SEKT Haare ausgefallen
Beim Fernseh-Thriller »Der Fall Mattei« griff sie zum Piccolo, trank einen Schluck und »glaubte plötzlich zu explodieren«. Die Kölner Witwe Christine Hartgens fühlte »starke Schmerzen im Hals und in der Brust«, erbrach »blutigen Schleim«, litt unter »Sehstörungen und Krämpfen« und verspürte »absolute Todesangst«.
Ärzte diagnostizierten tags darauf, am 8. Oktober vergangenen Jahres, die Ursache solcher Qual: innere Verätzungen durch Säure. Und Kriminalbeamte ermittelten den Ursprung dieser Quelle: Sekt Marke »Burg Hoheneck« aus der pfälzischen Kellerei Karl Lehr KG, vertrieben durch die Billig-Ladenkette der Karl Albrecht KG.
Kölner Lebensmittel-Chemiker analysierten in dem Sekt das Konservierungsmittel schweflige Säure, das durch eine Panne beim Abfüllen bis zum Siebenfachen der zulässigen Höchstmenge in die Flasche geraten war. In einer Blitzaktion zwischen Koblenz und Siegen wurden »erheblich über 20 000 Flaschen« (Albrecht-Geschäftsführer Dr. Ulrich Wolters) aus den Einfach-Regalen geräumt, Funk und Fernsehen warnten vor dem Genuß des schon verkauften sauren Sekts.
Die Katastrophe wurde abgewendet, außer für Christine Hartgens. »Seit drei Monaten kann ich nur Babynahrung essen«, klagt die 56jährige Frau. Sie darf weder alkoholische Getränke noch Limonade trinken und muß auf Kaffee und Tee verzichten. Das »einst lange und dichte Haar« sei ihr »in dichten Büscheln« ausgefallen, berichtet die Geschädigte. Und im Haushalt, so die Mutter von fünf Kindern, könne sie mit der linken Hand »nicht einmal eine Sprühdose betätigen«. Die Heilung, mutmaßten Mediziner, werde womöglich acht Jahre dauern. »Aber schon heute«. sagt Christine Hartgens, »bin ich im Vergleich zu früher ein Wrack.«
Einen Ausgleich für solchen Schaden und die erheblichen Auslagen freilich glauben Handelskette und Kellerei offenbar eher durch Worte als durch Bares ableisten zu können. »Wir sind mit Frau Hartgens ständig im Gespräch«, betont Geschäftsführer Wolters. Tatsächlich: Drei Tage nach dem Säure-Schluck überbrachten Wolters und Lehr-Geschäftsführer Helmut Brand der Kranken Blumen -- und die Offerte einer pauschalen Wiedergutmachung mit 1000 Mark. Nach Wochen schickte die Kellerei einen Scheck über 2000 Mark -- der wegen eines mittlerweile eröffneten Vergleichsverfahrens platzte.
Einmal 500 und einmal 2000 Mark zahlte immerhin die Firma Albrecht. Und zwei Tage vor Weihnachten reiste Wolters wieder nach Köln. diesmal mit Kaffee, Kognak, Pralinen, dem Angebot über 5000 Mark Schmerzensgeld und vor allem mit einer Abfindungserklärung. »Mir wurde die Pistole auf die Brust gesetzt«, erinnert sich Christine Hartgens. Doch wegen der unabsehbaren Krankheitsfolgen ließ sie sich nicht überreden, verweigerte die Unterschrift und ging zu einem Rechtsanwalt.
Im neuen Jahr wurden dann Albrechts Anwälte förmlich. Das Unternehmen bedaure zwar den »unglücklichen Unfall«, weise aber zugleich darauf hin, daß ein »wohl nicht mehr durchsetzbarer« Schadensersatzanspruch lediglich gegen die Firma Lehr KG und nicht hegen Albrecht bestehe.
Wohl doch, denn auch nach dem Konkurs einer Firma reguliert deren Haftpflicht vorangegangene Schäden. Und das Albrecht-Unternehmen könnte in einem von Christine Hartgens betriebenen Zivilverfahren durchaus zu Schadensersatz verpflichtet werden. Nach dem Lebensmittelgesetz ist es verboten, gesundheitsschädigende wie verdorbene Nahrungsmittel feilzuhalten oder zu verkaufen.
Vorletzte Woche bequemte sich die Firma Albrecht zu einem weiteren Angebot über 3000 Mark -- obwohl sie sich angeblich keineswegs »rechtlich verpflichtet fühlt«. Hartgens-Anwalt Georg Meinecke, der juristisch anders und wirtschaftlich in anderer Größenordnung denkt, findet diese »Haltung der Firma unmöglich« und auch für die »Verbraucherverbände sicher sehr interessant«. Ironisch empfiehlt der Anwalt den Billigmachern die Aufstellung neuer Hinweisschilder ("rot auf gelb") in ihren Kettenläden: »Kauf auf eigene Gefahr -- und wenn's dich umhaut.«