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»Halte den Mund und geh hinter mir«

Angeblich ist sie »keine voll entwickelte Persönlichkeit« und findet »ihren gottgegebenen Platz« deshalb in Küche und Kinderzimmer -- lehrt ein japanisches Schulbuch über die Japanerin. Unternehmer betrachten sie als »Arbeitnehmer zweiter Klasse«, sie hat kaum Aufstiegschancen. Der Industriestaat Japan ist immer noch ein »Männerparadies«. Die Frau gilt, wie seit Jahrhunderten, vor allem als Wertobjekt auf dem Heiratsmarkt.
aus DER SPIEGEL 51/1979

Die Frau soll zu ihrem Mann aufschauen, als ob er der Himmel selbst wäre.

Ekken Kaibara (1630 bis 1714), japanischer Moralphilosoph

Das Gesinde des Herrn Mild hatte

an diesem Abend nichts zu lachen: Norihei Mild, 55, hochgeschätzter und -bezahlter Komiker-Star, gab in seiner ganz unjapanisch geräumigen Villa in Tokio eine Party; seine Klassenfreunde aus guter Zeit waren geladen zu Hummer und Hähnchenschenkeln.

Einige der alten Kameraden hatten ihre Frauen mitgebracht, andere den Schwiegersohn. Eine große Familienfeier fast war?s, mit dem ausgelassen heiteren Mimen als unbestrittenem Mittelpunkt.

Doch in Abständen von wenigen Minuten knickte Mikis überbordende Fröhlichkeit immer wieder ein, wenn er mit barschen, rüde hingeknurrten Worten das Personal anfauchte, auf leere Gläser und Teller der Gäste wies.

Die Dienerschaft -- zwei Männer, eine Frau -- hockte abseits der Tafel an der Tür, ängstlich darauf bedacht, ja keinen Wink ihres Herrn zu übersehen. Besonders die Frau, mittleren Alters, unscheinbar in grauem Pullover und verwaschener Kittelschürze, tat sich durch schweigsam-verbissene Dienstbeflissenheit hervor.

Sie aber war es dann, die zu Ende der Feler gegen Mitternacht jeden einzelnen Gast mit ausgesucht tiefer Verbeugung verabschiedete, ihm fürs. Kommen dankte, selbst nur bestenfalls ein flüchtig hingeworfenes Danke abbekam: Die verhuschte Dienerin war Frau Mild.

Wohl nur der eine ausländische Gast der Party sah die Degradierung der Dame des Hauses zur stummen Serviererin nicht als selbstverständlich an. Für die Japaner, sie waren alle schon etwas älter, war?s gewöhnlicher Ehealltag, Alltägliches.

Wenig zu lachen hatte auch Hiroko Sato aus Yamaguchi während ihrer langjährigen Ehe. Vor einiger Zeit bekannte sie in der Presse: »In den frühen Ehejahren hatte ich es oft schwer, mit dem Haushaltsgeld auszukommen, weil mein Mann fast die Hälfte seines Gehaltes für Geishas ausgab. Oft mußte ich mein Geld über den Pfandleiher beziehen. Mein Mann hat sich nie viel mitgeteilt. Er hat mich oft geschlagen, denn er ist eben kein Mann, der seine Zuneigung in Worten ausdrücken kann.«

Der schlagkräftige Haustyrann war Eisaku Sato, der 1975 verstorbene ehemalige Ministerpräsident Japans und Friedensnobelpreisträger.

Entrüstung in Nippon über das Verhalten des prominenten Japaners? Nein, Szenen lediglich einer durchschnittlichen Ehe. Auch Satos Nachfolger als Premier, Kakuei Tanaka, gestand öffentlich, daß er seine Frau schlage. Acht von zehn Japanern halten das für richtig, für Alltägliches.

Gut lachen hingegen hat Masashi Sada, 27, Sänger und Komponist. Mit dem »Lied, auf das alle Männer gewartet haben« ("Asahi Evening News"), erklomm er vergangenen Sommer im Eiltempo Spitzenplätze der Hitparade, belegte er monatelang Plattenplatz eins.

