MILITÄR Gutsbezirk Baumholder
Ein Traum der Friedensbewegung schien in Erfüllung gegangen zu sein: Der Fliegerhorst Hahn im Rhein-Hunsrück-Kreis, Standort des 50. Taktischen Jagdgeschwaders der US-Luftwaffe, war über Nacht verschwunden.
An seiner Stelle grünten Laubwälder, Äcker breiteten sich wie große Handtücher auf den Hunsrück-Höhen aus, ein neues Dorf war entstanden - genau dort, wo bislang die Jagdflieger mit ihren F-16-Maschinen (Geschwader-Emblem: ein Teufel mit einem Atompilz) im Tiefflug Kinder zum Heulen und die Alten zum Fluchen gebracht hatten.
Was wie eine Idylle anmutete, erwies sich rasch als eine - gezielte - optische Täuschung: Die Koblenzer Forstdirektion brachte letztes Jahr eine Luftbildkarte in Umlauf, die von Amts wegen gefälscht worden war.
Die Retusche wurde, zu vorgerückter Stunde, bei einer Ratssitzung im Feuerwehrgerätehaus der Hunsrück-Gemeinde Sohren eher zufällig entdeckt. Unter Tagesordnungspunkt »f« war an alle fünfzehn Ratsmitglieder eine offizielle Luftaufnahme verteilt worden, die der Gemeindedirektor bei der Forstdirektion in Koblenz bestellt hatte. Denn im Rahmen forstwirtschaftlicher Planungen wollten die Kommunalpolitiker sich einen besseren Überblick über den Gemeindewald und die Gemarkung verschaffen.
Schon in der Sitzung beschlich den SPD-Ratsherren Henning Caspari das ungute Gefühl: »Irgend etwas ist da faul.« Zu Hause, als er sich die Karte genauer anschaute, fiel ihm auf: Anstelle des US-Fliegerhorstes Hahn zeigte das Bild eine Phantomgemeinde mit viel Wald und Wiese drum herum.
Mit ein paar Scherenschnitten hatten die Koblenzer Luftbildner die an den Fliegerhorst Hahn angrenzende Gemeinde Lautzenhausen halbiert, Feldwege, Äcker und Wälder abgetrennt und durch Landschaft mit Dorf aus einem anderen Photo ersetzt.
An den harten Übergängen - die Schnittkanten waren deutlich erkennbar - ließ sich die Aufnahme leicht als Trugbild ausmachen. Sozialdemokrat Caspari, als Reserveoffizier mit militärischem Versteckspiel durchaus vertraut, _(Oben: Der Fliegerhorst ist durch einen ) _(einmon tierten Landschaftsteil ) _(abgedeckt: deutlich erkenn bar sind die ) _(Schnittkanten (Pfeile): unten: Aus ) _(schnittsvergrößerung. )
schimpfte: »Die halten die Ratsmitglieder wohl für blöd.«
Als der Mainzer SPD-Landtagsabgeordnete Joachim Mertes in einer ironisch gehaltenen Anfrage vom rheinland-pfälzischen Innenminister Kurt Böckmann (CDU) Auskunft darüber begehrte, was er »über Namen und künftige Zugehörigkeit dieser im Hunsrück unbekannten Gemeinde« sagen könne, erklärte die Landesregierung, es handele sich bei dem Flecken um eine seit vielen Jahren auf der Gemarkung Lautzenhausen gelegene amerikanische Wohnsiedlung. Der Ortsteil sei »allerdings aus Sicherheitsgründen entsprechend bundesrechtlichen Vorschriften verfremdet« worden.
Nach Ansicht des Mainzer SPD-Fraktionschefs Rudolf Scharping offenbart sich in dieser Antwort »in drastischer Weise die Denkart der Bürokratie«. Die Koblenzer Luftbildfälschung sei, erklärte Scharping, »ein einmaliger, besonders kurioser Täuschungsversuch«.
Kurios vielleicht, einmalig nicht. Stefan Waldmann, Sprecher des rheinlandpfälzischen Landwirtschaftsministeriums, der Aufsichtsbehörde für die Forstdirektionen, bekennt, derartige Photomontagen seien »gang und gäbe«; die zuständigen Ämter seien zur Fälschung geradezu verpflichtet.
Geregelt ist die Freigabe von Luftbildern in der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Nach deren Paragraph 88 sind derartige Photos »unter Angabe des Aufnahmedatums, des Aufnahmeortes und des dargestellten Objektes der Erlaubnisbehörde zur Prüfung und Freigabe vorzulegen«.
Freigabestellen sind, von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, Bezirksregierungen, Regierungspräsidien oder das Bundesverkehrsministerium. Generell werden die Bilder freigegeben, »wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht eintritt«. Handlungsanweisungen für Bildfälscher enthält das Paragraphen-Werk jedoch nicht.
