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STÄDTEBAU Hand am Gemächte

Frankfurts Oberbürgermeister Wallmann schmückt die Stadt mit teuren Brunnen - »ein Stück mehr Menschlichkeit«. *
aus DER SPIEGEL 32/1983

Vor der Alten Oper zischt es »aus'm Mords-Wacker«, auf der Zeil wogt »die Brie zwischen Figuren rum«, in der Freßgass schäumt es »aaständisch«, und auch am Goetheplatz »e Mords-Fontän«.

»Iwwerall Wasserrausche« in Frankfurts City, so sprudelt es auf hessisch aus dem »Frehliche Frankfort-Telefon«. Wer sich bei der Servicestelle der Stadtverwaltung erkundigt, dem schildert ein Mundartdichter ein ungewohntes städtisches Idyll: Es quillt, gurgelt und plätschert.

Die Wasserkunst ist noch ganz frisch. Rund ein Dutzend neuer Naß-Plätze wurde innerhalb weniger Wochen im Stadtgebiet eingerichtet. »Frankfurt«, freut sich Oberbürgermeister Walter Wallmann (CDU), »ist eine Brunnenstadt« - als ob die Wasserfälle die vielen kahlen Büro- und Banktürme bereits weggeschwemmt hätten.

Wie die mit Goldbronze bepinselte und imitiertem Marmor bestückte Alte Oper oder der an Lebkuchenhäuschen erinnernde Wiederaufbau der Römerberg-Zeile, dienen auch die Brunnen einer kosmetischen Überarbeitung der baulich wenig ansprechenden Frankfurter Innenstadt. Sie sollen, schwärmt der Bauherr und Bornmeister Wallmann, »das Auge vom Unschönen aufs Angenehme lenken«.

Vor allem soll das »seuchenhygienisch einwandfreie Wasser« (Stadtwerke-Befund) zur Imagepflege des OB rauschen. Denn in der »Metropole von europäischem Rang«, wo Wallmann modellhaft vorführen will, wie »christdemokratische Politik dem Menschen dient«, wird am 25. September gewählt.

Der Oberbürgermeister bewirbt sich, bei der Landtagswahl, um das Amt des Ministerpräsidenten. Und die Frankfurter, die 400 000 von vier Millionen Hessen-Wählern stellen, sollen das Bild von der »menschlichen Stadt« honorieren.

So kommt am Main die »Show für die Öffentlichkeit« (Neusozialdemokrat Andreas von Schoeler) genau zur rechten Zeit, während die Probleme der Stadt nach wie vor unverändert sind. Mit rund 25 000 fehlenden Wohnungen nimmt Frankfurt unter westdeutschen Kommunen einen Spitzenplatz ein, die Kriminalitätsrate in der City hat einen Höchststand erreicht.

Dafür sind die Brunnenbauwerke besonders eindrucksvoll ausgefallen - protzig und kostspielig wie alles, was der christdemokratische Erneuerer dem Publikum am Main vorbaut. »Die Millionen«, mäkelt SPD-Fraktionschef Hans Michel, »flutschen nur so.« 4,8 Milliarden Mark Schulden hat die Stadt, soviel wie keine andere westdeutsche Kommune.

Zu Wallmanns ehrgeizigem Brunnen-Programm zählen, neben vielen kleinen Wasserspendern, ausnahmslos teure Projekte: *___der Lucae-Brunnen (Baukosten: 1,8 Millionen Mark) vor ____der Alten Oper, erstellt nach einem hundert Jahre alten ____Entwurf des Berliner Architekten Richard Lucae. Aus ____einer Granitschale mit fünf Meter Durchmesser schießt ____eine Wasserfontäne sechs Meter hoch. Jährliche ____Folgekosten: 226 000 Mark; *___der Pomodoro-Brunnen (1,5 Millionen Mark) auf dem ____Goetheplatz, ein Entwurf des Mailänder Künstlers Gio ____Pomodoro. *___der Freßgass-Brunnen (1,3 Millionen Mark) von der ____Künstlerin Inge Hagen mit vier winzigen Wasserlachen in ____einer Betonkuhle; *___das wiederaufgebaute Brunnendenkmal Gutenberg auf dem ____Roßmarkt (eine Million Mark), das den Erfinder der ____Buchdruckerkunst zeigt; *___der mächtige Brockhaus-Brunnen auf der Zeil (1,3 ____Millionen Mark), vom Darmstädter Bildhauer Lutz ____Brockhaus aus weißem Carrara-Marmor geschlagen. Er ____zeigt »Frankfurter Figuren": Jumbo-Jet, Liebes-Mädchen ____und Computer-Mann; *___die gewaltige Bronze-Plastik »David und Goliath« von ____Richard Heß, Ecke Hauptwache/Zeil, ein »Brunnen ohne ____Wasser«, so ein städtischer Beamter, für knapp eine ____halbe Million Mark.

