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RÖHREN-EMBARGO Hat gut gegangen

aus DER SPIEGEL 13/1963

Zum Äußersten entschlossen, kletterte Konrad Adenauer von der Regierungsbank im Plenarsaal des Deutschen Bundestags und nahm Kurs auf die Abgeordnetenbänke der Freien Demokraten. Vor dem Klappsitz des Altliberalen Thomas Dehler verhielt der Regierungschef und beugte sich zu seinem langjährigen Intimfeind hinab: »Herr Dehler Sie sind meine letzte Hoffnung; wir haben uns doch immer so jut verstanden.«

Was Konrad Adenauer bereits vorher bei den Freidemokraten Scheel, Zoglmann und von Kühlmann-Stumm nicht erreicht hatte, wollte ihm jedoch

auch bei Thomas Dehler nicht glücken. Adenauers Plan, die Stahlindustrie der Ruhr dafür bezahlen zu lassen, daß seine Botmäßigkeit unter das vereinigte gaullistische EWG-Europa das Mißtrauen der USA und der Nato erregt hatte, fand bei der FDP keine Gegenliebe.

Am Montag letzter Woche lehnte sie es ebenso wie die sozialdemokratische Opposition ab, ein vom Nato-Rat empfohlenes und vom Kabinett verordnetes Embargo (Ausfuhrsperre) für die bereits vertraglich vereinbarte Lieferung westdeutscher Stahlrohre nach der Sowjet -Union zu akzeptieren (siehe SPIEGEL -Gespräch Seite 28).

Einer parlamentarischen Niederlage zogen die christlichen Regierungsparteien einmal mehr die parlamentarische Immoralität vor. Nach dem Vorbild des großen Charles wußte es der Kanzler so einzurichten, daß er seinen Willen auch gegen die Mehrheit des Parlaments durchsetzte.

Als am Montagabend, kurz vor halb neun Uhr, im Hammelsprung über einen Antrag auf Ablehnung der Embargo-Verordnung abgestimmt werden sollte, blockierte Adenauers Fraktions -Faktotum, der parlamentarische Geschäftsführer Will Rasner, die »Nein« -Tür des Plenarsaales und sorgte dafür, daß die Mitglieder der Regierungsfraktion die Zähltür nicht passieren konnten.

Im Angesicht der drängelnden Menge legte der Türvorsteher Rasner Zeugnis von seiner politischen Gesittung ab: »Alle draußenbleiben, dann platzt der Laden da drin.«

Durch den Boykott wurde das Parlamentbeschlußunfähig. Laut Paragraph 49 der Geschäftsordnung kann der Bundestag nur dann Beschlüsse fassen, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Saal ist. 244 SPD- und FDP-Abgeordnete sowie Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier waren an ihren Plätzen, es fehlten fünf Stimmen an der beschlußfähigen Hälfte. Durch den Geschäftsordnungstrick hatte die Minderheit, rund 230 CDU- und CSU-Abgeordnete, die Mehrheit überstimmt. Die vom Bundeskabinett erlassene Embargo - Verordnung konnte nicht außer Kraft gesetzt werden. »Das hat gut gegangen«, meinte der Kanzler.

Die Groteske der Kanzlerdämmerung will es, daß Bonn immer einen Schelmen auf den anderen setzen muß. Um ihre Verläßlichkeit als Nato-Bündnispartner zu dokumentieren, opferte die Bundesregierung ihre Verläßlichkeit als Vertragspartner schlechthin. Über dem dringend benötigten Zeugnis der Nato -Treue wurde die Vertragstreue des ordentlichen Kaufmanns zum leeren Wahn.

Mehr als drei Jahre lang hatten die westdeutschen Stahlkonzerne Mannesmann AG, Phoenix-Rheinrohr AG und Hoesch AG Großrohre für den Erdgas -Transport nach Rußland geliefert, bevor der Nato-Rat - nicht zuletzt auf Grund von Gutachten amerikanischer Mineralölfirmen - erkannte, daß der west-östliche Röhrenhandel strategisch bedenklich sei.

