PARTEIEN Haider für Hamburg?
In seinem erlernten Beruf ist der Jurist derzeit unzufrieden. Seit Anfang des Jahres muss der Hamburger Richter, der sich wegen drakonischer Strafurteile bundesweit einen zweifelhaften Ruf erworben hat, über Mietsachen und Nachbarschaftsstreitereien entscheiden, das Präsidium des Amtsgerichts hat Ronald Barnabas Schill, 41, in eine Zivilabteilung abgeschoben, wo er wenig Schaden anrichten kann.
Da indes fühlt sich der Mann nicht ausgelastet - er drängt in die Politik. Zur Bürgerschaftswahl im Herbst kommenden Jahres will der verhinderte Scharf-Richter mit einer eigenen »Partei Bürgerlicher Interessen« antreten.
Mag sein, dass sein Wahlverein eine lokale Splittergruppe bleibt neben anderen bürgerlich-konservativen Winzlingen wie der Statt Partei, der Bürgerinitiative »Der springende Punkt« - oder der seit Jahren dahinvegetierenden FDP.
Doch Schill, fürchten manche, könnte auch ein Jörg Haider des Nordens werden, der unzufriedene Wählerschichten anzieht. Der österreichische Rechtspopulist, sagt der Jurist bewundernd, »hat ein Gespür dafür, was die Menschen auf der Straße wollen und spitzt die Wünsche rhetorisch geschickt zu, so dass die Menschen sich wieder verstanden fühlen«.
Diese Fähigkeit schreibt sich auch Schill zu. Die Hamburger Justiz habe »ein Herz für Verbrecher«, tönt der Richter, der - nicht ganz auf dem Boden des Grundgesetzes - auch schon mal für die Todesstrafe plädiert. Die Hansestadt sei »ein Schlaraffenland für Kokaindealer«, Drogenabhängige würden »unter den Augen der Polizei mit Rauschgift versorgt«.
Der Erste Bürgermeister Ortwin Runde (SPD), schmähte der eigentlich zur politischen Mäßigung verpflichtete Richter, eigne sich »bestenfalls als Vorsitzender eines Kegelclubs«. Rundes Koalitionspartner, die Grün-Alternative Liste, ist ihm verhasst als »Tummelbecken für Linksextremisten«. Selbst CDU-Oppositionsführer Ole von Beust ist in Schills Augen »zu linkslastig«.
Seine eigene Zukunft sieht der Polit-Neuling optimistisch: Er rechne mit einem Stimmenanteil von 20 bis 30 Prozent. In einer Koalition mit der CDU will er Innensenator werden, auch den Posten des Justizsenators reklamiert er für seine Partei.
Die etablierten Parteien reagieren nach außen gelassen auf die neue Konkurrenz, doch mancher Hamburger Politiker sorgt sich in Wahrheit, Schill könne ihn selbst wichtige Wählerstimmen kosten.
Christdemokrat von Beust etwa bescheinigt dem Richter »durchaus Charisma und Ausstrahlung«. Und Jörg Kuhbier, bis vor kurzem SPD-Landesvorsitzender, warnt: »In einer Stadt, in der mehr als 20 Prozent offen sind für neue Bewegungen, kann durch emotionale Zuwendung unerwarteter Erfolg eintreten.«
Auch Richard Hilmer vom Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap räumt Schill Chancen ein: »Gerade in Hamburg hat sich gezeigt, dass Parteigründungen im Bereich des konservativen und Mitte-konservativen Lagers erstaunliche Erfolge haben können.«
So entstand 1993 aus einem Häuflein von CDU-Abtrünnigen die Statt Partei, die auf Anhieb mit acht Abgeordneten in die Bürgerschaft einzog und mit der SPD ein Regierungsbündnis schloss. Bei der Wahl 1997 scheiterte die Truppe mit 3,8 Prozent.
Schill ist vor allem ein Geschöpf der Springer-Presse, die den rauflustigen Außenseiter in der eher harmoniesüchtigen Stadtpolitik erst richtig populär gemacht hat.
Auf den Rathaus-Korrespondenten des »Hamburger Abendblatts« macht Richter Schill zwar »den Eindruck eines politischen Amokläufers« - was die Zeitung aber nicht hindert, ihm ständig eine Plattform für seine platten Sprüche zu bieten. Vor allem im Lokalteil der »Welt am Sonntag«, die stets am liberalen Kurs der Hamburger CDU herummäkelt, wird der schneidige Schill gefördert. Mit unverhohlener Zustimmung zitierte Ex-Chefredakteur Claus Jacobi in seiner Kolumne Schills Stammtischparolen.
Gegen den Vorwurf, er sei rechtsextremistisch, führt Schill seinen Großvater an, der als kommunistischer Widerstandskämpfer 1944 im Konzentrationslager Neuengamme gehenkt wurde. Und Rassismus sei ihm schon deshalb fremd, weil er »fast nur in ausländischen Restaurants« zu essen pflege. Eigentlich, so Schill hinterfotzig, sei er doch »ein Freund der multikulturellen Gesellschaft«.
Falls es mit der Politkarriere nicht klappt, will der Jurist wieder Strafurteile fällen - allerdings dort, wo schon heute politische Verhältnisse nach seinem Geschmack herrschen: »Möglicherweise gehe ich dann als Strafrichter nach Bayern.«
Zunächst aber muss Schill womöglich als Angeklagter vor Gericht erscheinen: Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung vor.
Der Amtsrichter hatte vergangenes Jahr in einem von ihm geleiteten Prozess gegen zwei Zuhörer, deren Verhalten er als ungebührlich empfand, drei Tage Ordnungshaft verhängt und sofort vollstrecken lassen.
Zwei Tage mussten die beiden tatsächlich absitzen: »Um deren Rechtsschutz zu unterlaufen«, so die Anklagebehörde, leitete Schill die eingelegte Beschwerde zur Entscheidung ans Oberlandesgericht erst weiter, als die Haftzeit fast vorbei war. NORBERT F. PÖTZL