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TERRORISMUS Hals über Kopf

Mord an einem jugoslawischen Konsul in Frankfurt, Mordversuch an seinem Kollegen in Düsseldorf: Belgrad gibt Emigranten die Schuld -- und auch der Bonner Regierung. Doch die Spuren enden in Jugoslawien.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Für Jugoslawiens Vizekonsul in Düsseldorf, Vladimir Topic, 41, begann die letzte Juniwoche mit einem Abenteuer: Kurz vor Betreten des Konsulats in der Lindemannstraße drückte ihm ein Landsmann den Lauf eines Revolvers an den Hinterkopf.

Doch Topic reagierte blitzschnell: Er stieß den Attentäter zurück und flüchtete. Konsulatstreue jugoslawische Gastarbeiter ernannten Topic daraufhin zum »Helden": Die Zigarette, die der Jugo-Diplomat wie ein Westernstar während der Rangelei fest in den Zähnen hielt, wird seitdem von der Konsulats-Portiersloge wie eine Reliquie gehütet.

Einer der beiden Täter, der kroatische Student Pavle Perovic, war 1974 im Auftrag des jugoslawischen Geheimdienstoffiziers Ilija Grujic in die Bundesrepublik gekommen, um hier titoistische Emigranten zu observieren und notfalls zu kompromittieren.

Wie immer Perovic zum Zeitpunkt des mißglückten Attentats zum jugoslawischen Geheimdienst stand: Es ist ihm gelungen, Titos Feinde in der Bundesrepublik in ein zweifelhaftes Licht zu tauchen. Bonns Botschafter in Belgrad, Jesco von Puttkamer, wurde vorgeladen und wieder auf die schwerwiegenden Folgen für die westdeutsch-jugoslawischen Beziehungen aufmerksam gemacht, sollte die Bundesrepublik nicht endlich energische Schritte gegen alle Gegner Titos einleiten.

Dabei geht es Belgrad weniger um polizeiliche Maßnahmen gegen etwaige Terroristen als um eine »politische Aktion« mit dem Ziel, den rund 12 000 kroatischen und anderen jugoslawischen Emigranten »einfach jede Tätigkeit unmöglich zu machen«.

Tito hat Grund, den Einfluß dieser Emigranten zu fürchten: Sie bewegen sich wie Fische im Wasser unter den 1,4 Millionen jugoslawischen Gastarbeitern im westlichen Ausland, davon rund 600 000 in der Bundesrepublik.

Der patriarchalischen Fürsorge Titos, 84, entzogen, lernen sie dort nicht nur Freiheiten kennen, die Tito für überflüssig hält, sondern auch die Gedanken der emigrierten Opposition. Prallt diese derart angesteckte Arbeitermasse eines Tages in der Heimat in das ideologische Vakuum und die unstabile Lage. die Tito hinterlassen wird, könnte es eine Explosion geben.

Kroatische Separatisten werben unter den Gastarbeitern für die Auflösung der staatlichen Einheit Jugoslawiens, albanische Nationalisten für ein neues Groß-Albanien, Mazedonier für einen eigenen Staat oder den Anschluß an Bulgarien, Demokraten für freie Wahlen, moskautreue Kommunisten für Jugoslawiens Eintritt in den Warschauer Pakt.

Insgesamt zählte Jugoslawiens Geheimpolizei rund 1100 solcher Gruppen im Westen. Von der jugoslawischen Gegenpropaganda werden sie pauschal als »faschistisch«, alle titofeindlichen Kroaten als »Ustascha« bezeichnet: Die Ustascha-Bewegung kollaborierte während des Weltkriegs II mit den Achsenmächten und verübte in ihrem kurzlebigen »Unabhängigen Staat Kroatien« grausame Verbrechen.

Das war vor über 30 Jahren. Die Altführer der Emigration, oft aus jener Zeit kompromittiert, sterben aus, und nicht immer freiwillig. Einer nach dem anderen fällt geheimnisvollen Mordanschlägen zum Opfer:

In Belgien wurde der serbische Exilpolitiker Blagojevic ermordet, in München der Exilredakteur Ljotic erwürgt, in Italien die aus Baden-Württemberg angereiste Kroatenfamilie Sevo bis aufs letzte Glied niedergeschossen. In Spanien erstach man Exilredakteur Luburic. In Klagenfurt wurde unter mysteriösen Umständen der kroatische Exil-Aktivist Martinovic umgebracht und in Paris sein Gesinnungsgenosse Sarac niedergemäht. Als im Dezember des letzten Jahres der in Schweden lebende Titofeind Mikulic vor seiner Garage erschossen wurde, war dies bereits das siebte Mordopfer in den Reihen der kroatischen Exilbewegung Westeuropas allein im Jahr 1975.