Einige Mitglieder des Rats willfahrten den Vorhaltungen der Nato-Militärs denn auch keineswegs. Englands Vertreter beispielsweise widersprach einem formalen Embargo-Beschluß: Seine Regierung hätte keine Chance, eine Ausfuhrsperre für Großrohre im Unterhaus durchzubringen. Daher beschränkten

sich die Mitglieder des Nato-Rats auf eine unverbindliche Empfehlung, die noch laufenden Kontrakte nach Möglichkeit zu stoppen und den Neuabschluß von Verträgen zu unterlassen.

Rohrlieferanten wie England und Italien verstanden diese Empfehlung durchaus richtig: Laufende Verträge werden abgewickelt, neue nicht mehr abgeschlossen. Allein Bonn hatte es anders verstanden. Mit einer Embargo-Verordnung vom 18. Dezember 1962 griff die-Bundesregierung auch in die laufenden Kontrakte ein, indem sie Großrohrexporte von einer ausdrücklichen Genehmigung abhängig machte.

Allerdings: Laut Außenwirtschaftsgesetz aus dem Jahr 1961 hat das Parlament das Recht, Embargo-Verordnungen des Kabinetts binnen drei Monaten durch Mehrheitsbeschluß wieder aufzuheben.

Sowohl im federführenden Außenhandelsausschuß als auch im mitberatenden Außenpolitischen Ausschuß setzte sich die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten dafür ein, die Regierungsverordnung nicht widerspruchslos hinzunehmen. Zwar wollte man der Nato-Empfehlung im Grundsatz folgen, zugleich aber kamen die Ausschußmitglieder überein, nur dann von einer Aufhebung der Embargo-Verordnung abzusehen, wenn die Regierung die Abwicklung der 163 000-Tonnen-Kontrakte doch noch genehmige.

Freilich hatten die Abgeordneten nicht bedacht, wie sehr De Gaulle - Freund Adenauer inzwischen auf Nato -Lob und Gunstbezeigungen aus Washington erpicht war. Der deutsch-französische Freundschaftspakt hatte Zweifel an der atlantischen Solidarität der rheinischen Republik gesät. Konrad Adenauer, Diener zweier ungleicher Herren, gab persönlich Anweisung, die Handelssperre gegenüber den Russen bis zum Äußersten zu verteidigen.

Gerhard Schröders Staatssekretär Rolf Lahr ersann eine kalte Kriegslist, mit der er die umstrittene Verordnung trotz aller Gegenwehr durch den Bundestag zu schmuggeln gedachte. Man müsse, so empfahl der Beamte, den Bundestag nur so lange mit der komplizierten Materie beschäftigen, bis die Dreimonatsfrist abgelaufen und das Parlament außerstande sei, die Sperre wieder aufzuheben.

Tatsächlich gingen die Abgeordneten dem Staatssekretär zunächst auf den Leim. Der Außenhandelsausschuß brütete insgesamt fünfmal über dem Papier;

der Außenpolitische Ausschuß setzte gar einen Unterausschuß ein, der mehrfach Stahlsachverständige stundenlang verhörte.

Trotzdem kam der Außenhandelsausschuß am Donnerstag vorletzter Woche doch noch mit einem Beschluß nieder. Mit nur zwei Gegenstimmen empfahl das Gremium - ihm gehören 13 CDU - und CSU-Abgeordnete an - dem Plenum, »von dem Recht der Aufhebung Gebrauch zu machen, es sei denn, daß die Bundesregierung bereit ist, eine verbindliche Erklärung abzugeben, den Lieferungen aus den abgeschlossenen Verträgen über 163 000 Tonnen Röhren die Genehmigung zu erteilen«.

Die Bundesregierung war nicht bereit; trotzdem sah sie allen parlamentarischen Weiterungen gelassen entgegen. Vier Tage später nämlich, am Montag letzter Woche, um 24 Uhr, sollte die Einspruchsfrist ablaufen. Lahrs Fristentrick schien Erfolg zu verheißen.

Da endlich durchschaute der SPD -Parlamentarier Harri Bading, Diplomlandwirt aus dem hessischen Battenhausen, Lahrs Röhrenzauber. Am Freitag vorletzter Woche beantragte Bading, die Empfehlung des Ausschusses auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen.

