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SPD Haufen Leute

Die niedersächsische SPD-Führung will mit der Bonner Politikerin Anke Fuchs an der Spitze in die nächste Landtagswahl ziehen. *
aus DER SPIEGEL 52/1983

Zum Jahresende ist Anke Fuchs, stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, auf Urlaub in den sonnigen Süden gereist. Nach ihrer Rückkehr wird sie sich in einer unwirtlicheren Gegend umtun müssen, in Niedersachsen.

Zwölf Stunden vor ihrer Abreise nämlich, am 16. Dezember, forderte der Landesvorstand der niedersächsischen SPD sie auf, sich als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Frühjahr 1986 zur Verfügung zu stellen.

Damit können die Genossen in Hannover nun schon bis drei zählen. Nach dem Verzicht von Karl Ravens, ein viertes Mal gegen den CDU-Mann Ernst Albrecht anzutreten und womöglich wiederum zu verlieren, hatten sich zwei Nachfolger schon von allein gemeldet: erst der frühere Jungsozialisten-Bundesvorsitzende Gerhard Schröder, seit Oktober Vorsitzender des in Niedersachsen dominierenden SPD-Bezirks Hannover, dann, als Reaktion auf Schröder, der Landtagsvizepräsident Helmuth Bosse, Landrat und Autokaufmann in Wolfenbüttel (SPIEGEL 45/1983).

Das hatte sich Ravens, Fraktionschef im Landtag und Landesvorsitzender, alles ganz anders gedacht. Nicht nur war ihm daran gelegen gewesen, mit der Kandidaten-Kür bis kurz vor der nächsten Landtagswahl zu warten. Ihm schien es überdies wichtig, dann »auch auf die Bonner Schiene zu gucken«, ob sich da nicht jemand anbietet, »bei dem wir alle miteinander laut ja rufen«.

Nach Schröders schnellem Vorstoß, durch den Ravens sich »verletzt und noch mehr betroffen« fühlte und den das Braunschweiger Landesvorstandsmitglied Hermann Oetting als »Schlag in die Fresse« empfand, war nicht nur der Zeitplan durcheinandergeraten. Die konservative Vorstandsmehrheit mußte auch fürchten, daß mit Schröder an der Spitze die Linken in der Landes-SPD künftig die Richtung bestimmen würden.

Ein ums andere Mal eilte Ravens nach Bonn, um aus der rechten Kanalarbeiter-Riege Hilfe zu holen, und stets wurden neue Namen genannt - Hans Apel, ehemaliger Verteidigungsminister, Herbert Ehrenberg, ehemaliger Arbeitsminister, Olaf Sund, früherer Senator in Berlin, schließlich auch Anke Fuchs, die schon vor länger als einem Jahr einmal als Ravens-Nachfolgerin ins Gerede gekommen war. Ravens: »Wir haben einen Haufen Leute, und nicht nur in Niedersachsen.«

Doch so groß war der Haufen am Ende nicht. Nachdem einer nach dem anderen aus dem Rennen war, blieb als Ravens-Favoritin nur Anke Fuchs, 46, über, Tochter des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Paul Nevermann, erst beamtete, dann Parlamentarische Staatssekretärin im Bonner Arbeitsministerium und von April 1982 bis zum Ende der sozialliberalen Koalition ein halbes Jahr später Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.

Helmut Schmidt hatte einmal der studierten Juristin mit Prädikat in beiden Examen nachgesagt, sie könne es bis zum Bundeskanzler bringen. »Mangelnde Standfestigkeit« warf Schmidt ihr allerdings vor, als sie vergangenes Jahr den Posten des Staatssekretärs hinwerfen wollte, weil ihr Chef Ehrenberg das Kabinett verlassen mußte.

Diesmal machte Anke Fuchs eine Zusage von einem eindeutigen Votum des niedersächsischen SPD-Landesvorstands abhängig. Doch das laute Ja aller miteinander, das Ravens erhofft hatte, blieb hier aus. Nur zwölf Funktionäre stimmten geheim für die Bonner Kandidatin, acht lehnten sie ab, einer enthielt sich der Stimme. Nach Ansicht parteiinterner Kritiker geriet die Aktion dadurch zu einer »Notlösung zur Verhinderung von Schröder«. Die endgültige Lösung wird erst ein Landesparteitag am 7. Juli kommenden Jahres treffen. Auch der Landesvorstand kam um die Feststellung nicht herum, daß dazu »derzeit zwei Bewerbungen« bereits vorliegen, die von Schröder und Bosse.

Die »sehr überraschende Entwicklung«, die man im Bonner Fuchs-Büro konstatierte, könnte dann auch schon wieder zu Ende sein: Von den 200 Delegierten des Parteitags stellt der Schröder-Bezirk Hannover, dessen Vorstand »dritte Kandidaten« ausdrücklich abgelehnt hatte, allein 97. Dagegen hat Anke Fuchs, so ein niedersächsischer SPD-Landtagsabgeordneter, »keine Basis außer einer Mehrheit im Landesvorstand«.

Gerhard Schröder, gleichfalls Jurist, der seiner Widersacherin als Bundestagsabgeordneter »politisch kaum begegnet« ist, weil sie nach seiner Einteilung »die klassische Vertreterin des Kanals« darstellt, hält Anke Fuchs für »die fähigste Gegenkandidatin, die die haben aufbauen können«.

»Das alles ist natürlich gegen mich gerichtet«, interpretiert der Ex-Juso den Beschluß der Vorstandsgenossen. Schröder ist insofern »auch keineswegs erfreut darüber«. Doch was Anke Fuchs weit von Bonn her erst noch anpacken muß, um sich in den niedersächsischen Unterbezirken und Ortsvereinen der Partei interessant und wählbar zu machen, damit ist Schröder schon seit Wochen beschäftigt: »Ich bin voll drin«, sagt er.

Schröder-Sympathisant Reinhard Scheibe, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion in Hannover, ist allerdings nicht mehr ganz so optimistisch wie zuvor: »Jedenfalls wird es nun kein Spaziergang mehr für den Gerhard.«

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