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KONFESSIONSSCHULEN Heiliger Atem (siehe TiteIbiId*)

aus DER SPIEGEL 20/1965

Geräucherten Lachs nebst 45prozentigem Slibowitz und, nach einer Suppe, gekochte Seezungenröllchen garniert mit Hummerschwänzen nebst Mosel- und Rheinwein ließ der evangelische Apotheker und derzeitige niedersächsische Ministerpräsident Dr. Georg Diederichs im Runden Saal der Stadthalle zu Hannover auftischen.

Die Spitzen des Staates und der katholischen Kirche in Niedersachsen waren am 26. Februar zusammen mit Abgesandten des Heiligen Stuhls versammelt, insgesamt 40 Herren. Anlaß der gemeinsamen Mahlzeit war eine unkündbare »feierliche Übereinkunft«, die am selben Tage SPD-Diederichs und im Auftrage des Heiligen Vaters - dessen Nuntius in Bad Godesberg, Corrado Bafile, unterschrieben hatten: das Konkordat zwischen dem Land Niedersachsen (18,8 Prozent Katholiken) und dem Heiligen Stuhl.

Zur Rechten wie zur Linken war jedem geistlichen Herrn je ein weltlicher Niedersachse beigeordnet, soweit es sich angesichts des kirchlichen Übergewichts (22:18) einrichten ließ. Zwei Reden waren angesetzt, drei wurden gehalten. Das zweite Fischgericht - man speiste an einem Freitag - blieb länger in den Töpfen, als es die Chefs der Küche und des Protokolls geplant hatten.

Der Hannoveraner Diederichs, der Bad Godesberger Bafile (Titular-Erzbischof der seit Jahrhunderten menschenleeren vorderasiatischen Diözese Antiochia) und der Hildesheimer Heinrich Maria Janssen (Bischof einer mit 696 000 Katholiken und 5,6 Millionen Nichtkatholiken besiedelten Diaspora-Diözese) verwiesen die reputierliche Runde auf die Bedeutung der Stunde. Über die jüngere Vergangenheit gingen die Redner diskret hinweg. Diederichs nannte sie beiläufig eine »Periode von Verwicklungen und Schwierigkeiten«.

In der Tat: 1954 noch war in Niedersachsen »das den katholischen Eltern von Natur gegebene Recht, ihre Kinder katholisch zu erziehen, verletzt und mit Füßen getreten« worden - so seinerzeit Papst Pius XII. Damals führte der Amtsvorgänger des Festredners Janssen aus Hildesheim, Godehard Machens, seine Gläubigen nach eigenem Zeugnis in einem »Kulturkampf, der den Katholiken aufgezwungen wurde«.

Es war der bis heute in der bundesdeutschen Geschichte härteste Kampf um die gesetzliche Regelung des brisantesten deutschen Schulproblems: ob katholische und evangelische Kinder, die sonntags (wenn überhaupt) getrennt beten, wochentags getrennt lernen sollen - in Schulen ihrer Konfession.

Doch elf Jahre später lobten die beiden geistlichen Exzellenzen an der hannoverschen Stadthallen-Tafel den Willen zum Vertrauen, der sich nunmehr im Konkordat niedergeschlagen habe. Mit so wenig Pathos mochte sich Diederichs nicht begnügen. Vertrauen war ihm zu wenig, »Freundschaft« war sein Wort.

»Nur einen engen Kreis von Beteiligten« habe bislang ein neuer Geist der Freundschaft zwischen Staat und katholischer Kirche erfüllt, vermerkte der Ministerpräsident. Jeder im Runden Saal wußte, daß dieser Kreis bis zu diesem Tage kaum größer war als die Tafelrunde. Doch nun müsse, so sprach Diederichs, der neue Geist der Freundschaft »um sich greifen« im ganzen Land.

Und im ganzen Land griff es um sich - aber es war nicht der Geist einer Freundschaft, wie Diederichs sie versteht: Eine unheilige, wenn auch christliche Allianz machte Front gegen die Schulartikel des Konkordats und neue Paragraphen des Schulgesetzes.

Ein Kampf um die Schule, wie er leidenschaftlicher bislang in keinem anderen Bundesland und in Niedersachsen nur 1954 geführt wurde, ist im Lande zwischen Nordsee und Harz entbrannt. Die Regierungskoalition zwischen SPD und FDP ist darüber in der vergangenen Woche zerbrochen.

Gegen das Konkordat sind aufgestanden die Lutheraner in Ostfrieslands Pfarrhäusern ("Bedrohung der freiheitlichen Entwicklung des Landes") wie die Professoren der Pädagogischen

Hochschulen in Braunschweig ("Keine weitere Konfessionalisierung des Schulwesens") und Osnabrück, die Christen der Reformierten Kirche in Nordwestdeutschland (Landessuperintendent Nordholt: »Keine Apartheid in der Schule") wie sämtliche evangelischen Theologen der Pädagogischen Hochschulen Niedersachsens ("Unzuträgliche Behinderung einer künftigen Entwicklung"), der Sozialdemokratische Hochschulbund wie der SPD-Kreisvorstand Braunschweig - vor allem aber die Lehrer und die Liberalen.

Zum Kampf »mit allen Mitteln« rief Helmut Lohmann, Chef des 19 069köpfigen Gesamtverbandes Niedersächsischer Lehrer, in Göttingen seine Kollegen auf. 385 von 385 Delegierten stimmten ihm per Resolution zu.

Die lutherischen Landeskirchen, denen weitaus die meisten Niedersachsen angehören, schienen zunächst in das Niemandsland zwischen den Fronten zu retirieren. Tatsächlich aber nahmen sie von Anfang an zu der niedersächsisch-römischen Revision des Schulrechts eine kritische Haltung ein, die mehrfach bekräftigt wurde:

Zunächst begrüßten der Hannoveraner Hanns Lilje und seine Mit-Bischöfe, die schon 1955 einen Vertrag (ohne Schulartikel) mit dem Land Niedersachsen abgeschlossen hatten, daß »nunmehr in einem Konkordat auch die Beziehungen zur katholischen Kirche vertraglich geregelt« würden. Zugleich aber bekannten sie sich schon zu der »aus dem Jahre 1954 stammenden Ordnung des niedersächsischen Schulrechts«, die nun geändert werden soll.

Lilje wurde bald darauf noch deutlicher: »Wir sind nicht willens, unsere schulpolitische Haltung zu ändern.« Außerdem kündigte der Landesbischof an, daß man sich »das sorgfältige Studium der Einzelbestimmungen« des Vertragswerks vorbehalte. Dann erkrankte Lilje und verstummte.

Sein Schulexperte Bartels warnte wenig später, keinesfalls dürfe die Erklärung der lutherischen Bischöfe »als Zustimmung zum Inhalt und damit auch zu den Auswirkungen des Konkordats« ausgelegt werden. Und jüngst erklärte der Synodalausschuß der Kirche Liljes, ein vom Kirchenparlament gewähltes Gremium, sogar: Er habe »erhebliche Bedenken« gegen die Schulbestimmungen des Vertragswerks.

Zu den Fachleuten von Rang, die sich wie diese Lutheraner auf die Seite der Lehrer und der Liberalen schlugen, gehören Günther Rönnebeck, Chef der Schulabteilung im niedersächsischen Kultusministerium (SPIEGEL 14/1965); der West-Berliner SPD-Schulsenator Carl-Heinz Evers ("Ich bekenne mich zu den Gefühlen und Gedanken der niedersächsischen Lehrerschaft"); der Frankfurter Schulrechtler Professor Hans Heckel und Professor Herbert Krüger, Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg - derselbe Gelehrte, der noch 1957 als Gutachter vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verbündeter der niedersächsischen Landesregierung war.

Und mit dem »Dornenkranz des Märtyrers« ("Süddeutsche Zeitung") verließ sogar jener Hans Mühlenfeld den Konkordatskurs und die Regierungsbank, der zwei Jahre lang als FDP -Kultusminister die Verhandlungen mit der katholischen Kirchergeleitet und das Vertragswerk gegen seine eigenen, vom Fraktionschef Winfrid Hedergott angeführten FDP-Parteifreunde zunächst verteidigt hatte.

