Hitler Harte Richterpflicht
Eine Woche wartete Korbinian Reindl ab, dann schickte der Wirt des Münchner Bürgerbräukellers der Deutschen Arbeiter-Partei des Adolf Hitler eine saftige Rechnung: 11 347 000 Reichsmark wollte Reindl von den Nationalsozialisten haben, weil die am Vorabend ihres historischen Marsches auf die Feldherrnhalle das Reindl-Lokal verwüstet hatten. Der Wirt verlangte Geld für 143 Maßkrüge, 80 Gläser, 98 Stühle, zwei Musikständer und 148 »Paar verschwundene Bestecke«.
Die Rechnung aus dem November 1923, als die Inflation blühte, wurde nie beglichen. Das Amt für »Aufruhrschäden«, bei dem Reindl deshalb vorstellig wurde, lehnte eine Wiedergutmachung unter Hinweis auf die »günstigen Vermögensverhältnisse« des Bürgerbräu-Wirts ab.
Die Unterlagen entdeckte der Münchner Rechtsanwalt Otto Gritschneder, 76, der in seiner Freizeit die bayerische Zeitgeschichte erforscht, jetzt nebenher, als er den Umgang der bayerischen Justiz mit dem Putschisten Adolf Hitler untersuchte**.
Gritschneders Recherchen-Ergebnis: Das Münchner Volksgericht, das Hitler am 1. April 1924 wegen des Putschversuchs vom 8./9. November 1923 nur zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft verurteilte, hätte den Angeklagten, wäre es beim Prozeß nach dem Gesetz gegangen, zum Tode verurteilen müssen.
Denn bei genauerer Betrachtung stellte sich der Marsch zur Feldherrnhalle, so Gritschneder, als »ein mit äußerster Brutalität ins ** Otto Gritschneder: »Bewäh- _(rungsfrist für den Terroristen Adolf H. ) _(Der Hitlerputsch und die bayerische ) _(Justiz«. Verlag C. H. Beck, München; 187 ) _(Seiten; 32 Mark. * Erich Ludendorff, ) _(Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, Robert ) _(Wagner vor der Urteilsverkündung. ) Werk gesetzter mörderischer Aufstand« dar.
Statt dessen unterdrückten die Richter nahezu alle Beweise, die zu einer Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens hätten führen müssen.
Für die rechtswidrige Sympathie der bayerischen Justiz mit dem Revoluzzer fand Gritschneder beim Aktenstudium neue plakative Belege.
Mit keinem Wort etwa ging das Volksgericht darauf ein, daß die Nazis bei ihrem Putschversuch vier Polizisten erschossen hatten - im Urteil ist nur die Rede von einem »unglücklich verlaufenen Propagandazug«. Unerwähnt blieben auch die Verwüstungen, die SA-Trupps in den Redaktionsräumen der sozialdemokratischen Münchner Post angerichtet hatten.
Zur Rechtfertigung der »Verhaftung« jüdischer Bürger und der Geiselnahme von SPD-Stadträten machte sich das Gericht gar die Sichtweise der Aufrührer zu eigen: Es sei »wohl zutreffend«, heißt es in der Urteilsbegründung, daß die Festgehaltenen »sonst von der Volksmenge erschlagen worden« wären. Und die Überfälle auf zwei Druckereien, die von Hitlers Leuten um 14 605 Billionen Reichsmark beraubt worden waren, wertete das Gericht, ebenfalls ganz auf der Verteidigungslinie der Putschisten, als »Beschlagnahme«. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts in Leipzig waren diese Delikte eigene Tatbestände, die nicht in einer Generalanklage wegen Hochverrats hätten aufgehen dürfen.
Ihr unverhohlenes Wohlwollen für den Revoluzzer Hitler und seine Kumpane demonstrierten die bayerischen Volksrichter auch auf andere Weise. In der Tasche des Oberstlandesgerichtsrats Theodor von der Pfordten, der vor der Feldherrnhalle als Hitlers Komplize erschossen worden war, fand die Polizei den Entwurf einer neuen Reichsverfassung. Das Papier hätte für die strafrechtliche Würdigung des Putsches nach Ansicht Gritschneders von »entscheidender Bedeutung« sein müssen. Beispielsweise wollten die Umstürzler alle Volksvertretungen auflösen und jeden mit Todesstrafe bedrohen, der weiter an Parlamentssitzungen teilnahm.
Der Verfassungsentwurf tauchte im Hitler-Prozeß überhaupt nicht auf. In der amtlichen »Chronik der Bayerischen Justizverwaltung« erschien statt dessen ein Nachruf auf von der Pfordten, in dem es hieß, der Jurist habe »seine ganze Persönlichkeit in den Dienst der sittlichen Wiedererneuerung des deutschen Volkes gestellt« und »in lauterer Hingabe an das Vaterland den Tod gefunden« - ein entlarvendes Indiz dafür, wem die Neigungen der bayerischen Justiz gehörten.
Aus diesem Wohlwollen resultiert auch die »augenfälligste Rechtsbeugung« (Gritschneder) der Volksrichter: Sie wiesen den Ausländer Hitler nicht, wie nach den Bestimmungen des Republikschutzgesetzes vorgesehen, nach dem Prozeß außer Landes. Der »Sinn und Zweck« einer Abschiebung könne, entschied das Volksgericht vielmehr, auf den »Deutschösterreicher«, der von »edelstem selbstlosen Willen geleitet« gewesen sei, »keine Anwendung finden«. Der edle Putschist kam nach rund einjähriger Haft in der Festung Landsberg, die zu jener Zeit eher einem Kasino glich, wieder frei.
Hitler vergaß die Gunsterweisung nicht: Der Vorsitzende des Volksgerichts, Georg Neithardt, avancierte 1933 zum Präsidenten des Oberlandesgerichts und wurde rückwirkend in die NSDAP aufgenommen. Als Neithardt 1939 in Pension ging, würdigte sein Vize Alfred Dürr ausdrücklich Neithardts »Verdienste« im Hitler-Prozeß: _____« Es war bitter: Freisprechung war nicht möglich, in » _____« harter Richterpflicht mußte das Volksgericht Adolf Hitler » _____« des Hochverrats schuldig erkennen . . . Aber das » _____« Schlimmste wurde abgewendet. Trotz zwingender » _____« Gesetzesvorschriften lehnte das Volksgericht es ab, gegen » _____« den Deutschesten der Deutschen auf Reichsverweisung zu » _____« erkennen. »
** Otto Gritschneder: »Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf H.Der Hitlerputsch und die bayerische Justiz«. Verlag C. H. Beck,München; 187 Seiten; 32 Mark. * Erich Ludendorff, Wilhelm Brückner,Ernst Röhm, Robert Wagner vor der Urteilsverkündung.