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KRIEG / ERDÖL / VERSORGUNG Gute Hoffnung

aus DER SPIEGEL 25/1967

Mehr als zehn Jahre lang rechneten die Manager der europäischen Ölkonzerne mit dem Tag, an dem sie -- wie 1956 -- von ihrer Erdölbasis im Nahen Osten abgeschnitten werden würden. In der vergangenen Woche war es soweit: Einen Tag nach Beginn des Krieges

> sperrte Ägyptens Staatschef Gamal Abd el-Nasser den Suez-Kanal;

> stopfte der Präsident des Irak, Abd el-RahmanArif, der englisch-amerikanischen Iraq Petroleum Company ihre Wüsten-Pipeline zu den Mittelmeerhäfen Banias und Tripoli zu;

> stellte Saudi-Arabiens König Feisal sämtliche Öllieferungen an seine ausländischen Kunden ein. Kanalchef Nasser und die beiden anderen Staatsoberhäupter begründeten den Ölstopp damit, daß englische und amerikanische Flugzeuge die Israelis unterstützt hätten. Kuwait, Algerien, Libyen sowie die Ölscheichtümer am Persischen Golf -- Katar und Bahrein -- schlossen sich dem Boykott an. »Wir haben eine neue Waffe«, frohlockte Radio Kairo, »wir haben den Ölhahn zugedreht.« Fast ein Drittel der Welt-Ölförderung war durch den Krieg versiegt oder von Europa, dem Hauptkunden, vorübergehend abgeschnitten. Von den 75 Millionen Tonnen Rohöl, die im vergangenen Jahr in westdeutschen Raffinerien zu Benzin, Heizöl und Teer verarbeitet wurden, stammten 57,2 Millionen (76 Prozent) aus den arabischen Ländern und Iran. Frankreich ist zu 82 Prozent, Großbritannien zu mehr als 73 Prozent auf das 01 aus Nahost und Nordafrika angewiesen. Die grollen Ölgesellschaften Esso, Shell und BP verkündeten zwar sofort nach Kriegsausbruch: »Die Ölversorgung ist gesichert.« Europas Konsumenten reagierten dennoch nervös. In Frankreich mußten die Tankstellenpächter bereits am Montag ihre Benzinvorräte wieder ergänzen lassen. Französische Autofahrer hatten au .f die ersten Kriegsnachrichten hin erst einmal vollgetankt und außerdem Sprit in ihre Reservekanister füllen lassen. Die Deutschen fürchteten um ihre Nestwärme. Erregte Eigenheimbesitzer verlangten sofort nach mehr Heizöl. Banken und Firmen deckten sich in grollen Mengen ein. Statt sogenannter Diskretionsrabatte zwischen 30 und 50 Pfennig je 100 Liter, mit denen die Heizölhändler sonst durch die Sommerflaute segeln, holten sie plötzlich Aufschläge bis zu 1,50 Mark heraus. Bei den Verbrauchern wirkte noch die Suez-Krise 1956 nach. Damals war in der Bundesrepublik der Preis je Liter Normalbenzin von 62 auf 65 Pfennig und je 100 Liter Heizöl von 17,40 Mark auf 20,10 Mark gestiegen. In Frankreich und England wurden Rationierungskarten für Benzin und Dieselkraftstoff ausgegeben. Weil sie »nicht ein zweites Mal erpreßt werden wollten« (Premierminister Wilson), bauten die Regierungen Europas in den letzten Jahren Sicherungen in ihre Energieversorgung ein. Durch Gesetz verpflichteten sie ihre Erdölfirmen, ständig einen Krisenvorrat auf Lager zu halten. Beispielsweise müssen in den Tanks westdeutscher Erdölverarbeiter jeweils zehn Millionen Tonnen 01 bereitliegen -- ein Normalverbrauch für 49 Tage. In Frankreich liegt der Bedarf für drei Monate unter Verschluß, der englische Ölhort reicht für 91 Tage. Nach 1956 legten sich etc. Ölbosse überdies eine Flotte von Supertankern der 100 000-Tonnen-Klasse zu (mittlere Tankergröße 1956: 26 000 Tonnen), die selbst um das Kap der Guten Hoffnung noch einigermaßen rentabel 01 transportieren können. 