Unversehens brachte Mühlenfeld (SPIEGEL 18/1964) die Mühle der Parteitaktik in Gang, in der nach dem Willen der SPD die sachlichen Einwände der Konkordatsgegner zerrieben werden sollen. Noch ist das Konkordat nicht vom Niedersächsischen Landtag gebilligt worden. SPD-Diederichs hat das Parlament undemokratisch in eine Zwangslage manövriert:

Das Parlament soll die ohne sein Zutun entstandenen Kontrakte, das bereits feierlich unterzeichnete Konkordat und die ebenfalls schon mit römischem Plazet versehene Schulnovelle, ohne jedwede Korrektur billigen.

Keines der vier Parlamente, die in der Weimarer Republik Verträge mit dem Vatikan genehmigten (Bayern 1924, Preußen 1929, Anhalt 1932, Baden 1932), ist von der jeweiligen Regierung des Landes so mißachtet worden wie der hannoversche Landtag von der Regierung Diederichs.

In Preußen beispielsweise hatten die regierenden Sozialdemokraten den Landtag während der Verhandlungen über ein Konkordat ständig unterrichtet, für die erste bis dritte Lesung im Parlament brauchte man dann nur acht Tage. Und in Anhalt ließ die Regierung einen Vertrag mit dem Vatikan über die Finanzierung katholischer Privatschulen vom Parlament genehmigen, dann erst wurde er unterzeichnet.

In Hannover des Jahres 1965 aber verjagten Diederichs und Genossen FDP -Mühlenfeld von der Regierungsbank, weil er im Landtag erklärt hatte, daß die Kritik am Konkordat »Berücksichtigung verlangt« und in den Ausschüssen »mit Ernst erörtert werden« müsse.

Wird das Konkordat nebst Schulnovelle vom Landtag genehmigt, so wird es in der Geschichte der Kirche und der SPD ohne Beispiel sein.

Zum erstenmal in der hundertjährigen Geschichte der SPD hat sich ein Ministerpräsident aus ihren Reihen mit der katholischen Kirche über das »Kernproblem« (Diederichs) geeinigt, das Partei und Priester trennt: über die katholische Konfessionsschule.

Und zum erstenmal in der mehrhundertjährigen Geschichte der Konkordate sicherte ein Demokrat, der ein überwiegend evangelisch besiedeltes Land regiert, dem Vatikan »die Beibehaltung und Neueinrichtung von katholischen Bekenntnisschulen« zu.

Im hannoverschen Landtag will man diese Wahrheit nicht wahrhaben. CDU -Fraktionschef und Jurist Langeheine verwarf die Auffassung, »daß man mit der katholischen Kirche ein Konkordat abschließen könnte, ohne die Schulfragen abschließend zu regeln«. Der Gedanke an ein Konkordat ohne Schulartikel sei »einfach absurd«, pflichtete ihm Richard Voigt bei, der Konkordats-Experte der SPD.

Doch wie Diederichs 1965, waren zu Konkordaten mit Garantien für staatliche katholische Schulen in Europa bislang nur ein einziger Demokrat (1924 Heinrich Held, Ministerpräsident des damals mit 70 Prozent Katholiken besiedelten Bayern) und vier Diktatoren bereit: 1929 Italiens Benito Mussolini, 1933 Deutschlands Adolf Hitler (der sich nicht daran hielt), 1940 Portugals António de Oliveira Salazar und 1953 Spaniens Francisco Franco Bahamonde.

Außerhalb Europas sicherte bislang nur ein Land dem Vatikan katholische Staatsschulen zu: die Dominikanische Republik, als sie noch von den Trujillos beherrscht wurde. Der (1961 ermordete) Generalissimus Rafael Leonidas Trujillo Molina hatte 1954 ein Konkordat unterzeichnet. Er ist der Vorgänger des Niedersachsen Diederichs in der Liste der Konkordats-Partner*.

Von den 14 Konkordaten dieses Jahrhunderts enthalten acht (mit Baden, Preußen, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Rumänien, Serbien) keine Artikel über katholische Staatsschulen.

Diese Schulart, die fortan in Niedersachsen noch stärker als bisher gefördert werden soll, gibt es in weitaus den meisten Ländern Europas nicht.

Außerhalb der deutschen Grenzen hat sie die katholische Kirche nur in drei Ländern mit über 99 Prozent Katholiken (Spanien, Italien, Portugal) sowie in einigen Landstrichen - in einem Schweizer Kanton, in Elsaß-Lothringen und im österreichischen Burgenland - durchsetzen können.

Sonst aber gibt es weder in Frankreich (94 Prozent Katholiken) noch in Österreich (90 Prozent Katholiken) noch in Belgien (99 Prozent Katholiken) noch viel weniger in irgendeinem konfessionell gemischten Lande Europas auch nur eine einzige öffentliche Konfessionsschule. Dort sind die Katholiken, die ihre Kinder katholisch erziehen lassen wollen, überall auf private Schulen angewiesen.

Und auch in sieben der zehn übrigen deutschen Bundesländer wurden die Schul-Forderungen der katholischen Kirche entweder überhaupt nicht oder in geringerem Maße erfüllt als schon heute in Niedersachsen. Nur in Bayern, Nordrhein-Westfalen und im Saarland sind stärker noch als in Niedersachsen öffentliche katholische und evangelische Schulen über das ganze Land verbreitet. In dem CDU-regierten Baden-Württemberg sind sie nur in einem von vier Landesteilen zugelassen, im seit 1947 von der CDU beherrschten Rheinland -Pfalz gibt es nur in vier von fünf Bezirken Konfessionsschulen.

Ein einziges Bundesland hat nur Konfessionsschulen, das Saarland. Aber die Saarländer haben jüngst ihre Verfassung geändert: Gemeinschaftsschulen sind künftig erlaubt. Restliche Regionen, in denen es ausschließlich Konfessionsschulen gibt: Niederbayern und der niedersächsische Bezirk Oldenburg.

In fünf Bundesländern - im CDU regierten Schleswig-Holstein, in Hessen und in den drei Stadtstaaten West-Berlin, Hamburg und Bremen existiert keine einzige öffentliche Konfessionsschule (siehe Graphik). Kein ernst zu nehmender Christ- oder Sozialdemokrat will in diesen Ländern der katholischen Kirche durch neue Schul-Paragraphen auch nur einen Schritt entgegenkommen. Keine Regierung erwägt auch nur, ein Konkordat mit dem Vatikan abzuschließen.

Durch Eingriffe in das Schulrecht entstehe eine »Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens«, rügte der renommierte Deutsche Ausschuß für das Erziehungs - und Bildungswesen - dem auch katholische Schulfachleute angehören - im November 1962, als er ein Gutachten über die religiöse Erziehung veröffentlichte.

Überall sollte bedacht werden, so befand der Ausschuß, daß »es gerade auf diesem Gebiet der Schule die Ruhe zu geben gilt, in der sich die Anstrengung der Erzieher auf die eigentliche pädagogische Arbeit konzentrieren kann«. Deshalb sollten die »verschiedenen gesetzlichen Regelungen« in den Bundesländern um des Schulfriedens willen nicht »zum Gegenstand neuer politischer Kämpfe gemacht« werden.

Die katholische Kirche dachte darüber anders. Auf dem Katholikentag in Stuttgart 1964 forderte Deutschlands Schul -Bischof Johannes Pohlschneider (Aachen) öffentlich, was hinter verschlossenen Türen auch Nuntius Bafile verlangte: »Entscheidende Taten« dort, wo in den Schulgesetzen die katholischen Forderungen noch nicht erfüllt seien. Auf Niedersachsen verwies der Aachener Bischof nachdrücklich.

»Angesichts der Härte des Kampfes« um die katholische Konfessionsschule gab der militante Mitra-Träger Pohlschneider die Losung aus: »Binden wir ... unseren Helm fester, und schließen wir uns eng zusammen!« Gegenlosung der Lehrer in Niedersachsen, verkündet sieben Monate später in der Karwoche 1965: »Rettet die niedersächsische Gemeinschaftsschule!«

Die Frage, ob katholische und evangelische Kinder ihre Schuljahre gemeinsam oder getrennt verbringen sollen, ist das einzige Kirchen-Thema, das in Deutschland noch viele Gemüter erhitzt.

Unterschiedliche Glaubenslehren über Papst, Luther und Maria erregen, so ernst sie auch von der Minderheit der gläubigen Christen genommen werden, nur noch geistliche Gelehrte. Der Hader um die Mischehen, von denen in der Bundesrepublik nach kanonischem Recht eine Million ungültig ist, vermag Familien zu entzweien, an manchen Orten Priester und Pastoren zu verfeinden und das Konzil jahrelang zu beschäftigen; aber er dringt selten aus den Wohnstuben und den Kirchen in die Öffentlichkeit.