Jahrelang behauptete die jugoslawische Propaganda, diese Mordserie sei das Resultat »interner Auseinandersetzungen unter den Emigranten«, doch im Fall Mikulic hatte man Pech: Der Täter. Irfan Kubura, wurde gestellt.

Staatsanwalt Brynolt Wendt: »Wie wir die Sache sehen, war der 38jährige ein bestellter Mörder. Der Preis für die Lösung seiner Aufgabe waren 20 000 Dollar. Man versprach ihm eine Vierzimmerwohnung und einen guten Arbeitsplatz.« Noch eindeutiger das sozialdemokratische Organ »Arbetet": »Ein Mord auf Bestellung Titos.«

Anlaß, hinter der Mordserie eine Polit-Mafia vom Balkan zu sehen, haben auch andere Polizeidienststellen: In Pa-

* Festnahme des Mörders Princip (2. von rechts)

ris schilderte der Gastarbeiter Trbic unter Eid, wie er von der jugoslawischen Geheimpolizei für den Mord an dem Exil-Serben Blagojevic angeworben und ausgebildet worden sei. Er mordete nicht, dafür aber kurz darauf ein anderer.

Vergebens bittet Schwedens Polizei schon seit langem um die Auslieferung des Mörders Sop-Djokic: Ihm fiel der Exilaktivist Cubrilovic zum Opfer. Doch während Interpol nach ihm fahndete, wohnte er unbeschadet in einem Beigrader Hochhaus. In Amsterdam wurde soeben der Jugoslawe Slobodan Mitric wegen dreifachen Mordes zu 18 Jahren Freiheitsentzug verurteilt: Auch er gab an, im Auftrag des jugoslawischen Geheimdienstes gekillt zu haben.

Belgrads Presse versuchte, ihn als völlig unpolitischen Kriminellen darzustellen, der unter dem Schreckensnamen »Bobby Karate« Gastarbeiter einschüchterte: Doch zu welchem Zweck nahm Mitric in Brüssel dann Kontakt zum prominentesten linken Tito-Gegner, Oberst Vlado Dapcevic, auf? Dapcevic entkam dem Mitric, wurde von Jugoslawiens Geheimpolizei aber aus Bukarest entführt und vorletzte Woche in Belgrad zum Tode, dann ersatzweise zu 20 Jahren Kerker verurteilt.

Jugoslawiens Kommunisten haben zum individuellen Terror immer ein enges Verhältnis gehabt: Die Mörder des Erzherzogs Franz Ferdinand werden in Jugoslawien gerade durch einen neuen Film über »Das Attentat von Sarajevo« glorifiziert. 1921 warfen Kommunisten eine Bombe auf den Regenten Alexander, der gerade den Verfassungseid abgelegt hatte: Zehn Bürger und Soldaten wurden verletzt, drei kommunistische Abgeordnete verhaftet, aber der zukünftige König entkam.

Im selben Jahr organisierten Kommunisten zwei Attentate auf den jugoslawischen Innenminister Milorad Draskovic. Das zweite gelang, führte allerdings auch zum Betätigungsverbot für die Kommunisten. Und 1928 wurde Josip Broz in Zagreb verhaftet: mit einer Bombe unter seinem Bett. Der Delinquent nannte sich, bis heute, »Tito« (womöglich eine Abkürzung für »Geheime Internationale Terroristische Organisation").

Während des Zweiten Weltkrieges sorgten Partei-Terrorgruppen wie die »VOS« in Slowenien für die »Hinrichtung« politischer Gegner; heute koordinieren Geheimdienste wie »SDB« (Staatssicherheitsdienst) und »KOS« (Gegenspionage) ihre Aktivitäten im In- und Ausland. Sie stützen sich auf cm neues System des »allgemeinen gesellschaftlichen Selbstschutzes«, das jeden jugoslawischen Bürger, ganz gleich wo er lebt, zur Hilfe der Unschädlichmachung von Tito-Gegnern verpflichtet.

Als Werkzeuge bieten sich daher oft Gastarbeiter an, die bei Heimaturlauben von Geheimdienst-Funktionären angeworben werden: Selbst kleine, lokale Dienststellen wie etwa die in Mostar entsenden ganze Expeditionen kollaborationswilliger Gastarbeiter in den Westen, um dort Kollegen zu bespitzeln, in Exilorganisationen einzudringen, Feinde unschädlich zu machen. Oft, so gab selbst das Belgrader Nachrichtenmagazin »Nin« zu, weiß die eine Hand nicht, was die andere tut.

Die Opfer des Geheimkrieges auf deutschem Boden finden sich daher fast ausschließlich auf seiten der Gegner Titos: Allein die Kroaten verloren in der Bundesrepublik zwölf Aktivisten. Zumindest einer der Mörder ist bekannt: Jozo Cvitanovic, der den Exilkroaten Simundic umbrachte und heute unangefochten in Jugoslawien lebt. Auslieferungsbegehren der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wurden nicht beantwortet.

