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BUNDESKRIMINALAMT Haus-Doktor

aus DER SPIEGEL 14/1961

Ungewollte Aktualität erlangte in der vergangenen Woche ein Thema, das auf einer Arbeitstagung im Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) abgehandelt wurde. Zur Debatte stand »Die sogenannte Weiße-Kragen-Kriminalität«, womit Gesetzesübertretungen von Angehörigen gehobener Schichten, von Behörden-Dienern und Intelligenzlern gemeint waren.

Das Wiesbadener Erweiterte Schöffengericht beabsichtigt nämlich, wie kurz vor der BKA - Tagung bekannt wurde, vom 2. bis 12. Mai in einem großen Prozeß mit 22 Zeugen gegen einen 39jährigen Weiße-Kragen-Delinquenten zu verhandeln, der lange Jahre als Zierde der Kriminalisten-Zentrale galt: gegen Edgar Bröse, den wissenschaftlichen Mitarbeiter und graphologischen Gutachter des Bundeskriminalamts.

Bröse, der früher als sachverständige Autorität im Auftrage des BKA vor westdeutschen Gerichten paradierte, verschaffte sich und seinen Expertisen nicht zuletzt durch die akademischen Titel Respekt, mit denen er seinen schlichten Namen garnierte.

Um so überraschender mußte in der Öffentlichkeit wirken, was nun die »Frankfurter Allgemeine« als Neuigkeit über Bröse zu melden wußte: »Ausgerechnet im Bundeskriminalamt war ein 'Dr. phil.' und 'Diplom-Psychologe' beschäftigt, der nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seine Titel zu Unrecht trug.«

Diese Meldung mochte für das BKA peinlich sein; neu war sie nicht. Der Präsident der kriminalpolizeilichen Bundesbehörde, Reinhard Dullien, weiß nämlich seit fast fünf Jahren, daß sein akademischer Renommier-Gutachter Bröse - nur wenige graphologische Gutachter haben akademische Grade - der unberechtigten Titelführung verdächtigt wird. Seit vier Jahren ermittelt die Wiesbadener Staatsanwaltschaft gegen Bröse, aber erst Mitte des vergangenen Jahres entschloß sich Dullien, den umstrittenen Mitarbeiter von seinen Aufgaben in der Verbrechensaufklärung und -bekämpfung zu entbinden.

Bröse wurde damals aus dem BKA entlassen, genoß aber weiterhin die soziale Fürsorge dieser Dienststelle: Er wohnt noch heute in der sogenannten Kriminalisten-Siedlung des BKA, und auf seinem Wohnungsschild im Hause Idsteiner Straße 37 in Wiesbaden prangt nach wie vor die Aufschrift »Dr. Bröse«.

Der erste Zweifler an der Doktorwürde des Bröse war der Gerichtssachverständige und Fachgraphologe Hermann Fritsche vom Landeskriminalpolizeiamt Niedersachsen in Hannover.

Fritsche hatte Bröse, der 1949 aus der Sowjetzone nach Westdeutschland übergewechselt war, bei gemeinsamer Gutachtertätigkeit kennengelernt und Widersprüche in dessen Angaben über seinen akademischen Werdegang festgestellt. Flugs schrieb der auf die Ehre seines Berufs bedachte Fritsche an sowjetzonale Universitäten und wissenschaftliche Bibliotheken und erbat »zur Vorbereitung einer wissenschaftlichen Arbeit« die Dissertation des Diplom-Psychologen Dr. Bröse, die nach dessen Angaben von Mitte 1948 bis Anfang 1949 an der Leipziger Karl-Marx-Universität gefertigt worden sein soll.

Da die Antworten aus der Sowjetzone negativ ausfielen - sowohl ein Diplom-Psychologe als auch ein Dr. phil. namens Bröse waren dort unbekannt -, erstattete Fritsche am 29. Oktober 1956 auf dem Dienstweg Meldung beim Bundeskriminalamt.

Allein: Diese Meldung zeitigte keinen sichtbaren Erfolg. Bröse gutachtete weiter von hoher Wiesbadener Warte, und der erboste Fritsche bat daraufhin seine Behörde, »Strafanzeige erstatten zu dürfen«.

Alsbald legte man beim Wiesbadener Oberstaatsanwalt unter dem Zeichen 7Js 1090/57 eine Akte Bröse an, und auch das BKA wurde rührig: Es beschäftigte sich ebenfalls mit der dubiosen Vergangenheit des Bröse, was freilich nicht dazu führte, daß der Gutachter vom Dienst suspendiert wurde.