Öffentlich ausgetragen ober wird der Streit um die Schule fast überall dort, wo Christen verschiedenen Glaubens miteinander leben und ihre Kinder in verschiedene Schulen schicken wollen oder sollen. Wo und wie immer das Thema angeschlagen wird, empören und scheiden sich die Geister.

Evangelische Kinder müßten an einer - nicht genannten - katholischen Volksschule »freitags Wurst auf dem Brot ... abknibbeln und im Papier wieder in den Ranzen stecken«, meldete jüngst ein Leser Dr. Marcus Manstein aus Aachen (den es in Aachen nicht gibt) in der »Welt« und löste eine Serie von Zuschriften aus. Die Leser bemühten in dem Wurst-Forum den Apostel Paulus ebenso wie den auch in diesem Fall einschlägigen Goethe.

Die konfessionelle Trennung in der Schule beschäftigte Dorfbewohner wie die 1800 Seelen in der Gemeinde Beuel -Küdinghoven unweit der Bundeshauptstadt Bonn, wo im gemeinsamen Schulgebäude neben katholischen und evangelischen Klassen auch katholische und evangelische Toiletten eingerichtet wurden, ebenso wie höchste deutsche Gerichte.

Zwei Damen klagten sich bis zum Bundesverwaltungsgericht durch und machten Schulgeschichte:

- Die freireligiöse Abiturientin Leni Fried aus Idar-Oberstein wurde 1957 in ihrem Heimatland Rheinland -Pfalz nicht zum Studium an den dort damals ausnahmslos evangelischen oder katholischen Pädagogischen Hochschulen zugelassen. Das Land Rheinland-Pfalz verlor den Rechtsstreit und eine Volksschul-Lehrerin: Das Fräulein Fried ist mittlerweile Frau Grub und Studienassessorin geworden.

- Die katholische Dorfschullehrerin Emma Rupprecht aus dem bayrischen Laberweinting hatte einen geschiedenen Mann geheiratet, bald darauf ein Kind geboren und lebt in einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe. Gegen den Willen zweier katholischer Bischöfe und entgegen zwei Urteilen bayrischer Gerichte darf die Laberweintingerin, so die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, an einer katholischen Konfessionsschule unterrichten.

»Auf allen Seiten«, so klagt der weltoffene Jesuit Erlinghagen, »haben sich Ideen zu Ideologien verhärtet«, und sie »hemmen die gesunde und notwendige Entwicklung unseres Schulwesens in einem Maße, das bestürzend ist.«

Nicht einmal über die Tatsachen ist man derselben Meinung.

»Der größte Teil der deutschen Bevölkerung ist gegen die Konfessionsschule«, weiß »Christ und Welt« (evangelisch). »Die weitaus größte Zahl aller Eltern - etwa 80 Prozent - wünscht für ihre Kinder eine konfessionelle Schule«, weiß der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings.

Wechselseitig sieht man hinter sich die stärkeren Bataillone. Doch an der Kirchen-Front wird falsch gezählt.

Nach Emnid-Zahlen, die der katholische Pädagoge Bernhard Linke veröffentlichte, wollen 27 Prozent der bundesdeutschen Eltern die Konfessionsschule, aber 71 Prozent die Gemeinschaftsschule; etwa je die Hälfte wünscht sie christlich oder weltlich.

Zwar liegen die katholischen Prozente für das Miteinander niedriger als die evangelischen. Doch wo immer katholische Eltern befragt wurden, entschieden sie sich mit großer Mehrheit für die Gemeinschaftsschule; in Bayern waren es 61, in den vier Bundesländern Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg 62 Prozent.

Aus der württembergischen Kreisstadt Calw wurde im vergangenen Monat die bislang eindeutigste Absage katholischer Eltern an die katholische Schule gemeldet, nachdem dort der Ortspriester die Entscheidung freigestellt hatte. Bis dahin gab es in Calw zwei evangelische Konfessionsschulen und eine katholische. Von 1569 Eltern, die über die künftige Schulart entschieden, stimmten 1552 für die Gemeinschafts-, elf für die evangelische und sechs für die katholische Konfessionsschule.

In Dortmund ist der Trend zur Gemeinsamkeit sogar am Alter der jeweiligen Gebäude zu erkennen. Wenn dort eine neue Schule bezugsfertig ist, stimmen die Eltern über die Schulart ab. Die Gemeinschaftsschulen sind zur

Hälfte, die Konfessionsschulen nur zu

einem Viertel in neuen Gebäuden eingerichtet.

Die Quelle, aus der ihrerseits Kardinal Frings und zahlreiche andere geistliche Rechner Zahlen und Gewißheit schöpfen, gab Schul-Bischof Pohlschneider preis: »Wir (haben) ja tatsächlich jedes Jahr eine echte Meinungsbefragung, nämlich immer vor Ostern, wenn die Eltern ihre sechsjährigen Kinder zur Schule anmelden.«

Im Regierungsbezirk Aachen, dem Kernstück der Pohlschneider-Diözese, wäre dann eine volksdemokratisch hoch anmutende Zahl von Eltern für die Konfessionsschule: über 99 Prozent. Doch die Eltern haben dort, wo Pohlschneider regiert, faktisch keine Wahl. Im gesamten Bezirk (590 Schulen) gibt es nur zwei Gemeinschaftsschulen.

In solchen Gegenden ist das Elternrecht auf freie Wahl der Schulart (Bischof Pohlschneider: »Ein granitener Fels im unruhigen Meer der Welt") eine Fiktion. Der »Report«-Reporter Dieter Thoma erläuterte es im Deutschen Fernselen: »Es gibt in Köln zwar 144 Kon essionsschulen, aber nur zehn Gemeinschaftsschulen.« In die nächste Gen einschaftsschule müßte Thoma-Sohn Olliver, 6, mit der Straßenbahn (einmal umsteigen) fahren.

Olivers Vater: »Habe ich eine Wahl? Eigentlich nicht. Denn natürlich werde ich die Schule wählen, die um die Ecke liegt. Damit aber gebe ich gleichzeitig eine Stimme ab für die Konfessionsschule. Das wollte ich eigentlich nicht.«

Eine österliche Volksentscheidung, auf die sich Aachens Pohlschneider beruft, ist nur in wenigen Distrikten und Städten möglich. Wie in und um Aachen bietet sich den Eltern im weitaus größten Teil der Bundesrepublik keine Alternative. Die öffentlichen Schulen sind zumeist entweder ausschließlich Gemeinschaftsschulen oder umgekehrt zu 90 bis 100 Prozent Konfessionsschulen.

Wo immer katholische Eltern die Chance einer Wahl haben, treten Priester mit Kanzelreden und Hausbesuchen in Aktion. Durch den massiven Druck, den sie häufig ausüben, diskreditieren sie selbst das unablässig geforderte Recht der Eltern auf freie Entscheidung.

Zwar versichert der Aachener Professor Pöggeler: »Die katholische Kirche ist der Auffassung, laß die Forderung nach der Bekenntnisschule keineswegs die Freiheit der Gewissensentscheidung auszuschließen braucht.« Und Jesuit Erlinghagen gab sich 1965 noch liberaler: »Die Aufgabe der Kirche ist es lediglich, die Gewissen der Eltern zu schärfen. Sonst nichts. Wer sich dann für die Gemeinschaftsschule entscheidet, der soll es doch tun.«

Aber viele Priester wecken bei katholischen Eltern das Gefühl, sie würden ihre Kinder in einer Gemeinschaftsschule dem Antichrist opfern. Der Münsteraner geistliche Studienrat Bernhard Bendfeld zitierte den Gottseibeiuns herbei, als er mit einem Flugblatt die Katholiken im westfälischen Flekken Tungerloh-Hochmoor über ihre Pflichten belehrte.

