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HAFENSTRASSE Guter Zugriff

Durch das Abschleppen von gut einem Dutzend Bauwagen könnte Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau die befürchtete Schlacht um die Hafenstraße auslösen.
aus DER SPIEGEL 20/1989

Auf einer Freifläche mit Elbblick sind alte Wohnwagen, Lkw-Anhänger und mobile Baubuden im Dutzend zusammengeschoben. Schwarze Piratenflaggen flattern auf den Dächern, an der Hauswand dahinter prangt über vier Etagen der Ruf nach Zusammenlegung der RAF-Gefangenen.

Junge Graffiti-Künstler, nicht älter als 15, haben die Buden mit grellen Sprühfarben verziert. Parolen an der Außenseite der Wagenburg, in den Augen der knapp 20 Budenbewohner ein »antifaschistischer Schutzwall«, werben für ein »Radio Hafenstraße« und fordern: »Eat the Rich.«

Die Wohnwagenkolonie, im Schatten der Hafenstraße am Hamburger Elbufer auf kommunalem Grund gewachsen, gilt als leichteste Beute für städtische Räumungsabsichten. SPD-Bürgermeister Henning Voscherau ("Es ist genug") will sich die bundesweit umstrittene Häuserzeile am Hamburger Hafenrand schnellstmöglich vom Halse schaffen. Im April waren Polizisten vor einem Hagel aus Steinen und halben Gehwegplatten geflohen - elf Beamte wurden verletzt.

Zur zügigen Abwicklung der Räumung wurde von Voscherau eigens eine »Verwaltungsgesellschaft Hafenrand mbH« ins Leben gerufen. Die kündigte Ende April, wenige Tage nach Besitzübernahme, den von Voscherau-Vorgänger Klaus von Dohnanyi im November 1987 abgeschlossenen Pachtvertrag. Den 68 registrierten Mietern des »Vereins Hafenstraße« läßt die Gesellschaft dieser Tage zudem Räumungsaufforderungen per Gerichtsvollzieher zugehen, eine Räumungsklage ist in Arbeit.

Doch während sich die Landesregierung bei den regulären Mietern auf einen womöglich Jahre währenden Rechtsstreit einstellen muß, ist die Bauwagenkolonie durch keinerlei Mietrecht geschützt. Eine Räumung des Lagerplatzes, weiß auch der Regierungschef, ist schon durch eine »allgemeine Verfügung des zuständigen Bezirksamts möglich«.

Möglichst bald soll die problematische Freifläche auf die Hafenrand-GmbH überschrieben werden, um, so Geschäftsführer Wolfgang Dirksen, »das Ganze ein bißchen flotter und flexibler zu gestalten«. Auf Grundlage des Hamburger Wohnwagengesetzes, das Wohnen in solcher Behausung verbietet, könnte der Geschäftsführer jederzeit die Räumung des Areals veranlassen.

Die Bewohner wissen, daß die Wagenkolonie illegal besteht. Sie fordern daher vom Senat »die ersatzlose Aufhebung des Wohnwagengesetzes«.

Allerdings: Behördliches Einschreiten gegen die Wagenburg birgt unkalkulierbare Risiken. Hafenstraßler, die eigene Räumung vor Augen, könnten die Maßnahme als Anlaß für neue Randale nutzen. Um eine solche Eskalation zu verhindern, beantragte deshalb Hamburgs Grün-Alternative Liste (GAL) kurz vor Pfingsten beim zuständigen Bezirksamt, das Areal selber zu pachten.

Die GAL suchte so zu verhindern, »daß die Räumung von Bauwagen Anlaß für einen Polizeieinsatz bietet«. Ein solcher Vertrag, fand indes Dirksen, würde dem Anliegen Voscheraus widersprechen, sich einen »guten Zugriff« auf die Hafenstraße zu sichern. Und auch das Bezirksamt begriff schnell und lehnte den GAL-Antrag ab.