BKA-Präsident Dullien hielt es lediglich für unpassend, den ramponierten Mitarbeiter weiterhin in der Öffentlichkeit auftreten zu lassen. Der Präsident beschäftigte Bröse weitere drei Jahre »hausintern«, das heißt, der Gutachter durfte zunächst in aller Ruhe »alte Fälle aufarbeiten« und sich dann in die Verbrecherkartei des Bundeskriminalamts versenken.

An diesem Wohlwollen änderte auch nichts, daß sich in der Zwischenzeit der -SPIEGEL (Nr. 9/1959) des Falles Bröse angenommen und unter anderem darauf aufmerksam gemacht hatte,

- daß der Professor Dr. Alfred Petzeit, dessen Name unter dem Bröseschen Psychologen-Diplom steht, längst nicht mehr in Leipzig wirke; sondern in Münster -(Westfalen) wohne und

- daß zwischen der Unterschrift des Professors und der Signatur unter dem Bröse-Dokument erhebliche Unterschiede bestehen.

Präsident Dullien, keineswegs befremdet, wußte damals, wie eigens in einem Protokoll des BKA festgehalten wurde, lediglich lakonisch zu äußern: »Vielleicht weiß der SPIEGEL im Augenblick mehr als wir.«

Was das mit den raffiniertesten technischen Mitteln zur Verbrecher-Entlarvung ausgestattete BKA seinerzeit in Sachen Bröse wußte, war in der Tat wenig. Dem Präsidenten Dullien genügte es, daß der BKA-Oberregierungsrat Mally in einem Gutachten festgestellt hatte, die von Bröse vorgewiesenen Dokumente seien »grundsätzlich nicht fälschungsverdächtig und daher echt«.

Das entsprach genau der Auskunft, die auch der Referatsleiter Dr. Wiedemann vom Bundesinnenministerium gab, an das sich Anzeigeerstatter Fritsche, dem die Ermittlungen gegen Bröse zu gemächlich vorangingen, beschwerdeführend gewandt hatte.

Dr. Wiedemann nahm damals forsch das staatsanwaltliche Ermittlungsergebnis vorweg und beschied den aufgebrachten Fritsche: »Herr Dr. Bröse hat Originalurkunden über die Ablegung seiner Diplom-Hauptprüfung beigebracht, an deren Echtheit nicht zu zweifeln ist.«

Wie diese Version angesichts der Tatsache, daß der inzwischen als Zeuge vernommene Professor Dr. Petzelt die Unterschrift unter den Bröse-Papieren nicht als die seine anerkannte ("Ein anderer Schreibduktus"), jahrelang aufrechterhalten und von einer Entfernung des umstrittenen Bröse aus dem Amt abgesehen werden konnte, muß heute, nachdem es nun doch zur Anklageerhebung gegen Bröse gekommen ist, schleierhaft anmuten.

Auch die Haltung des Wiesbadener Oberstaatsanwalts Dr. Rahn ist nur schwer verständlich. Rahn gibt heute zu, zum Zeitpunkt der SPIEGEL-Veröffentlichung, also Anfang 1959, gewußt

zu haben, daß die Unterschrift auf dem Zeugnis Bröses nicht von Professor Petzelt stammt, bleibt jedoch die Antwort auf die Frage schuldig, warum angesichts dieses handfesten Verdachts nicht schon damals Anklage erhoben wurde.

Obwohl viele Zeugen, die früher in der Sowjetzone wohnten, heute im Westen greifbar sind, verweist Oberstaatsanwalt Rahn entschuldigend darauf, wie schwierig es sei, auf dem Wege der Amtshilfe Ermittlungen in der DDR anzustellen. Rahn bedient sich dabei der Argumente, die Schröders Innenministerium schon vor Jahren gewürdigt wissen wollte. Ließ die Bonner

Stelle verlauten: »Es besteht ... der Verdacht, daß die Universität Leipzig Herrn Dr. Bröse wegen seiner Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone Schwierigkeiten bereiten will.« Auf die Beantwortung des Fritsche-Einwands, daß dieser Verdacht freilich kaum auf den Professor Dr. Petzelt in Münster ausgedehnt werden könne, verzichtete das Ministerium.

