PRESSE / HERREN-MAGAZINE Hand aufs Herz
Auf Seite 4 des »Herren-Magazins »diskret"« entdeckte Ministerialdirektor Karl-Ulrich Hagelberg vom Bonner Innenministerium einen »geöffneten Büstenhalter«. Acht Seiten weiter wurde sein »Blick auf entblößte Oberschenkel gelenkt«. Hagelberg nahm Anstoß. Zwar verkannte er nicht, »daß ähnliche Darstellungen sich auch in illustrierten Zeitschriften finden«. Doch der »Gesamtcharakter des Heftes«, so Hagelberg in einem Schreiben an die »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften« in Bad Godesberg, wirke »auf männliche Jugendliche aufreizend und baue »die Schamschranken bei weiblichen Jugendlichen« ab. Anfang dieses Monats wurde die beanstandete Ausgabe des Blattes »diskret« (Druckauflage: 65 000) von der Godesberger Prüfstelle indiziert. Das heißt: »diskret« darf nicht öffentlich feilgeboten und nur an Erwachsene verkauft werden. Gleichzeitig setzte die Prüfstelle sie soll von Amts wegen die deutsche Jugend vor »Schmutz und Schund« schützen -- eine zweite »diskret«-Nummer und weitere Magazine auf den Index:
* eine Nummer von »eden« (Auflage: 80 000; Preis: vier Mark);
* zwei Nummern von »playgirl« (Auflage: 35 000; Preis: vier Mark);
* eine Nummer von »Smart« (Auflage: 30 000; Preis: drei Mark);
* zwei Nummern des »Internationalen Herrenmagazins »flair«, (Auflage: 25 000; Preis: fünf Mark).
Es ist der jüngste Versuch der Godesberger Sittenrichter, die Sexflut einzudämmen, die neuerdings mehr als zwei Dutzend sogenannter Herrenmagazine auf den deutschen Markt geschwappt hat. Verlockt vom Erfolg des hautfrohen amerikanischen Millionen-Magazins »Playboy« (Weltauflage: über vier Millionen Exemplare), spekulieren mehr als ein halbes Dutzend westdeutscher Verleger auf die sexuellen Wunschträume der Bundesbürger. Die Titel -- wie »playgirl«, » diskret«, »intim«, »privat«, »skandal« oder »flair -- versprechen einen Hauch weitläufiger Lustbarkeit. Doch die meisten dieser Sex-Organe bieten, verglichen mit dem amerikanischen Ur-Bild, nur mäßigen Schau- und dürftigen Lesewert. Für vier Mark, so versprach etwa »diskret« in Nummer 9, sei man dabei: beim »Strip-tease am Piccadilly Circus«, bei »Probeaufnahmen im Negligé, beim Hula-Hupp des »Mädchens Emma Frost«. Doch Emma Frost ließ erwartungsfrohe Leser kalt: Denn »diskret«-Mädchen zeigen nur, was sie ungestraft auch andernorts zeigen, im Freibad oder in »Quick«; und die einzigen Oben-ohne-Photos -- »unverfälschte Menschen« in Afrika -- muten so scharf an wie der Brockhaus. Es ist Schonkost, was Deutschlands Herrenhefte ihren Lesern vorsetzen, die nicht immer Herren sind. Enttäuschte Käufer, durch ausländische Journale verwöhnt, schickten denn auch prompt ironische Briefe. Einer fragte: »Wollen oder können Sie nicht?« Sie können nicht. Denn aus Furcht vor dem Verdikt der Godesberger Jugendschützer, die im vergangenen Jahr 296 Druckwerke aller Couleur indizierten, lassen die meisten Verleger in ihren Heften Sex nur in schmalen Portionen zu (und es sind nicht immer Appetithappen). »playgirl« präsentierte ein strohblondes Starlet, dessen Busen nachträglich mit aufgepinselten Sternchen abgedeckt worden war. »Chérie« ließ das Photo eines Oben-ohne-Mädchens vor dem Druck in schwarze Tusche tauchen. »Cabaret« zeigte einen »Striptease des Monats« -- ohne Finale. Und in »party« legen die Mädchen fast immer die Hand aufs Herz. »Jedes Heft«, bekennt der Berliner Werner Gerstmayer, Chefredakteur von »playgirl«, »Eva« und »Chérie«, »ist eine Mordsprozedur, und es tut bitter weh, wenn man wegretuschieren muß.« Beim Versuch, es den Godesberger Prüfern recht zu machen, sind die meisten Herrenhefte mittlerweile zahmer als Deutschlands Illustrierte geworden. Die satirische Zeitschrift »Pardon« vermaß unlängst die Oberweiten der Magazin-Mädchen und verglich sie mit denen in Publikumszeitschriften. Befund: »Die »Neue Revue« hat an guten Wochen ihre 56 cm² freie Brust.