NICARAGUA Harte Linie
Nicaraguas Freunde waren enttäuscht: Die linke Pariser »Liberation« beklagte mangelnde »demokratische Überzeugung«, die Niederlande »bedauerten« die neuen Maßnahmen, die US-Bischofskonferenz, immer in Opposition zu Präsident Reagans Mittelamerikapolitik, war »beunruhigt«, und selbst kommunistische Gewerkschaften Italiens kabelten mahnend ihre »Besorgnis« ins ferne Managua.
Der internationale Unmut richtete sich diesmal nicht gegen die antisandinistischen Contras, sondern gegen das sandinistische Regime. Dessen Präsident Daniel Ortega hatte den nationalen Notstand ausgerufen - mit erheblichen Einschränkungen persönlicher Rechte.
Die Pressefreiheit, ohnehin ständig im Visier der Zensoren des Innenministeriums, bestand fortan nicht einmal mehr auf dem Papier, freie Meinungsäußerung war untersagt, selbst die Korrespondenz konnte ohne richterlichen Beschluß kontrolliert werden. Das Streikrecht wurde aufgehoben, die Polizei konnte Bürger ohne Haftbefehl festsetzen.
Und eilfertig machten sich die Vollstrecker der undemokratischen Maßnahmen ans Werk, verhafteten oppositionelle Partei- und Gewerkschaftsführer (wenn auch nur vorübergehend), beschlagnahmten
Druckmaschinen und Zeitungen des Erzbistums.
Zwar versicherte Innenminister Tomas Borge sofort, die Religionsfreiheit bleibe unangetastet, doch Kardinal Obando y Bravo, gewichtigster Gegner der Sandinisten im katholischen Nicaragua, brandmarkte in seinen Predigten diesen »weiteren Schritt in Richtung Totalitarismus«.
Präsident Ortega hatte als Begründung für die Notstandsmaßnahmen angeführt: »Wir können nicht mit verschränkten Armen den konterrevolutionären Aktivitäten zusehen.« Doch der Grund war fadenscheinig. Erst wenige Tage zuvor hatten Managuas Zeitungen mit dicken Schlagzeilen und langen Reportagen von großen Siegen der Armee über die US-finanzierten Contras berichtet.
Warum also ohne Not diese Maßnahmen, in denen alle Sandinistengegner eine willkommene Morgengabe sehen mußten?
Sechs Jahre lang hatten sich die linken Sandinisten bemüht, der Weltöffentlichkeit eine sozialistische und dennoch pluralistische Gesellschaft vorzuführen. Die Verstaatlichung wurde nicht weit vorangetrieben, nur rund ein Drittel der Produktion stammt aus staatlichen Unternehmen, erheblich weniger als etwa in Mexiko, Brasilien oder Argentinien.
Übereinstimmend wiesen internationale Menschenrechtsorganisationen wie »Amnesty International«, »Americas Watch« oder das amerikanische »Lawyers Committee for International Human Rights« den verbreiteten Vorwurf zurück, in Nicaragua herrsche ein »totalitäres System«.
Es gibt »keine Politik der Folter, des politischen Mordes oder des Verschwindenlassens in Nicaragua«, urteilt »Americas Watch«. Und anders als im benachbarten El Salvador, wo es dem Präsidenten bis heute nicht gelungen ist, ein funktionierendes Rechtssystem aufzubauen, ahnden nicaraguanische Gerichte Übergriffe durch Militär oder Polizei mit äußerster Härte.
So verurteilte ein Militärgericht den Kommandeur einer Einheit »wegen Mordes in zwei Fällen und wegen Folter an vier Gefangenen zu 44 Jahren Freiheitsstrafe«, berichtet Amnesty. »Zwölf Untergebene erhielten Haftstrafen bis zu 14 Jahren.«
Nach großen Mißerfolgen ihrer autoritären Indianerpolitik und scharfer internationaler Kritik vollzogen die Machthaber vor etwa drei Jahren eine radikale Wende. »Seither haben sich ihre Beziehungen zu den Miskito-Indianern dramatisch verbessert«, stellte wiederum »Americas Watch« in ihrem neuesten Bericht fest.
