NATO / UMZUG Gute Reise
Die Nato zieht in die Provinz. De Gaulle wies den militärischen Stäben der Alliierten samt nationalem US-Anhang im März die Tür. Unter amerikanischer Führung warfen die Alliierten jetzt die Tür ins Schloß.
Sie beschlossen, den Nato-Rat, das politische Führungsorgan der Allianz, mit 15 Botschaften und 1000 nationalen Mitarbeitern sowie das Nato-Generalsekretariat mit 950 Mitarbeitern aus Paris abzuziehen und in Brüssel anzusiedeln.
Die ehemals stärkste Militärallianz der Geschichte ist damit seit vorigen Mittwoch so geteilt wie seit Jahren bereits die ehemals stärkste Nation Europas, die Deutschen. Anstelle des Stacheldrahts aus Eisen sperrt nun ein Stacheldraht des Mißtrauens Frankreich von seinen bisherigen Alliierten nicht nur militärisch, sondern auch politisch ab.
Da Frankreichs Präsident immer wieder betont hatte, er wolle lediglich aus dem militärischen Teil der Allianz ausscheiden, waren von seiner Interdiktion an sich nur betroffen:
- das Hauptquartier der alliierten Gesamtstreitkräfte für Europa (Shape) mit 2200 Mitarbeitern, bisher in Rocquencourt bei Paris, künftig in Casteau bei Brüssel;
- das Hauptquartier der amerikanischen Gesamtstreitkräfte in Europa (Eucom) mit rund 2500 Mitarbeitern, bisher bei Saint-Germain-en-Laye nahe Paris, künftig in Stuttgart;
- das Hauptquartier der alliierten Gesamtstreitkräfte für Europa Mitte (Afcent) mit rund 3000 Mitarbeitern, bisher in Fontainebleau bei Paris, künftig in Brunssum bei Maastricht;
- das Nato-Defense-College mit rund
200 Mitarbeitern, bisher in Paris, künftig in Rom;
- einige Nebenorganisationen und die Verwaltung der Pipeline zwischen Atlantikküste und der Pfalz mit insgesamt rund 1200 Mitarbeitern sowie
- amerikanische und kanadische Stützpunkte mit insgesamt fast 30 000 Mann, die über ganz Frankreich verstreut sind.
Den Nato-Rat hingegen, das politische Führungsorgan der Allianz, hätte de Gaulle auch weiterhin an der Pariser Porte Dauphine geduldet, möglicherweise hätte er ihn sogar ganz gern behalten. Denn ein Nato-Rat im Bannkreis des Elysée-Palastes, nur drei Kilometer von de Gaulles Klause entfernt, ließe sich besser für die Belange des im übrigen ausgeschiedenen Partners nutzen als ein Nato-Rat im fernen Brüssel, wo sich angelsächsischer Einfluß noch stärker geltend macht.
Aber die Amerikaner gaben von Anfang an zu erkennen, daß sie de Gaulles Plan, die Nato zu verlassen, wo sie ihm nicht paßt, aber drinzubleiben und dort zu behalten, wo sie ihm - wenigstens im Augenblick noch - nützlich erscheint, durchkreuzen würden (SPIEGEL 12/1966). Die Franzosen wiederum, einmal in der Rausschmeißer-Rolle, konnten schlecht darum bitten, daß der Nato -Rat in Paris bleiben möge.
Auf der Brüsseler Tagung des Nato -Ministerrats im Juni erklärte de Gaulles Außenamtschef Couve de Murville daher leichthin: »Wenn Sie in Paris bleiben wollen, so sind Sie willkommen. Wollen Sie aber das Hauptquartier in ein anderes Land verlegen - gute Reise.«
Für die Amerikaner war die Mitnahme des Nato-Rats beim Zwangsumzug nicht nur, vielleicht nicht einmal vordringlich, eine Prestigefrage, obschon die unhöfliche Hast, mit der de Gaulle ihnen die Tür wies, amerikanisches Ehrgefühl verletzte. Ihr Hauptgrund: Amerika möchte nicht länger de Gaulles Pressionen ausgesetzt sein, vor allem nicht in einem potentiellen Ernstfall, für den sich de Gaulle die Wahl - ob Neutralität oder casus foederis - ausdrücklich vorbehalten hat. Neutralität, wie de Gaulle sie versteht, würde ihn vermutlich verpflichten, im Kriegsfall das Funktionieren des Nato-Rats auf französischem Boden zu unterbinden.
Als Kanzler Erhard Ende September Washington besuchte, gab er dem Gastgeber die Zusage, auch Bonn werde für die Verlegung des Nato-Rats stimmen. Daheim freilich wurde ein Kabinettsbeschluß in dieser Frage nicht gefaßt. Bonn wollte wegen der Beziehungen zu Frankreich keinesfalls der erste, sondern der letzte sein, der für den Abzug aus Paris plädierte.
Da aber ließ US-Außenminister Rusk mitteilen, daß die USA es nunmehr eilig hätten: Er überlege sich, ob er zur Dezember-Tagung des Nato-Ministerrats nach Paris kommen könne, wenn nicht zuvor eine entsprechende Entscheidung gefaßt worden sei. Daraufhin schwenkten zuerst die Italiener, dann die Dänen und schließlich auch die Kanadier auf die US-Linie ein.
Nun, mußte auch Bonn einen Entschluß fassen. Dort wurden die wichtigsten Abzugs-Gegner, Minister Krone und Ex-Minister Strauß, gar nicht erst gehört. Am Freitag vorletzter Woche erging nach einem Dialog Erhard-Schröder Order an den Nato-Botschafter Grewe, den 14 Nato-Partnern mitzuteilen, Bonn werde für die Verlegung stimmen.
An der Pariser Porte Dauphine hatten nächst den Amerikanern die Briten auf Auszug gedrängt: Sie versprechen sich über einen Brüsseler Nato-Rat eher Einfluß auf die politische Organisation und von dieser aus mehr Einfluß auf die militärischen Stäbe als bisher. Allerdings wird das (neu zu organisierende) höchste militärische Führungsorgan der Nato, das Militärkomitee, weiterhin in Washington tagen.
De Gaulles Couve seinerseits hatte auch noch das Land abzugswillig gemacht, das nicht begierig war, eine weitere Superbehörde aufzunehmen, sie aber allein aufnehmen kann: Belgien.
Als Belgiens neuer Paris-Botschafter, Robert Rothschild, de Gaulle Anfang Oktober auf die Bündnis -Folgen eines Abzugs des Nato-Rats hinwies, zeigte der Staatsgeneral keinerlei Reaktion, und Minister Couve verprellte den Besucher nach der Audienz
mit der gelangweilten Bemerkung: Dann gehe Her Rat eben »in die Provinz«.
So wird es denn auch geschehen. Ob aber Brüssel gegenüber Paris Provinz ist, wird auch Frankreichs Nato-Botschafter, Pierre de Leusse, feststellen können; Er muß mit nach Brüssel - es sei denn, sein Chef im Elysée scheidet ganz aus der Nato aus.
Bisheriges Nato-Hauptquartier an der Porte Dauphine in Paris: Ab in die Provinz