BUNDESWEHR Heilige Kühe
Für Verteidigungsminister Hans Apel ist alles klar. In der Bundeswehr, dozierte er jüngst vor Kommandeuren auf der Nordsee-Insel Borkum, sollten kritische Soldaten mit Zivilcourage und Mut zu eigener Entscheidung dienen. Der SPD-Politiker: »Mir ist ein Soldat lieber, der angesichts dieser Eigenschaften auch Fehler macht, als einer, der sich immer nur konform verhält.
Die Apel-Devise ist nur Theorie. Denn in der Praxis zahlen sieh kritisches Denken und Selbständigkeit nicht aus. Wer in der Bundeswehr Karriere machen will, hat im Gleichschritt zu marschieren.
Dies haben kürzlich ein Luftwaffen-Oberstleutnant und ein Heeres-Gefreiter erfahren. Der unbequeme Offizier quittierte den Dienst, der sozial engagierte und deshalb entlassene Pionier mußte vor Gericht ziehen, bevor er sein Recht bekam.
Oberstleutnant Alfred Mechtersheimer, von seinen Kameraden an der Bundeswehrhochschule München als unabhängiger und origineller Geist geschätzt, hatte mit seiner Doktorarbeit über das Mehrzweckkampfflugzeug »Tornado« Anstoß bei den Fliegergeneralen erregt.
Statt sachlich auf das Argument einzugehen, die Luftwaffe habe mit dem »Tornado« das falsche Flugzeug zur falschen Zeit erworben und dem Steuerzahler damit »vermeidbare Mehrausgaben in Milliardenhöhe« aufgebürdet, versuchte der Bonner Führungsstab den Offizier abzuqualifizieren. In einer Vorlage der Hardthöhe für den Verteidigungsausschuß hieß es: Mechtersheimer sei ein »ausschließlich in wissenschaftlichen Kategorien denkender Mensch«.
Die Militärs schalteten sogar das sonst nur für Korruptionsfälle zuständige Referat E S (Ermittlungen in Sonderfällen) ein, um herauszufinden, woher der Autor die Unterlagen für seine Arbeit hatte.
Als Mechtersheimer sich nun für die Mitarbeit an einem Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts über alternative Sicherheitsmodelle für zwei Jahre beurlauben lassen wollte, lehnte das Verteidigungsministerium ah.
Der Offizier bat um seine Entlassung und will jetzt als ziviler wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts seine Meinung über die Bundeswehr der neunziger Jahre äußern. Die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Waffentechnik, so seine These, erforderten ein radikales Umdenken der Verantwortlichen: »Die Bundeswehr muß nicht ein Abbild der Wehrmacht des Dritten Reiches sein.«
Abwehrraketen gegen Panzer und Flugzeuge sind nach Mechtersheimers Auffassung heute so treffsicher, daß die komplizierten Waffensysteme für eine Verteidigungsarmee wie die Bundeswehr allmählich überflüssig werden. Obwohl man statt eines Tanks 100 kleine -- ebenso wirksame -- Raketen kaufen könne, seien Panzer und Flugzeuge aber immer noch die »heiligen Kühe« (Mechtersheimer) der Militärs.
Der vierzigjährige Oberstleutnant a. D. hat für dieses Verhalten nur eine Erklärung: »Die Militärbürokratie des Bonner Verteidigungsministeriums weiß nicht so recht, wie sie auf die Herausforderung der modernen Technik reagieren soll.«
Um weniger grundsätzliche Fragen ging es dem Pioniergefreiten Uwe Lommertin. Aber auch sein Fall zeigt, wie schwer sich die Bundeswehr mit Kritikern in ihren eigenen Reihen tut.
Lommertin, Zeitsoldat für zwei Jahre, hatte 1975 mit mehreren Kameraden wegen der zu hohen Kantinenpreise in der Pionier-Kaserne Koblenz-Metternich zum Boykott aufgerufen und dem Pächter den »Wucherorden am Bande« verliehen. »Ein Mordsspaß«, wie sich Lommertins Stubengenossen noch heute erinnern.
Doch Lommertins Vorgesetzte sahen dies anders. Nach endlosen Untersuchungen, Vernehmungen und Versetzungen wurde der Gefreite 80 Tage vor Ablauf seiner regulären Dienstzeit fristlos entlassen. Er sei, so teilte ihm sein Divisionskommandeur Horst Wenner bündig mit, nun nicht mehr befugt, den »Dienstgrad Gefreiter zu führen, auch nicht mit dem Zusatz a. D.«.
Lommertin, der sich um seine Abfindung geprellt sah, klagte auf Wiedereinstellung und hatte beim Verwaltungsgericht Koblenz Erfolg. Die Richter befanden, daß Lommertin mit seinem Verhalten nicht gegen das Soldatengesetz verstoßen und auch nicht die »militärische Ordnung ernsthaft gefährdet« habe.
Doch das Verteidigungsministerium legte Berufung ein. Begründung: Lommertin sei wegen seiner »gefährlichen geistigen Grundhaltung« und seines »agitatorischen und unruhestiftenden Verhaltens« für die Bundeswehr nicht tragbar.
Lommertins Entlassung sei überdies, so argumentierten Apels Juristen weiter, erforderlich gewesen, um »das Ansehen der Bundeswehr in den Augen der übrigen Soldaten« zu schützen. »Denn diese würden geringschätzig von der Bundeswehr denken, wenn diese einen Soldaten nicht entlasse, der gegen sie agitiert habe.«
Das war auch dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zuviel; es bekräftigte den Standpunkt, daß »eine bestimmte politische Grundhaltung des Soldaten« von den Vorgesetzten nicht bereits als Verstoß gegen das Soldatengesetz angesehen werden könne.
Da das Urteil inzwischen rechtskräftig ist, hat der Gefreite Lommertin, mittlerweile Student, dem Bundesverteidigungsministerium schriftlich mitgeteilt, daß er sich am Montag, 9. Juli, bei der Panzerpionierkompanie 140 in Koblenz wieder zum Dienst melden werde.
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