ITALIEN Halbe Feiertage
Wochenlang hatte der römische Installateur Cesare Ruberti vergebens auf einen neuen Gasanschluß für seine Werkstatt gewartet. Schließlich fuhr er wütend zum Büro der Firma Italgas in der Via Barberini, um »denen mal richtig Dampf zu machen«.
Doch so weit kam er nicht. Denn am Eingang zur Gasgesellschaft hing ein Schild: »Chiuso per semifest-vità« -- zu deutsch: Wegen eines halben Feiertages geschlossen.
Das war am 28. Juni, einem Montag. Da am 29. Juni der katholische Festtag Peter und Paul im Kalender stand, rasteten die Gasmänner -- und mit ihnen Millionen Italiener -- gleich durchgehend von Sonnabend bis Mittwoch.
Die Erfindung »halber Feiertage« soll einen alten, liebgewonnenen Brauch endlich institutionalisieren helfen, den Brauch nämlich, zwischen zwei Feiertagen liegende Werktage ohne Arbeit zu überbrücken. »ponte« (Brücke) heißt dieser zusätzliche Kurzurlaub.
Wer in Italien auf sich hält, baut jährlich mindestens zehn solcher Brücken, gestützt auf den Kalender und, Wenn"s nicht anders geht, auf ein ärztliches Attest, das etwa »nervliche Erschöpfung« bescheinigt. Mit 17 Feiertagen in diesem Jahr (13 religiösen, 4 staatlichen), die nicht auf einen Sonntag fallen, hält Italien den Weltrekord, gefolgt von Spanien (mit 16 Feiertagen) sowie dem katholischen Teil Deutschlands (13).
Die vielen Festtags-Brücken und unzählige Streiks, lamentierten Manager südlich des Brenners immer wieder, »fügen der Produktion unermeßlichen Schaden zu«. Jeder verlorene Arbeitstag kostet die Wirtschaft zwischen 150 und 250 Milliarden Lire (465 bis 775 Millionen Mark).
Seit Jahren schon diskutieren Politiker und Geschäftsleute den Plan, einige religiöse Feiertage auf Sonntage zu verlegen. Der Vatikan fand sich bereit, seine Gedenktage neu zu terminieren. Das römische Arbeitsministerium tüftelte einen entsprechenden Gesetzentwurf aus -- und die Turiner »Stampa« verkündete Mitte 1975 vierspaltig auf Seite 1: »Neun Brücken werden abgeschafft. dafür gibt es neun zusätzliche Urlaubstage im Sommer.«
Doch die traditionellen »ponti« überstanden auch diesen Angriff. Der römische Gesetzentwurf versandete. der Trend zum überlangen Wochenende nahm keinen Schaden.
Die italienische Republik. heißt es in ihrer Verfassung, »ist auf Arbeit gegründet«, die Zeitschrift »Il Borghese« modernisierte diesen Glaubenssatz »Diese Republik ist auf »Brücken« gegründet«. Vergebens appellierten viele Top-Manager angesichts der schweren Wirtschaftskrise an Einsicht und Einsatz der Arbeitnehmer. »Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, muß entschieden mehr geschafft werden«, mahnte unlängst Walter Mandelli, Verbandschef der Metall-Arbeitgeber. Die italienische Industrie arbeite pro Jahr fast 300 Stunden weniger als die der Konkurrenten in der EG. »Das müssen wir aufholen.«
Der Vergleich mit der ausländischen Konkurrenz beeindruckt die meisten Italiener allerdings kaum. Als etwa ein Ingenieur der staatlichen Autofirma Alfa Romeo den Gewerkschaftern vorhielt, der französische Staatsbetrieb Renault arbeite jährlich 400 Stunden mehr, erhielt er zur Antwort: »Dann sollen die Franzosen halt künftig weniger schuften.«
Bei Alfa Romeo, das 1975 bei jedem produzierten Wagen rund 3000 Mark zusetzte, geht täglich durch Versammlungen und spontane Mini-Streiks etwa eine Arbeitsstunde verloren. Durchschnittlich 16 Prozent der Belegschaft fehlen ohnehin, beim Tochterunternehmen Alfasud sind es gar 20 Prozent.
