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Artikel 21 / 85

FILZ Hastiger Schatten

In der Berliner Schmieraffäre wollen die Strafverfolger die Geschäfte eines Firmen-Jongleurs als Musterfall für Filz und Wirtschaftskriminalität vorführen. *
aus DER SPIEGEL 49/1986

Der tote Mann auf dem Pflaster der Lietzenburger Straße in Berlin-Wilmersdorf hatte gut zwei Promille Alkoholanteil im Blut.

Johannes Pohlmann, zu Lebzeiten Alkoholiker und starker Raucher, war vor einem in seinem Pensionszimmer ausgebrochenen Großfeuer auf den Balkon geflüchtet und dann vier Stockwerke abgestürzt. Fast fünf Stunden lang hatten dort in der Nacht zum 27. März 1984 an die hundert Berliner Feuerwehrleute zu löschen. Rund anderthalb Millionen zahlte die Feuerversicherung den Eignern des Hauses Lietzenburger Straße 83, die den Schadenshergang so rekonstruiert hatten: _____« Herr Pöhlmann begab sich in diesem trunkenen Zustand » _____« ins Bett und schlief mit einer brennenden Zigarette ein. » _____« Die Zigarette entflammte das Mobiliar. Das Feuer machte » _____« sich sodann im ganzen Raum breit und dehnte sich auf das » _____« Dachgeschoß des Hauses aus. »

Dies war anfangs auch die These der Polizei. Bei Nachermittlungen aber fiel auf, daß der Mann vom Balkon noch Bekleidung und Schuhe trug, also kaum im Schlaf überrascht worden sein dürfte. Seine Lungen wiesen auch nicht die für einen Schwelbrand typischen Qualmspuren auf.

In der Decke des Pöhlmann-Zimmers fand sich hinterher ein meterbreites Loch, das die Ausbreitung der Flammen zum darüberliegenden Dachstuhl beschleunigt hatte. Zeugen im Haus wollen überdies aus dem Zimmer des Opfers »einen Schatten sich hastig fortbewegend«- gesehen haben, als es schon brenzlig roch. Zeugen von der Straße beobachteten, daß sich bei dem Brand ein »intensives blaues Licht« entwickelt habe - wie es vor allem beim Verbrennen von Methanol entsteht.

Vieles sprach für Brandstiftung. Die eigens eingesetzte Sonderkommission Lietzenburger Straße ("Soko Lietze") sichtete anonyme Beschuldigungsschreiben und recherchierte in der Ganovenszene.

Aus verschiedenen Vollzugsanstalten kamen Bekundungen, »Jungs« aus dem Puff-Milieu rund um die Lietzenburger Straße hatten den Brand im Auftrag von Versicherungsbetrügern gelegt und es sogar »bewußt so eingefädelt, daß der Pöhlmann draufgeht«.

Auf zwei Männer konzentrierte sich der Verdacht, Organisatoren des tödlichen Brandes gewesen zu sein: Werner Hildebrandt der eine, wegen diverser Eigentumsdelikte in Ost und West vorbestraft, nach einem spektakulären Porzellan-Raub in der DDR »Meißen-Werner« im Milieu geheißen; Wolfgang Kind der andere, Steuerberater und geschäftsführender Teilhaber der brandgeschädigten Eignergemeinschaft.

Kind habe sich, so fanden die Ermittler, mit der »erfolgreichen Inbrandsetzung« aus einer »Finanzierungslücke von 633550 Mark« befreit, Hildebrandt für ihn die Brandstifter besorgt - damit begann die später mit dem Namen des damaligen christdemokratischen Baustadtrats Wolfgang Antes verknüpfte Berliner Schmieraffäre, bei der die Soko Lietze nach und nach ein verfilztes Nebeneinander von Spitzenpolitikern, Bordellwirten, Beamten und Wirtschaftskriminellen offenlegte.