Die Gläubigen hatten sich trotz Einrede des Priesters der dortigen St.-Anna -Gemeinde mit Mehrheit dafür entschieden, ihre zweiklassige Konfessionsschule zugunsten einer größeren Gemeinschaftsschule aufzugeben. Bendfeld: »Der Teufel muß in St. Anna seine erste Schlacht verlieren!« Und die Gemeinschafts-Petenten warnte der Priester: »Oft läßt Gott einen dieser Glaubensleugner kurz danach sterben.«

Wilhelm Werheit, Pfarrer der »Herz Jesu«-Gemeinde in Gladbeck, unterrichtete per Rundschreiben seine Gläubigen: Wer sein Kind für eine Gemeinschaftsschule anmelde, verleugne seinen Glauben »in einem Ausmaß, das fast dem Austritt aus der Kirche nahekommt«, und habe »seelische Knochenerweichung und religiöse Charakterlosigkeit«.

Öffentlich wurden solche eifernden Priester von ihren Oberhirten nie gerügt. Die katholischen Bischöfe selber waren - und sind - mit ihren abfälligen Urteilen über die Gemeinschaftsschule nur einige Grade zurückhaltender.

Der Münsteraner Bischof Höffner, einst Professor an der Universität seines heutigen Bischofssitzes, definierte die Gemeinschaftsschule als »weltanschaulich gleichgeschalte Zwangseinheitsvolksschule«. Osnabrücks Bischof Wittler sah »an der Schulgesetzgebung Kubas«, wohin es führen könne, wenn man »der Schule ihren Bekenntnischarakter« nehme.

Wie scharf immer ein Priester oder ein Bischof die nichtkatholische Schule verurteilt - er kann sich auf amtliche Erklärungen mehrerer Heiliger Väter berufen.

»Wenn die Schule kein Gotteshaus ist, so ist es eine Höhle«, zitierte Papst Pius XI. in einer Enzyklika über die christliche Erziehung 1929 zustimmend einen italienischen Pädagogen. Dieses fast 35 Jahre alte päpstliche Rundschreiben gilt auch heute noch als »Grundwerk der katholischen Pädagogik«.

In der Enzyklika rief der elfte Pius ein Wort des dreizehnten Leo aus dem Jahre 1897 in die Erinnerung zurück: »Vom Wohlgeruch religiösen christlichen Sinnes« müsse der gesamte Schulunterricht erfüllt sein. Und weiter zitierte der eine Papst den anderen Papst: »Wenn das fehlt, wenn dieser heilige Atem das Innere der Lehrer und Schüler nicht durchzieht und erwärmt, dann wird man aus der ganzen Schulung recht wenig Nutzen ziehen.«

Und Pius XI. selbst verkündete in seiner Enzyklika einen Leitsatz, den noch keiner seiner bislang drei Nachfolger modifiziert hat: »Die nötige Eignung« jeder Schule für katholische Kinder sei, »daß der ganze Unterricht und Aufbau der Schule: Lehrer, Schulordnung und Schulbücher, in allen Fächern unter Leitung und mütterlicher Aufsicht der Kirche von christlichem Geist beherrscht wird«. (Offizieller Kommentar: »Mit dem Worte 'christlicher Geist' meint die Enzyklika eindeutig die Glaubenswelt der katholischen Kirche.")

Die Religion müsse - so postulierte Pius XI. weiter - »Grundlage und Krönung des ganzen Erziehungswerkes in allen seinen Abstufungen (darstellen), nicht bloß in den Elementar-, sondern auch in den Mittel- und Hochschulen«.

Und: »Wir erneuern und bekräftigen ... die Vorschriften der heiligen Canones, wonach der Besuch der nichtkatholischen Schulen ... die ganz gleichförmig, und ohne irgendwelche Sonderung den Katholiken und Nichtkatholiken offenstehen, den katholischen Kindern verboten ist.« Ausnahmen dürften allenfalls die Bischöfe »mit Rücksicht auf bestimmte örtliche und zeitliche Verhältnisse unter besonderen Sicherungen« zulassen.

Das Pius-Ideal der katholischen Schule ist in der Bundesrepublik nur in geringem Maße verwirklicht worden. Stillschweigend haben die deutschen Bischöfe von vornherein Abstriche am päpstlichen Programm vorgenommen.

Nicht für das Schulsystem »in allen seinen Abstufungen« (Pius XI.), sondern lediglich für die Grundschüler und die zehn- bis fünfzehnjährigen Volksschüler wird die katholische Erziehung gefordert.

Katholische Mittel- und Oberschulen werden nur dort gepflegt, wo sie eine jahrzehntelange Tradition haben - wie in einigen Landstrichen Bayerns. Neue katholische Mittelschulen und Gymnasien hat der deutsche Episkopat niemals gefordert.

Deutschlands Priester stehen deshalb vor einer zwiespältigen Aufgabe. Einerseits sollen sie verhindern, daß katholische Kinder eine für alle Christenkinder gemeinsame Grund- und Volksschule besuchen. Andererseits sind sie nach bischöflichen Weisungen gehalten, möglichst allen Eltern begabter Zehnjähriger die ebenfalls für katholische wie nichtkatholische Kinder gleichermaßen bestimmte Mittel- oder Oberschule zu empfehlen.

Auch unter den kirchentreuen Katholiken wächst die Erkenntnis, daß

- so Schulrat Ludwig Glück, Vorsitzender der bayrischen Katholischen Erziehergemeinschaft - »das, was wir heute Bekenntnisschule nennen, den rasanten Kampf gar nicht wert ist«. Es gibt in der Bundesrepublik nur relativ wenige katholische Schulen, die dem Pius-Wunschbild entsprechen - weil an den fast ausnahmslos staatlichen Schulen die kirchlichen Forderungen nicht durchgesetzt werden können. Staatliche Gesetze und die religiöse Gleichgültigkeit vieler lehrender und der meisten lernenden Katholiken verhindern es.

Daß an katholischen Schulen »in allen Fächern unter Leitung und mütterlicher Aufsicht der Kirche« (Pius XI.) gelernt wird, steht in der Bundesrepublik nicht einmal auf dem Papier der Schulgesetze. Das Kontrollrecht der Kirchen ist überall auf das Fach Religion beschränkt.

Nicht eben selten versuchen katholische Geistliche so diskret wie möglich, unter Berufung auf Konkordats-Artikel oder Gesetzes-Paragraphen, auf dem Umweg über die staatliche, Schulaufsicht die Karriere eines Lehrers je nach Grad der Kirchentreue zu beschleunigen oder zu stoppen. Die Unruhe, die bei solchen Interventionen fast überall unter der Lehrerschaft entsteht, wird selten aufgewogen durch den Erfolg im Einzelfall.

An allen öffentlichen Konfessionsschulen muß nach denselben ministeriellen Lehrplänen unterrichtet werden wie an den Gemeinschaftsschulen. Katholisch dürfen mir die Lehrbücher sein, und katholisch sind meist nur die Lesebücher für den Deutschunterricht.

So erfahren niedersächsische Jung -Katholiken in den katholischen »Sieben Ähren« von der »Wallfahrt eines Rennfahrers«, der zur »Gnadenmutter von Mariabronn« betet. Sie lernen ein Gebet zum heiligen Georg und ein Gedicht über die Schlitzmantelmadonna«.

In katholischen Lesebüchern stehen Stücke über Fastenzeit und Aschenkreuz, Fronleichnam und Allerseelentag, und handelnde Figuren sind neben Schillers Glockengießern und dem Herrn von Ribbeck auf Ribbeck Heilige, Bischöfe, Priester und Ministranten. Daß es auch Andersgläubige gibt, wird lieber verschwiegen - beispielsweise in drei von vier Bänden des bayrischen katholischen Lesebuchs »Junge Welt«.

Und wie die katholische Lektüre im Deutschunterricht, wird auch das katholische Brauchtum gepflegt, damit sich der Geist der Schule »in tausend Kleinigkeiten des Alltags verrät« (Erzbischof Bengsch, Berlin). Betont katholische Andachten des Lehrers vor und nach dem Unterricht, wie sie in den Gemeinschaft schulen nicht gehalten werden könnten, Marienfeiern im Mai, Madonnenbilder und »Herrgottswinkel« sind ebenso erwünscht wie der gemeinsame Gang zur Messe und zur Beichte. Der Lehrer soll die Kinder im Spiel den »Rhythmus des Kirchenjahres erleben lassen« (Dozentin Luzia Glanz) und den Priestern »vielfältige Möglichkeiten der Teilnahme am Klassenleben bieten« (Domkapitular Hubert Fischer).

