Halb gewonnen
(Nr. 20/1972, SPIEGEL-Titel »Bonn in der Zerreißprobe")
Die Beobachtung der parlamentarischen Entwicklung des Schicksals der Ost-Verträge verunsichern nicht nur mein Verständnis für unsere Demokratie, sondern scheinen mir auch zu beweisen, daß es ein Fehler war, im Grundgesetz keine Möglichkeit für einen Volksentscheid vorzusehen. Partei- und egoistische Machtpolitik mißachtet selbstherrlich den Willen des Wählers« der keine Möglichkeit hat, sich zu wehren, und ohnmächtig miterlebt, wie er von seinem Abgeordneten -- dem er sein Vertrauen schenken zu dürfen glaubte -- hintergangen wird. Bei diesem so entscheidenden historischen Vorgang wie die Verabschiedung der Ost-Verträge hätte allein ein Volksentscheid dem wahren Willen des Volkes Ausdruck geben und damit verhindern können, daß es in der Welt so aussieht, als ob immer noch die Hälfte aller Deutschen nicht aus der Vergangenheit lernen will und nicht mit den Realitäten leben kann.
München GEORG VON BLOCK
Der Herr Kanzlerkandidat und Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel war der SPD/FDP-Schaumschlägerei in Bonn nicht gewachsen: Die SPD-Dialektiker haben ihn »eingeseift«. Barzel weiß doch ganz genau, daß die »gemeinsame« Resolutions-Augenwischerei in den Verzichts- und Unterwerfungsverträgen von Warschau und Moskau kein einziges Komma an den Vertragstexten ändert« Daß er bei diesem »Taschenspielertrick« mitmachte, ist bezeichnend für diesen »Gummilöwen«. Er sollte zur SPD/FDP-Fraktion wechseln, die nach ihrem Erfolg sagen kann: »Gut gebarzeit ist halb gewonnen.«
Würzburg GÜNTHER JUST
Wieder das große »Blabla« der CDU/CSU gegen die Ostverträge, und wieder gipfelte es in der genialen Feststellung: »So nicht.« Der Text ist abgedroschen, doch man brachte ihn in neuer Betonung vor. Diese Töne sind wohl die einzige Alternative der CDU/CSU und darauf abgestimmt, einen gewissen Wählerkreis bei der Stange zu halten. Hoffentlich ergibt sich für die jetzige Opposition nicht doch noch die Möglichkeit, durch einige »Stehaufmännchen« an die Regierung zu kommen. Denn der deutsche Wähler ist von diesen Leuten bereits genug verarscht worden.
Feldrennach (Bad.-Württ.) ALFRED CRESS
Wohl keine der bundesdeutschen Regierungs-Perioden gab dem aufmerksamen und unbestechlichen Bürger eine solche Gelegenheit, die sachliche und moralische Qualifikation ihrer Führung so eindeutig zu testen und zu werten wie die gegenwärtige. Unter diesen Aspekten hat der für diese Regierung einmal mobilisierte Wählerwille längst eine einschneidende Wandlung erfahren. Angesichts einer solchen Tatsache sollte der Bürger so schnell als möglich erneut an die Wahlurne gerufen werden. Das tödliche Seiltanzen, das die einzelnen Vertreter des Volkes tagtäglich, gewissermaßen »ohne Netz« vollführen, ist ein Raubbau an den eigenen Kräften. Eine Regierung, die sich bei jeder entscheidenden Aufgabe in einen unfruchtbaren Nervenkrieg begibt, weiß am Ende schon gar nicht mehr, wofür sie sich überhaupt etabliert.
Wolfsburg (Nieders.) LOUIS KUMMER
Merkwürdigerweise wird dem unbekannten CDU-Abweichler, der in Wirklichkeit die Regierung gerettet hat, nicht der Vorwurf gemacht, er habe das Ansehen des Parlaments geschädigt, als er (wie doch wohl zu hoffen) seinem Gewissen mehr folgte als den Weisungen seiner Partei. Wird es von Ihrer Redaktion, wenn zwei dasselbe tun, verschieden bewertet -- je nachdem, auf welcher Seite es geschieht? Dadurch, daß auf beiden Seiten Nonkonformisten waren, ist doch letzten Endes das Gleichgewicht wiederhergestellt und die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems bewiesen worden.
Stuttgart HELMUT HOLDEGEL
Sozialgerichtspräsident
Letzten Sommer hat sich der SPIEGEL (ganz zu Recht) über den Kalk im schweizerischen Parlament lustig gemacht. Immerhin: daß einige Lümmel von der letzten Bank dann, wenn sich ein Gewissen bezahlt macht, die ganze Nation an der Nase herumführen können, ist bei uns denn doch nicht drin. Im Bundestag hingegen liegt Monte Carlo gleich um die Ecke ...
Bern (Schweiz) KLAUS WITSCHI
Ihr Titel »Bonn in der Zerreißprobe« zeigt ein schadhaftes Stück Tau aus je einer schwarzen, einer roten und einer goldenen Kardeel. Ich habe mich über Ihre feinsinnige Symbolik gewundert: Die rote Kardeel war schon ganz zerrissen, während sich die Reste der goldenen kraftlos um das allein noch tragfähige schwarze ringelten. Was haben Sie bloß damit ausdrücken wollen?
Tübingen (Bad.-Württ.) DR. FRIEDRICH LENZ
Katastrophe, das neue Titelbild! Der rote Faden ist doch gar nicht gerissen! Oder wollte man bloß zeigen, daß das »Schicksal der Nation am gelben Weichenstell-Seil hing?
Vaihingen (Bad.-Württ.) ANDREAS H. BÖHME
Wieder mal ein irre gutes Titelbild mit symbolträchtigem BRD-Strick, der nur noch an Schwarz und Gold hält, während das Sozi-Rot schon gekracht ist. Nur: Was soll das nach schließlich geplatztem Mißtrauensvotum bedeuten?
Ulm DR. LÜDER DEECKE