Auch Hamburgs Polizei hat längst ein Auge auf das Budendorf geworfen. Autoaufbrüche und Rauschgifthandel, meint die Polizei, gingen vor allem von den Budenbewohnern aus. Das Abschleppen der Wohnwagen will Innensenator Werner Hackmann zum Test für den Kampfwillen der Hafenstraße machen. Sozialdemokrat Hackmann: »Wir werden sehen.«

Mit der Maßnahme meint der Senat, Entschlossenheit gegenüber Rechtsbrechern demonstrieren zu können. Der Zorn über Diebstähle in der Umgebung der Hafenstraße hatte im vergangenen Monat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, als ein beklauter Autobesitzer in seinem aufgebrochenen Mercedes ein Spott-Formular des »Bezirkshönkelamts« vorfand - »zur Vorlage bei Polizei und Versicherung«. Die Freunde des »Hönkelns«, ein Nonsens-Begriff der Szene für allerlei illegales Tun, gratulierten ihm darin »aufrichtig für die hervorragende Wahl des Parkplatzes für ihr schönes Auto«.

Hessens Innenminister Gottfried Milde (CDU) erzeugte vergangenen Montag zusätzlichen Druck, als er Hamburg die polizeiliche Amtshilfe aufkündigte. Hessische Polizisten, erklärte Milde, sollten in der Hansestadt fortan keinen »Dienst zur Sicherung des Rechtsbruchs« mehr leisten. »Das klingt«, fand das »Hamburger Abendblatt«, »nach politischer Erpressung.«

Selbst Stammbewohner der Hafenstraße, so berichtet die bunte Bauwagenschar, waren »am Anfang nicht so begeistert« über Zulauf auf dem Nachbargrundstück. Mittlerweile haben die Wagenbewohner, zwischen 16 und 42 Jahren alt, mehr als 1000 Unterschriften für den Erhalt von Häusern und Buden gesammelt. Als Millionen von Besuchern jüngst zum Hafengeburtstag über die Elbpromenade pilgerten, reichten sie im Hafenstraßen-Lokal »Tante Hermine« sogar Kaffee und Kuchen für Touristen. Das ging, schwärmt einer, »total friedlich zu«.

Gleichwohl fühlten sich die zum Teil mit schwarzen Kopftüchern geschmückten Piraten durch den wachsenden Ansturm photographierender Touristen »wie im Zoo«. Die Bauwagencrew pflegt historische Vorbilder wie Klaus Störtebeker und Robin Hood. »Wir wollen«, sagt Bewohner Bruno, »nicht anonym im Betonsilo wohnen und in den Fernseher glotzen, sondern am Lagerfeuer sitzen.«

Einige haben schon Erfahrungen mit Obdachlosenasylen gesammelt, die meisten leben von Sozialhilfe oder Gelegenheitsjobs. Ihre Mobilheime sind mit Eifer ausgestaltet: Brunos roter Wagen etwa besticht durch eine handgetischlerte Spüle, Holztäfelung, Teppichboden und geräumige Schlafstelle. »Ich will nicht«, sagt er, »daß sie mir das kaputthauen.«

Als »Erfindung der Revolverpresse« weisen die Bauwagenbewohner den Vorwurf der Beschaffungskriminalität zurück. Es gebe allerdings »viele, die das Umfeld ausnutzen und hier Autos aufknacken«, meint Thomas: »Von überall her« kämen auch »Leute, die auf diese ordinäre angesoffene Art Touristen im Namen der Hafenstraße anbaggern«.

»Vor der Räumung hat jeder Angst«, meint einer aus der Gruppe - obwohl die Hafenstraßler entschlossen sind, ihren »Weg gegen Wohnungsmisere und Leben in Vereinzelung« zu verteidigen. Obendrein, so geben sie sich um das Staatswohl besorgt, sei eine polizeiliche Räumung absurd, weil die Stadt dank der selbstgebastelten Unterkünfte schließlich »unheimlich viel Kohle« für Unterbringung spare. #

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