Gutes Geld für schlechte Zähne, »Ja, Herr Doktor, nein, Herr Doktor«
Für die meisten Leute gilt der Zahnarzt zuallererst als ein smarter Geschäftsmann, mit dem Selbstbewußtsein, dem Auftreten und der Diktion eines Unternehmers.
Dieses Image des Zahnarztes wird ergänzt durch das negative Bild seiner Arbeit: Viele Leute kritisieren, daß trotz der medizinischen Fortschritte die meisten zahnärztlichen Behandlungen noch immer sehr schmerzhaft sind und zusätzlich unangenehm durch die kalte technische Atmosphäre.
Obwohl zumindest in den größeren Städten genügend Zahnarztpraxen bestehen, stellt ein längerer Wartezimmeraufenthalt mit anschließender Fünf-Minuten-Abfertigung für die meisten Patienten den normalen Zahnarztbesuch dar.
Zu der unpersönlichen Massenabfertigung kommt für viele Patienten noch das Informationsdefizit, Es scheint nur wenige Behandler zu geben, die ihre Patienten ausreichend über die therapeutischen Maßnahmen aufklären.
Auch wird beklagt, daß viele Zahnärzte auf Kritik von Patienten ausgesprochen empfindlich und arrogant reagieren und daß oft alles getan wird, um einen eventuell begangenen Fehler zu vertuschen. Anlaß zur Kritik bieten schließlich -- wen wundert es in einem so stark wirtschaftlich orientierten Gemeinwesen -- die hohen Einkommen der Zahnärzte im Verhältnis zu anderen Berufen und vor allem im Verhältnis zur Qualität ihrer Arbeit.
Doch gerade die Qualität der geleisteten Arbeit wird von den zahnärztlichen Standesvertretern bei jeder möglichen Gelegenheit hochgelobt und an die Spitze des Weltniveaus gestellt.
Was man dagegen als Arzt in der Praxis täglich zu sehen bekommt, spricht solcher Protzerei hohn: Berücksichtigt man einerseits die an den Universitäten geforderten Qualitätsmaßstäbe, andererseits die enormen Mittel, die von den Krankenkassen für die zahnärztliche Behandlung bereitgestellt werden, so ist das Ergebnis der zahnärztlichen Arbeit, der Stand der Volksgesundheit im Bereich des Mundes und der Zähne, beschämend und deprimierend.
Die meisten Patienten, die zum erstenmal in meine Sprechstunde kamen, wollten »nur mal nachschauen lassen«; viele hatten sich sehr lange nicht mehr untersuchen lassen, weil sie keine Schmerzen verspürten. Bei vielen dieser Patienten stellte sich jedoch heraus, daß ihre Zähne teilweise erhebliche Schäden aufwiesen, die umfangreiche Behandlungen erforderlich machten. Obwohl auch bei diesen Patienten die Spuren schlechter zahnärztlicher Arbeit sichtbar waren, sollen diese Fälle hier außer acht gelassen werden, da nach längerer Zeit ohne Untersuchung der Verdacht besteht, daß mangelndes Interesse und damit verbunden mangelhafte Mundhygiene die Hauptursachen für den schlechten Gebißzustand sind.
Hier soll nur von jenen Patienten die Rede sein, die offensichtlich ohne Eigenverschulden zu Zahninvaliden geworden waren. Alle im folgenden zitierten Patienten versicherten glaubwürdig, regelmäßig in zahnärztlicher Behandlung gewesen zu sein.
Gelegentlich waren Füllungen gelegt worden, jedoch nur an den Stellen, die der Patient selbst angab, weil er dort bereits Schmerzen hatte. Nach mehreren Jahren, während derer die Patienten trotz des Verdachtes, nicht gründlich behandelt worden zu sein, immer wieder den Zahnarzt aufsuchten, entschlossen sich endlich manche, es einmal woanders zu versuchen. Mehrere Patienten waren regelrecht weggeschickt worden, zwei mit der Begründung, da könne man nichts mehr machen -- sie seien eben überempfindlich. Aus diesen Fällen will ich nun einige Beispiele nennen:
Herr Eicke G., 36 Jahre alt, kam in meine Sprechstunde, um »eine herausgefallene Füllung erneuern zu lassen« Ich fragte ihn nach einem Blick in den Mund, warum seine Zähne in so schlechtem Zustand seien, und wollte ihm Vorwürfe machen. Daraufhin erzählte er, daß er mehrere Jahre lang zu regelmäßigen Kontrollen und auch Behandlungen beim Zahnarzt L. gewesen sei, der ihn erst vier Monate vorher mit dem Hinweis entlassen habe, es sei alles in Ordnung. Die Untersuchung erbrachte 18 teilweise umfangreich kariöse Zähne, fünf sogar »zerstört« (also so tief und umfangreich geschädigt. daß eine Füllungstherapie nicht mehr möglich war). Zur Behandlung dieser Schäden waren 25 Füllungen, fünf Überkronungen und drei Extraktionen notwendig.
