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»Haben Sie Neuigkeiten von der Front?«

aus DER SPIEGEL 8/1978

Wir sind im Dschihad«, schrieb ein somalischer Chauffeur und hämmerte auf die Hupe seines rostigen Fiat-Taxis.« Dschihad, Dschihad«, (Heiliger Krieg) brüllten auch seine Landsleute in den Straßen von Mogadischu.

Es herrschte Volksfeststimmung. Schon Stunden bevor Somalias Präsident Siad Barre die allgemeine Mobilmachung verkündete, waren die Menschen auf die Straßen geströmt. Lautsprecherwagen der Polizei fuhren im Schrittempo vorbei, verbreiteten anfeuernde Parolen, Militärmusik erklang. Die Somalis, festtäglich gekleidet, lachten. Sie genossen offensichtlich die außergewöhnliche Situation.

Die Spannung, die seit dem Beginn der äthiopischen Gegenoffensive vor einigen Wochen über dem Land gelegen hatte, schien sich mit einem Schlag zu lösen. Es war eine Spannung aus Mangel an Information, der volle Ernst der Lage für die Somalis nicht erkennbar gewesen. Die Regierung hatte bis dahin nur Siegesmeldungen veröffentlichen lassen, die wurden spärlich, seit die Äthiopier am 5. Februar mit russischer und kubanischer Unterstützung zum Gegenschlag ausgeholt hatten.

Während die westlichen Botschafter alle paar Tage vom Außenministerium gebeten wurden, dringlichere Hilfsappelle der Somalis nach Hause zu schicken. ging das Leben in Mogadischu völlig unbeschwert weiter. Den ersten Tag der Gegen-Offensive, während der Präsident eilends an die Front fuhr, genossen die Somalis am Strand, abends war die westliche Musik aus den Nachtklubs straßenweit zu hören, wie immer.

Es stand ja doch wohl alles zum Besten. Immerhin hatten die Somalis ja schon einen Kubaner gefangen. Ganz Mogadischu freute sich über eine Zeitungskarikatur, die Fidel Castro in zerfetzter Kleidung zeigt, schwer auf eine Krücke gestützt, weil eine Granate ihm ein Bein abgerissen hat. » Besser, ich gehe nach Hause«, sagt er, »bevor ich auch das andere Bein verliere.«

Aber es ereigneten sich Dinge, die nicht zur offiziellen Kopf-hoch-Attitüde paßten und den Somalis doch zu denken geben mochten: Immer mehr Familien hatten gefallene Söhne und Väter zu beklagen. In den Betrieben sammelten sogenannte Organisationskomitees Geld, Kleider und Nahrungsmittel für die Front. Rollkommandos der Polizei pochten nachts an die Haustüren, machten Jagd auf junge Männer im wehrfähigen Alter.

Wer nicht im obligaten Arbeitsbuch einen Job nachweisen konnte, wurde ohne Federlesen sofort auf einen Lastwagen verfrachtet und zu eiligem Drill abtransportiert.

»Haben Sie Neuigkeiten von der Front?« fragten Somalis westliche Journalisten in Mogadischu, die selbst gern mehr erfahren hätten. Manche wurden auch unsicher. »So einen Krieg mit Panzern, Flugzeugen und Artillerie«, klagte einer, »den sind wir nicht gewohnt. Wir kämpfen lieber anders. Wird das schlimm werden? Sagen Sie doch, wie wird das ausgehen?«

Die meisten Somalis allerdings geben sich düster entschlossen. »Bis zum letzten Mann kämpfen«, das ist die Ansicht der meisten, Männer wie Frauen. »Voll Stolz«, so ist tatsächlich zu hören, schickten somalische Mütter ihre Söhne in den Krieg, von dessen Wirklichkeit sie eher- eine poetisch verklärte als eine realistische Vorstellung besitzen.