Doch die Schul-Wirklichkeit entspricht dem kirchlichen Anspruch oft nicht. Weder prokatholische Paragraphen noch katholischer Lesestoff sichern einen katholischen Geist in den Konfessionsschulen, und die Pflege des katholischen Brauchtums läßt sich nur in Grenzen regiementieren. Katholischer Geist kann nur dort herrschen, wo Lehrer und Schüler ihn besitzen. »Sollte denn«, so fragt der Jesuit Erlinghagen, »die Glaubenssubstanz in der Lehrerschaft sehr viel größer ein als beim Durchschnitt der Getauften?«

In der Bundesrepublik sind nach dem Urteil des katholischen Pastoralsoziologen Norbert Greinacher »nur noch zwanzig Prozent der katholischen Christen echte Gläubige«. Nur etwa in

diesem Hundertsatz können die katholischen Konfessionsschulen von dem laut Plus XI. notwendigen »heiligen Atem« erfüllt sein, wenn wie im Saarland und in Bayern nahezu alle Lehrer und Kinder an Konfessionsschulen lehren und lernen müssen.

Nach Schulrat Glück sind »keine 50 Prozent der Lehrer bereit und geeignet, das zu tun, was man sich unter idealen pädagogischen Vorstellungen von der Bekenntnisschule verspricht«.

Die größere Quantität, die katholische Bischöfe weithin durchgesetzt haben, schlägt in - aus katholischem Blickwinkel - mindere religiöse Qualität um. Diese Folge einer Zwangs-Konfessionalisierung läßt sich kaum noch verbergen.

- In Nordrhein-Westfalen gehört fast ein Drittel der - weit überwiegend an Konfessionsschulen tätigen - katholischen Lehrer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an, obwohl laut Hirtenbrief die GEW »Gegnerin der Bekenntnisschule« ist und jeder Katholik »vor Gott zu erwägen« hat, ob er sie »in irgendeiner Weise unterstützen« dürfe,

- In Bayern ist sogar die Mehrheit der katholischen Pädagogen im dortigen Lehrer- und Lehrerinnenverein organisiert, der mit der GEW eine Bundes-Arbeitsgemeinschaft gebildet hat. Deren Schulpläne nannte Bischof Pohlschneider 1960 eine »revolutionäre Konspiration gegen die christliche Erziehung unserer Jugend«.

- An der katholischen Pädagogischen Hochschule in der Bischofsstadt Münster wurde mit 652 gegen 312 (bei 48 Enthaltungen) ein Student zum Vorsitzenden des Allgemeinen Studenten-Ausschusses gewählt, der dem Sozialdemokratischen Hochschulbund angehört und die Gemeinschaftsschule propagiert. Kommentar der katholischen »Allgemeinen Sonntagszeitung": »Ein schwarzer Tag für die katholische Hochschule.«

Konfessionelle Erziehung ist, wie der evangelische Bildungspolitiker Hellmut Becker es formuliert, mit »pädagogischer Serienfabrikation« nicht möglich. Es entsteht »eine Scheinkonfessionalität, fast möchte ich sagen eine konfessionelle Fiktion ... die für niemand gefährlicher ist als für die Kirchen selbst«.

Gelegentlich wird nichtkatholische Kritik an der katholischen Konfessionsschule mit dem Hinweis abgewehrt, sie sei eine Art innerkatholisches Problem. So etwa Professor Pöggeler: »Die katholische. Kirche verlangt ja nicht ... daß etwa nichtkatholische Kinder in katholische Schulen hineingezwungen werden. Das zu unterstellen wäre eine Ungeheuerlichkeit.«

Indes: 108 000 Kinder in der Bundesrepublik (66 000 nichtkatholische, 42 000 katholische) müssen für die Existenz von Konfessionsschulen einen Preis zahlen, der nach Ansicht renommierter Rechtsgelehrter nahezu das Grundgesetz verletzt: Sie besuchen eine Konfessionsschule der anderen Konfession.

Den Hauptanteil stellen Bayern (53 000) und Nordrhein-Westfalen (38 500). Überwiegend sind es Jung -Protestanten in schwarzen Gegenden; in zwei von drei katholischen Konfessionsschulen Bayerns sitzen Fremdlinge anderen Glaubens.

Doch der deutsche Staat sündigt nicht nur gegen diese künftigen Bürger. Er handelt nach Ansicht zahlreicher angesehener Rechtsgelehrter auch wider das Gesetz, nach dem er angetreten ist, wenn er an seinen Schulen katholische Kinder katholisch und evangelische Kinder evangelisch erziehen läßt.

Die katholische Kirche beruft sich auf das Grundgesetz. Nach dieser Argumentation wird das Elternrecht, wie es die katholische Kirche versteht, im Grundgesetz »ausdrücklich zu den Grundrechten der Deutschen gezählt« - so steht es auch in dem reputierlichen »Lexikon für Theologie und Kirche«.

Als der Parlamentarische Rat 1949 das Grundgesetz verabschiedete, waren prominente Katholiken noch anderer Meinung. Damals versicherte Kardinal Frings, die neue Verfassung sei »mit einem schweren Makel« behaftet; alle Katholiken seien »aufs schwerste gekränkt«. Tatsächlich sind in das Grundgesetz, wie sein angesehenster Kommentator Mangoldt feststellt, »die katholischen Lehren über Elternrecht und Erziehungswesen nicht übernommen« worden. »Zur Bekenntnisfreiheit«, so der Hamburger Professor Krüger, »kann nicht das Recht gehören, vom Staate in dem gewählten Bekenntnis erzogen zu werden.« Vor allem aber seien Konfessionsschulen als einzige Schulen am Orte mit dem Wesen eines Staates, der nach dem Urteil seines höchsten Gerichts »weltanschaulich neutral« sei, nicht zu vereinbaren.

Diese Kritiker tadeln, daß Schulen überhaupt katholisch oder evangelisch sind. Die geistlichen Kritiker hingegen bedrückt, daß diese Schulen zu wenig katholisch oder evangelisch sind.

So gegensätzlich die Positionen aber auch sind, so einig sind sich beide Lager über den einzigen Ausweg: Die Konfessionsschule dürfte nicht länger öffentlich, sie müßte wie in anderen Ländern Europas privat sein.

Zu diesem Ziel haben sich neben vielen anderen Professor Krüger und Jesuit Erlinghagen, die liberale Hildegard Hamm-Brücher und der erzkonservative katholische Schul-Bischof Johannes Pohlschneider ("Die ideale Lösung") bekannt.

Doch Pohlschneider und seine Mit-Bischöfe versuchen nur dort, diesem Ideal näherzukommen, wo sie dazu gezwungen worden sind: in den drei Stadt-Staaten, wo keine öffentlichen Konfessionsschulen zugelassen sind.

Überall dort aber, wo öffentliche Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen nebeneinander zugelassen sind, führt die katholische Kirche wie seit eh und je den Kampf darum, daß mangels einer Alternative der Zwang für katholische Eltern, ihre Kinder in katholische Schulen zu schicken, mit dem staatlichen Schul-Zwang identisch ist.

Der heute fragwürdig gewordene Schul-Bund zwischen Staat und Kirche wurde einst in einer Zeit gegründet, als noch Thron und Altar einander wechselseitig stützten. Die Konfessionsschulen wurden von den gekrönten Christen aber nicht »um der Verwirklichung eines genuin religiösen Anliegens willen« installiert, sondern um »die Untertanen bei Gehorsam zu erhalten« (Professor Krüger).

Der Bund diskreditierte sich selbst, als fast überall in Deutschland Geistliche beider Konfessionen vom Staat mit der Schulaufsicht betraut wurden. Der Widerstand der meisten deutschen Lehrer gegen jedwede kirchliche Kontrolle ist auf die düsteren Erfahrungen ihrer Kollegen in jener Zeit zurückzuführen.

Mit den Thronen verschwanden 1918 auch die Priester und Pastoren aus den Aufsichtsämtern. Und es schien damals auch das Ende der Konfessionsschule zu nahen. In der Weimarer Verfassung wurde die »für alle gemeinsame Grundschule« zum Prinzip erhoben. Doch zugleich konzedierte man, daß »auf Antrag von Erziehungsberechtigten« Konfessionsschulen zu errichten seien, »soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb ... nicht beeinträchtigt wird«.

Ungelöst blieb das Problem, in welchem Maße die Gemeinschaftsschule die Regel, die Konfessionsschule die Ausnahme sein sollte. Ein Reichsschulgesetz, in der Verfassung angekündigt, kam in der Weimarer Republik nicht zustande.