Frau Gertrud S., 37 Jahre alt, gab an, sie sei zwar schon mehrere Jahre bei der Zahnärztin Dr. W. in Kontrolle und Behandlung, habe aber das Gefühl, daß sie nicht besonders gründlich behandelt worden sei. Zwei Monate vorher erst sei sie zum letztenmal dort zur Untersuchung gewesen, bei der die Zahnärztin keinen Defekt festgestellt habe. Bei dieser Patientin waren 16 Zähne -- teilweise tief -- kariös, ein Zahn »zerstört«. Bis jetzt mußten 14 Füllungen gelegt, ein Zahn -- da bereits die Pulpenhöhle geschädigt war -- wurzelbehandelt und acht Zähne überkront werden.
Frau Renate V., 38 Jahre alt, wollte »mal nachschauen lassen«, nachdem sie mehrere Jahre regelmäßig beim Zahnarzt L. gewesen war. Die Untersuchung ergab: 17 kariöse Zähne, drei weitere »zerstört«, dies, obwohl die Patientin sehr gute Zahnpflege betrieb und betreibt. Bei Frau V. mußten 25 Füllungen gelegt und drei Zähne überkront werden.
Das Kind Doris M., elf Jahre alt, kam als Schmerzpatient in meine Sprechstunde; der bisherige Behandler war im Urlaub. Die Mutter berichtete. daß das Kind wegen des jetzt stark klopfempfindlichen Zahnes 36 (Backenzahn links unten) vor ein paar Monaten bereits beim Zahnarzt St. in Behandlung gewesen war. Der Zahn war damals angeblich in wenigen Minuten mit einer »weißen Füllung« verschlossen worden. Die »Composite«-Füllung bestand aus einem runden, völlig unbearbeiteten Materialklumpen, der in einen riesigen Kariesschwamm eingebettet war. Dieser bleibende Zahn mußte in mehreren Sitzungen wurzelbehandelt werden -- ob er erhalten werden kann, ist ungewiß. Da das Kind nie eine Spritze bei der Füllungstherapie bekommen hatte, war es völlig verängstigt und konnte erst in mehreren Sitzungen so weit beruhigt werden, daß auch die anderen Schäden an sieben bleibenden Zähnen -- meist tiefe kariöse Defekte -- behandelt werden konnten.
Ein anderes Kind, Renate K., 14 Jahre alt, war etwa acht Monate vor dem Besuch in meiner Praxis beim selben Zahnarzt St., wo ihm unter anderem ein bleibender Backenzahn mit einer weißen Füllung »versorgt« worden war. Da die Pulpa bereits abgestorben war, fertigte ich ein Röntgenbild an, auf dem an allen drei Wurzelspitzen dieses Zahnes umfangreiche chronische Entzündungsprozesse zu erkennen waren, weshalb der Zahn extrahiert werden mußte; zum Vorschein kamen drei erbsengroße Eiterherde.
Frau Viktoria D., 34 Jahre alt, war ein paar Wochen vorher beim Zahnarzt D. gewesen, angeblich ohne pathologischen Befund. Die Untersuchung der Patientin ergab an 15 Zähnen kariöse Schäden, teilweise so tief, daß die Pulpenhöhle abgedeckt oder eine Wurzelbehandlung vorgenommen werden mußte. Außerdem hatte die Patientin eine stark fortgeschrittene Parodontose mit partieller Tascheneiterung. Daß man dagegen etwas tun kann, war ihr neu, obwohl sie den Zahnarzt D. mehrmals auf ihr »schlechtes Zahnfleisch« aufmerksam gemacht hatte.
Fräulein Andrea W., 26 Jahre alt, war von einem Zahnarzt untersucht und ohne Befund entlassen worden. Drei Monate später waren 13 Zähne defekt, ein Zahn gefährdet und zwei Lücken unversorgt; außerdem lag eine beginnende Parodontose vor.
Einer der schlimmsten Fälle war jener der Patientin Barbara L., 26 Jahre alt, im Januar beim Zahnarzt Dr. S. ohne pathologischen Befund entlassen. Einen Monat später zeigten 15 Zähne an so vielen Flächen Karies, daß 37 Füllungen gelegt werden mußten, was auch noch dadurch erschwert wurde, daß die Patientin hochgradig schmerzempfindlich und verängstigt war, da sie vorher bei Füllungen nie eine Anästhesie erhalten hatte. Zusätzlich zu den Füllungen mußten danach noch sechs Zähne überkront werden.
Frau Katrin D., 41 Jahre alt, war regelmäßig in zahnärztlicher Kontrolle und berichtete, daß sie sich seit Jahren mehrmals täglich intensiv die Zähne putze (nach dem hygienischen Zustand ihrer Zähne eine glaubwürdige Aussage). Seit Jahren habe sie jedoch trotz der intensiven Zahnpflege Mundgeruch und Schwierigkeiten beim Essen, weil sich ständig Speisereste zwischen die Zähne setzten. Die Untersuchung ergab: 16 kariöse Defekte, dazu mehrere völlig funktionsuntüchtige Kronen und Brücken mit glatten Kauflächen, auf denen Reste einer Kunststoffverblendung zu sehen waren, sowie viel zu kurze Kronenränder, unter denen Karies zu sondieren war; außerdem hatte die Patientin eine fortgeschrittene Parodontopathie.