20 Prozent dieser Tanker sind gegenwärtig arbeitslos. Schon am Donnerstag letzter Woche charterte Englands BP 20 Tanker mit 800 000 Bruttoregistertonnen, um auf der Kap-Route persisches 01 nach Europa zu bringen. Durch den Ausbau neuer Erdölfelder versuchten die Ölkonzerne, sich von den Launen nahöstlicher Lieferanten weitgehend unabhängig zu machen. So investierte allein die Gelsenkirchener Bergwerks-Aktiengesellschaft (GBAG) 300 Millionen Mark in die libyschen Ölgebiete von Ora, Hofra und Amal. Das Geld der GBAG trug dazu bei, daß Libyen 1966 mit 72 Millionen Tonnen Jahresförderung zum siebtgrößten Erdölproduzenten der Welt und größten deutschen Einzellieferanten wurde (siehe Graphik). 1956 war in dem nordafrikanischen Königreich noch keine Tonne Öl gefördert worden. Ähnlich investierte Frankreich in Algerien, wo es seit 1956 Millionenbeträge in den Ausbau der Sahara-Ölvorkommen bei Hasst Messaoud steckte. In der vergangenen Woche, als Algerien den Engländern und Amerikanern das Öl sperrte, wurden Frankreichs Ölkäufer höflich wie zuvor bedient. Schon vor Jahren erarbeiteten die Mitgliedsländer der Atlantischen Wirtschaftsgemeinschaft OECD, der außer den westeuropäischen Staaten die USA, Kanada und Japan angehören, ein Konzept für den Fall einer neuerlichen Krise in Nahost. Der »streng geheim« gestempelte Plan sieht vor, daß die USA, Venezuela, Persien und Nigeria Europa mit Öl ausheilen sollen. John Angus Beckett, Ölbeauftragter des britischen Energieministeriums und Vorsitzender der Öl-Notstandskommission der OECD, flog vergangene Woche nach Washington, um mit den Amerikanern über die Aushilfslieferungen zu verhandeln. Bis zum Mai dieses Jahres pumpten die US-Gesellschaften nur an neun Tagen jeden Monats Öl; bei vollem Betrieb könnten sie die dreifache Menge liefern. In Venezuela kann die Produktion um zehn Prozent gesteigert werden. Persien bat die Konzerne schon im vergangenen Jahr darum, die Ölerzeugurig wenigstens um 17,5 Prozent zu steigern, um höhere Abgaben in die Staatskasse zu bekommen. Die junge Erdölindustrie Nigerias schließlich, die im vergangenen Jahr erstmals mit 20 Millionen Tonnen aufwartete, ist ohnehin begierig, groll ins internationale Ölgeschäft einzusteigen. Laut dem Plan der OECD sollen im äußersten Notfall alle Ölvorräte des Westens zusammengerechnet und nach einem festgelegten Schlüssel auf die Mitgliedsländer der OECD verteilt werden. Dadurch will die Gemeinschaft verhindern, daß -- wie in der Suez-Krise -- die Länder bevorzugt werden, in deren Notenbanktresors genügend Dollars lagern. So kam 1956 die Bundesrepublik um eine Rationierung ihrer Ölvorräte nur herum, weil sie genügend Dollars zum Ankauf des teuren amerikanischen Öls besaß (USA-Preis je Tonne: 90 Mark, Nahost-Preis: 53 Mark je Tonne). England hingegen, das sein Nahost-Öl in Pfunden bezahlte und über wenig Dollars verfügte, ging leer aus. Selbst bei andauernder Blockade durch die Araber halten Konzerne und Regierungen Europas die Versorgung für gesichert. Ein Sprecher der Shell im Haag verkündete: »Es besteht kein Grund zu Befürchtungen.« Er verkündete allerdings auch: »Mit höheren Kosten und Preisen muß gerechnet werden.«

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