Eineinhalb Jahrzehnte lang bemühte sich vor allem ein katholischer Geistlicher von Rang, in Deutschland die Konfessionsschule durch Konkordate durchzusetzen: Eugenio Pacelli, damals Nuntius bei der Reichsregierung und später als Pius XII. Papst.

Doch Pacelli hatte weniger Erfolg und war deshalb viel stärker zu Kompromissen bereit als einige Jahrzehnte später der Nuntius Bafile bei den Konkordats -Verhandlungen mit den Niedersachsen. Seine Hoffnungen fixierte Pacelli in einem Entwurf, den die katholische Kirche gern ins Grab der Vergessenheit senken möchte. Denn zu sehr glich Pacellis Liste einer Fata Morgana: Die Kirche müsse »an der Prüfung der Lehramtskandidaten« mitwirken, »in den Schulverwaltungsorganen Sitz und Stimme haben und verlangen dürfen, daß Lehrer bei Abweichungen von der »kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre« versetzt werden.

So weit kam nicht einmal die Regierung des katholischen Bayern der Kirche

entgegen. Aber immerhin schloß Bayern ein Konkordat mit Schul-Artikeln ab. Die Konfessionsschule wurde im Gegensatz zum Wortlaut der Weimarer Verfassung zur Regel, die Gemeinschaftsschule zur Ausnahme.

Als Pacelli mit Preußen über ein Konkordat verhandelte, legte er vergebens seine Forderungen vor. 1926 wurde ihm mitgeteilt, es könnten überhaupt keine Schul-Artikel in das Konkordat aufgenommen werden. Mit Mühe erreichte der Nuntius dann einen für die Kirche überaus bescheidenen Kompromiß.

Die Preußen wollten einen fast unverbindlichen Passus ins Konkordat nehmen: »Der Apostolische Stuhl nimmt davon Kenntnis, daß der preußische Staat durch die Reichsverfassung und nach deren Maßgabe verpflichtet ist, für die Einrichtung und Zulassung von Volksschulen katholischen Bekenntnisses und die Erteilung katholischen Religionsunterrichts zu sorgen.«

Dazu 1965 Niedersachsens Lehrer -Chef Lohmann: »Gegen einen analogen Passus im Niedersachsen-Konkordat hätten wir kaum Bedenken.«

Damals in Preußen aber blieb es nicht einmal bei diesem mühsam ausgehandelten Kompromiß. Sieben Synoden evangelischer Kirchen, drei Millionen Petenten bei einer Unterschriftensammlung des Evangelischen Bundes und mehrere Parteien protestierten gegen jedwedes Zugeständnis an die katholische Kirche im Konkordat.

Die preußische Regierung teilte Pacelli mit, sie müsse sich korrigieren und den Schul-Passus aus dem Konkordats-Entwurf streichen. Spätere öffentliche Begründung des SPD -Ministerpräsidenten Otto Braun: »Die langjährigen, in der Presse geführten Auseinandersetzungen über den mutmaßlichen Inhalt des Konkordats (hatten) die öffentliche Meinung inzwischen so beeinflußt, daß eine parlamentarische Mehrheit für ein auch die Schule regelndes Konkordat nicht erreichbar war.«

Pacelli drohte zunächst, dann könne überhaupt kein Konkordat abgeschlossen werden. Dann aber unterzeichnete er das Konkordat doch, in dem die Konfessionsschule nicht einmal erwähnt wird. »Mit Befriedigung« nahm Pius XI. von dem Vertragswerk Kenntnis und bedauerte lediglich, daß die »wiederholt und nachdrücklich« gestellten Schul -Forderungen des Heiligen Stuhls gänzlich unberücksichtigt geblieben waren.

Diesen Makel erhielt auch das Konkordat mit dem Freistaat Baden, das Pacelli 1932 unterzeichnete. Und das Konkordat mit dem Deutschen Reich, über das der Nuntius schon jahrelang verhandelt hatte, drohte ebenso auszufallen.

Erst als bald darauf in Deutschland die Demokraten nicht mehr regierten, konnte Pacelli seine Schul-Forderungen durchsetzen, nun sogar mühelos: in dem Reichskonkordat, das sechs Monate nach Hitlers Machtantritt im Vatikan unterzeichnet wurde. Kardinal Faulhaber dankte Hitler in einem handgeschriebenen Brief: »Was die alten Parlamente und Parteien in 60 Jahren nicht fertigbrachten, hat ihr staatsmännischer Weitblick in sechs Monaten weltgeschichtlich verwirklicht.«

Kurzlebig aber war die Hoffnung der Kirche, Konfessionsschulen seien nun dank des unkündbaren Reichskonkordats für alle Zukunft gesichert. Zwar verhieß Artikel 23: »Die Beibehaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen bleibt gewährleistet.« Doch Hitler hielt sich nicht an den Vertrag, den er 1933 zur Aufbesserung seines Ansehens in der Welt gebraucht hatte, und hob die Konfessionsschulen zum größten Teil auf.

Nach dem Ende des Hitler-Reiches kam es zunächst zu einer Renaissance dieser Schulart. Die katholischen Bischöfe forderten, das NS-Unrecht müsse wiedergutgemacht werden, und viele katholische Eltern entschieden für die erneute Einrichtung von Bekenntnisschulen.

Zugleich aber begann damals schon eine Entwicklung, die heute fast überall in der Bundesrepublik die Position der katholischen Kirche erschwert: Evangelische Oberhirten und die meisten Länder-Parlamente nahmen der Gemeinschaftsschule das Odium einer nichtchristlichen Bildungsstätte. Protestantische Kirchengremien und Bischöfe bekannten sich, im Gegensatz zur evangelischen Auffassung der zwanziger Jahre, uneingeschränkt zur Gemeinschaftsschule.

Einer ihrer entschiedensten Anhänger ist der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje, der in ihr »eine erzieherisch außerordentlich wertvolle Möglichkeit der ökumenischen und menschlichen Begegnung« sieht. Zu den wenigen evangelischen Kirchenoberen, die noch der evangelischen Konfessionsschule den Vorzug geben, zählt Liljes Münchner Amtsbruder, der bayrische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger.

Um in München die evangelischen Schulen attraktiver zu machen, läßt Dietzfelbingers Landeskirche allmorgendlich evangelische Kinder mit einem Bus an Gemeinschaftsschulen vorbei in evangelische Schulen fahren. Immerhin, bescheidene Ansätze der Gemeinsamkeit gibt es sogar im evangelischen Schulbus: Katholische Kinder dürfen mitfahren, wenn ihre Schulen auf der Strecke liegen.

Außerhalb Bayerns wurde das protestantische Plazet zur Gemeinschaftsschule fast überall erteilt, weil sie zumindest dem Buchstaben nach in der Bundesrepublik christlicher ist als jemals in der deutschen Vergangenheit und in anderen Ländern Europas.

Nur noch in den Stadtstaaten Hamburg, West-Berlin und Bremen wird die weltanschauliche Neutralität der Schulen eingehalten. Weder sind die Lehrer zu einer christlichen Erziehung verpflichtet noch wird auch nur ihre Konfession festgestellt.

In den Flächenstaaten hingegen wurden ausnahmslos alle Gemeinschaftsschulen zu christlichen Anstalten deklariert, obwohl ein geringer Teil der Lehrer und ein größerer Teil der Schüler sich nicht zu den Christen zählen.

In Lehrplänen und Lesebüchern wird überall das Christliche betont. Und gegen den Versuch eines glaubenslosen Frankfurter Ehepaares, per Gerichtsurteil ein Verbot von Schul-Gebeten zu erreichen (wie in den USA), setzt sich Hessens SPD-Kultusminister Schütte gegenwärtig zur Wehr. Er verteidigt die Texte, die von evangelischen und katholischen Theologen gemeinsam ausgesucht worden sind.

Das Kreuz in der Klasse, früher Merkmal der Konfessionsschule, hängt längst auch in vielen Gemeinschaftsschulen. Vor allem aber wird in allen bundesdeutschen Flächenstaaten nach alter preußischer Tradition ein konfessioneller Proporz kraft Gesetzes oder stillschweigend praktiziert: Die Lehrer werden auf die Gemeinschaftsschulen je nach der Konfession der Kinder verteilt.