Abschreibungsexperte Kind wurde gemeinsam mit sechs anderen im Antes-Prozeß angeklagt, wegen Bestechung. Nach Abschluß der Ermittlungen über das Feuer von 1984 wurde sein Verfahren jedoch abgetrennt. Die nachgefertigte Anklageschrift ist um diverse Strafvorwürfe erweitert, im Mittelpunkt: schwere Brandstiftung.

Über den »Berliner Sumpf« ist längst das erste Buch erschienen. _(Michael Sontheimer, Jochen Vorfelder: ) _("Antes & Co., Geschichten aus dem ) _(Berliner Sumpf«. Rotbuch Verlag; 175 ) _(Seiten; 16 Mark. )

Dort zieht der stellvertretende Leiter der Soko Lietze sein Affären-Fazit: »Wir sind auf so ziemlich alles gestoßen, was das Strafgesetzbuch hergibt - außer der Vorbereitung eines Angriffskrieges.«

In dieses kriminalistische Vollbild passen aus Sicht der Ermittler der Fall des Geschäftsmannes Kind und dessen abenteuerliche Kreuz-und-quer-Verbindungen trefflich hinein. Denn neben »Meißen-Werner« und den »Jungs« rückten die Ermittlungen noch weiteres Personal

aus dem Affärenumfeld in Kinds Nähe, so etwa *___den Mitangeklagten Karl-Heinz Böh ning, einen ____Gastronomen, der 1981 nach eigenem Geständnis sein ____Berli ner »Cafe am Hain« anstecken ließ, um mit Hilfe ____seines Steuerberaters Kind die Versicherungssumme zu ____kassieren; *___den Mitangeklagten Kurt-Christoph Landsberg, derzeit ____beurlaubten Ge schäftsführer der Berliner Anwalts ____kammer, dem die Staatsanwälte Pro zeßbetrug anlasten - ____durch seine fal schen Angaben seien von einer »rei nen ____Briefkastenfirma« seines Ge schäftsfreundes Kind ____Forderungen über 70000 Mark abgewehrt wor den; *___Antes selbst, der durch »Zahlung zwischen 25000 und ____35000 DM« von Kind bestochen worden sein soll, so die ____Staatsanwaltschaft, um ein Erb baurecht aufzuheben, das ____die freie Verwendung der für Böhning bereit gestellten ____Versicherungssumme - ins gesamt 743400 Mark - ____blockierte.

Durch enge Beziehungen zu Kind fiel in der Vergangenheit auch Hans-Jürgen Przytarski auf, vormals Oberstaatsanwalt beim Kammergericht und jetzt stellvertretender Leiter des Berliner Verfassungsschutzes. Als Wolfgang Kind 1981 wegen Verdachts betrügerischer Warentermingeschäfte in Haft geriet, stand ihm Przytarski auffällig bei.

Während einer Durchsuchung im Haus des Beschuldigten war Przytarski privat anwesend, stellte sich den Beamten als »Freund des Hauses Kind« vor und hat danach, laut Berichten der Beteiligten, den Amtsakt nach Kräften gestört.

Er habe »die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in Zweifel« gezogen, »durch Gesten« seinen Unmut gezeigt, gelegentlich die Kollegen zurechtgewiesen ("Hierauf griff sofort Herr OStA Przytarski ein") sowie während der gesamten Durchsuchung »Partei« ergriffen.

Später machte Przytarski, zum »Unverständnis« anderer Staatsanwälte, dem inhaftierten Freund eine private Aufwartung in der Polizeizelle. Legitimiert durch seinen Dienstausweis.

Den Verdacht, er habe sein Amt mißbraucht, wies Przytarski als »absurd« zurück. Immerhin aber haben die »umstrittenen Freundschaftsdienste (so der Berliner »Tagesspiegel") dem Juristen seinerzeit ein disziplinarisches Vorermittlungsverfahren und kürzlich eine Vorladung des Antes-Untersuchungsausschusses eingebracht - auch die von führenden CDU-Politikern betriebene Ernennung Hans-Jürgen Przytarskis zum Verfassungsschutz-Chef kam nicht zustande.