»Dein Herr und Meister verkündet« heißt der Erfolgssong, der eine ungenannte Braut Mores lehrt: »Ich möchte dir etwas sagen, eh? du meine Frau wirst«, singt Sada in bester Macho-Manier, »gehe nie früher zu Bett als ich. Stehe nie später auf als ich. Koche immer nur Gutes für mich.«

Vor allem aber: »Halte den Mund und geh hinter mir.«

Sadas Manager, Noriyasu Anzai, räumt ein, wegen dieses Liedes Hunderte wütender Anrufe und Briefe von Frauen erhalten zu haben. Doch das sei eine Minorität, behauptet er gleichwohl, die Mehrheit weiblicher Stellungnahmen sei positiv; immer wieder heiße es, »Dank dafür, daß Sie offen gesagt haben, wie es sein sollte«.

So sollte es sein? Erniedrigt, geschlagen, hintangestellt? Dann wäre also tatsächlich die Japanerin ein willenloses, dem Manne gänzlich ergebenes Geschöpf? Dann wäre wohl immer noch wahr, was das Frauenblatt »Brigitte« einst befand: Die Japanerin möchte im Leben »vor allem niedlich sein«.

Dann wäre gar pathetisch verlogen, was das Tokioter Arbeitsministerium Anfang dieses Jahres in seinem Bericht zur »Stellung der Frau in Japan 1979« schrieb: »Die japanische Gesellschaft hat viele einschneidende Wandlungen erfahren, eine davon ist die von den Frauen erreichte Freiheit und Gleichheit.«

Auf dem Papier, ja, da stehen Freiheit und Gleichheit als Verfassungsgrundsätze. Das Gesetz sagt, niemand dürfe seines Geschlechts wegen diskriminiert werden -- doch berufstätige Frauen erhalten im Industriestaat Japan durchschnittlich nur knapp 60 Prozent des Lohnes ihrer männlichen Kollegen. Die Verfassung schreibt vor, daß die Ehe »nur auf die gegenseitige Zustimmung der beiden Geschlechter gegründet werden« darf -- doch mehr als ein Drittel aller Ehen werden in Japan noch heute durch Eltern und Makler vermittelt.

Und weiter: Dem Gesetz nach müßte die Pensionsgrenze für Frauen mit der für Männer gleich sein: Ausscheiden aus dem Betrieb mit 60 Jahren. Aber viele Unternehmen, auch große, verordnen den Frauen das Ende ihrer Karriere schon mit 30 Jahren, spätestens jedoch bei Geburt des ersten Kindes.

Nicht nur die Männer, auch Frauen können sich scheiden lassen, ein Recht, das mit den amerikanischen Besatzern bei Kriegsende kam -- die Quote ist dennoch gering: Die japanische Frau hat nämlich weder in der Ehe noch nach der Scheidung einen einklagbaren Unterhaltsanspruch.

Die Herren andererseits können sich ihrer Lebensgefährtin relativ leicht entledigen, schon wenn?s im Großfamilienverband nicht so recht harmoniert: Fast 15 Prozent der in jüngerer Zeit geschiedenen Japaner nannten als Scheidungsgrund Streitsucht ihrer Frau und Ungehorsam -- den Schwiegereltern gegenüber.

Schließlich: In Großkonzernen und staatlichen Unternehmen stellen die Frauen gut ein Viertel aller Arbeitskräfte, lediglich 0,3 Prozent der Referatsleiter ("Kacho") oder der höheren Angestellten sind weiblich. Noch trostloser: Nach Erhebungen des Arbeitsministeriums vom vorvergangenen Jahr sieht mehr als die Hälfte der japanischen Firmen für Arbeitnehmerinnen überhaupt keine Beförderung vor.

