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PROZESSE Hände hoch

Der Prozeß gegen das Mitglied der Baader-Meinhof -Gruppe Karl-Heinz Ruhland könnte Belastungsmaterial gegen den früheren Apo-Anwalt Horst Mahler erbringen: Indizien für die Teilnahme an einem Banküberfall.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Am 21. Mai 1971 wurde der ehemalige Apo-Anwalt Horst Mahler von der Anklage freigesprochen, ein Jahr zuvor an der Befreiung des Frankfurter Kaufhausbrandstifters Andreas Baader aus Berliner Justizgewahrsam mitgewirkt zu haben. Mahler sprach: »Auf diesen Freispruch pfeife ich.«

Zwei Monate später, am Donnerstag vorletzter Woche, pfiff die Justiz zurück. Der Generalbundesanwalt ließ mitteilen, er habe gegen den am 20. Dezember 1970 in Oberhausen als »Mitglied der Baader-Mahler-Meinhof-Gruppe« festgenommenen Berliner Autoschlosser Karl-Heinz Ruhland, 33, Anklage wegen Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung erhoben und zudem Horst Mahler als Ruhlands Tatgenossen bei einem von drei dem Autoschlosser zur Last gelegten Gewalt-Delikten ermittelt.

Das Delikt: bewaffneter Raubüberfall auf eine West-Berliner Bankfiliale. Die Beute: 154 182.75 Mark.

Gelingt es der Karlsruher Bundesanwaltschaft. diesen Vorwurf im Ruhland-Verfahren vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht (voraussichtlicher Prozeß-Beginn: Mitte Oktober) zu belegen, den Angeklagten zu überführen und mithin gewichtiges Belastungsmaterial gegen Horst Mahler gerichtskundig zu machen, dann hätten die Strafverfolger schon vor Eröffnung des zweiten -- für das Jahresende geplanten Mahler-Prozesses einen wesentlichen Teilerfolg erzielt.

Denn sollte zutreffen, was die Karlsruher Beamten ermittelt haben, wäre der erste Beweis erbracht, daß der einstige Apo-Anwalt der Gruppe bis zu seiner Festnahme am 8. Oktober 1970 zumindest in einem Fall nicht nur -- wie vielfach vermutet -- als Ideologe. sondern vielmehr als umsichtiger Planer und tatkräftiger Aktivist gedient hat.

Die Bundesanwälte glauben zu wissen. Horst (Deckname »James") Mahler habe

* gemeinsam mit nahezu allen Gruppen-Mitgliedern für den 29. September letzten Jahres (geplante Tatzeit: 9.45 Uhr) Überfälle auf vier Depositenkassen West-Berliner Banken, die Sparkassen-Zweigstellen Südwestkorso, Siemensdamm und Altonaer Straße sowie die »Berliner Bank« -Filiale Rheinstraße, vorbereitet.

* Tage vor dem Kassen -Coup auf dem Nachbargrundstück der »Berliner Bank«-Niederlassung an der Friedenauer Rheinstraße, um den Fluchtweg besorgt, mit einem Seitenschneider einen Maschendrahtzaun zerschnitten und schließlich > am 29. September, 9.58 Uhr, gemeinsam mit seinen Genossen Andreas Baader, Hans Jürgen Bäcker, Gudrun Ensslin, Irene Goergens, Eric Grusdat, Astrid Proll. Karl-Heinz Ruhland und ingrid Schubert die Friedenauer Depositenkasse ausgeraubt -- genau zu der Zeit, da Gruppenmitglieder in der Sparkassen-Filiale am Südwestkorso und in der Altonaer Straße 63 286.70 Mark erbeuteten.

Zur letzten Besprechung, so die Recherchen der Ermittler, trafen sich die Sparkassen-Guerrilleros eine Woche vor ler Tat. Sie versammelten sich im West-Berliner Tiergarten an der Uferböschung des Landwehrkanals, bildeten die Einsatzkommandos, bestimmten deren Funktionen und verabredeten Fluchtwege.