Während Titos Gegner im Westen in begründeter Panik leben, behauptet Belgrads Propaganda nach wie vor, die eigentlich Gefährdeten seien Titos Diplomaten in Westdeutschland.

In der Tat wurde 1966 in Stuttgart der jugoslawische Konsul Milovanovic erschossen. Der junge Täter, Franjo Goreta, schilderte dem Gericht, wie er zu dieser Tat gekommen war: Er feuerte auf den Konsul, nachdem ihm dieser den unannehmbaren Auftrag gegeben hatte, drei Tito-Gegner zu ermorden.

Seine Weigerung hatte drei Tito-Gegnern das Leben gerettet, aber nicht für lange: Innerhalb von zwei Jahren wurden alle drei Opfer mysteriöser Mordanschläge.

1969 stürmte, um sich schießend, ein Gastarbeiter in die West-Berliner jugoslawische Militärmission und verletzte Chef Kolendi c Der schrieb jüngst in seinem Buch »Das Attentat« die geistige Urheberschaft einem Westberliner Caritas-Direktor, CDU-Vizevorsitzenden und Handelskammerpräsidenten von Pillnitz zu: Dieser Herr (den es nicht gibt) habe vom Erzbischöflichen Ordinariat den Auftrag erhalten, den Kirchensteuer-Gegner Kolendi c »zu bestrafen oder zu beseitigen«.

Als im Februar dieses Jahres der jugoslawische Vizekonsul in Frankfurt am Main, Edvin Zdovc, seine Garagentür schloß, fielen abermals Schüsse: Der schwergewichtige Slowene war auf der Stelle tot. Obgleich das Bundeskriminalamt eine Spezialkommission einsetzte und für die Ergreifung der Täter 25 0(11) Mark aussetzte. konnten die Mörder nicht gefunden werden.

Eine von den Jugoslawen schon vorher eingereichte Liste mit 200 »Verdächtigen« erwies sich als unbrauchbar: Sie war eine simple Aufstellung aller führenden Kritiker des Tito-Regimes im Westen. Nur Jugoslawiens Propaganda kannte die Täter sofort: Hinter dem Attentat stünden »organisierte kroatische und serbische Emigranten«.

In ganz Jugoslawien wurden Resolutionen verfaßt, in denen nicht nur die Auslieferung der unsichtbaren Täter, sondern ganz allgemein »das Verbot aller anti-jugoslawischen Aktivitäten auf dem Territorium der Bundesrepublik« verlangt wurde. Eine slowenische Schulklasse forderte, »daß die deutsche Polizei die Emigrantengruppen endlich auseinanderjagt«, eine Zeitschrift verlangte gar die Schließung von Balkangrills, in denen sich »verdächtige Elemente« versammeln. Als sich Bonn weigerte, über alle in der Bundesrepublik lebenden Jugoslawen den Ausnahmezustand zu verhängen, wurde das BKA verdächtigt, »lieber Jagd auf Wölfe im Bayerischen Wald als auf Ustascha-Terroristen« zu machen; das in Frankfurt am Main gedruckte kommunistische Parteiorgan »Vjesnik« behauptete, »nicht nur einige Polizeifunktionäre. sondern auch einige Politiker« seien an der Aufklärung des Mordes desinteressiert.

Denn, so der slowenische »Delo": In der Bundesrepublik schwappt eine »Woge des Neofaschismus«. Radio Zagreb schlug vor, den Fall »mit aller Entschiedenheit dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen«.

Der wichtigste Zeuge in der Mordsache Zdovc indes war den Jugoslawen gut bekannt. Doch obgleich Lojze Krakar, einst selbst Opfer der Tito-Justiz, später wieder linientreuer Dozent an der Frankfurter Universität, noch in der Nacht vor dem Mord mit Zdovc gezecht hatte, meldete er sich nicht.

Gerade seine Aussage aber wäre von großem Wert gewesen: Denn von irgendwem mußten die Mörder doch erfahren haben, daß Zdovc am arbeitsfreien Samstagmorgen sein Haus verlassen und ins Konsulat fahren würde.

Als das BKA dem Dozenten auf die Spur kam, reagierte Krakar überraschend: Er floh Hals über Kopf. In einem Telegramm an Zimmerwirtin Altmutter in Sachsenhausen teilte er nur noch mit, er werde nicht wieder nach Frankfurt zurückkehren: Das Zimmer sei zum 30. Juni gekündigt; die hinterlassenen Sachen inklusive Zahnbürste möge man gebündelt in einem Keller verwahren.

Das Telegramm kam aus Ljubljana, Jugoslawien.

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