AUTO UNION Harte Welle
Heinrich Nordhoffs neuer Mann in Ingolstadt, Rudolf Leiding, 52, hat es in gut einem Jahr geschafft: Nach mehreren Verlust-Jahren wird die Auto Union GmbH 1966 erstmals wieder Gewinn abwerfen.
Als Leiding am 10. Juni 1965 Dr. Werner Henze ablöste, war bereits zu erkennen, wie der neue Boß seine Aufgaben zu lösen gedachte. Ein Photograph mußte ihn auf seiner Inspektionsrunde durch den Betrieb begleiten. Am nächsten Morgen präsentierte Leiding den Abteilungsleitern und Meistern die im Bild festgehaltenen Beanstandungen. Einige hundert Tonnen Schrott wurden anschließend weggekarrt.
Auch die Schweißer und Schreiber merkten sofort, daß im Chefzimmer 412 der Verwaltung wieder regiert wurde;
wer zu spät kam, wurde von den Pförtnern notiert und gemeldet. Am ersten Tag hatten 274 Mitarbeiter das Werkstor nach- Arbeitsbeginn passiert, am zweiten nur noch 101, am dritten kamen alle pünktlich.
Friedrich Flick hatte sich im Herbst 1964 aus gutem Grund entschlossen, die Auto Union GmbH, eine Tochterfirma des Daimler-Benz-Konzerns, an das Volkswagenwerk zu verkaufen. Der Absatz der Firma war auf einem Tiefpunkt angelangt. 1962 hatten noch für 812 Millionen Mark Autos und Ersatzteile verkauft werden können, 1965 nur noch für 531 Millionen Mark.
30 000 fabrikneue Zweitakter standen im Winter 1964/65 in Eis und Schnee, als Nordhoff die Auto Union GmbH für 296 Millionen Mark kaufte. An Gewinn war nicht zu denken.
VW-Statthalter Leiding fand bald heraus, warum das Werk festgefahren war. Leiding: »Es wurde zu langsam und zu umständlich produziert.«
Er beließ deshalb in der Fabrik kein, Produktionsaggregat an seinem Platz, sondern krempelte den Betrieb völlig um und organisierte ihn straff nach Wolfsburger Muster. Stellenpläne wurden eingeführt, und die Chefs bekamen vorgeschrieben, mit wieviel Arbeitskräften sie welche Mehrleistung zu bringen hatten. Von den 12 000 Beschäftigten schieden 500 aus. Führungskräfte, denen das Tempo zu schnell war, mußten sich nach einem anderen Job umsehen. Mit Rudolf Leiding als Vorsitzendem arbeiten zwei andere Geschäftsführer zusammen:
- der Entwicklungs- und Konstruktionschef Ludwig Kraus, 54, ein Diplomingenieur aus der Daimler -Benz-Zentrale,
- der Verkaufschef Ludovicus Deckers, 49, ein Holländer, der zuletzt in Wolfsburg die Marketing-Abteilung von VW geleitet hatte.
Leiding selbst besitzt Erfahrungen in der Leitung komplizierter Auto-Werke. Der Kfz-Offizier und Pionierleutnant des Zweiten Weltkrieges war Ende der fünfziger Jahre von Nordhoff mit dem Bau des neuen VW-Werkes in Kassel betraut worden und hatte die 14 000 -Mann-Fabrik bis zu seiner Ingolstädter Mission gesteuert.
Heinrich Nordhoff, der stets auf Viertakter geschworen hatte, dekretierte den schnellen Tod der traditionellen Auto-Union-Zweitakter. Zuerst wurde die Fabrikation der Pkw-Typen F 11 und F 12 eingestellt. Im Februar 1966 starb auch der F 102.
Seit 1949 waren 987 351 Zweitakt-Autos mit den vier Ringen und 144 422 Teilesätzen gebaut worden. Jetzt ging die stolze Zweitakt-Geschichte zu Ende*.
Ein 1,7-Liter-Viertaktmotor des damaligen Daimler-Benz-Chefingenieurs Fritz Nallinger wurde mit einer kongenialen Karosserie umgeben. In Erinnerung an ein Vorkriegsfahrzeug der mitteldeutschen Auto Union nannten die Ingolstädter das neue Modell Audi.
Am 10. September 1965 rollten die ersten Audis zu den Händlern und präsentierten sich als Gemeinschaftsleistung: Der Motor stammt von Daimler-Benz, die Karosserie von der Auto Union, und die Produktionstechnik von VW.
