Großbritannien Hammer und Nuß
Solche Szenen hatten die Briten zuletzt vor einem Jahrzehnt erlebt: Aufgebrachte Werktätige in verrauchten Sälen jubelten Funktionären zu, die gegen die herrschenden Politiker hetzten. Doch diesmal sind es nicht Bergarbeiter, Feuerwehrleute oder Drucker, die aufbegehren und das Inselreich lahmzulegen drohen wie in den wilden Streik- und Klassenkampf-Jahren der Thatcher-Ära.
Der Berufsstand, der nun zum »Showdown mit der Regierung« (The Guardian) angetreten ist, galt bislang als der verläßlichste, weil neben den Lehrern am besten bezahlte Sektor des Öffentlichen Dienstes: die 155 000 Polizeibeamten.
Ihr Zorn richtet sich gegen ein Papier des Londoner Innenministeriums. Im Auftrag von Ressortchef Michael Howard hatten unabhängige Wirtschaftsmanager den Polizeiapparat nach Schwachstellen und Rationalisierungsmöglichkeiten durchforstet. Dabei stießen sie, wenig verwunderlich bei Behörden dieser Größe, auf reichlich »Ineffizienz und Schlendrian«.
Insgesamt 272 Änderungsvorschläge und Einsparungstips legte Kommissionsleiter Sir Patrick Sheehy, Chef des britischen Tabakmultis BAT, dem Minister vor. Einige davon könnten den sozialen Frieden gefährden und das angeschlagene Kabinett von Premier John Major in noch größere Bedrängnis bringen. Denn die Polizisten gelten als die schlagkräftigste Organisation im Öffentlichen Dienst.
So empfiehlt die Sheehy-Kommission, Polizeibeamte künftig mit geringeren Anfangsbezügen einzustellen. Statt automatischer Gehaltssteigerungen sollen die Bobbies leistungsbezogene Einkommen kassieren, wobei noch unklar ist, wofür ein Bonus gezahlt werden soll. 5000 Jobs im Verwaltungsdienst würden wegfallen, dafür kämen 3000 Stellen für Streifenpolizisten dazu. Das Pensionsalter soll von 55 auf 60 Jahre steigen. Und, am radikalsten: Polizisten aller Ränge erhielten nach dem Rat der Kommission nur noch Zeitverträge.
Vorbei wären damit die goldenen Zeiten der »jobs for life«, die mittlerweile im britischen Öffentlichen Dienst nur noch Polizisten genießen. Ihr Arbeitsplatz ist sicher, außer, so ein Polizistenspruch, »du überfällst die Mutter der Königin auf der Straße«.
Die wichtigsten Polizeiführer des Vereinigten Königreiches haben den Sheehy-Plan denn auch erschrocken als »tödliche Gefahr« für die innere Sicherheit verworfen und den Vorschlägen »völlige Weltfremdheit« bescheinigt. Londons Polizeichef Paul Condon klagte: »Hier wird versucht, mit dem Vorschlaghammer eine Nuß zu knacken.«
Gegen den drohenden Verlust geschätzter Privilegien wollen sich die Polizisten - die kein Streikrecht haben - zunächst mit Appellen an die Öffentlichkeit wehren. Die Botschaft an die Bürger lautet: Der Sheehy-Plan würde einen »Dienst, der bislang eine Berufung war, in einen hundsnormalen Job verwandeln« (Polizistenfunktionär Tony Judge).
Ob das Jammern Eindruck macht, ist jedoch fraglich. Längst vorbei sind die Zeiten, da unbewaffnete Bobbies mit ihren nachttopfgroßen Helmen den Ruf genossen, die volkstümlichsten Ordnungshüter der Welt zu sein. Prügelexzesse, Korruption und Manipulation von Beweismitteln haben das einst makellose Image beschädigt. Führende Polizeifunktionäre mutmaßen, daß Innenminister Howard den Sheehy-Plan benutzen will, um die Verantwortung für das Ansteigen der Kriminalität - die Briten haben bereits mehr Angst vor Raubüberfällen und Einbrüchen als vor Arbeitslosigkeit - auf das Polizeikorps abzuschieben: »Wir sollen als Sündenböcke herhalten für das Versagen der Regierenden«, sagt Brian Butcher, Chief Superintendent der Grafschaft Norfolk.
Tatsächlich hat die konservative Regierung vor allem zu Lasten der »Constables«, der Streifenpolizisten, gespart. Viele Dienststellen in der Provinz sind gar nicht mehr oder nur wenige Stunden am Tag besetzt. Beim Volk wächst deshalb die Sorge, nicht ausreichend beschützt zu werden.
Wie vergangenen Montag nacht in Rothbury, Grafschaft Northumberland: Fünf maskierte Männer hatten erst das örtliche Telefonnetz lahmgelegt und anschließend den Tresor des Postamtes geknackt. Nach drei Stunden verschwanden sie mit ihrer Beute.
Angst vor der Polizei brauchten sie nicht zu haben. Die Wache ist nur noch von Montag bis Freitag besetzt: von 9 bis 17 Uhr. Y