Typisch ist noch die Geschichte der Familie K. (Vater 30 Jahre, Mutter 32 Jahre alt und ein fünfjähriges Kind), die jahrelang beim Zahnarzt Dr. E. zur Kontrolle und Behandlung war. Da trotz regelmäßiger Untersuchung Frau K. und auch das Kind immer wieder an irgendeinem Zahn Beschwerden hatten, fragte die Patientin mehrfach nach Behandlungsschluß den Zahnarzt, ob denn nicht doch noch etwas zu finden sei -- nein.
Als Dr. E. es schließlich ablehnte. das Kind weiter zu behandeln, bat mich die Patientin um eine Untersuchung: Das Kind hatte »nur« drei Milchzahndefekte. Bei Frau K. waren dreizehn Zähne kariös und außer einem Weisheitszahn ein oberer Eckzahn verlagert. Offensichtlich war nie bemerkt worden, daß der sichtbare Eckzahn an dieser Stelle noch aus dem Milchgebiß stammte. An der Stelle der unteren Weisheitszähne waren im Röntgenbild -- auch davon wußte die Patientin nichts -- verschiedene Wurzelteile zu sehen, Zahnreste, die bei Extraktionsversuchen zurückgelassen worden waren. Bei Herrn K., auch er in regelmäßiger Kontrolle bei Dr. E., fanden sich sieben kariöse Defekte, ein im Verhältnis zu seiner Frau und anderen Patienten vergleichsweise harmloser Befund.
Die Liste solcher Fälle ließe sich beliebig fortsetzen. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß es sich bei den zitierten Beispielen nur um ausgesprochen behandlungswillige Patienten handelte, deren Schilderungen früherer Zahnarzterlebnisse nicht anzuzweifeln ist. Alle zeigten sich sehr interessiert an der Behandlung, hielten die vereinbarten Termine ein und betrieben nach kurzer Anleitung gute bis hervorragende Mundpflege. Es kann also überhaupt keine Rede davon sein, daß es sich bei diesen Patienten um Leute mit vernachlässigter Mundhygiene, um Nörgler oder Überempfindliche handelt.
Aus den Ergebnissen der Untersuchung der Mundhöhle, dem Befund der Röntgenbilder und dem, was die Patienten von sich aus erzählten, ließen sich immer wieder folgende Mängel und Fehler feststellen:
Von einer gründlichen Untersuchung hatte kaum einer der Patienten je etwas bemerkt. Es wurde nie eine umfassende Befunderhebung vorgenommen, mit deren Hilfe dann ein Behandlungsplan für die konservierenden, chirurgischen und prothetisch-technischen Maßnahmen vom Zahnarzt hätte erstellt werden können.
Die Norm war der kurze Blick in den Mund, die »schnelle Übersicht«, die sich der Zahnarzt verschafft hatte, um anschließend gerade den Zahn zu behandeln, der den Patienten am meisten schmerzte. War die Behandlung dieses Zahnes dann abgeschlossen -- durch den Zeitdruck des vollen Wartezimmers war dies durch Einlagewechsel oft erst nach mehreren Sitzungen möglich -, so war der Patient entlassen und wurde erst dann wieder behandelt, wenn der nächste Zahn schmerzte.
Auf diese Weise waren die Patienten zu »Dauerkunden« des Zahnarztes geworden. Die spätere Untersuchung zeigte, daß nicht einmal dieser eine Zahn richtig versorgt war und erneut behandelt werden mußte, weil Karies unter oder am Rand der Füllung zurückgelassen worden war.
Die an allen Ausbildungsstätten obligatorische Unterfüllung fehlte fast immer. Mit dieser Maßnahme werden die tiefsten Stellen des Zahndefektes vor allem vor dem endgültigen Füllen isoliert, um die Zahnwurzel vor Druck des Füllungsmaterials und vor Wärme- und Kältereizen zu schützen.
Am häufigsten fanden sich Mängel an der Außenbeschaffenheit von Füllungen. Offensichtlich waren nur selten Formbänder verwendet worden: Überstopftes Füllmaterial ragte oft weit in den Zahnzwischenraum hinein und hatte -- als Schlupfwinkel für Speisereste, Zahnstein und Bakterien -- zu schweren Entzündungen und sogar zum Abbau der knöchernen Zahnfachränder geführt.
Ähnliche Folgen zeigten sich an Füllungen ohne Kontaktpunkt. Der mangelnde Kontakt zum Nachbarzahn führte dann zum Einbiß von Speiseteilen in den Zahnzwischenraum. Außer der Schädigung des Zahnhalteapparates waren diese Patienten nach jeder Mahlzeit damit beschäftigt, mittels Zahnstochern die eingekauten Fleisch- und Obstfasern wieder zu entfernen.
Ganz selten war eine Oberflächenbehandlung der Füllung vorgenommen worden, wenn ja, hatte sie höchstens darin bestanden, daß eine zu hohe Füllung mit einem groben Stein abgeschliffen wurde. Weder auf der Kaufläche noch im Zahnzwischenraum waren die Füllungen anatomisch geformt, und von einer Politur hatte kaum ein Patient je etwas gehört.
Die schlimmsten Schäden fanden sich an und unter den sogenannten weißen Füllmengen; früher waren das Silikatzemente oder Kunstharzverbindungen. Heute sind meist Mischungen organischer und anorganischer Substanzen unter dem Begriff »composites« in Gebrauch.
