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VERFASSUNGSSCHUTZ Heftige Niederschläge

Blau und bewußtlos geprügelt wurden in Kölner Kneipen mehrere Verfassungsschützer -- darunter Beamte der besonders geheimen Terrorismus-Abteilung. Die Amtsspitzen behandeln die Vorfälle vertraulich.
aus DER SPIEGEL 13/1976

Um ein Uhr nachts zahlte der Kölner Amtsinspektor Roland Zwiesel* seine Zeche und verließ die Gaststätte »Trost« in der Thebäerstraße im Stadtteil Ehrenfeld -- angeheitert, aber aufrecht. Kaum draußen vor der Tür, ging er zu Boden: an Kopf und Körper von wuchtigen Boxhieben getroffen.

Ein Kollege Zwiesels, Regierungsrat Erich Gerhard*, wollte helfend eingreifen. Aber auch er wurde kurzerhand bewußtlos geschlagen. Ihm folgte ein Beamter des mittleren Dienstes, der nach einer Tracht Prügel ebenfalls vor der »Trost«-Tür liegenblieb.

Und noch ein paar Kollegen, die zur Polizeistunde frohsinnig das Lokal verließen, bezogen fürchterliche Haue. Dann entfernten sich die Schläger, drei oder vier Mann, unerkannt in einem hellen Mercedes. Es war die Nacht von Faschingsdienstag auf Aschermittwoch dieses Jahres.

Ein zweiter Regierungsrat, der gleichfalls Dresche bekommen hatte, notierte zwar noch das Kennzeichen des Wagens -- das aber war zumindest in dieser Version amtlich nie ausgegeben worden, war mithin eine Fälschung oder in der Dunkelheit nur ungenau abgelesen.

Daß die Fahndung nach dem Schlägertrupp, der den »Trost«-Gästen offenkundig zeit- und zielgenau aufgelauert hatte, bis jetzt ohne Ergebnis blieb, läßt Spekulationen breiten Raum. Denn die bewußtlos oder blau geschlagenen Herren sind Angehörige des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) in Köln,

In ihrem Stammlokal, wo sich Verfassungsschützer häufig zu privatem und gelegentlich auch zu dienstlichem Umtrunk treffen, hatte in jener Nacht eine größere Gruppe von Geheimdienstlern mit weiblichen BfV-Angestellten ausgiebig Karneval gefeiert, aller Diskretion und Disziplin zum Trotz. Der Amtsinspektor Zwiesel beispielsweise und drei Sekretärinnen gehörten zur Abteilung 7 (Terrorismus-Bekämpfung) des Bundesamts, deren Personen und Aktionen besonderer Geheimhaltung unterliegen.

Deshalb auch ist die von SPD-Regierungsdirektor Klaus Grünewald geführte Abteilung nicht in dem »Trost«-nahen BfV-Haus angesiedelt, sondern in einem mit harmlosen Behördenschildern getarnten Gebäude in

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.

einem Kölner Vorort. Die Mitglieder dieser Spezial-Abteilung -- auf Initiative des früheren BfV-Präsidenten Günther Nollau vor knapp drei Jahren gebildet -- sollen die Anarchisten-Szene ausspähen. Meist jung, angetan mit Jeans und Bart, sind sie gehalten, an Universitäten und im Untergrund Rädelsführer und Logistiker, Helfer und Hintermänner zu belauschen und zu beobachten, Raub- oder Entführungspläne frühzeitig auszumachen. Basis jeglicher Anarcho-Aufklärung: Anonymität der »Siebener« (Amtsjargon).

Bei der BfV-Spitze und im Bundesinnenministerium, wo jeweils nur wenige Beamte über die heftigen Niederschläge informiert wurden, nahm denn auch der Zorn zu, als gleich nach der Kneip-Abreibung noch eine zweite Behandlung gemeldet wurde -- die diesmal ausschließlich der ganz geheimen Außenstelle der Abteilung 7 zuteil wurde.

Vier Tage vor dem Happening in der Thebäerstraße war es in einer Kneipe nahe den Büros der »Siebener« im Kölner Norden zu einem größeren Handgemenge gekommen: Verdroschen wurden unter anderem ein Oberamtsrat, ein Chauffeur, ein Kurier des Verfassungsschutzes sowie jener Zwiesei, der bei der »Trost«-Trinkerei zum zweitenmal Senge bezog.

Diesmal allerdings griff keine Bande an, sondern ein kleingewachsener, aber stämmiger Gast, der die Staatsbewacher beim Bier zuerst anstänkerte und auf Widerworte dann hart hinlangte: »Er tätowierte«, so ein Augenzeuge, »nacheinander fünf Mann, die Veilchen blühten nur so.« Amtsinspektor Zwiesel mußte sich drei, der stark lä

* Pfeil: Bundesamt für Verfassungsschutz.

dierte Oberamtsrat sieben Tage lang krank melden -- Sonnenbrillen verdeckten die Blessuren nur dürftig.

Wiewohl der Oberamtsrat und der Fahrer von Abteilung 7 bewaffnet und dem Raufbold körperlich überlegen waren, ließen sie sich vertrimmen -- ob aus Mannesschwäche nach Alkoholgenuß oder aber, eher wahrscheinlich, aus beruflicher Vorsicht, unterliegt dem Dienstgeheimnis. Dennoch liegt nahe, daß die Außenstelle, bislang wichtigste Operationsbasis, enttarnt ist.

Während nach der ersten Schlägerei die höheren Verfassungsschützer noch Zufall nicht ausschließen mochten, gab die zweite Anlaß zu schweren Bedenken. Möglich erscheint allerlei: gezielte Provokation durch den Stoßtrupp eines gegnerischen Geheimdienstes, ein Racheakt »unbekannter Linksradikaler« (ein BfV-Insider) oder die Mutprobe »irgendeines Terroristen-Anhangs«. BfV-Chef Richard Meier jedoch beteuert: »Das war ohne jeden Bezug auf unsere Behörde, die Angreifer waren wohl Leute, die einfach Streit suchten.« Seit einer in Geheimdienstkreisen schon legendären Keilerei, die sich BfV-Angestellte vor knapp zwanzig Jahren untereinander im Kölner Amüsierlokal »Hamburg Ahoi« lieferten, wurden keine ähnlich spektakulären Vorkommnisse mehr in den Amts- und Personalakten registriert. Sie sollen auch nicht wieder vorkommen.

Unterm Datum vom 3. März verordnete Abteilungsleiter Grünewald den Geheimen in seiner Außenstelle ein absolutes Besuchsverbot für die Vorort-Pinte und alle umliegenden Lokale -- »aus gegebenem Anlaß«.

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