Der Präsident und die Männer um ihn sehen die Lage klarer. Mit Erstaunen vernahmen die Somalis die Klage ihrer Regierung, daß sieh die »Amharen« -- so werden die Äthiopier in Somalia genannt -- nicht zu Verhandlungen über den von Somalia besetzten Ogaden herbeiließen. Noch vor Monaten hatte die somalische Führung eher auf einen Endsieg als auf einen friedlichen Ausgleich gesetzt. Ausländischen Journalisten gegenüber pflegten Beamte des lnformationsministeriums zu scherzen: »Die nächste Pressekonferenz machen wir in Harrar.«

Damit dürfte es wohl vorbei sein. Die Schlacht um die uralte, monatelang verlustreich umkämpfte Festungsstadt im nördlichen Ogaden wurde der Wendepunkt des äthiopisch-somalischen Krieges. Die Strategie der Somalis ist heute darauf gerichtet, einen Durchbruch des Gegners auf ihr Staatsgebiet zu verhindern.

Bis vorletzte Woche hat Somalias Präsident Barre die Fiktion aufrechterhalten, im Ogaden kämpften ausschließlich Mitglieder der »Westsomalischen Befreiungsfront« gegen die sowjetisch-kubanisch-äthiopische Allianz.

Als Barre am vorletzten Sonntag seinem Volk gegenüber erklärte, wie es wirklich steht, reagierten die Somalis, wie der Präsident es erwartet hatte: Vor den Rekrutierungsbüros drängten sich die Freiwilligen, schon in den ersten Tagen 30 000 allein in der Region Mogadischu.

Jeden Nachmittag pilgern in glühender Sonnenhitze Scharen von Menschen -- Frauen oft mit ihren Babys -- auf freie Plätze vor der Stadt. Sie lassen sich auf dem sandigen Boden nieder, hören sich politische Vorträge an und absolvieren anschließend noch einige militärische Übungen mit der Waffe.

Übungsstunden auch in den Betrieben, zum Ärger ausländischer Unternehmer, die den Verlust an Arbeitszeit oft nur schwer aufholen können. »Wir Somalis«, erklärte Informationsminister Abd el-Kasim Salad Hassan, »sind Kämpfer, jeder von uns.«

Der Kampf gegen die Äthiopier hat bei den Somalis geschichtliche Tradition, seit sie im 10. und 11. Jahrhundert aus Landstrichen am Golf von Aden auf der Suche nach neuen Weideplätzen südwärts wanderten und unter anderem auch das Ogaden-Gebiet besetzten. Die historische Somali-Wanderung begründete eine Kette von Konflikten mit den Äthiopiern.

Im 16. Jahrhundert zum Beispiel überrannten somalisch-islamische Krieger unter der Führung des Imam Ahmed ibn Ibrahim el-Ghazi, von den Äthiopiern »Gran« (der Linkshänder) genannt, große Teile des christlichen äthiopischen Kaiserreichs. Nur mit Hilfe der Portugiesen gelang es den Äthiopiern damals, die Somali-Armeen wieder zurückzudrängen.

Gemeinsame kriegerische Unternehmungen trugen wesentlich dazu bei, daß sich unter den Nomaden-Clans der Somalis ein ausgeprägtes Nationalbewußtsein bilden konnte.

Auch die Ausschreitungen der Äthiopier gegenüber den Ogaden-Somalis haben Tradition. Als 1891 der äthiopische Kaiser Menelik II. das Ogaden-Gebiet zu erobern begann, beschrieb ein britischer Kolonialbeamter seiner Regierung das Vorgehen der Äthiopier in Worten, die heute aus dem Informationsministerium in Mogadischu kommen könnten:« Ein großes abessinisches Expeditionskorps kehrte aus dem Ogaden zurück, brachte als Beute Tausende von Kamelen und Rindern mit. Sie hatten den größten Teil des westlichen Ogaden verheert und die Menschen hingeschlachtet. In den Straßen von Harrar fressen Hyänen und Hunde das Fleisch der Toten.«

Angesichts dieser tiefverwurzelten Feindschaft zwischen den beiden Völkern scheint es sicher, daß am südlichen Ausgang des Roten Meeres ein neuer Dauerkrisenherd entstanden ist, kaum minder gefährlich als der am nördlichen Ausgang. An ihrer Entschlossenheit, »den Ogaden zu befreien«, lassen die Somalis keinen Zweifel aufkommen, »da mögen die Weltmächte tun oder lassen, was sie wollen«, wie ein somalisches Regierungsmitglied dem SPIEGEL erklärte.

So ganz haben die Somalis freilich die Hoffnung auf westliche Hilfe noch nicht aufgegeben. »Wir haben doch die Russen aus dem Land gejagt, was sollen wir eigentlich noch alles tun?« Diese Frage bekommen Besucher aus dem Westen von vielen Somalis zu hören, die sie treffen.