Folge in Niedersachsen: Auch die zwei Drittel Jung-Katholiken, die Gemeinschaftsschulen besuchen, werden überwiegend von Katholiken unterrichtet.

1954 nahmen die Niedersachsen, die damals von dem Diederichs-Vorgänger Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) regiert wurden, den Proporz in ein neues Schulgesetz auf. Es war - und ist bis heute - das einzige Schulgesetz eines Bundeslandes, das den Vorrang der Gemeinschaftsschule festsetzt und zugleich Konfessionsschulen zuläßt.

Die hannoverschen Gesetzesmacher, angeführt von Kopf und dem damaligen Kultusminister Richard Voigt, waren auf den Widerstand der katholischen Kirche gestoßen, noch bevor sie ihre Schulparagraphen beschlossen hatten. Sie nahm vor allem Anstoß daran, daß

- alle Konfessionsschulen, soweit sie einzige Schulen am Orte waren und auch von andersgläubigen Minderheiten besucht werden mußten, zu Gemeinschaftsschulen erklärt werden sollten und daß

- die Bedingungen für die Zulassung

von Konfessionsschulen erschwert werden sollten.

Die katholische Kirche führte den Schul-Kampf so radikal, daß demgegenüber die 1965er Proteste der Lehrer und der Liberalen gemäßigt wirken. Und sie führte den Kampf auch auf der Straße und auf diplomatischem Parkett.

Höhepunkt war, zwischen der ersten und der zweiten Lesung des Schulgesetzes, eine Demonstration in Hannover, zu der 50 000 Katholiken in 14 Sonderzügen und 500 Bussen anreisten und der Pius XII. ein Grußtelegramm schickte. In einem Schweigemarsch zogen die Demonstranten zum Kultusministerium. Sie zeigten Transparente mit den Köpfen Kopfs und Hitlers und Aufschriften wie »1936 Hitlers Verderben 1954 seid Ihr die Erben?« oder »Kopf und Voigt, laßt's euch sagen: Elternrecht sonst geht's euch an den Kragen!«

In einem Brief an den Ministerpräsidenten Kopf verwies der Hildesheimer Bischof Machens auf den »erschütternden Aufschrei der Volksseele«. Ernst Kuntscher, katholisches MdB, zog einen zeitgeschichtlichen Vergleich: »Tschechen und Polen haben uns Heimat und Eigentum genommen. Aber was jetzt sich die Sozialdemokratie in Niedersachsen leistet, das übertrifft fast noch die Greuel der Austreibung.«

Gleichzeitig mit dem katholischen Volks-Sturm setzte die Kirche auch die Bundesregierung im niedersächsischen Schulkampf ein. Der damalige päpstliche Nuntius Aloysius Muench bat den damaligen Bundeskanzler und Außenminister Konrad Adenauer, »allen Einfluß auf die Landesregierung« in Niedersachsen zu nehmen. Begründung: Das geplante Schulgesetz widerspreche dem noch immer gültigen Reichskonkordat. Adenauer machte sich die Argumente des Vatikans zu eigen.

Doch weder die Kampfrufe auf den Straßen noch die Noten des Nuntius vermochten Niedersachsens SPD umzustimmen. Landesvater Kopf verwahrte sich dagegen, daß die »Bundesregierung vermeintliche Rechte des Hl. Stuhles« verfechte.

Und im Landtag bedauerte der SPD -Abgeordnete Otto Bennemann (der heute Innenminister ist und sein Partei-Fußvolk auf Konkordatskurs zu bringen versucht), daß überhaupt Konfessionsschulen zugelassen werden sollten; in diesem Punkte habe seine Partei »ganz erhebliche Opfer gebracht«. Mit mehr als Zweidrittel-Mehrheit wurde das Gesetz ohne irgendeine prokatholische Korrektur angenommen.

Die Kirche kämpfte zunächst weiter. 15 000 katholische Kinder wurden in einen Schulstreik geführt (Chronist Thomas Ellwein: »Es fragt sich, was sich die Kinder dabei gedacht haben"). Und Papst Pius XII. lobte in einem Brief an die deutschen Bischöfe »den lebendigen Eifer, mit dem Ihr ... die Rechte Gottes und der Seelen verteidigt habt«.

Unterdes rüstete die mit dem Heiligen Stuhl verbündete Bundesregierung zu einem Rechtsstreit vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das feststellen sollte, das niedersächsische Schulgesetz stehe im Widerspruch zum Reichskonkordat.

Die Bundesregierung bot sieben gelehrte Gutachter auf. Der Freiburger Universitätprofessor Nikolaus Hilling befand in seinem für das höchste deutsche Gericht bestimmten Schriftsatz, das Schulgesetz passe »zu dem Reichskonkordat wie die Faust auf das Auge« und es liege »wohl auf der flachen Hand«, daß die Errichtung katholischer Schulen unzulässig erschwert werde.

Doch in Karlsruhe behielten die Niedersachsen die Oberhand. Das Bundesverfassungsgericht entschied, das Reichskonkordat sei zwar geltendes Recht, die Bundesländer seien aber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die Schul-Artikel einzuhalten.

Erst nach dem Karlsruher Urteil machte die katholische Kirche von dem Angebot Gebrauch, das die Niedersachsen schon 1955 beim Abschluß eines Vertrages mit den evangelischen Kirchen des Landes gemacht hatten: Verhandlungen über einen Friedens-Schluß per Vertrag zu führen.

Doch erste Kontakte wurden 1957 schon bald wegen des Gegensatzes in der Schulfrage abgebrochen. Zwei Jahre später erst wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Und noch vier Jahre vergingen, bevor jener Voigt, der sich 1954 als Schöpfer des liberalen Schulgesetzes hatte feiern lassen, sich mit dem Nuntius Bafile einig geworden war.

Zwei Jahre lang war Voigt Verhandlungsleiter, dann assistierte er dem

neuen Kultusminister Hans Mühlenfeld. Immer dabei war auch Kultus-Staatssekretär Konrad Müller.

Zunächst überzeugte der Nuntius seine Kontrahenten, daß ein unkündbares Konkordat besser sei als ein Kirchenvertrag, wie ihn das Land Niedersachsen 1955 mit den evangelischen Kirchen geschlossen hatte. Noch im September 1963 wähnte Mühlenfeld, daß etwaige Schul-Artikel keine Schwierigkeiten bereiten würden. Mühlenfeld damals: »Es wird nicht nötig sein, unser Schulgesetz zu ändern. Wir kommen so d'accord.«

Erst als die hannoversche Regierung schon den Abschluß eines Konkordats in ihr Programm aufgenommen hatte, versteifte sich Bafile auf einige radikale Schul-Forderungen und machte seinen Partnern klar, daß es ohne weites Entgegenkommen des Landes Niedersachsen in der Schulfrage kein Konkordat geben werde. Mehrfach schockierten die Unterhändler des Heiligen Stuhls die Niedersachsen dadurch, daß sie die Verhandlungen hart an die Grenze eines Abbruchs steuerten.

Daß die Bafile-Delegation den Hannoveranern auch in der Sachkunde mindestens ebenbürtig war, erfuhren die niedersächsischen Kultus-Kenner zumindest auf einem Sektor erst nach Unterzeichnung des Konkordats. Nachdem der Nuntius verlangt hatte, daß in Gemeinden zwischen 5000 und 7000 Einwohnern die Zahl der Eltern, die einen Antrag auf eine Konfessionsschule stellen müßten, herabgesetzt werde, ließen die Niedersachsen in ihrem Kultusministerium Insgeheim nachforschen, wieviel Konfessionsschulen dann wohl in Gemeinden dieser Größenordnung errichtet werden müßten. Ergebnis: eine. Die Bafile-Forderung wurde akzeptiert.

Erst der Lehrer-Verband deckte auf, daß die Unterhändler eine veraltete Statistik benutzt und überdies das wesentlichste Faktum übersehen hatten: In den sogenannten Ballungszentren um Hannover und in anderen Industriegebieten werden schon bis 1970 zahlreiche Gemeinden ihre Einwohnerzahlen verdoppeln oder verdreifachen und in diese Größenklasse aufrücken.

Die neuen Schulbestimmungen wurden auf das Konkordat und eine Novelle zum niedersächsischen Schulgesetz verteilt, die - obwohl formal allein Sache des Landtags - bis »in die Einzelheiten« (Katholische Nachrichten -Agentur") mit dem päpstlichen Nuntius ausgehandelt wurde. Dann erst wurde sie dem Parlament überstellt.

