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Artikel 75 / 82

Briefe

Heiliger Geist und Haderlumpen
aus DER SPIEGEL 5/1986

Heiliger Geist und Haderlumpen

(Nr. 52/1985 - 3/1986, Familienpolitik SPIEGEL-Redakteurin Renate Merklein über Bevölkerungsentwicklung und Rentenfinanzierung) *

Ich habe Ihren Artikel mit Genuß gelesen. Die Fülle sorgfältig recherchierter Fakten und der maliziös-zynische Tonfall, womit Sie das Kinder-Wunsch-Denken unserer politischen Hohl-, Fett- und Wirrköpfe vom Tisch fegten, sind einfach bestechend. Auch Kohl und Konsorten werden den schon lange eingeläuteten Untergang des Abendlandes nicht aufhalten = abkindern können. Wenn schon Etrusker, Römer und Goten den Löffel abgeben mußten, warum nicht auch wir? Vermutlich geht's doch auch ohne uns, und vielleicht sogar besser! Berlin SIMON TRASTON

Gratuliere zu Ihrer Renten-Serie! Ich stimme Ihnen zu, daß keine Katastrophe und keine Bevölkerungsschwankungen ein ordentliches Rentensystem finanziell gefährden können, ausgenommen hohlköpfige Politiker auf Stimmenfang. Neufahrn (Bayern) RUDOLF MÜLLER

Nein, Messieurs, das Elend kommt aus einer anderen Ecke. Eine geradezu schweinische Beschenkung derer, die hier das Sagen haben. Zum Beispiel wurden vor Jahren freie Unternehmer, Fabrikanten, Ärzte, Rechtsanwälte für einen Pappenstiel in die Versicherung des kleinen Mannes aufgenommen. Sie können sich kaum vorstellen, wie von dieser Seite jubelnd 30000 Mark eingezahlt wurden, und man sich brüstete, das Geschäft des Lebens gemacht zu haben.

Gebt dem Arbeiter, wieviel ihr wollt, der Bourgeois wird es ihm aus der Tasche ziehen. Warstein (Nrdrh.-Westf.) A. PUPKULIES

Den Alterskassen eines sterbenden und kinderfeindlichen Volkes ein Baby schenken? Es könnte zum Lachen sein, wenn man nicht selbst einmal so dumm gewesen wäre und in schwerer Nachkriegszeit den Alterskassen vier Kinder »geschenkt« hätte, demzufolge Ausbildung und Beruf hintanstellen und bei der entbehrungsvollen Aufzucht mit ansehen mußte, wie die kinderlosen Kolleginnen aus dem vollen (Gehalt) leben, reisen, sich teuer privat versichern konnten und so weiter und dafür nun jetzt noch mit einigen Tausendern Pension belohnt werden, während ich mit noch nicht einmal einem kümmerlichen halben als Rente abgespeist werde. Meine vier Kinder haben aus dieser unmittelbaren Anschauung die Lehre gezogen: Diesem System kein Baby ...! Scheeßel (Nieders.) ANNEMARIE WALTHER

Ich habe den Verdacht, der gewünschte Babyboom soll die Arbeitslosenzahl in der Zukunft sichern. Dann gibt es wieder wenige Menschen, die alles haben, und viele Menschen, die nichts haben. Uetersen (Schlesw.-Holst.) GISELA KOCH

Mein Vorschlag zur Sanierung des Generationen-Vertrages: die Einführung eines Zeugungs- und Erziehungsfaktors. Ohne Kind = 50 Prozent Rente, ein Kind = 70 Prozent Rente, zwei Kinder = 90 Prozent Rente, drei Kinder = 105 Prozent Rente ... Coburg GÜNTHER RÖDEL

Hier wird auf den Rentner eingedroschen wie weiland auf die Juden im »Stürmer«. Die Behauptung, die heutigen Alten haben zusätzlich zu ihrer Rente meist noch Vermögen in Höhe von 23000 bis 70000 Mark auf der Sparkasse herumliegen und drücken sich vor dem Finanzamt, ist eine sozialpolitische Instinktlosigkeit ohnegleichen. Berlin MAX JENKE

Ganze einunddreißig SPIEGEL-Seiten benötigt Frau Merklein, um uns den Zusammenhang von geringer »Fruchtbarkeit der Masse«, dem »Wertewandel« (als Zauberformel für alles Unerklärliche) und dem drohenden Zusammenbruch des Rentensystems, verursacht durch die vielen großen und kleinen Reformverfehlungen der letzten Jahre, auseinanderzulegen. Eher zufällig taucht erst im dritten Teil das Wort »Lebensplanung« auf. Die aber setzt für den einzelnen stabile und kalkulierbare soziale Verhältnisse voraus, 2,3 Millionen Arbeitslose, Abbau von sozialer Sicherheit, Ausgrenzung und Verunsicherung, Jugendarbeitslosigkeit, neue psychosoziale Verelendung (nicht nur materielle Armut), Kinder- und nicht zuletzt wachsende Ausländerfeindlichkeit sind nicht die Bedingungen, die eine langfristige Lebensplanung mit gesteigerter »Vermehrungsfreude« zulassen. Nur langfristig stabile Erwerbsverhältnisse und ein vom individuellen Arbeitsplatzbesitz abgekoppelter Finanzierungsmodus der Alterssicherung wären auf mittlere Sicht geeignet, stabile soziale Verhältnisse zu schaffen, die auch Lebensplanung wieder ermöglichten. Es wäre ein Skandal, wenn eines der reichsten Länder der Welt durch Ellenbogen-Gesinnung den Generationenvertrag platzen ließe. Bremen DR. HENNING SCHERF Senator für Jugend und Soziales