Dennoch geht es in bundesdeutschen Vermessungsämtern und in den Luftbildabteilungen diverser Behörden häufig zu wie in den Desinformationsabteilungen von Geheimdiensten - und zwar auf Verlangen der Bundeswehr, die am Freigabeverfahren grundsätzlich beteiligt werden muß.
Aus Angst vor Spionen und - seit Anfang der siebziger Jahre - Furcht vor Terroristen hat das Verteidigungsministerium die zivilen Behörden mit Erlassen und Weisungen auf Abwehr gedrillt. In einem Erlaß vom 24. Juli 1975 etwa sind die Forderungen der Militärs unter der monströsen Überschrift »Verfahren zur Änderung des Bildinhaltes bei Luftbildern mit abgebildeten geheimschutzbedürftigen Objekten« formuliert.
Danach können »Luftmeßbilder und Luftbildkarten oder andere Dokumente mit ursprünglich abgebildeten geheimschutzbedürftigen Objekten« nur dann veröffentlicht werden, wenn diese »Bildteile durch neutrale Geländeabbildungen ersetzt worden sind«. Dabei sind die Behörden gehalten, die »neu eingefügten Bildteile dem Gesamtbild unauffällig« anzupassen.
»Weißen oder anderes«, faßt der Pressesprecher des Heeres im Verteidigungsministerium, Oberstleutnant Werner Widder, die Order zusammen, »findet nicht statt.« Die geheimhaltungsbedürftigen Geländeteile müßten vielmehr »unauffällig verdeckt« werden.
Reine Schwarzweißmalerei auf Photos und Landkarten birgt nach Ansicht von Spezialisten ein zu hohes Risiko - vor allem dann, erklärt ein rheinland-pfälzischer Experte, wenn das »schutzbedürftige Objekt« auf Luftbildern exakt in seinen tatsächlichen Grenzen ausgespart würde. In einem solchen Fall, ängstigen sich die Bildfälscher, könnte ein potentieller Angreifer oder Terrorist das Ziel doch »sehr genau bestimmen«.
Über Sinn oder Unsinn der aufwendigen Bilder- und Kartenfälscherei sind sich die Beteiligten durchaus nicht einig. Angesichts der hochentwickelten Satellitenphotographie, argumentieren Kritiker, muteten die Abwehranstrengungen lächerlich an.
Sehr wohl könne das Versteckspiel allerdings helfen, Terroristen das Ausspähen von Bomben-Zielen zu erschweren. »Wenn es diese Vorschriften nicht geben würde«, sorgt sich ein rheinland-pfälzischer Vermessungsfachmann, »könnten Terroristen ja einfach Luftbilder kaufen und sie dann in einer Weise nutzen, die uns eigentlich nicht recht sein kann.«
Ungeachtet des Nutzens ist das »Neutralisieren« von Photos und Landkarten, wie das Fälschen in der Branche umschrieben wird, nach Einschätzung von Fachleuten »im gesamten Bundesgebiet und auch im gesamten Bereich der Nato ein übliches Verfahren«.
Gelegentlich werden dabei schon computergesteuerte Methoden angewendet, die den amtlichen Bild- und Karten-Designern das Einfügen von »unverfänglichen Teilen« erleichtern. »Ein normaler Betrachter«, sagt ein Insider stolz, »merkt das gar nicht.«
Ein spezieller »Kartenerlaß« vom 27. September 1971 ("VS - Nur für den Dienstgebrauch") schreibt den Zivilisten genau vor, auf welche Weise militärische Anlagen auf topographischen Karten zu »neutralisieren« sind. Besonders beliebt ist bei Kartographen die Umwandlung von Militäranlagen in landwirtschaftlich genutztes Areal.
So ist der rheinland-pfälzische Truppenübungsplatz Baumholder auf Lageplänen nur als friedlicher »Gutsbezirk Baumholder« ausgewiesen. Da kann es schon mal geschehen, daß Wanderer jäh von Stacheldrahtzäunen oder Betonmauern gestoppt werden, wo sie - laut Karte - schlimmstenfalls mit einem morschen Weidezaun zu rechnen haben.
Die vom Verteidigungsministerium verlangte Geheimniskrämerei gilt förmlich zwar nur für Anlagen der Bundeswehr. Von den Vermessungsämtern und Luftbildstellen der Länder werden die Erlasse jedoch analog auch auf die Stützpunkte der Stationierungskräfte angewendet.
Mitfinanziert wird die Fälscherarbeit von den Kartenkäufern. Die Hunsrücker Gemeinderäte mußten für die von der Koblenzer Forstdirektion gelieferten fünfzehn Trugbilder einen stattlichen Betrag zahlen: 57 Mark pro Exemplar.
Oben: Der Fliegerhorst ist durch einen einmon tiertenLandschaftsteil abgedeckt: deutlich erkenn bar sind dieSchnittkanten (Pfeile): unten: Aus schnittsvergrößerung.