Gegenüber den lebenslang angestellten, entsprechend von Jahr zu Jahr nach dem Senioritätsprinzip höher bezahlten Männern Nippons fallen die Frauen unweigerlich ab. Denn das Prinzip der Lebensanstellung und die. dadurch bedingte absolute Firmenloyalität -- wichtiger Faktor in Japans Wirtschaft -- führte zu fast totaler Immobilität und gilt für fast jeden Mann, aber für fast keine Frau.

Warum überhaupt sollte eine Japanerin arbeiten? Schließlich hat sie »Ihren gottgegebenen Platz« zu Hause bei den Kindern, da sie ja »in vielen Fällen keine voll entwickelte Persönlichkeit« ist, wie es in einem Schulbuch heißt.

Edwin Reischauer, Japanologe und Diplomat, ehedem US-Botschafter in Tokio, urteilt milde: »Obgleich die Frauen in Japan eine Position einnehmen, die derjenigen der Frauen im Westen vergleichbarer ist als der Position der stark unterdrückten Frauen in den meisten islamischen Ländern, sind doch Ausprägungen von männlichem Chauvinismus in Japan offenkundig.«

In diesem »Männerparadies« ("Newsweek") hat es natürlich immer wieder Frauen gegeben, die aus ihrem gesellschaftlichen Getto auszubrechen suchten -- die Suffragette alter Schule etwa, Fusae Ichikawa, die heute noch, 84, als Oberhausabgeordnete für ihre Geschlechtsgenossinnen streitet.

Aber es ist ein sanfter Protest, der nichts erzwingen, nichts radikal umkrempeln will. So wird die »Feminist«-Bewegung in Tokio angeführt von der schöngeistigen Poetin Ikuko Atsumi, die mit Gedichten »ein neues Bewußtsein, bei Frauen wie Männern, schaffen« will -- und gleichzeitig einräumt, daß »die Japanerin auch in 50 Jahren nicht den Status der Europäerin oder Amerikanerin erreicht« haben wird.

Ausgerechnet in der Zeitschrift »Feminist«, Sprachrohr der angeblichen Emanzipationsbewegung, können die Japanerinnen nachlesen, daß die überwältigende Mehrheit von ihnen mit ihrem Schicksal zufrieden ist. »Feminist«-Herausgeberin Atsumi kategorisch: »Der Platz der japanischen Frau ist im Haus.«

Bei soviel Bescheidung ist klar, daß Konventionen sprengende Emanzen kein Betätigungsfeld finden und von den Frauen selbst abgelehnt werden.

Besonders harsch bekam das Misako Enoki zu spüren, streitbare Führerin der mittlerweile aufgelösten »Frauenbefreiungsliga« (Chupiren), von deutschen Journalisten voreilig »Japans Alice Schwarzer« getauft.

Vor zweieinhalb Jahren gründete sie Japans erste »Frauenpartei«, die für gerechte Scheidungsgesetze, Steuererleichterungen und bessere Berufschancen kämpfen wollte. Sie hoffte auf zehn Parlamentssitze, bekam aber nur 0,4 Prozent der Stimmen.

Da mußte Misako Enoki dann eine schwere Entscheidung fällen: Mit ihrem Mann, einem Arzt, der ihr die nötigen 17 Millionen Yen (150 000 Mark) für den Wahlkampf geborgt hatte, war sie übereingekommen, sich bei einem Mißerfolg ihrer Partei entweder von ihm oder der Frauenbewegung zu trennen.

Misako Enoki wählte japanisch: Sie kehrte an den heimischen Herd zurück.

Aber: »Die Stellung der japanischen Frau in der Gesellschaft«, schreibt der deutsche Ex-Diplomat Hans Schwalbe, langjähriger Kulturattaché in Tokio, »kann man nicht nach dem beurteilen, was noch nicht erreicht ist, sondern nur nach dem, was bereits geändert wurde.«

Wie auch die japanische Soziologin Chie Nakane meint, mußten die Frauen »ja bei Null anfangen. Frauen haben bei uns früher nie eine Rolle gespielt, ihnen ging es sogar schlechter als in Indien oder China«.

