PAKISTAN Hand auf der Schulter
Eine Nation zu formen, einem Volk zu dienen, das drohende Verderben zu verhüten, bin ich geboren«, schrieb der Häftling im Gefängnis, »und nicht dazu, in einer Todeszelle zu vergehen, den Galgen zu besteigen, um die Rachgier eines Verräters und undankbaren Mannes zu befriedigen.«
Zu letzterem war Pakistans Ex-Premier Sulfikar Ah Bhutto, 51, doch geboren.
Vor Tagesanbruch, um zwei Uhr in der Nacht zum Mittwoch vergangener Woche, wurde Bhutto, Hände und Füße gefesselt, seinem Scharfrichter Tarah Masih, einem pakistanischen Christen, überantwortet.
Hängen sollte er laut Gerichtsurteil, »bis der Tod eintritt«. Nachdem er 35 Minuten an dem gemauerten Galgen im Hof des Distriktgefängnisses von Rawalpindi gehangen hatte, überzeugte sich ein Mediziner: Dem Urteil war Genüge getan. Ein Märtyrer und ein Mythoswaren geboren.
Ein Militärtastwagen transportierte die in einen schlichten Sarg gebettete Leiche zum Flughafen, ein Militärflugzeug brachte sie in den Sind, die Heimatprovinz des Bhutto-Clans. Mehrere tausend Soldaten sorgten dafür, daß nur wenige Angehörige bei der Beisetzung in der Familiengruft anwesend waren.
Bhuttos zweite Frau Nusrat und Tochter Benasir standen in ihrem Haus bei Islamabad unter polizeilichem Hausarrest, in Erwartung einer Hochverratsklage, weil in einem längst verlassenen Haus Bhuttos einen Tag vor der Hinrichtung angeblich hochbrisantes Schriftgut gefunden worden war. Schirm Amir Begum, der ersten, traditionellen Frau Bhuttos, war ein letzter Blick auf den Toten vergönnt: »Er sieht so unschuldig aus wie eine Blume.«
*Mit Ehefrau Nusrat (l), Tochter Benasir (r. o.), Söhnen.
Verantwortlich für das schmachvolle Ende des ebenso umjubelten wie umstrittenen Politikers ist Präsident Sia-ul Hak, 54, seit seinem Putsch gegen Bhutto im Jahre 1977 allmächtiger Militärdiktator im »Land der Reinen«, ein frömmelnder General ohne auch nur einen Hauch des Charismas, das seinen Gegenspieler auszeichnete.
Um Bhutto nach 1977 aus der politischen Szene zu entfernen, ließ er ihn wegen eines gemeinen Verbrechens vor Gericht stellen. Bhutto soll 1974 zusammen mit seinem Sicherheitschef und drei jungen Gefolgsleuten ein Mordkomplott gegen einen der schärfsten Oppositionspolitiker, Ahmed Rasa Kasuri, ausgeheckt haben. Die Kugeln der Heckenschützen trafen dann nicht mal Kasuri, sondern dessen Vater.
Als Häftling steckte Bhutto aber seinem einstigen Günstling Sia »wie eine Fischgräte im Hals«, so das Urteil eines pakistanischen Diplomaten in Neu-Delhi Wochen vor der Hinrichtung: »Runter kriegt er ihn nicht, raus kriegt er ihn nicht.« Denn abgesehen vom Staatsgründer Ah Dschinna hat kein politischer Führer Pakistans die Massen derart in den Bann gezogen wie Bhutto.
Die bemerkenswerte Karriere des reichen Aristokratensprosses hatte nach Studien im kalifornischen Berkeley und am traditionsreichen Christ Church College in Oxford begonnen. General Ajub Khan, der 1958 die Macht in Pakistan übernahm, betreute den damals 3Ojährigen Juristen nacheinander mit fünf Ressorts.
Mit seinem Mentor überwarf er sieh, da er ihm den Friedensschluß mit Indien übelnahm. An seinem Sturz hatte er maßgeblich Anteil. Wahlen, die General Jahja Khan für Ende 1970 ausschrieb, gewann Bhuttos neugegründete PPP, die einen »islamischen Sozialismus« auf ihre Fahnen schrieb.