Die Industrie, die diesen Materialien zur Freude der »schnellen« Zahnärzte fälschlicherweise Pulpenverträglichkeit und Formstabilität bescheinigt hat, trägt die Mitverantwortung an den fatalen Folgen, die mit diesen weißen Füllungen angerichtet wurden und werden. So nützlich diese Materialien aus kosmetischen Gründen bei der Behandlung der sichtbaren Frontzahndefekte sind, so weiß doch jeder Fachmann, daß sie auf der Kaufläche von Seitenzähnen nichts zu suchen haben. da schon nach kurzer Zeit der Kontakt zum Gegenzahn ausgewaschen oder abradiert ist. Doch weil dieses Material so leicht zu verarbeiten ist (im Verhältnis zum Amalgam ist es leicht formbar, so daß es dazu verführt, auf das Formband zu verzichten), ist es für den schnellen Zahnarzt das Mittel der Wahl.
Unter praktisch allen weißen Füllungen fand sich bei den Patienten Karies. Typisch für diese Behandlungen sind die Fälle der Kinder Doris M. und Renate K. Hier waren kariöse Defekte an bleibenden Zähnen mit weißen Füllungen überschmiert worden. Etwa eineinhalb Jahre später mußte bei Renate K. der Zahn entfernt werden, weil drei umfangreiche Eiterbeutel an den Wurzeln starke Schmerzen verursacht hatten. Eine solche Behandlungsweise grenzt meiner Ansicht nach an eine vorsätzliche Körperverletzung.
Wer die Kinder beschwindelt, schafft Mißtrauen.
Die Kinder sind meiner Erfahrung nach die Patienten, die von den Zahnärzten am meisten vernachlässigt werden.
Wie soll man ein Kind von der Notwendigkeit der Milchzahnbehandlung überzeugen, wenn der frühere Zahnarzt ihm gesagt hatte, daß man die Milchzähne nicht zu behandeln braucht, weil sie ohnehin ausfallen. Bei den von mir beobachteten Kinder-Patienten waren Milchzähne -- wenn überhaupt -- nur an den schlimmsten Stellen mit kleinen »Amalgamkorken« anbehandelt.
Die noch wichtigeren Frühbehandlungen von Schäden der ersten bleibenden Zähne waren Raritäten. Zudem waren die Kinder durch die Schnellbehandlung ohne Anästhesie und die Schwindelei des Zahnarztes -- »es tut ja gar nicht weh« -- so mißtrauisch und empfindlich geworden, daß eine gründliche Behandlung oft nur nach mühsamen Beruhigungsgesprächen möglich wurde.
Obwohl es eine Binsenweisheit sein dürfte, daß Kinder, die während ihrer ersten Besuche beim Zahnarzt mit genügend Zeit, Geduld und Offenheit und vor allem durch eine Injektion schmerzfrei behandelt worden sind (in der ersten Sitzung wartet das Kind förmlich auf den Schmerz, um seine Angst bestätigt zu finden), obwohl man also weiß, daß diese Kinder sich später zu problemlosen und entspannten Patienten entwickeln, sind die umfangreichsten zahnärztlichen Unterlassungen bei Kindern zu finden.
Fehlende Aufklärung über die nötige Mundhygiene und die mangelhafte Behandlung führen dazu, daß Zahnschäden von Kindern und Eltern als natürliche Gesetzmäßigkeit angesehen werden (wenn der Zahnarzt die Behandlung nicht für nötig hält, wie sollte es der Patient tun?). Gewaltanwendung bei der zahnärztlichen Behandlung oder die Bestrafung des Kindes bei der Weigerung machen den Zahnarzt und seine Manipulationen dann vollends zu einem Alptraum, der manchen Patienten bis ins Alter erhalten bleibt, wenn ihnen ein anderer Zahnarzt nicht das Gegenteil beweist -- daß die Behandlung weitgehend schmerz- und spannungsfrei sein kann und daß man seine Zähne eben nicht mit einem bestimmten Lebensalter verlieren muß.
Daß die geschilderten Verhältnisse bei der Kinderbehandlung sich nicht auf die Umgebung meiner Praxis, auf das Gebiet einer Großstadt oder etwa auf Bayern beschränken, zeigen eindrucksvoll die Ergebnisse einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahre 1973, die sich mit dem Zustand und der Behandlungsbedürftigkeit der Zähne eines repräsentativen Bevölkerungsquerschnittes im Großraum Hannover befaßt hat.
In diesem Zusammenhang soll nur die Rede von der Gruppe der Acht- bis Neunjährigen sein: »Die Ergebnisse weisen aus, daß die Leistungen des zahnmedizinischen Versorgungssystems der BRD für Kinder und Jugendliche auf allen Gebieten bei weitem nicht ausreichen. Die Tatsache, daß bei Acht- bis Neunjährigen im Durchschnitt bereits mehr als drei bleibende Zähne eine Kariesschädigung aufweisen, spricht für die Erfolglosigkeit der bisherigen Bemühungen, das Ausmaß der Karieserkrankungen zu verringern.
»Die Mängel auf dem Gebiet der Behandlung der vorhandenen Kariesschäden haben dazu geführt, daß von 1022 untersuchten acht- bis neunjährigen Kindern bereits 948 (93 Prozent) kariöse bleibende Zähne aufweisen. Hiervon sind wiederum 848 Probanden (90 Prozent) nicht ausreichend versorgt.«
Nach den Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation lag übrigens die zahnmedizinische Versorgung in der Bundesrepublik im Ländervergleich bei den acht- bis neunjährigen Patienten an letzter Stelle, bei den 13- bis 14jährigen an vorletzter.
