem Fall, so stiftete Wehner den Wirtschaftsminister an, solle Schiller sofort zum Rednerpult eilen und dort zum erstenmal seit Erlaß des Grundgesetzes dessen Artikel 113 geltend machen: Beschlüsse des Bundestages, die mehr Geld kosten als im Haushalt vorgesehen, müssen auf Einspruch der Regierung ausgesetzt werden. Die von Wehner befürchtete Niederlage blieb aus: 243 Abgeordnete von SPD und FDP stimmten 226 Abgeordnete der CDU/CSU nieder.
Gleichwohl gingen die rebellierenden Bauern -- wie stets vor Wahlen -- nicht leer aus. Bereits am 29. Oktober hatte Bundeskanzler Brandt den Befehlshaber der Grünen Front, Constantin Freiherr Heereman, empfangen. Am letzten Donnerstag erhöhte das Bundeskabinett den Mindestpreis für Trinkmilch um vier Pfennig.
Darüber hinaus können die Bauern vorerst nur auf höhere Erlöse für Futtergetreide und Rindfleisch hoffen, falls die EWG-Nachbarn bereit sind, die gemeinschaftlichen Preise heraufzusetzen. Eine generelle Teuerung aller Agrarprodukte will ihnen der Wirtschaftsminister nicht zugestehen. Statt dessen hofft er, sie mit besseren Sozialleistungen wie Kranken- und Unfallversicherung befrieden zu können. Und erst wenn das nicht ausreichen sollte, »müssen wir kratzen, ob noch Moneten da sind« (Schiller).
Die Milchpfennige sind für den Bauernverband nur »ein Zeichen« (Heereman), daß die sozialliberale Bundesregierung nach »einem Jahr der Enttäuschung« (so der CSU-Abgeordnete Georg Ehnes) nun endlich bereit sei, die Bauern »in vollem Umfang an der Einkommensentwicklung teilnehmen« zu lassen, wie es Willy Brandt in seiner Regierungserklärung gelobt hatte.
In einer Resolution ließen die Delegierten des Bauernverbands keine denkbare Forderung aus:
* Vorab wollen sie höhere Preise für Milch, Rindfleisch und Futtergetreide, danach generelle Preiserhöhungen um durchschnittlich mindestens zehn Prozent -- eine Forderung, die den Kaufkraftschwund der Mark laut Schiller um 50 Prozent beschleunigen würde;
* zugleich verlangen sie besseren Schutz gegen Alter, Krankheit und Unfälle -- allein vom erhöhten Altersgeld aber müßte der Bund nach Ertls Rechnung 81 Prozent tragen, die Bauern selber aber wollen nur 19 Prozent durch Beitragszahlungen aufbringen;
* schließlich drängen sie auf ein ganzes Bündel steuerlicher Sondervorteile -- sie wollen keinen Lastenausgleich, keine Erbschaftsteuer und keine Grundsteuer mehr zahlen, Abschlachtprämien und Landabgaberenten steuerfrei kassieren
* Am Dienstag letzter Woche In der Bad Godesberger Stadthalle.
und überdies einen höheren Vorsteuerabzug bei der Mehrwertsteuer.
»Niemand wird sagen können«, behauptete Heereman, »daß ein Staat, der über einen Haushalt von mehr als hundert Milliarden Mark verfügt, diese Forderungen nicht erfüllen könnte.«
Bei seinen Kritikern bedankte sich Bayer Ertl scheinbar artig für die Wünsche zu seiner Genesung. Doch dann brach sein Zorn über die allzu vielen Forderungen hervor: »Ich wünsche auch Ihnen gute Besserung!«