HANNA REITSCH †
Mit 25 flog sie als erste mit einem Segelflugzeug über die Alpen hinweg. Noch im gleichen Jahr 1937 probierte sie die erste deutsche Hubschrauber-Konstruktion aus und stieg damit waghalsig auf über 2300 Meter. Anschließend wurde sie, nunmehr erster weiblicher Flugkapitän der Welt, bei der Entwicklung von Sturzflugbremsen für deutsche Kampfmaschinen als Testpilotin tätig. Sie flog danach fast alle Prototypen, darunter die »Fliegende Bombe« ("V 1") ebenso wie das Raketenflugzeug Me 163, das in 150 Sekunden auf 10 000 Meter steigen sollte. Sie mußte notlanden, wurde schwer verletzt und erhielt vom Führer als einzige Frau das Eiserne Kreuz 1. Klasse.
Die katholische Arzttochter Hanna Reitsch aus Hirschberg in Schlesien, so zierlich wie zäh mit ihrem strahlend insistenten Lächeln, war ohne Frage eine der stärksten und verwegensten fliegerischen Begabungen, die es je gegeben hat -- noch als 66jährige verteidigte und verbesserte sie im April dieses Jahres den von ihr gehaltenen Segelflug-Weltrekord im Zielflug mit Rückkehr zum Startort. Doch beim Fliegen allein konnte es nicht bleiben in der Zeit, in der sie lebte.
Ähnlich wie Leni Riefenstahl wurde sie zu einer Symbolfigur der Euphorie, die sich Mitte der dreißiger Jahre in Deutschland verbreitete: Konnte ein Regime, das diese außerordentlichen jungen Damen förderte, so reaktionär und borniert sein, wie seine Gegner behaupteten? Ging nicht gerade von der hübschen Fliegerin, die 1938 mit ihrem Hubschrauber sogar durch die Berliner Deutschlandhalle kurvte, eine erfrischende und befreiende Modernität aus?
Der Eindruck täuschte. Denn Hanna Reitsch, schon vom Vater zu »deutscher Gesinnung« erzogen, verkörperte aufs äußerste zugespitzt die deutsch-nationale Schizophrenie zwischen äußerer Modernität und innerem Mittelalter, zwischen technisch-wissenschaftlicher Intelligenz und verblendeter »Gläubigkeit«, zwischen persönlichem Anstand und kollektiver Barbarei. Sie war dabei gewesen, als im Dritten Reich alles in Scherben fiel: Durch das Sperrfeuer der Russen flog sie auf Führerbefehl im Fieseler Storch den Luftwaffen-General Ritter von Greim in das eingeschlossene Berlin, wo sie auf der Ost-West-Achse landete. Zwei Tage später, am 28. April 1945, flog sie ihren Passagier mit einer Arado-Schulmaschine auch wieder aus, irrte danach eine Weile mit Durchhalteparolen umher, die ihr Hitler, kurz vor seinem Selbstmord, aufgetragen hatte. Und konsequent wie kaum ein anderer Prominenter des Dritten Reiches hielt sie über den Zusammenbruch hinaus fest an ihrem Wahn von deutscher Größe.
»Nun sind schon über dreißig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg vergangen, und die Lügen, die über unser Land verbreitet wurden, scheinen als Geschichte »Realität? geworden zu sein«, schrieb Hanna Reitsch in ihrem erst im vergangenen Jahr erschienenen Erinnerungsbuch »Höhen und Tiefen« über die Nazi-Kriegsverbrechen.
Die Gefangennahme der Dönitz-Regierung 1945 empfand sie als »Schändlichkeit« ebenso wie das Verbot, das Eiserne Kreuz mit Hakenkreuz zu tragen. Und von der Bundesregierung meinte sie nur: »Unsere Führenden fügten sich in vielem den Wünschen der Gegner.«
Doch anders als bei den übrigen Unbelehrbaren war bei Hanna Reitsch zu erkennen, daß sie die Vergangenheit aus anderen Motiven leugnete als die Filbingers dieses Landes -- daß sie sie leugnete aus einem Schamgefühl heraus, das die Wahrheit über das gläubig verehrte Reich und seinen »tragischen« Führer nicht ertragen konnte, nicht hätte aushalten können. Am vorletzten Freitag erlag »Deurschlands berühmteste Pilotin« (Deutsche Presse Agentur) im Alter von 67 Jahren einem akuten Herzversagen.