Doch weder »technisch einwandfreie und geheime Wahlen«, wie der SPD-MdB Rudolf Bindig im November vergangenen Jahres befand, noch marktwirtschaftliche Konzessionen an den Westen halfen. Der politische Druck vor allem der USA ließ nicht nach.
Angesichts solcher Erfolglosigkeit ihrer Politik setzten sich in der Sandinistenführung die Falken durch, für die Rücksichtnahme auf westliches Demokratieverständnis und religiöse Empfindungen schon lange nur lästiges Hindernis auf dem Weg in den Sozialismus war. »Vom Image allein kann man weder essen noch überleben«, bestätigte einer der Chef-Comandantes die neue harte Linie.
Damit schien der marxistische Innenminister Tomas Borge, neben dem abtrünnigen Ex-Kommandanten Eden Pastora
der populärste Volksheld der sandinistischen Revolution, wieder an Bedeutung und Macht gewonnen zu haben. Seit den Wahlen im November letzten Jahres hatte der häufig im internationalen Rampenlicht stehende, jugendliche Präsident Ortega den Altrevolutionär zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Jetzt wurde der Falke Borge wieder zum bestimmenden Faktor in Nicaraguas Politik. Ihm untersteht die Polizei, die zuständig ist für die Durchsetzung der Ausnahmebestimmungen.
Doch diesmal richteten sich die restriktiven Maßnahmen weniger gegen die traditionellen Gegner des Regimes, Kirche, Unternehmertum und bürgerliche Presse. Diesmal zielten sie vor allem gegen die Arbeiterschaft, die oppositionellen Gewerkschaften und den »Schlendrian, der die Wirtschaft sabotiert«, wie die Sandinisten sagen.
Eigene Mißwirtschaft und Schlamperei sowie der amerikanische Wirtschaftsboykott zeitigten inzwischen schlimme Folgen für Nicaragua: Die Inflation kletterte auf knapp 300 Prozent, das Zahlungsbilanzdefizit auf 500 Millionen Dollar. Die Hälfte aller Einnahmen steckten die Comandantes in die Verteidigung. So wurde Nicaragua zahlungsunfähig.
Da der Wirtschaft des Landes auch noch eine Baumwoll-Mißernte bevorsteht, bleibt als einzige Devisenquelle der Erlös vom Kaffee-Export. Da konnten und wollten die Sandinisten den Forderungen streikender Arbeiter nach Reallohnerhöhungen und Auszahlung eines 13. Monatsgehalts nicht nachkommen. Sie verhängten per Notstandsgesetz ein Streikverbot.
Besonders gegen die Angriffe dreier kleiner marxistisch-leninistischer Oppositionsparteien »unter die Gürtellinie« richte sich diese Maßnahme, erklärte der Priester und Kulturminister Ernesto Cardenal. Diese drei Parteien hatten dazu aufgerufen, zur Durchsetzung der Einkommensforderungen die für den Außenhandel Nicaraguas lebenswichtigen Ernten zu behindern.
Diesem Kampf der Sandinisten »wider die Kinderkrankheit des Kommunismus«, gegen die schon Lenin zu Felde zog, »den Linksradikalismus«, schloß sich zwei Wochen später auch die nicaraguanische Nationalversammlung an. Doch nicht ganz im Sinne der Falken um Tomas Borge.
Überraschend hob das zu zwei Dritteln von den Sandinisten beherrschte Parlament einige Notstandsmaßnahmen wieder auf: hauptsächlich jene, die nicht für einen ungestörten Wirtschaftsablauf erforderlich schienen. Die Einschränkung des Streikrechts, der Demonstrations- und der Versammlungsfreiheit blieb jedoch bestehen, soweit sie die »Staatssicherheit und die öffentliche Ordnung« betrifft.
Mag dieser Gummiparagraph auch alle Möglichkeiten beinhalten, gegen Verstöße der Ausnahmeverordnungen vorzugehen, so wollen die Sandinisten doch nicht noch mehr internationale Kritik riskieren.
Nur kurz nachdem Präsident Ortega den Notstand verhängt hatte, setzte sich Kardinal Obando y Bravo demonstrativ über das Versammlungsverbot hinweg. Unter freiem Himmel zelebrierte er eine Messe und marschierte anschließend im Triumphzug, begleitet von Hunderten von Gläubigen, durch die Straßen.
Die Sandinisten unternahmen nichts.