Doch soviel Freude wie beim Stadtoberhaupt will bei den Frankfurtern über Wallmanns Wasserwerk nicht aufkommen. Die teuren Schalen, moniert die Städtebau-Expertin Odina Bott aus dem Westend, seien »nach Fließbandmanier« aufgestellt, »ohne Bezug zu Standort und Umfeld«. Einem Stadtplaner gefällt nicht, daß »hier ohne viel Idee möbliert worden ist«. Als »lustlose Straße der Brunnen« qualifiziert Kulturkritiker Peter Iden ab, was Wallmann als »urbane« Wegstrecke feiert.

Schon mit Pomodoros Kunstwerk »Sonnentheater« kommt keiner zurecht. Einmal im Jahr, zur Sommersonnenwende, soll an dem Brunnen die genaue Uhrzeit abzulesen sein - »wenn der Schatten der Spitze der Brunnenstele exakt in die Kerbe fällt, an der die Seiten der großen und kleinen quadratischen Beckenflächen zusammentreffen« (ein städtischer Beamter).

Das funktioniert allerdings nur, erläutert der Astrophysiker Professor Wilhelm Kegel, wenn exakt zu diesem Zeitpunkt »die Sonne scheint«. Am 21. Juni sollte es soweit sein. Doch irgendwer hatte sich vertan - die Sommersonnenwende fiel auf 1.06 Uhr in der Nacht.

Für Hunde hingegen sind Pomodoros kühle Wasserfontänen nützlich, sehr

zum Ärger des Brunnenputzers Richard Heep. Andauernd, klagt er, seien die Düsen im seichten Wasser von Fellresten, Tierexkrementen oder auch aufgeweichten Plastiktüten verstopft.

Euphorie a la Wallmann ("Jeder Brunnen ist ein Stück mehr Menschlichkeit") kommt auch bei der Bronzeplastik »David und Goliath« nicht auf. Plaziert wurde das Riesending vor die weiße Kunststoffassade des Kaufhofs. »Was soll nun das?« fragte die »Frankfurter Rundschau«, ein »David mit dem Schutzhelm eines Footballspielers«, die »linke Hand am Gemächte, die rechte ausgestreckt« - eine Pose »wie Hrubesch nach dem Schuß ins Tor«.

Und der teure Brockhaus-Brunnen auf der neugestalteten Zeil, einer pflegeleicht betonierten und zugepflasterten Einkaufsstraße, ist »für die Stadt ein Brocken, an dem sie schwer zu würgen hat« ("Frankfurter Neue Presse"). Der weiße Koloß sollte schon Ende Mai fix und fertig sein. Doch Künstler Brockhaus hatte sich abgesetzt.

Geplant war ein »schönes Experiment«, so der Leiter des städtischen Hochbauamtes Hans Joachim Kirchberg. Passanten sollten zuschauen, »wie Kunst entsteht«. Doch als Brockhaus im Frühjahr mit Preßluftmeißeln dem weißen Marmorklotz zu Leibe rückte, flüchteten die Frankfurter in die Seitenstraßen, die Anlieger schimpften über »den Krach da draußen«. Im Juni packte der Künstler verärgert Hammer und Meißel ein. Seit Montag letzter Woche werkelt er wieder.

Auf den schönsten aller Brunnen freilich, einen, »der sich wirklich zu bauen gelohnt hätte« (Städel Direktor Klaus Gallwitz), mußte die Stadt verzichten. Der Schweizer Bildhauer Jean Tinguely, dessen Brunnen in Basel vor dem Theater und in Paris vor dem Centre Pompidou Besucher und Einheimische begeistern, hatte für den Platz vor der Alten Oper ein »lebendiges, witziges, humorvolles Wasserspiel« (Gallwitz) angeboten.

Doch das von der Stadt offerierte Areal an der Konstabler Wache, wohin »der Wallmann mich abladen wollte«, kommt für Tinguely nicht in Frage: »Ein grauslicher Platz, kein Ort zum Verweilen, eher zum Fürchten«. Die schauerliche Umgebung mit schmucklosen Kaufhaus-Fassaden der 50er Jahre hatte den Künstler abgeschreckt.

Ob sich die anderen Investitionen lohnen, bleibt zweifelhaft. Wallmanns Hoffnung, die Frankfurter wieder öfter in die Innenstadt zu locken, hat sich bislang nicht erfüllt. Abends und an Wochenenden bleibt im Zentrum alles leer, viele Lokale, Pubs und Cafes sind an Wochenenden geschlossen.

Auch die Frankfurter Grünen beteiligen sich nicht an Wallmanns Wasserspielen. Die Alternativen hätten, schon weil's billiger wäre, lieber »ein kleines Biotop« in der City (Stadtverordneter Walter Oswalt), am liebsten »einen Teich auf der Zeil«.

Geschäftsinhaber haben andere Sorgen. Das laufende Plätschern, berichtet eine Boutiquenbesitzerin an der Hauptwache, rege die Passanten arg an: »Die Kunden kommen dauernd und müssen aufs Klo.«

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