Kein Laie ahnt, wie groß die Diskrepanz zwischen dem qualitativ Möglichen (dem, was auf den Hochschulen gelehrt und in der Fachliteratur publiziert wird) und dem ist, was tatsächlich in den Praxen der niedergelassenen Zahnärzte geleistet wird.
Durch sorgfältige Therapie ist Parodontose heilbar.
1974 wurde die Behandlung der Parodontopathien, also der Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Zahnfleisch, Wurzelhaut und knöchernes Zahnfach), in den Vertrag mit den Krankenkassen aufgenommen, nachdem klargeworden war, daß durch die Parodontose und ihre Folgeerscheinungen mehr Zähne verlorengehen als durch Karies.
Strenggenommen gehören zum Oberbegriff Parodontopathie alle Erkrankungen vom leichten Zahnfleischbluten, das beim Zähneputzen auftritt, bis zum schwersten Erscheinungsbild mit Eiterung aus den Zahnfleischtaschen, Abbau des knöchernen Zahnfaches und Ausfall der Zähne durch Lockerung.
Die Behandlung dieser Erkrankungen, die von den Krankenkassen voll übernommen wird, besteht zuerst einmal in umfangreicher und zeitraubender Diagnostik: Es müssen Abdrücke von Ober- und Unterkiefer genommen werden, um den Grad des Knochenabbaus, die Tiefe der Zahnfleischtaschen und die Beschaffenheit der Wurzeln zu erkennen; schließlich wird der Patient gezielt nach Zusammenhängen mit anderen Krankheiten und bestimmten Verhaltensgewohnheiten (Knirschen und Pressen mit Zähnen oder Lippen u. ä.) befragt und genauestens auf die Tiefe seiner Zahnfleischtaschen sowie die Lockerung aller Zähne untersucht.
Je nach Schwere des Krankheitsbildes besteht dann die eigentliche Therapie aus mehr oder minder umfangreichen chirurgischen Maßnahmen -- von der elektrochirurgischen Abtrennung eines schmalen Zahnfleischsaumes bis zum großflächigen Lösen von Zahnfleischlappen, Abtragen und Glätten des Kieferknochens und Wiederbefestigen des Zahnfleisches mittels Nähten und Verbänden. Im Anschluß an diese chirurgischen Maßnahmen sollte dann der Patient mehrmals nachuntersucht werden, eventuell Verbandswechsel, eventuell zusätzliche Zahnfleischbehandlungen und Einschleifen von Schliffflächen.
Für diese Maßnahmen erhält der Zahnarzt je nach Umfang der Behandlung meist zwischen 700 und 1000 Mark, eine nach Zeitaufwand und Schwierigkeitsgrad angemessene Vergütung.
Doch diese Maßnahmen werden nur von wenigen Zahnärzten gewissenhaft. ausgeführt. Die routinemäßige »Parodontose-Behandlung« läuft in vielen Fällen so ab: Den diagnostischen Teil erledigt die Helferin, also auch (ohne anatomische Kenntnisse, versteht sich) die Taschenmessung sowie die Erhebung der Krankengeschichte.
Die Kassen zahlen Millionen für vorgetäuschte Behandlungen.
In einer Praxis waren auf dem PA-Antragsformular bereits von vornherein die Fragen beantwortet, von deren Beantwortung im allgemeinen auch die Bewilligung der Behandlung durch die Krankenkasse abhängt. Ebenso hatte der Praxisinhaber die persönliche Anweisung gegeben, daß die Taschenmessung in jedem Fall drei Millimeter ergeben müsse (dies ist die Mindesttaschentiefe zur Befürwortung einer PA-Behandlung durch die Krankenkasse), egal ob die Tasche nun drei Millimeter tief sei oder nicht.
Natürlich soll hier nicht behauptet werden, daß solcherlei Betrug in allen Zahnarztpraxen stattfindet. Es soll lediglich aufgezeigt werden, wie so etwas gemacht wird. Denn wenn jemand betrügen will, wird sich auch ohne PA-Behandlung ein Weg dazu finden lassen. Auffällig für mich wurden »fremde« PA-Fälle dann, wenn ich Patienten bei der Untersuchung sagte, daß sie Parodontose hätten und man dringend etwas dagegen machen müsse. Der Patient daraufhin: Aber das sei doch schon gemacht worden (manchmal sogar zweimal), und danach die Schilderung der Behandlung. Es seien in einer (bei manchen auch in zwei) Sitzungen die Zahnfleischspitzen in den Zahnzwischenräumen gekürzt worden. Und weiter? Nichts, das war schon unangenehm genug, noch dazu, wo es überhaupt nicht geholfen hat.
Nach Meinung der Fachleute leiden augenblicklich mehr als 90 Prozent der Erwachsenen (und sogar schon ein Teil der älteren Kinder) unter einer Form von Parodontopathie. Ein großer Teil dieser Krankheitsfälle wäre jedoch durch einfache Maßnahmen wirksam zu bekämpfen. Voraussetzung dafür sind allerdings die intensive Aufklärung der betroffenen Patienten und die Anleitung zur häuslichen Mundpflege. Manche meiner Patienten waren bereits dadurch in der Lage, ihre Parodontopathie selbst vollständig zum Abklingen zu bringen, so daß ihnen unangenehme chirurgische Eingriffe und der Krankenkasse viel Geld erspart werden konnten.
