Umwelt Harmloser Stoff
Eine rätselhafte Krankheit befiel in den siebziger Jahren Häuslebauer und Heimwerker: Patienten klagten über Magen- und Darmbeschwerden, Depressionen, Kopfschmerzen und Atemnot. Ärzte diagnostizierten krankhafte Veränderungen an Leber, Niere oder Milz und zählten auffällig viele weiße Blutkörperchen. In zahlreichen Gerichtsverfahren wurde schließlich die Ursache für die Gesundheitsschäden ermittelt: das Holzschutzmittel Pentachlorphenol (PCP). Alle Patienten hatten in Räumen gelebt, wo Schrankwände oder Holzverschalungen mit dem Konservierungsmittel behandelt worden waren.
Als Klaus Töpfer 1987 sein Amt als Umweltminister antrat, ließ er die hochgiftige Chemikalie als erste Amtshandlung vom Kabinett verbieten. PCP-haltige »Zubereitungen und Erzeugnisse« durften danach in der Bundesrepublik weder verkauft noch verwendet werden.
Nun aber soll der Stoff, der nach offiziellen Schätzungen etwa 20 000 Bundesbürger schädigte, über den europäischen Binnenmarkt wieder nach Deutschland einsickern dürfen. Denn nationale Schutzvorschriften und Verbote gelten in einem Europa ohne Handelsschranken als Handelshemmnis.
Noch in diesem Monat wollen die Wirtschaftsminister der Gemeinschaft mit Mehrheit eine EG-Richtlinie verabschieden, die eine beschränkte »Verwendung von Pentachlorphenol« in allen Mitgliedsländern erlaubt. Bei Außenanstrichen, bei industrieller Verarbeitung, für die Erhaltung von Kulturdenkmälern und zum Imprägnieren von Zelten oder schweren Textilien darf das Pestizid verwendet werden - ein Sieg der Lobby des französischen Chemiekonzerns Rhone-Poullenc, der als einziges Unternehmen in Europa die Chemikalie produziert. In der Bundesrepublik haben sich die Firmen längst auf weniger umweltschädliche Substanzen für die Bekämpfung von Holzwürmern und Schimmelpilzen eingestellt. Denn Pentachlorphenol, so belehrte Töpfer den für den Binnenmarkt zuständigen Kommissar Martin Bangemann in einem vierseitigen Brief, habe sich nicht nur in Tierversuchen »bereits in sehr geringer Menge als krebserzeugend« erwiesen. Die von diesem Keim- und Insektenkiller innerhalb eines Jahres abgegebenen Dioxinmengen seien um ein Vielfaches größer als der Dioxinausstoß aller deutschen Müllverbrennungsanlagen zusammen.
Sollte PCP wieder verwendet werden dürfen, dann wären alle Bemühungen vergeblich, durch strenge Emissionsgrenzwerte bei der Abfallverbrennung die Abgabe des Sevesogiftes Dioxin auf 4 Gramm TE* jährlich zu reduzieren. Untersuchungen hätten ergeben, so Töpfer, daß der »durch PCP verursachte Dioxineintrag« in der Bundesrepublik vor dem Verbot etwa 1300 Gramm TE im Jahr betrug.
»Ich möchte Sie bitten«, forderte deshalb der Bonner CDU-Ressortchef im vergangenen Juli den Europa-Politker Bangemann auf, den Kommissionsvorschlag für die PCP-Richtlinie »noch einmal zu überprüfen«. Auf eine Antwort wartete Klaus Töpfer vergebens. Auch die Aufklärungsversuche seines beamteten Experten Professor Klaus Schlottmann, der Bangemanns Eurokraten mit Gutachten der Weltgesundheitsorganisation und der »Gesellschaft Deutscher Chemiker« belieferte, verliefen »im Sande« (Schlottmann). _(* TE = Toxische Äquivalente (toxic ) _(equivalents) sind eine Rechnungseinheit, ) _(bei der verschiedene Dioxine und Furane ) _(auf die Giftigkeit des gefährlichsten ) _(Dioxins, des Seveso-Giftes, umgerechnet ) _(werden. Das heißt, ein Gramm TE wirkt ) _(wie ein Gramm Seveso-Dioxin. )
Einflußreicher war hingegen ein Vertreter des französischen Chemiegiganten Rhone-Poullenc. Als Abgesandter des europäischen Industrieverbandes CE-FIC saß er in der Expertenrunde der Kommission, die den Richtlinienentwurf formuliert hatte. Wann immer Schlottmann Bedenken erhob, kam die Replik vom Franzosen: PCP sei relativ harmlos und als Holzschutzmittel unersetzlich.
Der Widerstand des Experten von Rhone-Poullenc war verständlich. Schließlich hat seine Firma, seit die deutschen Unternehmen auf den Stoff in ihren Lacken und Lösungen verzichteten, die PCP-Produktion mehr als verdreifacht. 30 000 Tonnen stellt der Konzern inzwischen her - ein Jahresumsatz von rund 500 Millionen Mark.
Doch in den Brüsseler Arbeitssitzungen ist stets nur von den armen Iren und Portugiesen die Rede, für die das Holzschutzmittel unverzichtbar sei. Bei der Konservierung ihrer Telefonmasten seien sie auf das hochwirksame und relativ preiswerte Gift angewiesen.
Als der Bonner Regierungsvertreter konterte, PCP solle allgemein verboten, Iren und Portugiesen aber eine Ausnahmeregelung zugestanden werden, beharrten - mit Ausnahme der Holländer und Dänen - alle auf einer Zulassung.
Im Binnenmarkt, so zeigt sich, haben die wirtschaftlichen Interessen eindeutig Vorrang. Der nächste Fall zeichnet sich schon ab. Auch bei der Richtlinie »über das Inverkehrbringen von EWG-zugelassenen Pflanzenschutzmitteln«, die noch in diesem Sommer verabschiedet werden soll, ist die Handschrift der Chemielobby unverkennbar.
Die neue Vorschrift unterläuft das im EG-Europa vergleichsweise strenge bundesdeutsche Zulassungsverfahren für Insekten- und Unkrautvernichter, die in den Boden eindringen und das Grundwasser verseuchen. Wie stets im Binnenmarkt soll künftig der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gelten: Ein in Griechenland zugelassenes, in der Bundesrepublik aber verbotenes Pestizid dürfte dann trotzdem in Deutschland verkauft werden.
Ganz kampflos will Umweltminister Töpfer seine ökologischen Positionen im Binnenmarkt nicht räumen. Bei der PCP-Richtlinie läßt er es auf einen Konflikt ankommen. Wenn die Deutschen gemeinsam mit den Holländern und Dänen im Rat überstimmt werden, will er das bundesdeutsche Verbot dennoch aufrechterhalten und es auf eine Klage der Kommission beim Europäischen Gerichtshof ankommen lassen. Dann müßten die Luxemburger Richter grundsätzlich klären, ob nationale Bestimmungen zum Umweltschutz dem freien Handel und Wandel in Europa zu weichen haben. o
Heimwerker, vergiftetes Holz: Ein Sieg der Chemie-Lobby
* TE = Toxische Äquivalente (toxic equivalents) sind eineRechnungseinheit, bei der verschiedene Dioxine und Furane auf dieGiftigkeit des gefährlichsten Dioxins, des Seveso-Giftes,umgerechnet werden. Das heißt, ein Gramm TE wirkt wie ein GrammSeveso-Dioxin.