Bhutto siegte aber nur in Westpakistan. Im bengalischen Ostpakistan siegte Scheich Mudschib-ur Rahman mit größerer Mehrheit, und der beanspruchte die Führung des Landes.
Ein grausamer Bürgerkrieg im Osten war die Folge, in den Indien zugunsten der Bengalen eingriff. Die geschlagenen westpakistanischen Militärs warfen Bhutto die Macht hin, die er, zunächst, mit Erfolg nutzte.
91 000 Kriegsgefangene brachte er aus indischen Lagern heim und söhnte Westpakistan mit dem abgespaltenen Osten, Bangladesch, aus. Neue Freunde fand er am Persischen Golf unter islamischen Brüdern -- die später freilich Sia finanzierten. Er gewann schließlich auch internationale Bedeutung: Bhutto vermittelte das erste Treffen Kissingers mit Mao Tse-tung.
1973 gab er seinem Land eine neue Verfassung und machte sich selbst zum Premier mit exzessiven Vollmachten, Er redete zwar viel von Demokratie und Sozialismus, dachte aber nicht daran, sich selbst beim Wort zu nehmen.
Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit blieben suspendiert, Reformen, darunter insbesondere die Landreform, erwiesen sich als Farce, denn nicht wenige befreundete Großgrundbesitzer und schließlich Bhutto selbst wurden nur noch besitzender.
Einen entscheidenden Fehler beging er, als er mit weitgehenden Verstaatlichungen nicht die reichen Industriellen des Landes, sondern auch den bürgerlichen Mittelstand gegen sich aufbrachte. Unbequeme Gegner jedoch wurden entführt, außer Landes getrieben oder durch eine ihm persönlich unterstellte polizeiähnliche Truppe liquidiert.
Als Bhutto für März 1977 Wahlen ansetzte, war er sich seiner Macht zwar sicher, aber auch nicht so sehr, daß er meinte, auf Wahlfälschung verzichten zu können.
Die Opposition mobilisierte die Straße, bürgerkriegsähnliche Kämpfe forderten über 350 Tote, Als Bhutto der Armee befahl, auf die Demonstranten zu schießen, kam es zum Aufstand der Offiziere, die Sia an die Spitze ihres Putsches erhoben,
Die qualvolle Überlegung, ob ein toter Bhutto ihm gefährlicher werden könne als ein lebendiger, ließ dem britisch gedrillten Kavalleristen keinen Spielraum für Fairneß.
Ein wahres Trommelfeuer von »Weißbüchern«, die alle die teuflisch kriminelle Machtbesessenheit des Angeklagten beweisen sollten, ließ Sias Regime in der Phase des erstinstanzlichen Prozesses vor einem Gericht in Lahore auf die Öffentlichkeit los.
Ein in seiner Zusammensetzung manipuliertes Richterkollegium des Obersten Gerichtshofes von Rawalpindi bestätigte letztinstanzlich im Februar mit einem nur hauchdünnen 4:3-Votum das Lahore-Urteil. Die Ablehnung des Revisionsantrags koppelte das Gericht Ende März mit der Empfehlung an Sia, die Todesstrafe in eine saftstrafe umzuwandeln.
Sia hat sich nicht erweichen lassen, auch nicht von den Begnadigungsappellen der politischen Führer fast der ganzen Welt, des Papstes, der islamischen Staaten,
»Wenn Bhutto gehängt wird«, so hatte Bhutto-Anwalt Jahja Bachtiar, einer der hervorragendsten Juristen Pakistans, prophezeit, »explodiert Pakistan.«
Erste Demonstrationen in den großen Städten Pakistans wurden bis zum Ende der Woche, in der Bhutto starb, von der Polizei und den Militärs mit Tränengas und Knuppeln noch unter Kontrolle gehalten.
Aber der Countdown des Sia-Regimes läuft. Denn Bhutto, der vermutlich nach wie vor über die stärkste Anhängerschaft verfügt -- wie die von Sia versprochenen Wahlen im kommenden November beweisen könnten -, wurde zu einer Zeit liquidiert, in der sieh innenpolitischer Zündstoff angehäuft hat und Gefahren von außen den Bestand des Landes bedrohen.