Doch die meisten Patienten wissen von ihrer Krankheit nichts -- und tun natürlich nichts dagegen -, weil es ihrem Zahnarzt lästig ist, durch die Diagnosestellung zu Aufklärungsgesprächen und Behandlungsmaßnahmen verpflichtet zu werden. Kommen die Patienten selbst mit der Diagnose zum Zahnarzt, um zu fragen, was zu tun sei, erhalten viele die Antwort, gegen Parodontose kann man sowieso nichts machen.
Das Fazit: Der größte Teil der Bevölkerung leidet an den verschiedenen Formen der Parodontose, doch die, die dafür zuständig sind, erfüllen zum größten Teil nicht einmal die Minimalpflicht der Aufklärung; und von den Zahnärzten, die etwas tun, geben manche dies nur vor, indem sie mit Schein- oder Teilbehandlungen dem Patienten das Gefühl geben, alles werde für ihn getan. Für diese Täuschung zahlt ihnen die Krankenkasse noch ein im Verhältnis zum Zeitaufwand fürstliches Honorar, während die wenigen Ärzte, die sich wirklich Mühe geben und mit dem Patienten schließlich zum Erfolg kommen, ein im Vergleich dazu bescheidenes Entgelt erhalten.
Ein weiterer Mangel der zahnärztlichen Versorgung ist darin zu sehen, daß ein großer Teil der Zahnärzte ihren Patienten immer wieder die schmerzlindernde Injektion verweigert. Die weitgehend oder völlig schmerzfreie Behandlung von Zahnschäden ist jedoch die Voraussetzung dafür, einem möglichst großen Teil der Bevölkerung den regelmäßigen Zahnarztbesuch anzugewöhnen.
Beliebtestes Alibi der Kollegen ist der angebliche Zeitmangel. Bei einem vollen Wartezimmer sei einfach nicht die Zeit vorhanden, vor dem Legen einer Füllung noch auf den Eintritt der Anästhesie zu warten. Dabei ist es für den Behandler, der in rationellen und wirtschaftlichen Kategorien denkt, gerade rationeller, wenn er in einer Sitzung im Bereich der Wirkung einer Betäubungsspritze gleich mehrere Zähne versorgen kann. Das ist nur eine Frage der richtigen Praxisorganisation, das heißt eines funktionierenden Bestellsystems, außerdem hat heute nahezu jeder Zahnarzt zwei Behandlungsstühle.
Ein weiterer Grund, nicht zu injizieren, ist die Angst mancher Zahnärzte vor Zwischenfällen, denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Diese Angst ist fast immer unbegründet, wenn die Injektion sachgerecht verabreicht wird. Die moderne Pharmakologie hat die Voraussetzung dafür geschaffen, daß es heute auch beim allgemeinkranken Zahnarztpatienten (etwa beim Hyper- oder Hypotoniker, Diabetiker, Patienten mit Schilddrüsendisfunktionen) möglich ist, schmerzfrei zu behandeln. Dies erfordert allerdings die Befragung des Patienten durch den Zahnarzt (sie unterbleibt fast immer) und anschließend die richtige Wahl des für diesen Patienten geeigneten Injektionsmittels.
Schließlich sei noch ein Argument erwähnt, das mit Sicherheit keines ist. Viele Patienten berichten, ihr Zahnarzt habe auf ihre Bitte um eine Injektion erwidert, er könne ihnen keine Spritze machen, weil er wissen müsse, »wann er am Nerv« sei. Eine solche Begründung ist eine vorsätzliche Irreführung des Patienten und, schlicht gesagt, eine Unverschämtheit. Der Zahnarzt, der nicht in der Lage ist, am betäubten Zahn die Pulpa zu sehen, sollte am besten überhaupt keine Patienten mehr behandeln.
Um dem Patienten die Motivation zu bewahren, regelmäßig den Zahnarzt aufzusuchen und damit größere Schäden zu vermeiden, ist es notwendig, ihm soweit wie irgend möglich die Angst vor der Behandlung zu nehmen. Das bedeutet, daß Kinder grundsätzlich immer mit Injektionen behandelt werden sollten. Ausnahmen sind natürlich die, die es ausdrücklich ablehnen und sagen, es mache ihnen nichts aus.
Die Mängel der bundesdeutschen kassenzahnärztlichen Arbeit beschränken sich leider nicht auf die unmittelbare Arbeit am Patienten, sondern finden sich auch im Praxisbereich hinter dem Behandlungsstuhl.
Besonders bei Behandlungen innerhalb der Mundhöhle gelten sterilisiertes Instrumentarium und eine möglichst keimarme Umgebung des unmittelbaren Behandlungsbereichs von jeher als Voraussetzung für eine gewissenhafte Behandlung und sind für manchen operativen Eingriff, etwa eine Wurzelspitzenresektion, oft ausschlaggebend für Erfolg oder Mißerfolg.