Bei Ihrem Photo von heutigen Rentnern, die im Winter auf Mallorca die kalte Jahreszeit verbringen, dürfte es sich doch nicht um normale Rentner handeln, die laut diversen Statistiken dazu sicherlich nicht in der Lage sind, sondern um »Pensionisten«, die ehemalig im öffentlichen Dienst beschäftigt waren und dadurch eine wesentlich höhere Altersversorgung erreichen. Glauben Sie ja nicht, daß sich die Generation der heutigen Rentner, die einen verlorenen Krieg, Inflation, Vertreibung, Armut und Verzweiflung hinter sich haben, mit so einem Beitrag beeindrucken läßt. Aschheim (Bayern) HERMANN ZEITLER

Nicht jeder hat in der Vergangenheit einen Nazi-Offizier vierzehn Tage als Mann gehabt, um noch heute eine riesige Pension zu beziehen (zusätzlich zu seiner eigenen). Nicht jeder konnte in der Vergangenheit

ein Beamter gewesen sein, um heute mehr Pension als Gehalt zu beziehen. Nicht jeder Bürger konnte oder wollte durch unlautere Machenschaften, Schiebungen, Korruption sich ein Vermögen ergaunern. Nicht jeder Bürger hatte die Möglichkeit oder die Skrupellosigkeit, unversteuertes Geld in die Schweiz zu schaffen. Nicht jeder Bürger konnte mal Minister spielen, um dann groß abzukassieren. Trotzdem werden heute all die fleißigen und braven, jawohl braven Bürger mit einer niedrigen Rente belohnt, die sie automatisch zwingt, genauso bescheiden wie ihr ganzes Leben lang weiterzuwursteln. Frankfurt ANNE GERREMO

Gefordert ist eine Sozialisierung der Rentenkosten, an denen nicht nur die Arbeitenden mitzahlen, sondern eine staatliche Finanzierung, beispielsweise über eine Grundrente, die durch eine Umlage auf das Steueraufkommen finanziert wird. Dortmund JOCHEN LOESDAU

Da hat eine Ihrer Weibersleut aus der Redaktion geschrieben, die Rentner, auch wir, die Rentner in Bayern, hätten auf Renten kein sonderliches Anrecht, weil angeblich die Kassen leer sind und wir Rentnersleut zu alt werden. Aber sie irrt und mit ihr die ganzen Haderlumpen, die uns weismachen wollen, sie wären arme Leute und säßen auf leeren Kassen. Aber wenn da die Butterberge den Roten in Moskau geschenkt werden und Fleischberge da sind, Milchseen und Weinseen da sind und Radios und Fernseher und Autos in Mengen und vieles andere noch da ist, da halten sich doch die Leute die Ohren zu, wenn wir Rentner ein wenig Butter, ein wenig Milch, eine Scheibe Brot und eine warme Stube haben wollen. Ja, sie gießen uns Wasser in die Milch, pumpen die Kälber und Ferkel mit Giften auf, schütten uns Frostschutz in den Wein, in die Marmelade und in die Bonbons und sagen dann noch »Vergelt's Gott«. Und wenn wir danach krank werden, kommen sie mit Pillen und Spritzen, und wir haben dann zu der einen Krankheit noch zwei neue dazu. Und dann schleichen sie sich in die Kirchen und nehmen sich die Jungfrau Maria, den Herrn Jesus ganz besonders und den hl. Geist in das Gedinge, um bei den nächsten Wahlen die Stimmen der Weibsleut und besonders die der alten zu bekommen. Diesen reden sie dann ein, daß der Teufel sie hole, wenn sie alle nicht die da wählen, die ein großes C tragen. In Wirklichkeit kümmern sie sich um die heilige Dreieinigkeit einen Dreck und sagen hinter vorgehaltenen Händen, aus dem Urknall kommen wir und nun machen wir das schnelle Geld, komme was da wolle. Doch dieses Gelump irrt, wo ein Urknall da ist, ist auch ein Urarsch da und wird diese Leute, wenn sie mit Halleluja ankommen und in den Himmel wollen, mit einem warmen Wind zur Hölle jagen. München HEINRICH KRÜGER, Rentner

BRIEFE

Idealisiert und verteufelt

(Nr. 52/1985, Politisches Buch: Theologie-Professor Norbert Greinacher über Martin Krieles Nicaragua-Bericht; Nr. 2/1986, Leserbrief von Professor Martin Kriele und Nr. 4/1986, Leserbriefe) *

Zu der durch Greinachers Rezension ausgelösten Nicaragua-Diskussion sind aus meiner Sicht (ich werde in einem Leserbrief zitiert) folgende Anmerkungen zu machen: Das Nicaragua-Urteil in der deutschen Öffentlichkeit ist geprägt durch Vorurteile: Idealisierung auf der einen Seite, Verteufelung auf der anderen. Wer sich daher über die Lage in Nicaragua äußert und dabei zumindest den Versuch der Objektivität unternimmt, gerät unweigerlich in die Gefahr, angegriffen oder vereinnahmt zu werden.