Dabei hatte im fernöstlichen Inselreich ursprünglich die Frau den Ton angegeben. Bis in finstere Mythen läßt sich ein klarer matriarchaler Zug rückverfolgen: Heute noch oberste Gottheit im schintoistischen Pantheon ist die Sonnengöttin Amaterasu, die Gebärerin der japanischen Inseln und Urahnin der Kaiserdynastie.

Historisch Verbürgtes klingt profaner: »Früher hatten die Japaner Könige«, heißt es in alten chinesischen Schriften, »aber nach Jahren des Bürgerkriegs einigten sie sich auf eine Frau namens Himeko als ihren Souverän.« Bis etwa zum Ende des ersten Jahrtausends waren Herrscherinnen in Japan nichts Außergewöhnliches, waren sie sogar erwünscht.

Frauen auch bestimmten das Leben bei Hofe; Männer führten kaum mehr als ein Drohnendasein. Kunst, Kultur allgemein: Frauensache. Die bedeutendsten Werke der frühen japanischen Literatur schufen sie. Sogar Japans älteste Chronik und Mythensammlung, das »Kojiki« aus dem achten Jahrhundert, wurde von einer Kaiserin in Auftrag gegeben, von einer Frau geschrieben -- was gelehrte Männer bis in jüngste Zeit fortzudiskutieren suchten.

Doch im Mittelalter stieg dann allmählich die Kriegerkaste der Samurai auf und ließ eine undurchlässige Gesellschaftsordnung entstehen, in der jeder seinen festen Platz hatte. Fortan galt nur noch der unbedingte Gehorsam dem Nächsthöheren gegenüber. Diese Samurai-Gesellschaft wirkt in vielen Bereichen noch heute nach. »Wir sind immer noch eine insulare, feudalistische, vertikale Gesellschaft«, klagt die Alt-Suffragette Ichikawa.

Neben dem feudalistischen Zwang war es vor allem ein geistiger Import, der den Japanerinnen auch den letzten Rest sozialer und persönlicher Eigenständigkeit nahm: die konfuzianische Philosophie.

Der Konfuzianismus, Produkt der patriarchalischen, männerbeherrschten Gesellschaft Chinas, war frauenfeindlich bis frauenverachtend. So etwa hatte der alte Weise eine strikte Geschlechtertrennung in fast allen Bereichen dekretiert -- nicht nur sollten die Mädchen mit spätestens sieben Jahren nicht mehr bei Jungen sitzen, sie sollten sich auch in ihrer Sprache deutlich abgrenzen.

Zwar sitzen die Geschlechter heute in Japan einträchtig zusammen, in Schule, Universität und Beruf, aber die sprachliche Trennung ist geblieben. Der Frau erlaubt ihre Sprache lediglich, von ihrem Mann als »shujin«, »Herr«, zu sprechen; der Japaner nennt seine ihm Angetraute Dritten gegenüber schlimmstenfalls »gusai« ("blödes Weib"), bestenfalls schlicht »kanai« ("die im Haus").

Nach der konfuzianischen Lehre hatte eine Frau ihr Menschsein ausschließlich als Garantin der Familienfortführung zu finden, dabei natürlich in totaler Unterwürfigkeit vor dem Mann zu verharren. So war es selbstverständlich, daß die Erziehung für Mädchen allein auf Ehefähigkeit ausgerichtet blieb.

Vor allem in der feinen Gesellschaft der Städte war die Frau schon im 17. Jahrhundert zur willenlosen Handlangern und Gespielin der Männer herabgesunken. Denn schließlich konnte eine Tochter, wenn sie verheiratet wurde, wichtige Bande zwischen zwei Familien knüpfen. Sie wurde also mit größter Sorgfalt aufgezogen, um ein ansehnlicher und unbefleckter Wertgegenstand auf dem Heiratsmarkt zu werden. Von der Ehefrau wurde dann aber erwartet, daß sie sich selbstlos das Wohlergehen der Familie ihres Gatten zu eigen machte -- gewöhnlich unter der sehr strengen bis bösartigen Aufsicht der Schwiegermutter.

