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ARBEITERDICHTER Hacke und Feder

aus DER SPIEGEL 12/1964

Da! ... Da ... Da ... rollt ... ein ... Kopf! Ein Kopf! Ich bin irre. Ich bin wahnsinnig ... aber da ... rollt ... ein Kopf ... Und ich begreife.«

Verfasser dieses Schreckensschreis ist der angelernte Grubenlokführer Max von der Grün, 38, von der Kohlenzeche Königsborn 2/5 in Heeren bei Unna. Sein Roman »Irrlicht und Feuer« irrlichtert seit Monaten in den Köpfen der Kultur- und Amtsträger und schreckte Industriemanager, Gewerkschaftler und Christdemokraten auf*.

Von der Grün schildert in deftigem Realismus und in Ich-Form das Schicksal der sterbenden Zechen, die »Agonie der Kohle« und den Triumph der Technik über den Menschen. Er räsoniert über raffgierige Unternehmer, dumme Arbeiter und korrumpierte Betriebsräte.

Noch in den letzten Monaten vor Stillegung einer Zeche demonstriert den Arbeitern ein neuer Kohlehobel die Gewalt der Technik und ihre Schrecken: »Die Kette am Hobel riß, sauste über meinen Kopf und schlug mit unbenennbarer Gewalt dem zwei Meter hinter mir herhastenden Steiger den Kopf ab. Der Kopf rollte in den Panzerförderer, und was ich als Wasser wähnte, war Blut. Der Blutstoß des geköpften Steigers klatschte in mein Gesicht.«

Das Kapitel mit dem Unfallrapport, das zuerst im »Echo der Zeit« erschien, einem Verlagsobjekt des katholischen Paulus Verlages in Recklinghausen, alarmierte zunächst die örtliche Geistlichkeit. Ein Münsteraner Domkapitular erkundigte sich besorgt, ob im Bistumsverlag solche Art Literatur künftig gepflegt werden solle.

Wenig später wollte der Geschäftsführende CDU-Vorsitzende Josef Hermann Dufhues, der sich in Sachen des Schrifttums auskennt, von dem Verleger und Parteifreund Dr. Georg Bitter wissen, ob denn das angekündigte Buch wirklich erscheinen müsse. Dufhues witterte in dem damals noch unvollendeten Kumpel-Epos Sozialkritik und fürchtete um den geistigen Status quo der Bundesbürger.

Des Grubenlokführers Versuch, »das Arbeitserlebnis und die babylonische Problemwelt der Arbeit« sinnbildlich darzustellen und »die deutschen Arbeiter das bewußte Denken« zu lehren, löste auch beim Klöcknerkonzern, - von der Grüns Arbeitgeber - ungeteiltes Mißbehagen aus.

In der Gaststätte Kissenkamp zu Unna versuchten zwei Abgesandte der Klöckner-Werke und sogar ein Vertreter des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau dem Kumpel-Dichter bei Korn und Bier beizubringen, daß ein Unfall der Art, wie ihn von der Grün kolportiert hatte, in der Praxis ganz unmöglich sei. Die Herren drangen in ihn, er möge doch bei der Wahrheit bleiben und die inkriminierten Passagen »mildern«.

Aber der Autor blieb hart: »Ob ich mit dem Unfall nun schief liege oder nicht, Sie haben kein Recht, in mein Schreiben einzugreifen. In der Presse können Sie mich ja zur Minna machen.« Und: »Günter Graß hat doch auch niemand vorgeworfen, eine Figur wie Oskar Matzerath existiere nicht in Wirklichkeit.«

Der Kumpel mit dem Federkiel, der James Joyce als seinen Lehrmeister angibt, war 1951 von Bayreuth an die Ruhr verschlagen worden. Die begonnene Steigerlaufbahn mußte er jedoch abbrechen, als ihm 1954 bei einem Unfall sechsmal der Fuß gebrochen wurde.

Die Rationalisierung im Kohlenbergbau schreckte von der Grün immer aufs neue: »Wir hassen diese Maschine, wir spucken sie bei Schichtbeginn an, wir decken sie mit wüsten Worten ein und mit kalten Flüchen, die aus der Angst geboren werden ... Seit der Hobel läuft ... registrieren wir 23 Verletzte, davon sieben so schwer, daß sie für ihr ganzes Leben verstümmelt bleiben.«

Ebenso wie den Maschinenstürmern des vergangenen Jahrhunderts erscheint dem Bergmann von der Grün, der den Kommunismus ablehnt, der Triumph der Technik als wahre Geißel: »Wir sind die Kaninchen in den von Angst umbauten Labors der Exportwirtschaft.«

Obwohl derlei Ansichten nur als »subjektive Wahrheit des Dichters« (von der Grün), nicht jedoch als Abbild der Wirklichkeit gelten sollten, reagierten die Hersteller des vom Autor verdammten Kohlehobels so, wie es einem Arbeitgeber in Grüns Buch zuzutrauen gewesen wäre. Die Firma Westfalia Lünen, die 80 Prozent der in Westdeutschland gebräuchlichen Kohlehobel baut, zog vor Gericht.