Dieser »assenteismo« ist zu einem ständigen Streitpunkt zwischen Firmen-Management und Gewerkschaft geworden. Vier Alfa-Arbeiter, die 1975 nur drei Monate schafften, in der übrigen Zeit aber offenbar meist krank feierten und Super-»Brücken« bauten, wurden unlängst gefeuert. Sogleich protestierten die Gewerkschaften und warfen der Direktion »unerträgliche Repression« vor. Das Fernbleiben vom Arbeitsplatz sei meist nur eine Folge der »miesen Arbeitsbedingungen«, sei ein Protest der entfremdeten Proletarier.
Wie auch immer -- die Produktivität der italienischen Industrie ist überaus bescheiden, vornehmlich deshalb, betonte kürzlich Gavino Manca, Planungschef beim Mailänder Gummikonzern Pirelli, »weil man in den Fabriken zu wenige Stunden pro Tag und zu wenige Tage im Jahr arbeitet«.
Im letzten Jahr, rechnete Manca vor. arbeiteten die Pirelli-Leute nur 216 Tage, die Beschäftigten des deutschen Tochterunternehmens Veith-Pirelli dagegen 246 Tage. In einer Achtstunden-Schicht wurden bei Veith im Schnitt 6,45 Stunden, bei Pirelli nur 5,45 Stunden effektiv gearbeitet. Resultat: Die Deutschen produzierten 30 Prozent mehr, »bei ihnen sanken die Herstellkosten pro Kilo Reifen«. Veith verbuchte 1975 Gewinn, Pirelli hohe Verluste.
Daß solche Rechnungen Eindruck machen, ist kaum anzunehmen. Die Vorliebe für immer mehr halbe und ganze Ruhe-Tage hat »offenbar die Kraft einer Volksbewegung« (so ein Funktionär der Staatsholding Iri). Überdies sind Hunderttausende Italiener ohnehin überaus fleißig -- nur nicht in der eigenen Firma. Sie haben einen Zweitjob, um ihre Einkünfte aufzubessern. In einer Turiner Fabrik meldete sich der Schlosser Rossi telephonisch ab. Er sei krank. Doch eine Stunde darauf traf der Personalchef den Maladen wieder: Rossi verkaufte Eis vor dem Fabriktor.
Besonders verbreitet scheint das System der Doppeljobs in Genua zu sein. Zahlreiche Angestellte großer Firmen betreiben dort nach Dienstschluß und wenn sie bei ihrem Unternehmen fehlen kleine Läden. Die betreffende Ladenstraße hat den Spitznamen »Via degli assenti« (Straße der Abwesenden).
Höher noch als in den Privatunternehmen ist die Abwesenheitsquote in den Behörden. In den Büros der römischen Ministerien fehlt oft jeder dritte Beamte. Und auch wenn die Beamten kommen, muten sie sich keine großen Strapazen zu.
So dauert die Arbeitszeit in den Ministerien zwar theoretisch von 8 bis 14 Uhr (sechsmal die Woche), doch längst hat es sich eingebürgert, daß ein Großteil der Bürokraten erst um 8.30 Uhr kommt und dafür schon um 13.30 Uhr das Amt verläßt. Zwischen zehn und elf Uhr pflegen die Ministerialbediensteten Espresso zu trinken. Wer zu dieser Zeit anruft, bekommt vom Sekretariat zu hören: »Der Dottore ist in einer Versammlung, versuchen Sie"s in einer Stunde noch mal.«
Am besten allerdings stehen die Chancen nach Dienstschluß. Gegen 17 Uhr nämlich kehren Tausende von Staatsdienern nach erholsamer Siesta in ihre Büros zurück.
Nicht Arbeitswut oder Pflichtgefühl drängt die Beamten an ihren Schreibtisch, sondern ihr ungebrochener Erwerbstrieb: Nach offiziellem Dienstschluß nämlich werden »straordinari« (Überstunden) abgerechnet.