Außerfamiliäre gesellschaftliche Kontakte wurden für die verheiratete Frau als unnötig betrachtet, galten gar als potentiell gefährlich. Die Ehe war das Ergebnis von Familienbedürfnissen, sie erwuchs keineswegs aus gegenseitiger Zuneigung junger Leute, die sich ja auch vor der Trauung meist nicht zu Gesicht bekommen hatten.

Klassische japanische Gattenliebe wird als beispielhaft noch in diesem Jahrhundert dargestellt; Schlußszene eines Kinofilms aus den 30er Jahren, der »Geschichte eines in das Meer der Leidenschaft geworfenen Samurai":

Nach jahrelangem Krieg in feindlichen Provinzen kehrt der Samurai heim, steigt vom Roß, läßt sich schweigend auf der Veranda seines Hauses nieder. Nach einer Weile kommt seine Frau heraus, sinkt auf die Knie, berührt mit der Stirn die Dielen: »Willkommen daheim.« Er, den Blick unverwandt aufs ferne Reisfeld gerichtet: »Bin zurück.« Pause. Dann sie, zaghaft: »Möchtet Ihr eine Tasse Tee?« Er, immer noch den Reis im Auge: »Ich will.« Crescendo? finis.

»Drei Männern hat die Frau in ihrem Leben untertan zu sein«, hatte der weise Konfuzius verkündet, »in der Kindheit ihrem Vater, in der Reife ihrem Mann und im Alter ihrem Sohn.«

Die Worte sind in Japan unvergessen. »Ich glaube nicht«, meint Ikuko Atsumi, Dichterin, Professorin und »Feminist«-Chefin, »daß noch viele Japanerinnen wissen, von wem die »Drei Gehorsamspflichten? stammen. Aber wirksam sind diese, besonders auf dem Lande, noch immer.«

Bei einer landesweiten Umfrage der Zeitung »Yomiuri Shimbun« vor wenigen Jahren gab fast ein Drittel der Befragten, Mädchen zwischen 16 und 25 Jahren, an, das Dreiergebot nicht nur zu kennen, sondern es auch »in gewissen Grenzen« für gut und richtig zu. halten.

In hohem Ansehen steht auch noch das Werk des Moralisten Ekken Kaibara, der die konfuzianische Frauenverachtung im 17. Jahrhundert vervollständigte und kodifizierte. Sein »Onna daigaku« ("Hohe Schule der Frauen") ist Basis für Diskriminierung bis in neueste Zeit. Kernsätze:

Es ist die Bestimmung eines Mädchens, wenn es Frau wird, in ein neues Heim zu ziehen und in Unterwerfung unter ihren Schwiegervater und ihre Schwiegermutter zu leben ... Das einzige, was einer Frau ziemt, sind sanfter Gehorsam, Keuschheit, Mildtätigkeit und Schweigen

Auch wenn es deinen Schwiegereltern gefallen sollte, dich zu hassen und zu quälen, sei ihnen nicht böse und murre nicht! ... Die fünf schlimmsten Krankheiten des weiblichen Geistes sind Aufsässigkeit, Unzufriedenheit, Geschwätzigkeit, Eifersucht und Dummheit. Zweifellos sind sieben bis acht von zehn Frauen von diesen fünf Krankheiten befallen; und daraus ergibt sich, warum Frauen minderwertiger als Männer sind.

In diesem Geist scheiterte noch 1932 ein politischer Vorstoß, den Frauen bürgerliche Rechte zu gewähren, am Veto des Oberhauses in Tokio.