Der Zwölf-Stunden-Arbeiter Leiding machte der lustlos gewordenen Auto-Union-Mannschaft klar, sie habe eine letzte Chance, sich-ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Die Zeit, da »Bild« an der Werkbank gelesen werden durfte sei vorbei. Um die Exerziergriffe der VWFließbandarbeiter zu erlernen, schickte Rudolf Leiding 200 Ingolstädter bis zu drei Monaten in die VW-Werke.
Kapital aus' Wolfsburg und die VWArbeitstechnik verbesserten schnell die Betriebsbilanz. »Die Fertigungszeiten für den Typ Audi wurden 1966 um 34 Prozent gesenkt«, berichtet Leiding.
Nach VW-Muster entwarf er auch die Marktstrategie. Rationalisierungsgewinne wurden zu Preissenkungen genutzt, um den Verkauf des neuen Modells zu beschleunigen. Der 72 PS starke Audi wurde um 300 Mark auf 7390 Mark verbilligt. Leidings Werbung posaunte: »Wer besser produziert, kann Preise senken.«
Seine Mitarbeiter traktierte er mit der stereotypen Frage: »Was kostet das, und was bringt das?« Auto Unions Sportabteilung, ruhmbedeckt seit den Pistensiegen Bernd Rosemeyers, wurde aufgelöst, weil sie nur Geld kostete und kein Geld einbrachte.
Verkaufschef Ludovicus Dekkers nahm auch die tausend Händler ai die kurze Leine. Sie mußten ihre Wagen bar bezahlen oder durch eine Finanzierungsgesellschaft der Firma erwerben. Zugleich dehnte Dekkers das Finanzierungsgeschäft aus. Schon jetzt wird die Hälfte aller Audi-Verkäufe durch das Werk finanziert.
Entwicklungschef Ludwig Kraus gewann, da die Modelle Audi 72 PS und
Audi Variant sich als gelungene Würfe
erwiesen, Mut zur Verbreiterung seines Angebots: Der Audi mit 80 PS (Preis: 7690 Mark) rollte bereits vom Fließband, ihm wird im Dezember der Audi mit 90 PS (Preis zweitürig: 8390 Mark, viertürig: 8690 Mark) folgen.
Selbst der hart umkämpfte Weltmarkt öffnete sich den neuen Karossen aus Bayern. Der Auto-Union-Export, der Ende 1965 noch 20 Prozent ausgemacht hatte, schnellte im Herbst 1966 auf 34 Prozent hoch.
Das frische Ingolstädter Führungsteam läßt heute schon täglich 280 Audis vom Band rollen. Im Werk, wo die Taktstraßen für den Audi und den VW in wenigen Metern Abstand um die Wette laufen, werden außerdem täglich 400 VW-Käfer montiert.
Allein 84 Millionen Mark investierte das Volkswagenwerk 1965 in den Audi-Viertakt-Motor und die Pressen und Bänder für den neuen Typ. VW-Aktionäre merkten, was Nordhoffs Ingolstädter Engagement gekostet hatte: Der Gewinn je 100-Mark-Aktie des Volkswagenwerks war im Jahr 1965 durch das Flottmachen der Auto Union GmbH um zehn Mark niedriger ausgefallen.
Nordhoffs Leiding kann aber bereits jetzt eine optimistische Vorausschau auf das Geschäftsergebnis dieses Jahres wagen. 1966 werden rund 60 000 Fahrzeuge gebaut, der Jahresumsatz wird mehr als eine halbe Milliarde Mark betragen und vermutlich einen ersten bescheidenen Gewinn bringen.
Rudolf Leiding: »Wir produzieren heute mit demselben Effekt wie die Fabriken des Volkswagenwerks. Wir machen überhaupt alles wie VW.«
Nur in einem Punkt unterscheidet sich Ingolstadt von Wolfsburg: Während in Nordhoffs sämtlichen VW-Fabriken Alkoholverbot gilt, muß Rudolf Leiding bei der bayrischen Auto Union den Bierausschank gestatten.
* In Ingolstadt wird heute nur noch der Bundeswehr-Zweitakter »Munga« hergestellt.
Tagesleistung: 14 Autos.
Auto-Union-Chef Leiding
»Wir machen alles wie VW«
Alter Audi (1934)
Tod dem Zweitakter
Audi- und VW-Montage in Ingolstadt: 680 Viertakter täglich