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DICHTUNG / BACHMANN-HÖRSPIEL Guter Gott

aus DER SPIEGEL 25/1958

In der Liebe zwischen Mann und Frau ist die Beteiligung der Seele ein unvorhergesehener Sonderfall, der unausweichlich zur Katastrophe führt - so ungefähr lautet, wenn sie ihrer poetischen Verbrämung entkleidet ist, eine These, die kürzlich der überwiegenden Mehrzahl aller westdeutschen Rundfunkhörer präsentiert wurde. Sie ist die Essenz eines Hörspiels, das die drei größten Rundfunkanstalten der Bundesrepublik - die Sendergemeinschaft Norddeutscher und Westdeutscher Rundfunk, der Bayerische Rundfunk und der Südwestfunk Baden-Baden - in zwei verschiedenen Inszenierungen am selben Abend darboten.

Verfaßt wurde dieses Hörspiel von einer bald zweiunddreißigjährigen Frau, der in Klagenfurt geborenen Ingeborg Bachmann, die sich bereits durch ihre Gedichtbücher »Die gestundete Zeit« (1953) und »Anrufung des Großen Bären« (1956) einen festen Platz in der deutschen Nachkriegslyrik erworben hat. Äußerliches Zeichen für die Anerkennung, die der österreichischen Dichterin in Westdeutschland zuteil geworden ist, bilden die Literaturpreise, mit denen sie unter anderem von der literarisch geschäftstüchtigen Schriftstellervereinigung »Gruppe 47« und dem Kulturkreis der deutschen Industrie ausgezeichnet wurde. Im vorigen Jahr war sie auch für den hochdotierten Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen vorgeschlagen, doch erhielt sie diesen Preis nur zur Hälfte, nachdem der konservative Dichter Rudolf Alexander Schröder, unter dessen Patronat der Bremer Literaturpreis steht, die Bachmann als Kandidatin abgelehnt hatte, weil er in ihrem Werk keine wesenhaft christlichen Inhaltsmomente entdecken konnte.

In Ingeborg Bachmanns neuem Hörspiel mit dem Titel »Der gute Gott von Manhattan« entpuppt sich der Titelheld als Personifikation von gleich zwei Kapitalverbrechern, des Düsseldorfer Liebespaarmörders und des Bombenattentäters von

New York, die in den vergangenen Jahren

ihren makabren Neigungen nachhingen. Der Bachmannsche »gute Gott«, der Bomben wirft, um Liebespaare umzubringen, ist eine allegorische Gestalt aus der Verwandtschaft des Goetheschen Mephisto, ein böser Geist, der die Liebe stets verneint und der alles, was an zarten Gefühlen entsteht, für wert hält zugrunde zu gehen.

Ingeborg Bachmanns Hörspiel hat eine Liebestragödie zum Inhalt, die aus der Sicht der Frau geschildert wird. Modischer Hörspielform sich nähernd, folgt Ingeborg Bachmann dabei nicht dem zeitlichen Ablauf der Liebesgeschichte, sondern stellt diese Affäre den Hörern in Rückblenden vor, mit denen die Liebesbegegnung noch einmal aufgerollt wird, nachdem alles schon zu Ende ist.

Den Vordergrund zu den Rückblenden mit der Liebesgeschichte bildet eine breit ausgeführte Gerichtsverhandlung gegen den als Bombenattentäter ertappten »guten Gott von Manhattan«. Diese Gerichtsverhandlung, in der sich nur der Angeklagte und sein Richter gegenüberstehen, soll als eine Art innerer Dialog aufzufassen sein, als das auf zwei sinnbildliche Figuren - den Richter und den »guten Gott« - projizierte Selbstgespräch einer Frau, die plötzlich fühlt, daß die große Liebe ihres Lebens zu Ende ist, und sich in der Rückschau die Frage stellt, weshalb es so kommen mußte.

In diesem inneren Dialog vertritt der Richter die Funktion des prüfenden Verstandes, während die nur unklar profilierte Gestalt des »guten Gottes« einsteht für jene elementare Lebenskraft, die den Menschen erst ins Lieben hineintreibt und ihn dann der Pein überläßt.

Als treibende Kraft tritt der »gute Gott« aber nicht nur in den Rahmenszenen auf, sondern wirkt auch in der eingeblendeten Liebeshandlung mit, wenn auch nicht immer persönlich, da ihm noch ein paar von Ingeborg Bachmann erfundene Handlanger Dienst leisten. Ihm sind Nagetiere behilflich, die der Altmeister der modernen Lyrik in Deutschland, Wilhelm Lehmann, einst als »feuerrote Götterboten« bezeichnet hatte: Eichhörnchen.

Ein Eichhörnchen bezeugt auch den Beginn der Liebesgeschichte, die vom Kritiker des Hamburger Wochenblattes »Die Zeit« so zusammengefaßt wurde: »Ein junger Mann, Jan, will von Boston über New York nach Europa heimreisen. Auf einer U-Bahn-Station kommt er mit Jennifer, einem jungen Mädchen, ins Gespräch, das sich von ferne schon längst in Jan verliebt hat. Von ihr ermutigt, werden aus einigen Stunden des Ansehens von 'kühlen Schultern, kühlen Augen' heiße Nächte in New York. Erst im Erdgeschoß eines Absteigequartiers, dann im siebten Stockwerk des Atlantikhotels, dann im 30., schließlich im höchsten Stock, dem 57 ...«

Mit zunehmender Stockwerkshöhe steigt auch die seelische Beteiligung an dieser eiligen Liebe, die endlich in einer poetischen Liebeserklärung kulminiert. Das Gefühl der Liebenden erreicht einen Höhepunkt, über den es nicht weiter hinausgeht. Der »gute Gott« kommentiert später bei der Gerichtsverhandlung: »Da ist gar kein Gefühl, nur Untergang...«

Der Richter, der die Funktion des Verstandes vertritt, hält dem »guten Gott« vor: »Jeder Mensch könnte Ihnen aus eigener Erfahrung eine Reihe von glücklichen Paaren nennen. Die Jugendfreundin, die später an einen Arzt geriet. Die Nachbarn auf dem Land, die schon fünf Kinder haben. Die zwei jungen Studenten, die einen Ernst fürs Leben und füreinander verraten.«

Der »gute Gott« der Bachmann will jedoch von solchen Glücksfällen der Liebe nichts wissen: »Aber wer wird sich mit Menschen beschäftigen..., die das bißchen anfängliche Glut zähmten, in die Hand nahmen und ein Heilmittelunternehmen gegen Einsamkeit daraus machten, eine Kameradschaft und wirtschaftliche Interessengemeinschaft.«

Auch die Hörspiel-Heldin Jennifer will die Glut nicht zähmen. Als sie von ihrem Jan, der einen Whisky trinken geht, für einen Augenblick allein gelassen wird, öffnet sie ein Bombenpaket, das ihr der »gute Gott« gebracht hatte, und sprengt sich in die Luft.

Kommentiert der »gute Gott« das Schicksal des Jan, der während der Detonation seine Doppelten trinkt: »Er war gerettet. Die Erde hatte ihn wieder.« Dichterin Ingeborg Bachmann*

Kühle Schultern, kühle Augen

* SPIEGEL 34/1954

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