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Europa Gutes getan

Der Liberale Martin Bangemann darf Kommissar in Brüssel bleiben. Kanzler Kohl hat seine Gründe.
aus DER SPIEGEL 30/1994

Die Kritzeleien des EU-Kommissars Martin Bangemann, 59, finden sich auf der Rückseite zahlreicher Kommissionspapiere. Sie zeigen immer dasselbe: ein Schiff.

Die Jacht wird, nach den Entwürfen des deutschen Eurokraten, nächste Woche in einer polnischen Werft auf Kiel gelegt. Mit dem privaten Pott, so hat es Bangemann seit Jahren schon vor, will er nach dem Ende seiner Brüsseler Amtszeit die Welt umsegeln.

Aus der Tour wird vorerst nichts. Der Liberale muß noch ein paar Jahre lang in Brüssel dienen - obwohl er fest mit dem Ruhestand nach Ablauf der Amtsperiode zum Ende des Jahres gerechnet hatte.

Nicht nur der Hobby-Segler hatte auf die Absprache der Vorsitzenden der beiden größten deutschen Parteien vertraut. Ein Sozialdemokrat und ein Christdemokrat sollten der neuen EU-Kommission für die nächsten fünf Jahre angehören, so hatten Rudolf Scharping und Helmut Kohl im Mai beschlossen und verkündet.

»Der ganze Laden außer dem Kanzler« (Kohls Sprecher Dieter Vogel) war deshalb verblüfft, als FDP-Chef Klaus Kinkel vorige Woche die Revision der Absprache verkünden ließ: Martin Bangemann werde in Brüssel bleiben, das sei mit dem Kanzler verabredet.

Was Kohl zu seinem Sinneswandel brachte, konnte sich zunächst niemand erklären. Da die Sozialdemokraten absprachegemäß nach wie vor den zweiten Kommissionsstuhl in Brüssel besetzen sollen, geht des Kanzlers Zugeständnis zu Lasten der Union.

Die Deutung, Kohl habe mit seinem Angebot dem angeschlagenen Koalitionspartner Kinkel helfen wollen, dessen Partei nicht mehr im Europäischen Parlament vertreten ist, leuchtete nicht so recht ein. Zwar ist die FDP für die Union nach der Bundestagswahl als Bündnispartner unentbehrlich, aber den Liberalen bringt die Brüsseler Karriere Bangemanns wenig: »Kein Mensch wählt die FDP«, so Kohls Berater Andreas Fritzenkötter, »weil Bangemann Kommissar in Brüssel bleibt.«

In Wahrheit hat der Kanzler wieder mal deutlich gemacht, wie nachtragend er ist. Wer ihm Böses will, den verfolgt er bis ins letzte Glied - und wer ihm Gutes tut, den vergißt er nicht.

Nicht vergessen hat Kohl die hilfreiche Rolle, die Kommissar Bangemann bei der Hoppla-Hopp-Vereinigung Deutschlands gespielt hat. Ende 1989 war Bangemann für den EG-Binnenmarkt zuständig und damit auch für den innerdeutschen Handel.

Kohl rechnet ihm hoch an, daß damals die DDR ohne Formalitäten, ohne Beitrittsantrag und ohne Zeitverzögerung am Rande der europäischen Legalität ganz selbstverständlich als EG-Bestandteil aufgenommen wurde. »Bangemann hat für Kohl den technischen Teil der Wiedervereinigung in Brüssel erledigt«, erinnert sich ein Kanzler-Berater.

Der Personalpolitiker Kohl weiß sich mit Bangemann zugleich auf der sicheren Seite bei einem drohenden Brüsseler Postenschacher. Nachdem die Franzosen mit Jacques Delors den Kommissionspräsidenten verlieren, treten sie im Herbst wieder mit zwei Kommissaren an, die beide ein gewichtiges Ressort in Brüssel beanspruchen werden.

Paris würde nur zu gern das Bangemannsche Terrain übernehmen. Die Zuständigkeit für Forschung, Technologie und Industriepolitik käme der Neigung der Franzosen, intensiv in die Wirtschaft hineinzuregieren, auf das trefflichste entgegen. Für die Bonner Marktwirtschaftler ein Tort.

Einem frühzeitig nominierten, in diesem Bereich erfahrenen und in Brüssel routinierten Bangemann fällt es sicherlich sehr viel leichter als einem Neuling aus der CDU, die französischen Ansprüche zu zügeln. Bleibt der Liberale, das ist sicher, dann wird er um sein jetziges Ressort kämpfen und sogar versuchen, es anzureichern.

Der Deutsche hat ein Auge auf die Generaldirektion 10 - die Medienabteilung der Kommission - geworfen. »Dann hätte er ein schickes Technologie- und Medien-Ministerium, genau das Richtige für die Zukunft«, so ein Bangemann-Berater.

Seine Vorliebe für einen Freidemokraten in Brüssel kann Kohl seinen eigenen Parteifreunden anders erklären. Die Entscheidung für Bangemann, so läßt der Kanzler streuen, dürfe nicht isoliert gesehen werden.

Weil der Dicke in Brüssel bleiben darf, muß die FDP in Bonn Verzicht üben: In der neuen Regierung soll es für die Liberalen ein Ministerium weniger geben; die Union fordert zudem einen wichtigen Posten im Auswärtigen Amt.

Dort soll, falls die CDU/FDP-Koalition die Bundestagswahl übersteht, dem freidemokratischen Außenminister in Zukunft ein christdemokratischer Staatsminister zur Seite stehen. Wer die jetzige Amtsinhaberin Ursula Seiler-Albring ablösen soll, steht fest. Vorgesehen ist der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Lamers.

Bangemann in Brüssel hat schon angekündigt, daß auch der Kanzler ihn auf Dauer an seinem Segel-Törn nicht hindern kann. Wenn er dank Kohls Machtspiel weitere fünf Jahre in der EU-Zentrale festgehalten werde, hat er noch genug Zeit, das Wenden und Halsen zu üben. Y

Für Bangemann soll die FDP in Bonn Verzicht üben

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