Erst ein Ausländer, General Douglas MacArthur, oberster amerikanischer Besatzungsherr im 1945 besiegten, materiell und moralisch zerstörten Japan, versuchte sich in geschichtlicher Wiedergutmachung. Die Japanerin, »sanft, kultiviert und aufopfernd«, befand er, sei bislang »unfair behandelt« worden. In seiner »Direktive zur Demokratisierung« heißt es bündig: »Die japanische Frau, mit dem Wahlrecht ausgestattet und dadurch emanzipiert, wird ein neuer Teil des politischen Körpers.«

Bei den Parlamentswahlen im April 1946 wählten erstmals, kandidierten erstmals Frauen. Und auf Anhieb zogen 39 weibliche Abgeordnete ins Unterhaus ein -- wahrscheinlich auch, weil viele Japanerinnen glaubten, Frauen dürften nur für Frauen votieren.

Heute zählt das politisch wichtige Unterhaus des Parlaments nur mehr elf weibliche Abgeordnete, gegenüber 500 Männern. Und die Tendenz zeigt weiter abwärts.

Denn Gesetze konnte der amerikanische Besatzer erlassen, in die Verfassung gar ein rigideres Gleichheitsgebot der Geschlechter schreiben, als es viele westliche Demokratien kennen. Die Mentalität eines ganzen Volkes aber konnte er nicht ummodeln.

Daß die Frau, obwohl sie seit einigen Jahren Militärdienst leisten darf, nicht in die Politik gehört, sondern an den Herd daheim, daß sie ihre Erfüllung nicht im Büro findet, sondern im Kinderzimmer, daß sie dem Mann wenn nicht untertan, so doch aber zu Diensten sein soll-dies ist heute noch nach Ermittlungen der Regierung in Tokio die Überzeugung von 80 Prozent der japanischen Bevölkerung.

Da Berufsarbeit für die Frau nur eine Lückenbüßer-Funktion zwischen Schule und Ehe erfüllt, gehört Diskriminierung am Arbeitsplatz zum japanischen Alltag. Mit der Begründung, die Mädchen schieden ja doch bald wieder aus dem Betrieb aus, geben sogar Großunternehmen auch Universitätsabsolventinnen nur Jahresverträge. Damit sind die weiblichen Angestellten von den jedes Jahr automatisch fälligen Lohnsteigerungen ausgeschlossen. Für die junge Arbeitstätige lohnt sich keine aufwendige Spezialausbildung, meint das Gros der Unternehmensbosse. So sind Frauen bei unproduktiven Handlangerdiensten überrepräsentiert:

Masako Yamazaki, 25, aus Tokio etwa, kann auf ein abgeschlossenes Jurastudium verweisen. Seit drei Jahren arbeitet sie in einer Elektrogerätehandlung -- tagaus, tagein stempelt sie Formulare. Änderung ist nicht in Sicht. »In dieser Gesellschaft«, sagt sie resignierend, »scheinen Frauen nicht voranzukommen.«

»Eine unabdingbare und wichtige Aufgabe« der berufstätigen Frau, meint Umfragen zufolge fast jeder zweite Japaner, ist es, »ihren männlichen Kollegen und Vorgesetzten Tee zu servieren« -- im Schnitt mehr als zehnmal am Tag. Daß sie dann am Ende des Arbeitstages auch noch die Schreibtische der Bürokollegen aufräumt, versteht sich fast von selbst.

Dabei haben die Japanerinnen mit den höchsten Bildungsgrad unter den Frauen der Welt, werden aber nicht ihrer Bildung entsprechend eingesetzt: 95 Prozent aller Mädchen besuchen eine Oberschule bis zum Abitur; 33,3 Prozent von ihnen immatrikulieren sich an einer Hochschule. Dennoch hält jeder zweite japanische Mann Frauen generell für »ungeeignet«, Managerposten zu besetzen.

Frauen stellen zwar über 56 Prozent der Lehrer an Volksschulen -- aber nur 1,6 Prozent der Direktoren, über 31 Prozent der Mittelschullehrer, aber nur 0,2 Prozent der Direktoren. Lediglich 8,4 Prozent der Hochschullehrer sind Frauen -- an den renommierten staatlichen Universitäten ist der Anteil noch geringer. So lehrt an der Eliteschule der Nation, der Universität Tokio, unter 580 Professoren nur eine Frau, die Soziologin Chie Nakane.

