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LINKE Gysis Heimkind

Ulla Jelpke steht so weit links, dass sich der Verfassungsschutz für sie interessiert. Ihre Alleingänge belasten die Partei - doch die Führung hält an der Abgeordneten fest.
aus DER SPIEGEL 30/2008

Es ist eine der letzten Sitzungen vor der Sommerpause, und es wird noch mal richtig laut im Deutschen Bundestag. Am Rednerpult steht Ulla Jelpke, 57, schmal, gut gebräunt und die Haare zum strammen Zopf geflochten. Sie ist die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke und wettert gegen das geplante Gesetz, das dem Bundeskriminalamt neue Mittel zur Terrorabwehr geben soll. Jelpke glaubt, die Freiheitsrechte der Bürger retten zu müssen - und wagt eine historische Anspielung: »Was da geschaffen wird, ist eine geheim ermittelnde Staatspolizei. Das ist das Allerletzte, was wir brauchen können.«

Die letzten Worte muss Ulla Jelpke beinahe schreien, um gegen die Entrüstung im Plenarsaal anzukommen. Das BKA in die Nähe der Gestapo zu rücken ist ein typischer Jelpke-Anwurf; sie handelt sich mit ihm Rücktrittsforderungen ein. Jelpke wiederum erklärt das ungerührt für »Humbug": Wenn die Aufregung so groß sei, sagt sie, »habe ich einen wunden Punkt getroffen«.

Doch die Aufregung über Jelpke beschränkt sich längst nicht mehr auf Par-teien rechts der Linken. Die zuweilen haarsträubenden Vergleiche treiben inzwischen selbst ihre Fraktionskollegen zur Verzweiflung. Die Linke klagt zwar immer wieder darüber, vom Verfassungsschutz beobachtet, statt wie eine normale Partei behandelt zu werden. Sie duldet aber gleichzeitig in ihren Reihen Klassenkämpferinnen wie Jelpke, die den Geheimdienstlern die Gründe für ihre Arbeit frei Haus liefern.

Wegen ihrer bewegten linken Vita genießt Jelpke in der Linken Sonderrechte - und nutzt ihr prominentes Amt gern, um sich Reformern aus den eigenen Reihen in den Weg zu stellen: Als die Fraktionsspitze vergangene Woche auf die Entführung der drei Deutschen durch die PKK in der Türkei reagierte und einen Antrag zurückzog, die PKK nicht mehr als »kriminelle Vereinigung« zu führen, drohte die PKK-Sympathisantin Jelpke verschnupft: »Es besteht Diskussionsbedarf.« Kein Wunder: In Jelpkes Bundestagsbüro arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter Nick Brauns. Der ist gleichzeitig auch Pressesprecher des Kurdistan-Solidaritätskomitees Berlin.

Als Wortführerin des extrem linken Flügels in der Fraktion kritisiert Jelpke die eigenen Genossen, sobald diese in ihren Augen von der reinen Lehre abweichen. Mit Vorliebe nutzt sie für ihre Botschaften die Tageszeitung »Junge Welt«, die laut Verfassungsschutz dem »linksextremistischen Bereich« angehört. In dem Blatt agitierte Jelpke schon vor ihrer Wahl 2005 in den Bundestag als Ressortleiterin.

Eisern verteidigt die gebürtige Hamburgerin das Regime auf Kuba, reflexartig stellte sie sich hinter die niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner, nachdem diese öffentlich für ein Comeback der Stasi im künftigen Sozialismus geworben hatte. Selbst als Fraktionschef Gregor Gysi das Verhältnis der Linken zu Israel neu definieren wollte, opponierte die rote Ulla ungeniert gegen ihren Vorsitzenden. Gysi hatte in einer grundsätzlichen Rede erklärt: »Antizionismus kann für die Linke insgesamt, für die Partei Die Linke im Besonderen, keine vertretbare Position sein.« Woraufhin Jelpke widersprach: »Ich halte es für legitim, gegen Zionismus zu sein.«

Doch egal, ob Jelpke auf Treffen ehemaliger Stasi-Kader ihre Solidarität beteuert, Parteitage der DKP besucht oder bei Grußworten in der venezolanischen Botschaft die »Unbeugsamkeit« der kubanischen Revolution feiert: Die Fraktionsführer Gysi und Oskar Lafontaine lassen die renitente Rechthaberin fabulieren.

Zwar lieferte sich Gysi in der Vergangenheit intern schon hitzige Rede- duelle mit Jelpke, doch sie offiziell maß- regeln mochte er bislang nicht - aus alter Verbundenheit: Denn das ehemalige Grünen-Mitglied Jelpke war eine der ersten westdeutschen Linken, die sich 1990 für die frisch verwandelte Ex-SED aufstellen ließ. Zudem verbindet Gysi, so ein Fraktions-Insider, ein eher väterliches Verhältnis mit der roten Frontfrau: Er nennt sie immer nur das »Heimkind«.

Tatsächlich lebte Ulla Jelpke fünf Jahre in einem, wie sie sagt, »knastähnlichen« Mädchenheim: Zur Heimsprecherin gewählt, übte sie schon damals die Rolle als rote Retterin, verhandelte um Ausgangszeiten und Taschengeld. Folgerichtig trat Jelpke dem »Kommunistischen Bund« bei, bevor sie für die »Grün-Alternative-Liste« (GAL) zwischen 1982 und 1989 fast ununterbrochen in der Hamburger Bürgerschaft saß. Aus Protest gegen die Regierungspolitik der Grünen in Hessen wechselte sie zur PDS, für die Jelpke dreimal in den Bundestag rückte - ohne jedoch Mitglied zu sein. 2005 trat sie der Partei dann endlich bei.

Sie will halt den Sozialismus, »meinetwegen auch den demokratischen« - uneingeschränkte Bekenntnisse zur freiheitlichen Grundordnung klingen freilich anders. Als Folge wird die Abgeordnete wohl weiter auf dem Radar des Verfassungsschutzes erscheinen. Und mit ihr auch ihre Genossen, die sich Ende vergangener Woche wieder entsetzt die Haare rauften über ein erneutes Jelpke-Solo.

Unabgesprochen kündigte sie an - »auf Bitten kurdischer Freunde« -, am Wochenende in die Türkei fliegen zu wollen. Sie fühlt sich zu Höherem berufen: Die linke Diplomatin in eigener Mission mit engen Kontakten zu kurdischen Organisationen wolle helfen, »den Druck in der Geiselfrage zu erhöhen«. MARKUS DEGGERICH

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