« Hingegen bot eine Testnummer von »eden« -- laut »Pardon« nur zwölf Quadratzentimeter. Um ihr zages Busen- und Popo-Programm ungehindert an deutschen Kiosken feilhalten zu können, schlossen sich einige Verleger überdies im »Verein zur Selbstkontrolle der deutschsprachigen Unterhaltungsliteratur« (Kurztitel: »Godesberger Ring") zusammen. Erklärtes Klub-Ziel: »Eine saubere, von Schmutz und Schund freie Publikation«. Jeden Monat legen die Magazin-Redakteure dem Lektorat des Vereins zur Veröffentlichung bestimmte Bilder und Berichte vor. Und wenn die Redakteure die Ratschläge der Lektoren befolgen, dürfen sie ihre Hefte mit dem Hinweis versehen: »Geprüft vom Godesberger Ring«. Doch schon bald erwies sich als unvereinbar, Käufer und Zensoren gleichermaßen zu befriedigen. Von den jeweils 25 000 bis 80 000 gedruckten Exemplaren bleiben, so der Hamburger Magazin-Verleger Alfons Semrau ("eden«, »diskret«, »intim"), »im Schnitt 50 Prozent liegen«. Die teueren Ladenhüter der Branche (drei bis 7,50 Mark pro Heft) gehen ins Ausland oder werden zu Vorzugspreisen verramscht. Daß sich in der Bundesrepublik trotz der Godesberger Sittenrichter Sex gut verkaufen läßt, beweist der phänomenale »Playboy«-Erfolg. »Playboy« ist zwar bis einschließlich Juli indiziert und damit »vertriebsbeschränkt«; das Blatt darf nicht an Kiosken und in Buchhandlungen nur unter dem Tisch verkauft werden. Doch außer den 50 000 von Tabak- und Zeitungshändlern vertriebenen Exemplaren gelangen schätzungsweise weitere 20 000 »Playboy«-Hefte auf dem Umweg über die PK-Läden der in Westdeutschland stationierten US-Streitkräfte an deutsche Leser.
Seite an Seite mit Busen und Beinen präsentieren sich in dem mittlerweile mehr als 200 Seiten starken Männer-Magazin so prominente Autoren wie William Saroyan, Norman Mauer, Alberto Moravia, Ernest Hemingway und Ian Fleming.
Für »Playboy« arbeitete der reichste Mann der Welt, Ölmilliardär Paul Getty (im Impressum ausgewiesen als »beratender Redakteur für Handel und Finanzen"). »Playboy« druckte anspruchsvolle Gespräche -- so mit dem englischen Philosophen Bertrand Russell über Abrüstung, mit dem amerikanischen Friedens-Nobelpreisträger Martin Luther King über Rassenintegration und, in der jüngsten Ausgabe, mit dem britischen Historiker Arnold Toynbee über die amerikanische »Politik am Rande des Abgrunds«.
Zehn Prozent der redaktionellen »Playboy«-Seiten sind weiblicher Anatomie gewidmet, ein gut Teil davon den regelmäßig ausgewählten »Playmates of the Month« -- jenen nackten Nymphen, die sich (zweifach gefaltet) ausklappen lassen und zumeist Heftklammern in Busen- oder Nabelgegend tragen.
Derart offenherzig präsentieren sich in der Bundesrepublik derzeit nur zwei Herren-Journale deutscher Sprache: das in Frankfurt -- für einen Schweizer Verlag -- redaktionell gefertigte »Herrenmagazin »privat"« (in Westdeutschland verbreitete Auflage: 30 000; Preis: 7,50 Mark) und das Stuttgarter »Journal des modernen Herrn« mit dem Titel »man« (Auflage: 40 000; Preis: 6,80 Mark).
Beide Magazine bemühen sich, den rosigen Rundungen reichlich Lesestoff beizugeben. So veröffentlichte »privat« Ratschläge für Börsianer. »man« plauderte mit dem Stuttgarter Philosophie-Professor Max Bense über Gott (Bense: »Gott kann kein Thema sein! Es gibt ihn gar nicht). Und weil »man«, so Herausgeber Heinzpeter Veile, »ein deutsches Herrenmagazin nicht provinzieller, sondern europäischer Observanz« sein will, kürte es den Vortragenden Legationsrat 1. Klasse Dr. Erwin Wickert vom Bonner Außenamt, Autor der historisierenden Romane »Der Auftrag« und »Der Purpur«, zum »Mann des Monats«.
Humor, bislang in deutschen Magazinen unüblich, entleiht sich »man« aus Frankreich. Es veröffentlichte in der letzten Nummer vier »Cartoons«, die das französische Herrenheft »lui« (Auflage: 500 000) hatte fertigen lassen; »lui"« sowie die beiden britischen »Playboy« -- Nachahmungen »Penthouse« (Auflage: 180 000) und »King« (80 000) zählen zu den derzeit attraktivsten Publikationen des leicht geschürzten Genres in Europa.
Am selben Tag, als Nummer 2 von »man« auf den Markt kam, nahmen die Godesberger Jugendschützer Nummer 1 in ihre Liste auf. Begründung: »Gebündelte optische Reize«.