Als kurz nach dem Beginn der äthiopischen Gegenoffensive im Golf von Aden drei amerikanische Kriegsschiffe vor der nordsomalischen Küste Position bezogen, glaubten etliche Somalis, dies deute auf ein amerikanisches Eingreifen hin. Leute aus dem Westen mit leistungsstarken Radios waren gesuchte Gesprächspartner.

Aber die Schiffe beschränkten sich aufs Beobachten.« Manche Menschen«, meinte ein hochgestellter Somali verbittert, »empfinden vielleicht so etwas wie Freude, wenn sie dabei zusehen, wie sich andere umbringen.«

Auch auf die Hilfe der Araber können die Somalis nur bedingt zählen. »Die Saudis geben Siad Barre alles Geld, das er braucht«, lobte ein arabischer Diplomat, »aber was hilft es ihm, wenn ihm keiner Waffen verkaufen will?« Vor allem nicht die schweren Waffen, die Barre brauchte, um dem sowjetischen Kriegspotential der Äthiopier widerstehen zu können.

An leichter Bewaffnung fehlt es den Somalis noch am wenigsten. Da helfen unter anderen Ägypter, Syrer und auch die Iraner gelegentlich aus; der Schah schickte 3000 Gewehre. Auch aus Italien soll Waffennachschub in der früheren Kolonie Somalia angelangt sein -- alles freilich nicht ausreichend, um die ständigen Verluste zu ersetzen.

Besonders schwer wiegt, daß Somalias Luftwaffe praktisch ausgeschaltet ist. Äthiopische MiG-Geschwader greifen dagegen, oft dreißig Flugzeuge gleichzeitig, in Wellen von zehn Minuten, die somalischen Stellungen an.

Daß die Somalis nicht längst aufgerieben sind und sogar gelegentlich noch begrenzte Abwehrerfolge erzielen, ist außer ihrer Verbissenheit vor allem der Gunst des Geländes im bergigen schluchtenreichen Nord-Ogaden zuzu-

* Bei Harrar im Ogaden

schreiben: einer unübersichtlichen Busch-Steppe. Doch die Verluste an Menschenleben sind hoch. Im Krieg um den Ogaden starben bis heute, so schätzen Militärexperten in Mogadischu, rund 40 000 Somalis -- ein schlimmer Aderlaß für ein Drei-Millionen-Volk.

An den Kämpfen wollen sich denn auch arabische Staaten, wie Ägypten, trotz gegenteiliger offizieller Beteuerungen, nur ungern beteiligen. »Ein Regiment hierher zu entsenden«, meint ein arabischer Diplomat, »das würde bedeuten, die Jungs in den sicheren Tod zu schicken -- ohne daß dadurch den Somalis geholfen wäre.«

So bleiben die Somalis vorläufig allein in dem Konflikt, der ihnen inzwischen militärisch wie politisch über den Kopf gewachsen ist. Eine Niederlage im Streit um den Ogaden würden die Nomaden ihrem Präsidenten vermutlich nicht vergeben. Das politische Ende Siad Barres aber könnte auch der zunehmend liberalen Entwicklung in Somalia wieder ein Ende setzen.

Seit der Abkehr von Moskau läßt es sich in Somalia fast von Monat zu Monat freier leben. Somalis, die noch im Sommer ihre Meinung ängstlich verbargen, getrauen sich heute, ein offenes Wort zu sagen, sogar Kritik anzubringen.

»Unsere Polizisten«, erzählte ein Ministerialbeamter einem Kreis von Zuhörern, »spielten früher verrückt, verhafteten aus Willkür. Heute haben sie dazugelernt, leider aber noch nicht alle.« Äußerungen dieser Art wären noch vor Monaten unvorstellbar gewesen.

