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VATIKAN /CASAROLI Heiliger 007

aus DER SPIEGEL 46/1966

Auf Reisen trägt er gern Zivil: einen

unauffälligen dunklen Anzug, ein maßgeschneidertes Oberhemd und eine kastanienbraune Krawatte. Dazu einen Filzhut und eine dicke Hornbrille. Im Koffer hat er - für offizielle Anlässe - die Soutane.

Monsignore Agostino Casaroli, 52, Untersekretär für außerordentliche Angelegenheiten im vatikanischen Staatssekretariat, möchte unerkannt bleiben. Denn er reist fast immer in geheimer Mission - deshalb wird er scherzhaft »Heiliger 007« genannt -, und er reist fast immer nach Osten.

Der geistliche Diplomat pflegt Ostkontakte für den Papst, um den Gläubigen

hinter dem Eisernen Vorhang »die Zufuhr von frischer Atemluft« und der Kirche »einen gewissen Lebensraum« zu garantieren (Wiens Kardinal König).

Geduldig, aber hart, praktiziert Casaroli geistliche Politik der kleinen Schritte: »Was immer ich sage«, so pflegt er vor, seinen Gesprächen mit KP-Funktionären festzustellen, »geschieht es nicht in, der Absicht zu beleidigen, und ich werde nie etwas sagen und dabei etwas anderes meinen. Ich hoffe, Sie halten es ebenso.«

Der Ostdiplomat des Papstes, Sohn eines Kleinstadt-Schneiders aus Piacenza und Zögling der päpstlichen Diplomatenschule, spricht sechs Sprachen (darunter Russisch) und betreut in seiner Freizeit als »Padre Agostino« schwer erziehbare Jugendliche. Er arbeitete wie sein Dienstherr Paul VI. jahrelang als Archivar im Staatssekretariat, zuletzt als Leiter der Abteilung Lateinamerika. 1961 ernannte ihn Papst Johannes XXIII. zum Untersekretär der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten.

Seither hat Casaroli mindestens 20 Ostblockreisen unternommen, von denen die Öffentlichkeit jedoch nur erfuhr, wenn konkrete Ergebnisse zu melden waren:

- In Prag setzte er in zähen Verhandlungen die Freilassung des damaligen Erzbischofs Beran durch.

- In Budapest stellte er die ersten Kontakte zum internierten Kardinal Mindszenty her und schloß 1964 ein Teilkonkordat.

- In Belgrad unterzeichnete er Ende Juni dieses Jahres nach zweijährigen Verhandlungen ein Protokoll über die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Tito -Regime und Heiligem Stuhl.

In den nächsten Wochen will Casaroli wiederum nach Prag reisen. Dort ist die Lage besonders verwickelt: Die slowkischen Katholiken möchten eine eigene Kirchenprovinz mit einem eigenen Erzbischof haben, was man nicht nur in Prag, sondern auch im Vatikan für bedenklich hält. Und die Prager Regierung verlangt, daß der Papst zwei ihm nicht genehme Geistliche zu Bischöfen kürt.

Wegen dieser Schwierigkeiten mußte Casaroli die Prag-Reise mehrfach verschieben, obschon Wiens Kardinal König bereits Mitte September in der Tschechen-Hauptstadt das Terrain für ein Konkordat erkundet hatte. In der Kurie wiederum halten die Konservativen ein umfassendes Konkordat mit Prag für verfrüht.

Ohnehin werfen die Konservativen dem Ostreisenden des Vatikans vor, er sei allzu nachgiebig und mache den Kommunisten unnötige Zugeständnisse. Im Jugoslawien-Vertrag zum Beispiel ist die Rede von »Terror und ähnlichen Formen politischen Drucks«, deren katholische Priester sich während des Zweiten Weltkriegs in Jugoslawien schuldig gemacht hätten. Casaroli Ohne diesen »unbequemen Satz« hätte Tito nicht Frieden mit der Kirche geschlossen.

Am meisten beunruhigt die konservativen Vatikaner, daß Casarolis Karriere mit Ostmissionen wahrscheinlich nicht zu Ende ist: Er gilt bei seinen Anhängern in Rom als »papabile«, als Papst-Anwärter.

Päpstlicher-Diplomat Casaroli

Soutane im Koffer

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