Doch gerade im Bereich der hygienischen Verhältnisse der Praxis und ihrer Mitarbeiter mangelt es oft mehr, als der Laie ahnen kann. 1973 erhielten alle frei praktizierenden Zahnärzte in München (etwa 1300) von der Standes-Organisation das Angebot, kostenlos eine hygienisch-bakteriologische Untersuchung in ihrer Praxis vornehmen zu lassen. Die Untersuchung wurde von zwei Fachleuten eines hygienischen Instituts vorgenommen und sollte Aufschluß darüber bringen, wo am und um den Zahnarztstuhl, an den Händen des Arztes, der Helferin oder am Inventar besondere Keimkonzentrationen zu finden seien, die besondere Gegenmaßnahmen erforderlich machen.
Von dieser hervorragenden Gelegenheit, Schwachstellen in der Hygiene- und Sterilisationskette einer Praxis ausfindig zu machen, machten von den genannten 1300 Zahnärzten nur neun Gebrauch. War es Trägheit, mangelndes Hygienebewußtsein oder schlechtes Gewissen, was die Masse der Münchner Zahnärzte davon abhielt, sich »unter den weißen Kittel« sehen zu lassen?
Für den, der einigermaßen kritisch die gesundheitspolitischen Artikel in der zahnärztlichen Fachpresse gelesen und die Ansprachen bei Kongressen verfolgt hat, war die Haltung dieses Berufsstandes in den letzten Jahren allzuoft bestimmt durch Überheblichkeit, mangelnde Objektivität bei Auseinandersetzungen mit den Sozialpartnern, Selbstbemitleidung und kollektiven Egoismus.
Hauptanliegen der Standesvertreter waren offensichtlich einerseits, die Gesellschaft darüber zu belehren, daß unsere zahnmedizinische Versorgung die beste der Welt sei, andererseits, die Schuld für Schwierigkeiten und Kostenexpansion bei anderen zu suchen.
Die Politiker (und zwar die »linken«, wer sonst) seien für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen verantwortlich; der Patient trage daran ebenfalls Schuld, weil er die Möglichkeiten des Versorgungssystems zu sehr in Anspruch nehme, und die Krankenkassen trügen die Verantwortung für die Schwierigkeiten hei der Bearbeitung von Bezuschussungen und Abrechnungen.
Ignoriert wurde dabei beharrlich, daß die Kostenexpansion kein primär politisches Problem ist -- ihre Eindämmung fiele einer rechten Regierung ebenso schwer wie einer linken -, sondern ein Problem der richtigen Verteilung und sinnvollen Verwendung der vorhandenen Mittel; schließlich kann der Patient nur die Leistungen in Anspruch nehmen, die der Arzt ausdrücklich als medizinisch notwendig mit seiner Unterschrift bestätigt hat -- ob es sich nun um eine Kur handelt oder um die Versorgung mit Zahnersatz.
Wer sich über die beruflichen Interessen der Zahnärzte ein Bild machen möchte, werfe einen Blick in irgendeine Fachzeitschrift. Abgesehen von ein paar wenigen Spezialblättern, enthalten die meisten -- vor allem die offiziellen Zeitschriften der Standesorganisationen -- auf mindestens 60 Prozent der Textseiten Artikel, die sich mit finanziellen oder wirtschaftlichen Fragen befassen. Weitere 20 Prozent des Inhalts widmen sich dem Eigenlob des Berufsstandes und dem Personenkult der Standesfunktionäre. Ist das Selbstvertrauen der Zahnärzteschaft und ihrer Funktionäre wirklich so schwach, daß sie es nötig haben, sich ständig selbst auf die Schulter zu klopfen?
Davon, daß auch die Zahnärzte für die Entwicklung unseres Gesundheitswesens Verantwortung tragen, ist nicht einmal in Andeutungen die Rede. Es können sich doch nur hoffnungslose Ignoranten darüber wundern, daß die Gesellschaft jetzt beginnt, selbst über die Verbesserung der zahnärztlichen Versorgung nachzudenken, nachdem die notwendigen Veränderungen von der Zahnärzteschaft -- die ja den Sicherstellungsauftrag vom Staat übernommen hat -- nicht in Angriff genommen wurden.
Es ist eben nicht damit getan, die Schuld an der Kostenexplosion den Politikern, den Krankenkassen und Patienten zuzuschieben und als Abhilfe lediglich zu fordern, man möge die Prophylaxemaßnahmen bei der Bevölkerung verstärken (so notwendig dies ist).
Wochenlanges Warten auf den Termin steigert die Angst.
Es ist auch nichts gewonnen, wenn Vertreter der Zahnärzteschaft fordern, die Patienten, die sich erst mit massiven Spätschäden zum Zahnarzt begeben, durch Leistungseinschränkungen zu bestrafen.
Sicher ist dies nicht der richtige Weg, die Bevölkerung gesundheitsbewußter zu machen. Vor allem, wenn man bedenkt, daß auch der behandlungswillige Patient Schwierigkeiten haben kann: Man braucht sich ja nur einmal zu vergegenwärtigen, welche Hindernisse und Unerfreulichkeiten immer noch auffallend häufig derjenige vorfindet, der sich frühzeitig und regelmäßig einer gründlichen zahnärztlichen Betreuung unterziehen will.