Bafile setzte durch, daß die Niedersachsen in das »Herzstück der Schulnovelle« (CDU-Langeheine) einen römischen Satz operierten: Während nach derzeitigem Schulgesetz der Besuch einer Gemeinschaftsschule an jedem Schul-Ort möglich sein muß, braucht er künftig (wenn am Ort eine Konfessionsschule errichtet wird) nur noch »innerhalb zumutbarer Entfernungen« möglich zu sein.

Alle Rechts- und Schul-Experten, die diesen Passus prüften, nahmen Anstoß, und die Regierung versicherte daraufhin offiziell, die Passage dürfe nicht streng nach dem Wortlaut interpretiert werden.

Trotzdem ist Niedersachsens SPD nicht bereit, den Text durch eine eindeutige Formulierung zu verbessern und die Konkordats-Gegner wenigstens in diesem Punkte zu beschwichtigen. Den

Grund nannte die SPD-Fraktion in einem vertraulichen Schriftsatz: Der Vorrang der Gemeinschaftsschule« sei an dieser Stelle »vorsichtiger gefaßt und zweifellos nicht ganz eindeutig ... da die Kirche nach ihrem jahrelangen Kampf gegen die Gemeinschaftsschule hier ihr Gesicht wahren mußte«.

Dieser Gesichts-Punkt wurde bislang in keinem einzigen deutschen Gesetz berücksichtigt. Wie dieser Passus entsprechen die meisten Schul-Artikel und -Paragraphen eher römischen Wünschen als bislang geltendem niedersächsischem Recht (siehe Kasten Seite 58).

Als die Konkordatstexte endlich publik wurden, brach ein Sturm der Empörung los, in dem zweifellos auch manch antiklerikaler Windzug wehte. Doch die meisten grundsätzlichen Bedenken der Konkordats-Gegner sind berechtigt. Die wichtigsten:

- Durch ein unkündbares Konkordat

wird der gegenwärtige Status der niedersächsischen Schulen zementiert.

- Zahlreiche Bestimmungen können

verschieden interpretiert werden, so daß statt eines Schulfriedens neuer Konfliktstoff geschaffen wird.

- Die Entwicklung von ländlichen Mittelpunktschulen, die in Niedersachsen 1958 begonnen hat, wird durch Schutzbestimmungen für katholische Dorfschulen behindert.

- Das Vertragswerk ist wahrscheinlich wenn nicht schon heute, so doch in absehbarer Zeit antiquiert, weil die katholische Kirche sich um eine neue Schul-Konzeption bemüht.

Und für diese Thesen wurden in den letzten Wochen sogar noch neue Beweise geliefert.

Im Landesteil Oldenburg bleibt es beim derzeitigen Status (ausschließlich Konfessionsschulen), weil sich Heiliger Stuhl und Landesregierung nicht über eine Korrektur einigen konnten. Das dürfe »kein Dauerzustand bleiben«, wagte Kultusminister Mühlenfeld in der Landtagsrede zu sagen, die ihn zu Fall brachte; zahlreiche SPD-Genossen klatschten - sie waren über die Parteilinie nicht hinreichend informiert.

Uneinig sind sich Heiliger Stuhl und Landesregierung heute schon, ob die Bundesregierung dem Niedersachsen -Konkordat zustimmen müsse. Die Gefahr weiterer Zwiste besteht angesichts zahlreicher Definitionen wie »grundsätzlich«, »angemessene Gliederung«, »nach Maßgabe des Bedürfnisses«, »zumutbare Entfernung«, »angemessene Nähe«, »genügende Zahl von Kindern« in dein Vertragswerk, die verschieden interpretiert werden können.

Der Lehrerverband wies in einem Gutachten nach, daß schon in wenigen Jahren die vier- und sechsklassigen katholischen Konfessionsschulen, die künftig leichter als bisher errichtet werden können, antiquiert sein werden. Denn ideal ist auch nach Erklärungen des hannoverschen Kultusministeriums die stark gegliederte Mittelpunktschule nicht nur mit neun Klassen (eine je Jahrgang), sondern mit mindestens je zwei Klassen für einen Jahrgang. Nur in so großen Schulen läßt sich der Kern - und Kursunterricht einführen, der eine ausreichende Förderung der Begabten sichert.

Und es mehren sich die Anzeichen, daß die katholische Kirche wenigstens in konfessionell gemischten Gebieten bereit ist, nur noch auf der konfessionellen Erziehung in der Grundschule zu bestehen und die Oberstufe der Volksschule ähnlich wie Mittel- und Oberschulen freizugeben. Erste Andeutungen machten Limburgs Weihbischof Kampe (die katholische Erziehung sei »vor allem in den ersten Schuljahren« notwendig) und Münchens Kardinal Döpfner: »Vor allem für die Unterstufe der Volksschule« sei die katholische die »beste Form schulischer Erziehung der Kinder«.

In der vorletzten Woche tat Döpfner den ersten, wenn auch vorsichtigen Schritt in dieser Richtung. Mit seiner und des Protestanten Dietzfelbingers Billigung verlautbarte das bayrische Kultusministerium: »In Fällen, in denen eine angemessene Schulorganisation nur durch Zusammenlegung von Schulen mit unterschiedlichem Bekenntnischarakter möglich ist, sollen unter Wahrung des Elternrechts und im Einvernehmen mit den Kirchen sinnvolle Lösungen gefunden werden.«

Die für Niedersachsen zuständigen Bischöfe hielten sich mit Kommentaren über die künftige Entwicklung zurück, während zugleich Schul-Bischof Pohlschneider in Aachen den alten Kurs steuerte und triumphierte: Nun könne das niedersächsische Klima, das durch die »Vorrangstellung der Simultanschule getrübt war, wesentlich verbessert werden«, und er hoffe, daß sich die katholische Auffassung von Elternrecht und Schule »im Laufe der Jahre siegreich durchsetzen« werde.

Ende März veröffentlichte die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) aus Hannover die Erklärung eines »maßgeblichen kirchlichen Sprechers«, es sei »nicht die Aufgabe der Kirche als Vertragspartner des Landes, in diesem Stadium in die parlamentarische Diskussion um das Konkordat einzugreifen«. Ende April aber griff Nuntius Bafile in Bad Godesberg doch ein und setzte den Landtag unter Druck: Die Nuntiatur - so ließ er ebenfalls über KNA verbreiten - sei nicht bereit, »einen Vertreter zu Gesprächen über eine etwaige Wiederaufnahme der Verhandlungen zu entsenden«, und sehe »keine Möglichkeit für irgendwelche Änderungen des Vertragswerkes«.

Wenn der Landtag am Konkordat oder auch nur an der Schulnovelle eine einzige Bestimmung ändern würde, soll demzufolge das Konkordat vom Heiligen Stuhl nicht ratifiziert werden und ein historisches Papier ohne Wert bleiben.

Die Geschichte des Heiligen Stuhls beweist, das er sich gegenüber seinen Partnern auch kulanter verhalten kann. Als 1928 eine schon unterzeichnete »Feierliche Konvention« zwischen Plus XI. und König Ferdinand I. von Rumänien im Parlament und in der rumänischen Öffentlichkeit Kritik auslöste, fand sich der Vatikan nachträglich noch zu Korrekturen durch eine Note bereit.

Der Heilige Stuhl gab damit - so sein Bukarester Nuntius - »noch einmal einen neuen Beweis seines guten Willens«.

* Religionsunterricht in der Münchner katholischen Volksschule Dachauer Straße.

* Konkordate seit 1800«. Band XXXV der »Dokumente«, herausgegeben von Instituten der Universitäten Hamburg, Kiel und Göttingen. Zusammengestellt und bearbeitet von Lothar Schöppe. Alfred Metzner Verlag, Frankfurt und Berlin, 584 Seiten, 68 Mark.

Nuntius Bafile, Ministerpräsident Diederichs bei der Konkordats-Unterzeichnung: Hoher Preis für unkündbare Freundschaft

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.. so ist sie eine Höhle«

Konkordats-Gegner Lohmann, Hedergott: Unheilige Allianz

Katholische Demonstranten in Hannover: Aufschrei der Volksseele Evangelischer Schulbus in München: Fahrscheine für Katholiken Konkordats-Unterhändler Pacelli (1933)

Fata Morgana in Preußen

Saarbrücker Zeitung

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