Kind hatte, so resümiert jetzt die Staatsanwaltschaft, während seiner Haft 1981 den »Meißen-Werner Hildebrandt kennengelernt« der gerade auf einen Prozeß wegen Waffenbesitzes und diverser Eigentumsdelikte wartete. Die Beziehung überdauerte die Gefangenschaft. Aus Aufzeichnungen Kinds entnahmen die Ermittler zahlreiche Treffs der beiden von 1983 an, teils auch privat, wie am 6. Februar 1984: »Abends reserviert für Werner Hildebrandt.«

Im Milieu sprach sich damals herum, daß Hildebrandt auf der Suche nach »zuverlässigen Leuten« für das von ihm betreute Haus an der Lietzenburger Straße sei. Ganoven verstanden ihn so das Haus werde »mal ''ne Goldgrube« »so eine Art Puff«.

Ein ehemaliger Weggefährte bekundete sogar, Hildebrandt habe ihm von einem Versicherungsbetrug der Finanznot leidenden Hauseigner erzählt. Mit einem »Triumphgefühl«, so ein anderer, habe »Meißen-Werner« von den eingesparten 100000 Mark Brandstifter-Lohn berichtet: Durch Brandstiftung und anschließenden Tod des Täters Pöhlmann seien, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen« worden.

Kinds Verteidiger Peter Danckert wertet die vielfach auf Unterwelt-Zeugen gestützte Beweisführung der Ermittler als »wirklich magere Geschichte«. Mandant Kind verwahrt sich gegen alles. Auch seine von den Staatsanwälten als »Tatlohn« aufgefaßten Zahlungen an Hildebrandt - nach amtlicher Addition über 40000 Mark - seien nur dazu bestimmt gewesen, dem ehemaligen Mithäftling »unter die Arme zu greifen«.

Wohin der Mann sonst so greift, ist bei den Dutzenden von Firmen, die er unterhalten hat, schwer durchschaubar. Mal heißen diese Unternehmen »Standard Restaurationsbetriebe AG«, mal »IRS Revisions-, Steuerberatungs- und Vermögensverwaltungs AG«, mal ist es eine Kind-Firma namens »Tuska Treuhand- und Steuerberatungsgesellschaft mbH«, die das Objekt an der Lietzenburger Straße managte.

»Der spielt mit Firmen wie mit Masken«, sagt ein leitender Strafverfolger, der allerdings nun die Chance sieht, hier einmal ein undurchdringliches Firmendickicht kriminalistisch bis ins einzelne auszuleuchten und exemplarisch darzustellen, welcher Methoden und Geschäftspartner sich Teile der Abschreibungsbranche beiderseits des Ku''damms beim Kassieren bedienen.

Die Ankläger wollen dem Geschäftsmann auch nachweisen, daß er im Fall des abgebrannten Cafes am Hain durch eine falsche eidesstattliche Versicherung bei einem Betrug geholfen haben soll.

Für die zunächst betriebenen Wiederaufbaupläne hatte Cafe-Eigner Karl-Heinz Böhning als Teilhaber einer Kind-Firma schweizerischen Rechts einen Architekten beauftragt. Der versuchte aus Sorge, er könne die Firma in der Schweiz nicht belangen, sich wegen seines ausstehenden Honorars an Böhning persönlich zu halten.

Böhning aber bestritt jegliche Teilhaberschaft an der Firma. Anwalt Landsberg und Wolfgang Kind bestätigten ihm das in Erklärungen, die nach Auffassung der Staatsanwälte wesentlich falsch waren. Folge: Bei Böhning wurde nicht vollstreckt.

Firmen-Jongleur Kind, der ebenso wie sein Geschäftspartner Landsberg diesen Prozeßbetrug bestreitet, hat allerdings unter einschlägigen Umständen auch anderweitig das Mißtrauen der Ermittlungsbehörden erweckt.