Von den Bochumer Landrichtern begehrten die Westfalia-Manager eine Einstweilige Verfügung, in der das Gericht dem Autor die Erwähnung des gesetzlich geschützten Namens »Panzerforderer« untersagen möge.

Dem Gericht erschien jedoch das Recht auf freie Meinungsäußerung wesentlicher als das Vorbringen der Maschinenfabrikanten. Ohne auf Wert- oder Wahrheitsgehalt der Darstellung einzugehen, wies es den Antrag der Westfalia ab. Ebenso entschied das Oberlandesgericht Hamm als Revisionsinstanz.

Von der Grün ging während dieser Zeit unverdrossen seiner Arbeit als Grubenlokführer nach, obwohl es ihm immer schwerer fiel, die Schichtzeiten einzuhalten. Sein Kurswert war mittlerweile so gestiegen, daß er den Einladungen zu Vorlesungen, Diskussionen und Fernsehsendungen kaum noch folgen konnte.

Bald wuchsen ihm die Verpflichtungen über den Kopf. Das Fernsehen wollte Aufnahmen, und von der Grün blieb seiner Arbeit drei Tage unentschuldigt fern. Nach einer alten Bergbauregel gilt ein Arbeiter als fristlos entlassen, wenn er dreimal unbegründet fehlt. Von der Grün entschuldigte sich jedoch auch nicht am vierten Tag, sondern schickte einen eingeschriebenen Brief an die Zechenleitung, die ihm bis dahin mit Freistellungen sehr weit entgegengekommen war:

»Durch vielschichtige Verträge mit dem Fernsehen und dem Rundfunk sehe ich mich außerstande, meinen Verpflichtungen ... gegenüber meinem Arbeitgeber nachzukommen. Ich kündige daher ab sofort mein Arbeitsverhältnis. Ich bin mir darüber klar, daß ich Kontraktbruch begehe.« Die Firma akzeptierte.

Nach seinem fristlosen Ausscheiden wurde der Freizeit-Poet auch von der Hoesch AG nicht eingestellt, die ihm zuvor noch einen Arbeitsplatz als Lagerist angeboten hatte. Kontraktbrüchige Arbeiter, so hieß es, würden bei Hoesch nicht beschäftigt. Drei andere Firmen, bei denen von der Grün vorsprach ("weil ich fürchtete, ich könnte es ohne Arbeit nicht aushalten"), schickten ihn ebenfalls wieder weg.

Auch von den Gewerkschaften hat der privatisierende Autor nichts mehr zu erwarten. Die Funktionäre, die seine ersten Schreibversuche noch mit Wohlwollen verfolgten, haben sein Buch mittlerweile gelesen.

Gewerkschaftsobleute, Betriebsräte und Arbeitsdirektoren wurden von Grün als dienernde Arbeitgeberknechte geschildert: »Die saufen mit dem Alten, und dann können sie nichts mehr gegen ihn sagen. Der wickelt sie bei einer Flasche Bier alle ein!«

Von der Grün ersann Betriebsratssitzungen, in denen sich die Gewerkschaftsfunktionäre wüste Beschimpfungen gefallen lassen mußten. Sie wurden mit Ausdrücken wie »Scheißlaffen« und »Betriebsführungsarschauslecker« belegt. Verärgert ließ sich das Vorstandsmitglied der IG Bergbau und Energie Walter Arendt vernehmen: »Das ist ein anti-gewerkschaftliches Buch.«

Trotzdem drücken den Privatier Grün keine finanziellen Sorgen. Die Kölner »Neue Illustrierte« hat seinen Roman unter Weglassung des Unfallkapitels sowie einiger arbeitgeberfeindlicher Passagen für 25 000 Mark Honorar abgedruckt. »Das reicht für zwei bis drei Jahre«, meint der Autor, der inzwischen ein Hörspiel geschrieben hat und an einem weiteren Roman arbeitet.

Mittlerweile hat sein Gruben-Epos im Ostblock Beifall gefunden - die Sowjet-Union bemüht sich um die Übersetzungsrechte - und den Filmschauspieler O. W. Fischer beeindruckt. Sein Urteil: »Ich bin sehr stolz, daß in jüngster Zeit durch Menschen wie Max von der Grün die Dinge wieder in die richtige Bahn kommen. Die Deutschen kopieren nicht mehr, sie tragen bei.«

*"Irrlicht und Feuer« Paulus Verlag, Recklinghausen; 304 Seiten; 16,80 Mark.

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