Mit der ihm eigenen kanzlerblinden Schläue zog sich Fraktionsgeschäftsführer Rasner daraufhin auf die Geschäftsordnung zurück: Die Ausschuß-Drucksache liege dem Parlament noch nicht vor, so Rasner, daher könne man nach der Geschäftsordnung auch nicht über die Vorlage beraten. Gravierender Mangel der Drucksache: CDU-Berichterstatter Dr. Löhr hatte den schriftlichen Ausschußbericht noch nicht unterschrieben.

Erst ein Antrag des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Mommer hatte Erfolg. Am Montag vergangener Woche, dem letzten Tag vor Ablauf der Einspruchsfrist, wurde eine Sondersitzung des Bundestages einberufen.

Nunmehr wurde Außenamtschef Gerhard Schröder mobil, der sich nicht ein einziges Mal vor den zuständigen Ausschüssen hatte blicken lassen, um das Embargo-Projekt zu verteidigen. Eilends verschickte Schröder Einladungen an die Bosse der drei Ruhrkonzerne, sie möchten ihn am Montagvormittag in seinem Amt aufsuchen.

Pünktlich um 12.15 Uhr rückten die Ruhr-Vorstände, Hoesch-Generaldirektor Willy Ochel, Mannesmann-Direktor Heinz Hufnagel und Phoenix-Direktor Ernst Wolf Mommsen, im Außenamt an.

Mit Charme versuchte Minister Schröder seine Besucher zum freiwilligen Verzicht auf die Lieferungen zu bewegen. Schröder räumte ohne weiteres ein, daß die Ruhr-Manager ihre Verträge guten Glaubens abgeschlossen hätten. Dennoch müßten sie verstehen, daß die Interessen der Sicherheit Deutschlands Vorrang hätten.

Als die Bosse ablehnten, verlegte sich Schröder aufs Handeln. Er fragte, ob sie sich denn nicht wenigstens mit einer Teilmenge zufriedengeben könnten. Willy Ochel aber erwiderte, dies sei keine Frage der Tonnage, sondern des Grundsatzes der Vertragstreue. Nach knapp zwei Stunden schieden die Besucher unversöhnt. Ludwig Erhard, der sich nachträglich beschwert hatte, weil er nicht hinzugezogen worden war, erhielt von Schröder den Bescheid, es sei über Politik gesprochen worden.

Nachmittags in der FDP-Fraktion setzte Schröder seine Embargo-Werbung fort. Er konnte dabei auf die Unterstützung des Gesandten Brewster H. Morris aus der Amerikanischen Botschaft zu

Bonn rechnen. Die amerikanische Regierung hatte sich nicht gescheut, die FDP von ihren Embargo-Wünschen in Kenntnis zu setzen, entsprechend jenem diplomatischen Verkehr, den Washington sonst gern in halbzivilisierten mittelamerikanischen Bananen-Staaten pflegt. Erich Mende fiel nicht um.

Während dieser Plänkeleien waren alle Fraktionen bemüht, den letzten Mann für die Abstimmung zu mobilisieren. Der SPD-Professor Carlo Schmid wurde noch am Montagabend von Island nach Bonn eingeflogen. Ex-Minister Strauß hingegen hatte Pech. Er, der früher stets einen Luftwaffentroß zur eigenen Verfügung hielt, fand in Lissabon nicht mehr rechtzeitig eine Maschine.

In der Plenarsitzung um 18.30 Uhr boten die Minister Schröder und Erhard sowie Heinrich von Brentano nochmals alle Überredungskunst auf, die FDP für das Embargo zu gewinnen. FDP-Außenseiter Kohut: »Zwei Stunden Leerlauf.«

Als alle Künste nicht verfingen, erhob sich die Staatspartei gegen 20 Uhr 30 lediglich Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier blieb im Saal - und sagte dem Parlamentarismus für ein paar Stunden Gute Nacht. Im Rasner-Stil verkündete der Deutschland-Union -Dienst der Partei am nächsten Tag: »Unsere Verbündeten wissen jetzt, daß es in der Bundesrepublik leider nur eine Partei gibt, auf die sie sich wirklich verlassen können.«

Nürnberger Nachrichten

Gruß aus der Röhre

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