VERFASSUNGSSCHUTZ Harmlose Spinner
Wenn Carl-Dieter Spranger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, auf Heribert Hellenbroich zu sprechen kommt, zieht er neuerdings vom Leder. Der Präsident des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), klagt er ungeniert bei Unionsabgeordneten in seinem Ministerium und auch gegenüber Journalisten, sei »stur« und sehe seine »eigentliche Aufgabe« nicht. Von Hellenbroich, weiß Spranger, »kommt nichts«. Schlimmster Vorwurf: »Der ist kein Parteifreund.«
Seit Monaten legt sich CSU-Mann Spranger nun schon mit dem CDU-Mitglied Hellenbroich an. Grund des Streits: der diesjährige Bericht über verfassungsfeindliche Umtriebe, den das Kölner Amt intern vorgelegt hat.
»Mist«, schimpfte Spranger nach erster Lektüre, »ganz schrecklich«. So etwas, drohte er, wolle er im nächsten Jahr nicht wieder erleben - und machte sich daran, den Report umzuschreiben.
Großen Kummer und viel Arbeit machte dem Staatssekretär, daß die Kölner mit ihren Erkenntnissen sein festgefügtes Weltbild störten. Ihr Hauptfehler: Der Rechtsextremismus sei »viel zu breit« ausgemalt, die Gefahr von links aber verkannt.
Krach gab es schon immer über die politische Einschätzung des Radikalismus in der Bundesrepublik - zu sozialliberalen Zeiten unter umgekehrten Vorzeichen. Der damalige FDP-Innenstaatssekretär Andreas von Schoeler stritt sich wochenlang mit den Kölnern. Ost-Kontakte zum Beispiel, die seinerzeit von den FDP-nahen Jungdemokraten geknüpft wurden, hatten nach damals herrschender Ansicht in einem Bericht über Staatsfeinde nichts zu suchen.
Aber anders als früher, klagt ein Verfassungsschützer, »bewegen wir uns diesmal in gefährlichen Gewässern. Da sollen Tendenz und Aussagen geändert werden, ohne Rücksicht auf die Fakten - wie es gerade paßt«.
Die Kölner sind zwar bereit, in Grenzen, politische Rücksicht zu nehmen. So verzichteten sie nach langen Verhandlungen, auf Wunsch des Kanzleramts und des innerdeutschen Ressorts, darauf, den deutsch-deutschen Jugendaustausch als »subversive Tätigkeiten« zu erwähnen und die Reisegruppen der DDR-Jugendorganisation FDJ als Sicherheitsrisiko aufzuführen. Das schwierige deutsch-deutsche Verhältnis wollten sie nicht durch Provokationen belasten.
Sprangers Wünsche aber empfindet das BfV als Zumutung. Bis in die Sprachregelung hinein, so die Klage, versuche er, das Papier umzumodeln. Das übliche Kürzel RAF für »Rote Armee Fraktion« zum Beispiel wollte er nicht wieder lesen, weil es, meinte der Staatssekretär allen Ernstes, »mit der Royal Air Force zu verwechseln ist«. Die RAF ist seiner Ansicht nach eine »Bande« linker Terroristen. Punktum.
»Neo-Nazi«, andererseits, hält der Sprachreiniger für einen zu rüden Ausdruck. Er möchte sie umtaufen in »Neue Nationalsozialisten«. Daß die Neo-Nazis sich selbst auch so nennen, interessiert ihn nicht. Er will, sagt er offen heraus, die Sozialdemokraten mit seiner Wortschöpfung in die Nähe der Nationalsozialisten rücken.
Allein durch ihre langen Ausführungen über den Rechtsextremismus, findet Spranger, schätzten die Kölner dieses Phänomen falsch ein. »Das sind harmlose Spinner«, entschied er, die damit erst richtig aufgewertet würden. Deshalb ordnete er einschneidende Kürzungen an. So strich er gründlich die Passagen über die »Deutsche National-Zeitung« zusammen, die seit Jahren die Propaganda der Rechtsextremisten verbreitet. Entfernt wurde dabei auch die Bewertung, das Münchner Produkt sei ein Kampfblatt.