So betreute er beispielsweise den Verkauf zweier Wohnobjekte im kanadischen Calgary, vornehm »Bristol Manor« und »Chinook Manor« genannt. Für das Projekt, an dem Kind durch eine seiner Firmen mit zehn Prozent Verkaufsprovision teilhatte, wurden die Anleger, nach Unterlagen der Strafverfolger, mit atemberaubenden Versprechungen angelockt. Eigenkapital sei nicht erforderlich, so hieß es. Zins wie Tilgung seien durch Mieterträge gedeckt und

schließlich auch der Rückkauf der Wohnungen nach fünf Jahren garantiert - zu 120 Prozent des Kaufpreises. So wurden, teils durch Untervermittler und Weitersagen im Freundeskreis, Käufer für die 93 kanadischen Wohnungen gekeilt.

Als Interessenten waren auch allerlei Unbemittelte aufgeboten. Um die Banken zur Kreditgewährung zu veranlassen, wurden die Einkommen der Käufer vom Steuerberater Kind testiert. Kind bestreitet zwar, »ins Blaue hinein bescheinigt zu haben, doch nach Recherchen der Kripo sind seine Testate in zahlreichen Fällen grotesk nach oben verfälscht«.

So werfen alle Staatsanwälte dem Steuerberater vor, er habe einer angehenden Ärztin, die nach Amtsberechnung 1982 lediglich 20869 Mark verdient hatte, 145000 Mark bescheinigt. Ein mittlerweile nach Südamerika abgängiger Arbeitsloser, der nach eigenen Angaben drei Jahre lang auf Schwarzarbeit angewiesen war, kaufte bei Kind für 886300 Mark gleich drei Wohnungen - als Schuldner war er den Banken gut genug, denn Kind hatte ihm 380000 Mark Jahresgehalt testiert.

Mittlerweile gehen in Calgary die Mieterträge zurück, Käufer geraten in Zahlungsrückstand. Die leichtgläubigen Banken haben zwar bereits Kredite gekündigt, müssen jedoch bei einigen Kunden mit Totalausfällen rechnen. Solche Probleme haben Kind und seine Partner nicht. Die von der Staatsanwaltschaft geschätzte Provision aus den kanadischen Immobilien beträgt 1,2 Millionen Mark.

Ein anderes Objekt kann Kind nicht mehr persönlich zu Ende bringen. Eine von ihm initiierte Anlegergesellschaft wollte in Berlin das Grundstück Kurfürstendamm 12-15 einträglich modernisieren. Das Projekt machte Probleme. Strafverfolger bezichtigen Kind, Anlegerkapital in Höhe von mehr als zehn Millionen Mark fehlgeleitet zu haben. Außerdem stockte der Fortgang, weil Berlins Denkmalschutzbeauftragter sich dem zur Vermarktung der Immobilie notwendigen Abriß eines Gebäudeteils, des Berlinale-Kinos »Gloria-Palast«, vorübergehend widersetzte.

Kind ist, da er im Oktober letzten Jahres wegen Brandstiftung in Haft kam, längst kein Geschäftsführer mehr. Doch auch ohne seine Mitwirkung kommt der weitere Ablauf den Ermittlern bekannt vor.

Wegen der Anleger-Gelder vom Kudamm laufen Betrugsermittlungen. Und in dem Gebäude mit dem ärgerlichen Denkmal, wo nach Ansicht der Staatsanwaltschaft schließlich auch wieder »Meißen-Werner als »eine Art Verwalter ausgeguckt war, fanden sich fünf Tage nach der Kind-Verhaftung Zeichen für die »Vorbereitung einer Inbrandsetzung«.

Im verschlossenen Dachraum des »Gloria-Palastes« stellte die Polizei fünf Literflaschen sicher. Inhalt: Methanol.

Michael Sontheimer, Jochen Vorfelder: »Antes & Co., Geschichten ausdem Berliner Sumpf«. Rotbuch Verlag; 175 Seiten; 16 Mark.

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