Es beginnt oft bereits bei der telephonischen Terminvereinbarung: Der Patient hat sich nun endlich zu dem Entschluß durchgerungen, zum Zahnarzt zu gehen, nun soll er ein paar Wochen warten; die -- wenn auch anfangs geringe -- Erwartungsangst wird ständig größer, je näher der Tag der Konsultation rückt.
Mit ungewöhnlich geputzten Zähnen betritt der Patient die Praxis. Statt einer verständnisvollen Sprechstundenhilfe empfängt ihn dann oft eine nervöse und arrogante Helferin, die ihn ins Wartezimmer abkommandiert, wo er auf das nächste Kommando wartet. Hat der Patient nun geduldig erst auf den Termin und nun auf den Beginn der Behandlung gewartet, so läuft diese selbst dann oft in wenigen Minuten ab, und in der gleichen unpersönlichen und gar feindlichen Atmosphäre, die schon im Wartezimmer herrscht.
Das Einfühlungsvermögen von Ärzten und Helferinnen in die Situation des Patienten ist vielfach so wenig ausgeprägt oder bewußt zurückgedrängt und durch Bevormundung ersetzt, daß man kaum noch von Kranken und Heilenden, sondern höchstens von Betriebsangehörigen und Kunden sprechen kann; und das ratgebende, aufklärende Gespräch ist der Anweisung gewichen. Ein bewußtes Abweichen von diesen Verhaltensnormen durch den Patienten hat nicht selten den Abbruch der Behandlung durch den Zahnarzt zur Folge.
Ähnliches kann geschehen, wenn der Patient -- was ihm rechtlich zusteht -- um die Herausgabe von Kopien der Behandlungsunterlagen, wie Röntgenbildern, bittet. Die Furcht, kontrolliert zu werden, und die Unfähigkeit, sich in Frage stellen zu lassen, bildet für manche Zahnärzte dabei ein unüberwindliches Hindernis.
Vollends in einen Wald von Unzuständigkeit, Diskriminierung und offener Ablehnung gerät der Patient, der den Verdacht hat, fehlerhaft behandelt worden zu sein, und diesem Verdacht nachgehen möchte.
Das größte Problem dabei ist wohl die Suche nach einem objektiven Gutachter. Zwar gibt es in Bayern bereits eine von der Kassenärztlichen Vereinigung eingerichtete Schlichtungsstelle für Schadensersatzforderungen bei Kunstfehlerverdacht. Doch für den zahnärztlichen Kunstfehler ist dort niemand zuständig.
So bleibt dem Patienten nur die Hoffnung, daß er beim nächsten Mal auf einen Zahnarzt trifft, der keinen Schaden anrichtet. Vielleicht hat er Glück.
Ende
»Ja, Herr Doktor, nein, Herr Doktor«
Aufgrund eines Stellenangebotes in der Fachpresse hatte sich eine 26jährige Arzthelferin als Mitarbeiterin in einer kieferorthopädischen Praxis im Bonner Raum beworben. Als sie am 1. Mai 1979 ihre Stelle antrat wurde ihr von den Praxisinhabern ein »Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag« zur Unterschrift vorgelegt. Auszüge:
Als Helferin in der Praxis verpflichtet sich Frau von H.:
* Die Dienstzeit Montag bis Freitag von 8.00 bis 12.00 Uhr und 14.00 bis 18.00 Uhr gewissenhaft einzuhalten und pünktlich zu erscheinen.
* Anzuerkennen, daß der Zeitpunkt des jährlichen Urlaubs von den Doktoren nach den Erfordernissen der Praxis festgelegt wird ...
* In der Praxis immer Strümpfe und weiße, vorn und hinten geschlossene Schuhe zu tragen.
* Das Haar immer sauber, hübsch frisiert und oberhalb des Kragens zu tragen.
* Make-up in Maßen und diskret
zu gebrauchen.
* Die Finger- und Fußnägel kurz, gut manikürt, farblos lackiert oder unlackiert zu tragen.
* in der Praxis keine Zwiebel und keinen Knoblauch zu essen, da der Geruch die Patienten stören könnte.
* Sich täglich zu duschen und zu waschen, Seife, Deodorant und Eau de Cologne zu benutzen.
* In der Praxis niemals zu rauchen.
* Sich nach jeder Mahlzeit die Zähne zu putzen, um den Patienten ein Vorbild zu sein.
* Dafür Sorge zu tragen, daß sie während der Dienstzeit nicht antelephoniert wird, ausgenommen in sehr dringenden, ernsten Fällen.
* Ihre Post nicht an die Praxisadresse, sondern an die Wohnadresse leiten zu lassen.
* Das Praxistelephon niemals für private Gespräche zu benutzen.
* Die Frankiermaschine oder Briefmarken niemals für private Post zu benutzen.
* Den Anweisungen der Doktoren ohne Widerspruch Folge zu leisten.
* Immer mit »ja, Herr Doktor« oder »nein, Herr Doktor«, bzw. »ja, Frau Doktor« oder »nein, Frau Doktor« zu antworten und nicht mit »hm, hm« oder Schweigen.
* Außerhalb der Dienstzeit keine weitere Tätigkeit zum Zwecke des Geldverdienens auszuüben.
* Die Anerkennung des vorliegenden Zusatzvertrages in vollem Umfang und ohne Einschränkung ist Voraussetzung für das Zustandekommen des Arbeitsvertrages.