Marumi Moriyama, Direktorin im Arbeitsministerium, befindet mithin wohl zu Recht: »Die meisten Arbeitgeber behandeln Frauen als Arbeitnehmer zweiter Klasse« -- und das Gesetz hilft ihnen dabei teilweise gar noch.

Das Arbeitsnormengesetz von 1947 enthält, immenser Fortschritt damals, spezielle Schutzbestinimungen für die berufstätige Frau. So dürfen ihr etwa nicht mehr als zwei Überstunden am Tag, sechs Überstunden in der Woche zugemutet werden, überhaupt keine Nachtarbeit -- willkommener Vorwand für die Arbeitgeber, den Staat eingeschlossen, Frauen den Aufstieg in leitende Positionen zu verweigern. Denn welcher Manager, im arbeitswütigen Japan zumal, käme ohne Überstunden aus? Diskriminierung im Samtmantel des Arbeitsschutzes.

Aus diesem Kreis scheint es kein Entrinnen zu geben: Der gesellschaftliche Zwang zur Familiengründung bedingt ein nur kurzes Verweilen im Beruf; deswegen sind die Arbeitsplätze schlechter und die Löhne geringer; der daraus erwachsende Frust weckt den Wunsch, ins Private auszubrechen -- zu heiraten.

So Masako Yamazaki, die Juristin am Stempelkissen: »Es ist so viel einfacher, sein eigenes Leben in der Ehe zu gestalten als weiter zu arbeiten, wenn da jemand ist,, der sich um dich kümmert.«

Im Alter von 30 Jahren sind über 98 Prozent der Japanerinnen unter der Haube -- die die Braut bei der schintoistischen Trauung tatsächlich trägt, um »die Hörner der Eifersucht« zu verbergen.

Es ist auch wirklich besser, diese Hörner zu verstecken, sonst kämen viele Frauen aus der Rage kaum heraus. Dazu der Sozialpsychologe Hiroyoshi Ishikawa von der Seijo-Universität: »Die jungen Leute gehen mit dem Sex fraglos freier um, als die ältere Generation es durfte. Aber das gilt nur oberflächlich, denn sobald sie heiraten, folgen sie dem Muster ihrer Eltern: Es ist auch heute noch eher eine Ehe zwischen zwei Familien als zwischen zwei Individuen.«

Schon für die Eltern und die Generationen zuvor galt eine sexuelle Doppelmoral: Unberührtheit ist für das Mädchen zwar keine Conditio sine qua non beim Eintritt in die Ehe -- aber nach der Trauung bleiben ihr die sexuellen Pflichten, ihm die Rechte. Der verheiratete Mann hat die Freiheit, sich Freundinnen zu halten, der Frau bleiben die häusliche Enge und Strenge.

Klagen hat noch nichts gefruchtet; sogar gut gemeinter Ratschlag dient der Zementierung längst verkrusteter Sozialformen. Da schrieb eine 23jährige Hausfrau, seit zwei Jahren verheiratet, um Rat an das Massenblatt »Yomiuri Shimbun": »Vor kurzem kam mein Mann gegen zwei Uhr morgens mit zwei Barhostessen nach Haus und ließ sie in unserem Familienbad baden. Ich weiß, daß er auf Abenteuer aus ist, aber kann man dieses Verhalten rechtfertigen?«

Der Psychiater Toshiki Shimazaki antwortete: »Er genießt sein Leben in vollen Zügen, und Sie sollten ihm das nachsehen ... Sie sollten Ihrem Mann einen gemütlichen Ort der Entspannung bieten, wenn er erschöpft heimkehrt nach der Arbeit und dem Vergnügen.«