Die Hellenbroich-Leute hatten auch über David Irving, den Hitler-freundlichsten unter den britischen Historikern, einiges aufgeschrieben und ihn als Rechtsextremisten klassifiziert. Irving, unter anderem auch vom Herausgeber der »National-Zeitung«, Gerhard Frey, bezahlt und in einschlägigen Kreisen als Vortragsredner herumgereicht, bestreitet eine Alleinschuld Hitlers am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und leugnet NS-Kriegsverbrechen. Auf Geheiß des Bonner Zensors mußte das ganze Kapitel entfernt werden.
Die Hiag, eine Hilfsorganisation für ehemalige Mitglieder der Waffen-SS, hatten die BfV-Beamten vorsorglich gar nicht aufgeführt - sie wollten nicht schon wieder, wie im letzten Jahr, Krach mit Spranger wegen unterschiedlicher Ansichten bekommen.
Geradezu empört ist der einstige Staatsanwalt Spranger, daß ihm seine Geheimdienstler nicht genug Belastungsmaterial gegen die Linken heranschaffen. Dabei könnte er das so gut für seine öffentlichen Auftritte gebrauchen.
Sozialdemokraten und Grüne, Gewerkschafter und Friedensbewegung, da hat der Zimmermann-Gehilfe ein festgefügtes Urteil, sind von Kommunisten unterwandert. Das muß so sein, wenn einer »die im besten Sinne christliche Verteidigungspolitik der Bundesregierung mit den Propagandabehauptungen der freiheits- und menschenrechtsverachtenden atheistischen Diktaturen des Kommunismus« angreift. Und die Grünen, weiß er auch, haben »fließende Übergänge« zur RAF.
Als Spranger 1982 mit dem Hausherrn Friedrich Zimmermann das Innenministerium übernahm, glaubte er: »Nun kann ich Politik gestalten«, und zwar »hartnäckig und zielstrebig«. Nun aber erlebt er, daß der eigene Apparat nicht so spurt, wie er es gerne hätte.
Immer wieder fordert Spranger die Kölner auf, ihre V-Leute nicht nur zur Beobachtung kommunistischer Unterwanderer einzusetzen, sondern alle linksverdächtigen Gruppen, von den Grünen bis zu den Gewerkschaften, zu observieren.
Die Grünen sind in den Augen Sprangers Verfassungsfeinde, deshalb verlangt
er hartnäckig Berichte. Vom Hamburger Parteitag Ende letzten Jahres etwa sollte der Verfassungsschutz eine Analyse über den Streit zwischen Realpolitikern und Fundamentalisten anfertigen.
Spranger erwartet auch, daß sogenannte Bündnisaktionen mit Kommunisten schärfer überwacht werden. Ihm genügt nicht, daß die Kölner Versuche der DKP beschreiben, den Einfluß auf Parteien und Gewerkschaften auszudehnen. Er will wissen, wie sich Gewerkschaftsfunktionäre bei Betriebsratswahlen gegenüber der DKP verhalten. Er möchte lesen, was der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende Günther Jansen beim Treffen der Ostermarschierer geredet hat.
Und auch hier hat er sein festes Vorurteil: Während der Bericht nur wiedergab, was die DKP behauptet, sie habe das Tor zu den Gewerkschaften geöffnet, fügte er zwei Worte ein: Das behaupte sie »zu Recht«.
»Er wünscht eine Gesamtschau«, empört sich ein Innen-Beamter über den Ober-Schnüffler, »und das überschreitet eindeutig den gesetzlichen Auftrag.«
Den Einwand, der Verfassungsschutz dürfe SPD oder Gewerkschaften gar nicht bespitzeln, findet Spranger unbegreiflich. Dann sei ein solches Papier »unvollständig«. Mit dem Argument, wenn er über den Grünen-Parteitag Bescheid wissen wolle, müsse er schon Journalisten beschäftigen, kann der Christsoziale überhaupt nichts anfangen.
Im eigenen Ressort und auch bei christdemokratischen Abgeordneten hat sich der Zimmermann-Gehilfe mit seiner Verbissenheit allmählich isoliert. Die Innenpolitiker der Union, Paul Laufs etwa oder Karl Miltner, schätzen den BfV-Präsidenten Hellenbroich als anerkannten Experten und halten Spranger eher für einen Wadenbeißer. Und der ehemalige Innenminister Gerhart Baum kündigt »Krach« an.
»Daß die Regierung diesem Mann diese Verantwortung überläßt«, schimpft der stellvertretende FDP-Vorsitzende, »kann sich die FDP nicht bieten lassen. Wir werden das in der Koalition zur Sprache bringen.«