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VIETNAM / MONSUN-OFFENSIVE Halbzeit überstanden

aus DER SPIEGEL 36/1965

Los, Leute, wir sind Marine-Infanteristen, auf mit euch«, rief ein junger Unteroffizier zum Angriff. Als er aus seinem Schützenpanzer sprang, traf ihn eine Kugel zwischen den Augen.

Die »Operation Starlight«, vorletzte Woche auf der südvietnamesischen Halbinsel Van Tuong ausgefochten, war Amerikas schwerste Schlacht seit dem Ende des Koreakrieges. Sie endete mit einem Sieg.

5000 Mariner mit Panzern und Sturmgeschützen standen 2000 im Dschungel versteckten Vietcong gegenüber, die zum Angriff auf den US-Luftstützpunkt Chu Lai aufmarschiert waren. Erst schossen die gut getarnten Partisanen über ein Dutzend Hubschrauber ab und kaperten einen US-Nachschub-Konvoi.

Daraufhin forderten die Ledernacken Luft-Unterstützung an. Wenige Minuten später stießen »Phantom«-Überschalljagdbomber und »Skyhawk«-Bomber auf die Vietcong-Stellungen nieder und deckten die Partisanen mit über 100 000 Kilo Spreng-, Napalm- und Phosphorbomben ein.

»Die Leichen des Feindes hingen zerstückelt in den Bäumen oder lagen verkohlt in den Gräben und Höhlen«, beschrieb »Time« die Bomben-Wirkung.

Der Rest war Routine. Die Mariner zählten anderntags (bei 50 eigenen Toten und 150 Verwundeten) über 600 tote Partisanen. 100 Vietcong wurden gefangengenommen.

Die Schlacht bei Chu Lai war die bisher schwerste Schlappe der Kommunisten im siebenjährigen Vietnamkrieg. Sie war aber nur einer der vielen verlustreichen Nackenschläge, die kommunistische Guerillas durch Tag- und Nachteinsätze der US-Luftwaffe in den letzten Monaten einstecken mußten.

Die Kommunisten hatten in der Monsunzeit (von Juni bis Oktober), die weite Teile Vietnams in Sumpf und Wasserwüste verwandelte, den entscheidenden Durchbruch des Krieges geplant: Sie wollten das zentralannamitische Hochland erobern und Südvietnam damit in zwei Teile zerschneiden. Von der Hochland-Bastion aus wäre zuerst der abgeschnittene Norden des Landes leichte Beute der Guerillas geworden. Sie hätten dann eine Gegenregierung auf südvietnamesischem Boden ausgerufen.

»Wir werden die Amerikaner schlagen, ob 50 000 oder 500 000 kommen«, hatte das Vietcong-Zentralkomitee vor dem großen Regen verkündet. Nordvietnams Verteidigungsminister, General Giap, Sieger von Dien-Bien-Phu, hatte den Endsieg noch für 1965 prophezeit.

Die amerikanischen Bomber und Kampfflugzeuge vereitelten den kommunistischen Plan. Trotz des Regens flogen sie bis zu 400 Einsätze pro Tag. Sie griffen sofort überall dort ein, wo sich stärkere Vietcong-Verbände für einen größeren Schlag massierten.

Neue Techniken machten die Angriffe immer wirksamer. Die USA warfen Schrapnell-Bomben, deren Stahlregen auf weite Dschungelflächen prasselt. Den Überschall-Kampfflugzeugen, die kleine, getarnte Dschungel-Ziele kaum ausmachen können, flogen Spezial-Aufklärer voraus, die lohnende Objekte mit Rauchfahnen markierten.

Selbst in ihren sichersten Schlupfwinkeln wurden die Kommunisten getroffen: Für konventionellen Einsatz umgebaute Atombomber des Typs B-52 flogen von Guam und Okinawa an und belegten die Vietcong-Refugien mit Bombenteppichen. Sie überraschten den Gegner durch Angriffe in zwei Wellen. Nach dem ersten Angriff verließen die

Vietcong ihre Höhlen und liefen in die Bomben der zweiten Welle.

In den letzten zwei Wochen verloren die Partisanen hauptsächlich durch Luftangriffe über 2000 Tote. Seit Beginn des Jahres sind nahezu 30 000 Guerillas gefallen.

Die hohen Verluste haben den Siegesglauben der Kommunisten untergraben. Bei dem im Hochland gefallenen Vietcong-Polit-Offizier Nguyen Chanh Ngoc fanden die Amerikaner einen Brief, in dem der Kommunist über den Zerfall seiner Truppe durch Bomben, Hunger und Krankheit klagte.

»Die Flugzeuge beschießen und bombardieren uns unentwegt - und wir können nichts dagegen tun«, schrieb der Offizier. »Die Lage ist hart, zu hart, zu ernst und zu schwierig.«

Anfang August, als sich der Mißerfolg der Monsun-Offensive abzuzeichnen begann, entschloß sich die Vietcong-Führung zu einem dramatischen Schritt: Erstmals seit Beginn des Vietnamkrieges vor sieben Jahren bat das »Befreiungskomitee« der Kommunisten Nordvietnam öffentlich um die Entsendung von Waffen und Soldaten.

Ende August - nach dem Desaster bei Chu Lai und einer verlorenen Schlacht im Hochland - mußten die Vietcong-Befehlshaber die Monsun-Offensive in der Halbzeit abbrechen. Sie wurden von der begonnenen dritten Phase des revolutionären Krieges - dem Angriff in großen Formationen - wieder auf die zweite zurückgezwungen: vereinzelte Überfälle und Sabotageakte.

»Die Meldungen von einem militärischen Erfolg in Vietnam haben«, schrieb die »New York Times« letzte Woche. »das Rätselraten verstärkt, das Washington in diesem Sommer beschäftigt: Warum verläuft der Vietnamkrieg nicht so schlecht wie vorausgesagt?«

Gefallene Vietcong, südvietnamesische Soldaten im Monsun-Regen: »Warum verläuft der Krieg nicht so schlecht wie vorausgesagt?«

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