Möglich, daß nach Barre die heimlichen Moskau-Sympathisanten zum Zuge kämen, die es in Somalia auch heute noch geben soll. »Der Präsident«, tröstet sich ein Somali, »kennt sie alle und wird zum rechten Zeitpunkt gegen sie vorgehen.«

Der Zeitpunkt könnte bald gekommen sein. Der Zustimmung seines Volkes durfte sich Barre dabei gewiß sein, denn der Spruch, der einmal in Somalia ein geflügeltes Wort war, gilt schon lange nicht mehr: »Allah, schicke uns Regen. Aber wenn du das nicht willst -- dann schicke uns wenigstens die Russen.«

Empörung herrscht bei allen Somalis darüber, daß die abziehenden Sowjets auch die zuvor gelieferten Fischfangboote mitnahmen und Somalias Fischer buchstäblich auf dem Trockenen ließen. In etlichen der von ihnen errichteten und geleiteten Betriebe hinterließen die Russen ein Chaos, weil sie es -- wie die Somalis sagen »absichtlich« -- versäumt hatten, Einheimische auszubilden. Der Haß auf die Sowjets überträgt sich nicht selten sogar auf die Einrichtungen, die sie zurückließen.

»Dieses Räucherhaus«, erklärte zum Beispiel der Leiter einer Fischfabrik in Brawa, rund 200 Kilometer südlich von Mogadischu, »benutzen wir nicht. Die Russen haben es gebaut, es ist unbrauchbar.«

Die Feindseligkeit gegenüber den Sowjets trieb solche Auswüchse, daß der Präsident selbst zur Mäßigung mahnte. Bei einer Feier für die ersten von der Universität Mogadischu ausgebildeten Ärzte warnte er davor zu vergessen, was die Russen dem Land an Wohltaten erwiesen hätten. Wer die positiven Taten des zum Feind gewordenen Freundes vergesse, der sei »nicht besser als ein Tier«.

Dennoch schieben die Somalis die Schuld für den drastischen Anstieg zahlreicher Preise indirekt ebenfalls den Sowjets zu. So hatte Moskau die gesamte somalische Benzinversorgung übernommen. Der Treibstoff, der mit 49 Oktan auf die Dauer jeden Motor ruiniert, kostete etwa 40 Pfennig pro Liter. Nun liefern arabische Länder. Der Preis wurde auf mehr als das Doppelte angehoben.

Gestiegen sind auch bei gleichgebliebenen Niedriglöhnen von hundert Mark im Monat die Preise für Grundnahrungsmittel wie Nudeln und Zucker. Waschpulver wurde um 40 Prozent teurer, der Preis für eine Flasche Bier kletterte ums Doppelte, auf zehn Mark.

Diese Preiserhöhungen sollen den von rund 390 Millionen Mark (1977) auf etwa 500 Millionen Mark angestiegenen ordentlichen Staatshaushalt finanzieren helfen. Die Somalis müssen nicht nur ihre Waffenkäufe bezahlen, sondern auch die den Nomaden versprochenen Investitionen im Ogaden vornehmen. Dort sind tatsächlich schon die ersten Anzeichen einer verbesserten Infrastruktur zu erkennen. In den größeren Ortschaften wurden in den letzten Monaten Hospitäler und Schulen gebaut.

Doch die Sowjets wollen Somalia« so meinen Regierungsmitglieder. nicht nur im Ogaden für die Aufkündigung der Freundschaft bestrafen -- »sie wollen uns überall demütigen, uns auf die Knie zwingen, wo es ihnen nur möglich ist«, empörte sich ein hoher Beamter.

Ein neuer Beweis dafür sind den Somalis die Schikanen, die ihre 370 Studenten in Moskau und die 70 in Kuba angeblich erdulden mußten. Sie wurden beschimpft, die Sowjets sperrten den somalischen Jungakademikern sogar das Essen, so daß sie notdürftig aus der somalischen Botschaftsküche verpflegt werden mußten.

Als die Regierung sie mit den zwei Boeing 720 der Somali Airlines aus Moskau abholen lassen wollte, gaben die Sowjets keine Landeerlaubnis. Der Irak bot sich nun an, den Transport zu übernehmen. Für Somalia stellt sich damit ein neues Problem: »Wenn wir künftig unsere Leute im Westen studieren lassen müssen, laufen wir Gefahr, daß 80 Prozent nicht mehr zurückkehren«, sorgte sich Ibrahim Abjan, Generaldirektor für das höhere Ausbildungswesen.

Solange die Studenten im Ostblock studierten, sei man sicher gewesen, daß sie nach abgeschlossener Ausbildung gern wieder nach Somalia heimkehrten.

Wolfgang Dieter Steinbauer
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