Die Wiesbadener Staatsanwaltschaft ließ sich derweil von Bröse erklären, der Professor, der ihm akademischen Rang testiert habe, könne auch »Botzer« oder »Potzer« geheißen haben, wiewohl ein möglicher Doktorvater mit einem dieser Namen in keinem Gelehrtenhandbuch östlicher oder westlicher Provenienz der Jahre 1948/49 vorkommt, was Rahn leicht hätte feststellen können.

Möglicherweise wäre Bröses bescheidener Lebensweg - der BKA-Experte war, wie sich abzeichnete, einige Semester SED-Student in Leipzig, sonst nichts - noch jahrelang weiter erforscht worden, wenn der Gutachter nicht darüber gestolpert wäre, daß ihm die Verschiedenartigkeit von Papierqualitäten fremd ist.

Bröse hat sich nämlich lange Zeit mit akademischen Dokumenten (Zeugnis und Diplom über die Diplom-Hauptprüfung und Dissertationsurkunde) in Zettelform behaupten können, die neben dem sonderbaren Din-A5-Format und dem fehlenden gedruckten Kopf immerhin den Vorzug aufwiesen, aus miserablem Papier zu bestehen.

BKA-Oberregierungskriminalrat und Bröse-Vorgesetzter Mally sah gerade in dem schlechten Papier eine Exkulpation seines Schülers. Für die Echtheit der Bröse-Papiere spreche, so gutachtete Mally, daß einwandfrei »östliches Papiers verwandt worden sei. Triumphierte Bröse während der Ermittlungen: »Das leuchtet doch ein - oder?«

Wer indes aus der Papierqualität Brösescher Dokumente völlig andere Schlüsse zog, war der Kölner Zollkriminalist Dr. Franzheim. Ihm war im Zuge der Ermittlungen gegen Bröse die angebliche Quittung des Leipziger Doktoranden über dessen. Promotionsgebühren aus dem Jahre 1949 zur Prüfung, vorgelegt worden.

Fand Franzheim: »Die Papierart dieser Quittung ist 1952 zum ersten Male in der Bundesrepublik hergestellt worden. Es sei nahezu ausgeschlossen, meinte Franzheim, daß solch gutes, typisch westliches Papier drei Jahre früher in der wirtschaftlich weniger potenten Sowjetzone benutzt worden sein solle. Außerdem sei ein Tintenhaken auf dieser Quittung noch nicht so alt, wie Bröse angebe.

Die dadurch offenkundig gewordene Disharmonie zwischen östlichen und westlichen Papieren in der Bröseschen Dokumentensammlung führte nicht zuletzt dazu, daß dem Bröse nunmehr wegen Urkundenfälschung und falscher Titelführung doch noch der Prozeß gemacht werden soll.

Bröse wird sich zudem wegen Betrugs verantworten müssen. Die Wiesbadener Anklageschrift sieht nämlich eine Vermögensgefährdung des Fiskus allein schon darin, daß Bröse ohne seinen angeblichen Akademiker-Grad wahrscheinlich geringere Bezüge erhalten hätte. Auch besteht die Gefahr, daß wegen Bröses mangelnder Qualifikation in Zivilprozessen gegen seine Anstellungsbehörde Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden.

In Wiesbaden ist darüber hinaus schon jetzt klar, daß zahlreiche Rechtsanwälte nach einer Verurteilung des Bröse die Wiederaufnahme von Strafverfahren erwirken wollen, in denen der dubiose Gutachter ihre Mandanten belastete. Ob dies freilich allein durch Hinweis auf die Selbsternennung Bröses zum Dr. phil. und zum Diplom-Psychologen möglich ist, muß nach der Strafprozeßordnung als umstritten gelten.

Eine solche Wiederaufnahme wäre nur wegen einer uneidlichen falschen Aussage oder wegen einer Eidesverletzung des Gutachters angängig. Während im ersten Falle die Beweisführung erfahrungsgemäß schwierig ist, zeigen sich die Gesetze im zweiten Falle - der Eidesverletzung - gegenüber hochstapelnden Gutachtern geradezu kulant.

Die Autoren der Strafprozeßordnung von 1879 haben nämlich im Paragraphen 79 vorsorglich fixiert, daß sich der Eid eines Sachverständigen à la Bröse nicht auf seine Personalien bezieht.

Angeklagter Kriminalgutachter Bröse

Ost-Doktor auf West-Papier?

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