Der Einfluß der orthodoxen Moslemführer, bei denen sich Sia Rat und Beistand holt, stößt beim Volk auf wenig Gegenliebe. Ein striktes Alkoholverbot wurde erlassen, die Scharia, die islamische Rechtsprechung, zur obersten Rechtsnorm erhoben. Opfer der Prügelstrafe wurden schon Hunderte, zu Tausenden sitzen angebliche »Atheisten«, meist Funktionäre der von Bhutto gegründeten »Pakistan People's Party« (PPP), in den Gefängnissen.
»Den Auslöser für eine Eruption nach allen Seiten« sah ein arabischer Botschafter in Islamabad vor wenigen Tagen in der Hinrichtung Bhuttos. Eine solche Eruption würde von Pakistan nicht viel mehr übriglassen als die Provinz Pandschab, das volkreichste Gebiet Pakistans (siehe Graphik Seite 154). Die Macht im Lande halten die Pandschabis seit je für ihre Domäne.
In der Provinz Sind herrscht Unruhe, da Bhutto Sindhi war. Belutschen und Pathanen (Paschtunen) möchten sich separieren.
Die harten Maßnahmen, die Bhutto gegen Belutschen und Pathanen ergriff, scheinen vergessen, denn die PPP verzeichnet Zulauf von ihnen, aus Opposition gegen Sias Despotismus. »Der Mann muß weg, alles andere kann warten«, befahl ein Belutsche in Islamabad.
Die Militärs fürchten ein Wiederaufflackern der Kämpfe mit den Separatisten in Belutschistan, die jahrelang vom Irak und von Libyen mit Waffen und Munition versorgt wurden. Nachdem Moskau seine Position in Afghanistan gefestigt habe, ängstigte sich ein Regierungsvertreter in Islamabad gegenüber dem SPIEGEL, »bietet sich den Russen Belutschistan doch geradezu an -- dann sind sie endlich am Indischen Ozean«.
Eine Konfrontation mit Afghanistan scheint in Sicht: Am 13. März schossen afghanische Artilleristen auf pakistanisches Territorium, von wo aus 90 000 teils gut gerüstete afghanische Rebellen im Namen Allahs die roten Herren in Kabul stürzen möchten.
Eine kriegerische Auseinandersetzung mit Afghanistan im Nordwesten jedoch kann sieh Pakistan nicht leisten, denn als erstes würden die auf beiden Seiten der Grenze lebenden Pathanen versuchen, sich den Weg zur Wiedervereinigung in einem »freien Paschtunistan« freizuschießen.
Bhutto selbst verkündete in einer Art politischen Testaments mit dem Titel »If I am Assasinated«, das vor kurzemin Indien erschien: »Unser geliebtes Land kann ein Schlachtfeld werden, verheerender als Vietnam.«
Den frommen Sia' der sich kurz vor seinem möglicherweise folgenschweren Entschluß, Bhutto aufknüpfen zu lassen, bei einer Pilgerfahrt nach Mekka stärkte., ficht das nicht an. »Ich fühlte«, tröstete der General sich und seine Kameraden in den Kasernen, »wie Allah mir seine Hand auf die Schulter legte.«
Ungerührt sah er den demütigenden Qualen zu, denen sein einstiger Förderer in seinen letzten Tagen ausgesetzt war. Abd-el Hafis Pirsada, Ex-Minister unter Bhutto und einer seiner Anwälte, hatte den Todeskandidaten in seiner Zelle besucht.
»Mir war, als schaute ich ein Skelett an«, berichtete Pirsada. Bhutto war seit Tagen ungewaschen, unrasiert, seine Kleidung, die pakistanische Traditionstracht Schalwar und Kamis, war über und über bekleckert mit dem Kot umherfliegender Spatzen. Ein ungeleerter Abort verbreitete unerträglichen Gestank, Bhutto konnte wegen einer chronischen Magenverstimmung kaum essen, Zunge und Gaumen waren schwarz von Geschwüren. Migräne, schwarze und rote Ameisen und grelles Licht hinderten ihn am Schlafen auf dem nackten Zellenboden.
Pirsada voller Ingrimm: »So scheidet der Führer der Dritten Welt, der Leiter des Islamischen Gipfels.«