Und solche Ansichten kommen keineswegs nur von Männern. Ebenfalls in. »Yomiuri« empfahl die Eheberaterin Keiko Fukushima einer jungen schwangeren Frau, deren Mann fremdging: »Sie sollten um des Glücks Ihres Babys willen durchhalten und versuchen, das Herz Ihres Mannes zurückzugewinnen. Behandeln Sie ihn netter; vielleicht könnten Sie den Eßtisch schöner für ihn decken und sich mehr um ihn kümmern.«

»Dare no tame ni ai suru ka« (Liebe für wen?) fragte vor wenigen Jahren die Hausfrau Ayako Sono ihre Geschlechtsgenossinnen in einem kleinen Büchlein nach dem Sinn ihres Herd- und Windeldaseins. Und die gleich mitgelieferten Antworten kamen bei den Japanerinnen so gut an, daß von dem Buch innerhalb von zehn Monaten knapp anderthalb Millionen Exemplare abgesetzt wurden.

»Die ideale Mutter«, doziert Frau Sono, »ist eine ganz gewöhnliche Frau, die zu lächeln versucht, wenn sie verzweifelt ist ... und teilnahmslos außereheliche Affären des Ehemannes hinnimmt.« Vor allem aber: »Sie muß ihren kleinen Kindern zur Seite stehen und ihnen niemals Schlüssel geben, mit denen sie in ein leeres Haus zurückkehren müßten.«

Die Frau und Mutter also hat zu Haus zu bleiben, hat jeden Tag pünktlich zu 18 Uhr das Abendessen zu bereiten (obgleich sie weiß, daß ihr Mann nicht so zeitig kommt), hat total für die Kinder dazusein.

Mutter ist sie der ganzen Familie -- auch und besonders dem Mann. Er will verhätschelt werden, bemuttert, wenn auch nicht notwendigerweise von der eigenen Frau. Etwas anderes ist ihm seit früher Kindheit nicht vermittelt worden. Viel gewonnen hat er dabei offenbar nicht.

Japans Erfolgssymbol, der gewiefte Businessman, so generalisiert der angesehene Sexualforscher Yasushi Narabayashi, Autor des Millionen -Bestsellers »How to sex«, »hat nicht nur einen scharfen Verstand und eine erstklassige Ausbildung -- er ist impotent, wird von einer frigiden Mutter dominiert und hat einen Vater mit langjähriger Mätresse«.

Viele Mütter, so Narabayashi, kompensieren den Frust mit dem Ehemann durch eine geradezu abnorme Sorge um die Ausbildung ihrer Söhne; Töchter bleiben davon ausgeklammert, weil die »ja doch heiraten, Mutter und Hausfrau werden sollen«. Narabayashi: »Solche Männer sind abhängig von ihrer Mutter und verhalten sich defensiv gegenüber anderen Frauen. Ein lockeres, gelöstes Verhältnis mit einer Frau ist ihnen verwehrt, weil die Frau stets die ihn zu Höchstleistungen antreibende Feindfigur war.«

»Die Männer in Japan sind nicht so stark, wie?s scheint«, befindet die Soziologin Chie Nakane, »deshalb haben die Frauen kein Bedürfnis, die Männer zu bekämpfen.«

Mag sein. Eine »furchtbar unreife Gesellschaft« sieht die Journalistin Yoshiko Sakurai, die zur Selbstverwirklichung ins Ausland ging, deshalb von ihrem Vater »schon zweimal enterbt« wurde, in ihrem Heimatland; »die Männer sind so hilflos und emotional unsicher«.

Die Show, Gebaren des Starken nach außen und die Schwäche nach innen: Japans Mann. Die Schwäche der Unterdrückten nach außen, die Stärke der Anpassung nach innen: Japans Frau.

Ryoko Tamiki, Harvard-Absolventin aus Tokio, hat recht: »Die Frauen sind Sklaven, und die Männer sind Gefangene. Wie also kann ein Sklave einen Gefangenen befreien oder der Gefangene den Sklaven?«

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