Knapp zwei Stunden vor dem Coup jedoch entdeckte der für die Sparkasse am Nord-Berliner Siemensdamm eingeteilte Trupp bei einer letzten Kontrollfahrt Bauarbeiten an seinem Objekt. machte Meldung und wurde der Rheinstraßen-Gruppe zugeteilt.

Diese Mannschaft schließlich, allesamt Uhren mit Stopp-Vorrichtung am Arm, verabredete sich für 9.45 Uhr vor der Depositenkasse. Als die Genossen eintrafen, war »James«, Pudelmütze auf dem Kopf, »Llama«-Revolver in der Tasche, schon da. Er hatte den Termin

* Mit Irene Goergens (l.) und Ingrid Schubert vor der Urteilsverkündung am 21. Mai 1971 in West-Berlin.

vergessen und war zehn Minuten zu früh gekommen -- so die Ermittlungen.

Dann, um 9.58 Uhr, begann der Einsatz. Die Täter zogen Strickmützen mit Seh-Schlitzen über ihre Gesichter und betraten die Bank. Ruhland und Grusdat, durchgeladene Gewehre im Anschlag, sicherten den Eingang. Mahler, den Revolver nun in der Hand, rannte in die Mitte des Schalterraumes, rief: »Hände hoch, Überfall! Wir wollen nur das Geld!« Und: »Was ist schon Geld gegen Ihr Leben« -- so die Ermittlungen.

Andreas Baader und Irene Goergens übersprangen derweil den Banktresen und bedienten sich. Drei Minuten später schon hatten die Anarcho-Kunden das Geld verstaut. Mahler und Grusdat zündeten im Bankeingang einen »Nebeltopf«, und die Gruppe entfloh über das Nachbargrundstück in eine Nebenstraße. Dort stiegen die Genossen in zuvor gestohlene Mercedes-Limousinen. Am Steuer: Astrid Proll und Ingrid Schubert. Hans Jürgen Bäcker versuchte unterdessen von seinem Wagen aus, mit einem präparierten Sender den West-Berliner Polizeifunk zu stören, und Gudrun Ensslin, gleichfalls am Volant eines Mercedes, wartete am nahen Schöneberger Volkspark auf die Flüchtenden -- so, wiederum, die Ermittlungen.

Was die Bundesanwaltschaft bislang für den Ruhland-Prozeß zusammengetragen hat, belastet freilich nicht nur den U-Häftling Horst Mahler. Die Rechercheure ermittelten überdies, daß Ruhland an Einbrüchen beteiligt gewesen sei, an denen auch die noch immer gesuchte Ulrike Meinhof mitgewirkt habe: an den nächtlichen Besuchen in Amtsstuben in Neustadt am Rübenberge (16. 11. 1970) wie in Lang-Göns im Kreise Gießen (21. 11. 1970). Bei diesen Unternehmungen wurden unter anderem 15 Reisepässe, 31 Stempel, 166 Blanko-Personalausweise, Ösen. eine Ösenzange, Nieten, 430 Mark und eine Flasche Weinbrand erbeutet.

Sollte es der Bundesanwaltschaft gelingen, im Ruhland-Verfahren auch die Vorwürfe gegen Ulrike Marie Meinhof zu erhärten, dann geriete der Düsseldorfer Prozeß, so der Kölner Ruhland-Verteidiger Rolf Becher, tatsächlich zu einem »Schlüssel-Verfahren für den gesamten Baader-Mahler-Meinhof-Komplex«.

Gerade das jedoch hält der Berliner Mahler-Anwalt Otto Schily, dem Einsichtnahme in die Ruhland-Akten bislang verwehrt wurde, für problematisch. Er bemängelt, daß dieser Prozeß »in Abwesenheit des Mitbeschuldigten Mahler stattfinden und die Verteidigung auf diese Weise vor vollendete Tatsachen gestellt werden soll«. Schily: »Höchst ungewöhnlich.«

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