In dieser Gefahr stehe gegenwärtig ich weil ich bei einem Besuch in Nicaragua (nach gründlicher Vorbereitung) zu bestimmten Erkenntnissen gekommen bin, die den »idealen« Vorstellungen, die hierzulande über Nicaragua verbreitet sind, nicht ganz entsprechen. Diese kritische Haltung genügt der anderen Seite, die die Verteufelung Nicaraguas betreibt, offenbar, um mich als Zeugen für Professor Kriele zu zitieren. Dagegen muß ich mich mit Nachdruck zur Wehr setzen. Denn - ganz abgesehen davon daß Professor Kriele in seinen Darstellungen bewußt einseitig ist und laufend übertreibt (zum Beispiel die Zahl der politischen Gefangenen), abgesehen davon auch, daß ich in Nicaragua auch positive Erkenntnisse gewonnen habe (zum Beispiel über die laufende Verfassungsdebatte) - die idealisierende Bewertung der Contras (im Gegensatz zur Verteufelung der Guerilla in El Salvador) ist meine Sache nicht und entspricht auch nicht den mir vorliegenden Erkenntnissen. Ernst zu nehmende Berichte (auch solche im US-Kongreß) belegen, daß die Contras die Menschenrechte laufend in brutaler Weise verletzen und daß der Einfluß ehemaliger Somoza-Gardisten vor allem in der Führung der Contras außerordentlich hoch ist. Im übrigen vertrete ich unverändert die Auffassung, daß die US-Aggressionspolitik gegenüber Nicaragua die negative Entwicklung dort beeinflußt und verschärft hat und daß diese Politik (wie auch immer die Lage in Nicaragua zu beurteilen ist) völkerrechtswidrig ist. Bonn HANS-ULRICH KLOSE, MdB/SPD

BRIEFE

Opfer des Okkulten?

(Nr. 2/1986, Zeitgeschichte: SPIEGEL-Autor Heinz Höhne über den einstigen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß) *

SPIEGEL-Autor Heinz Höhne bezeichnet den Fall Rudolf Heß und dessen Flug nach England am 10. Mai 1941 mit Recht als eines der ungelösten Rätsel des Jahrhunderts. Der Kern dieses Rätsels ist die Frage, ob Hitler von diesem Unternehmen gewußt hat und mit ihm einverstanden war. Nachdem ich am 5. Februar 1946 auf den Antrag von Rudolf Heß vom Internationalen Militärtribunal (IMT) zu seinem Offizial-Verteidiger bestellt worden war, habe ich ihn natürlich noch am gleichen Tag gefragt, ob Hitler von diesem Flug gewußt hat und mit ihm einverstanden war. Heß gab mir jedoch sehr deutlich zu verstehen, daß er über diese Frage nicht zu sprechen wünsche. Er hat aber auch nicht gesagt, daß Hitler von diesem Unternehmen nichts gewußt habe. Bei dem engen Vertrauensverhältnis zwischen Heß und Hitler, wie es auch von SPIEGEL Autor Heinz Höhne in seinem Artikel überzeugend dargestellt wird, ist es in der Tat unvorstellbar, daß Heß ein so gefährliches Unternehmen ohne Hitlers Einverständnis geplant und durchgeführt hat. Auch der Leiter der Auslands Organisation der NSDAP und Staatssekretär im AA, Ernst W. Bohle, der zeitweise in die Vorbereitung dieses Unternehmens eingeschaltet war, ist der gleichen Meinung (vgl. dazu Alfred Seidl, Der verweigerte Friede - Deutschlands Parlamentär Rudolf Heß muß schweigen, 1985, S. 60 ff.). Auch namhafte Historiker, wie Professor Andreas Hillgruber von der Universität Köln, teilen diese Auffassung. Zutreffend weist SPIEGEL-Autor Heinz Höhne in seinem Artikel darauf hin, daß Historiker Heß nie über die Hintergründe dieses Fluges befragen durften. Auch mir als seinem Verteidiger ist es verboten, mit ihm im Gefängnis in Berlin-Spandau über diese Frage zu sprechen. Vor mehr als sechs Jahren konnte ich meinen Mandanten zum letzten Mal im Gefängnis besuchen. Seit dem Jahr 1979 wurden alle meine Gesuche um Erteilung einer Sprecherlaubnis ohne Begründung abgelehnt. Auch ein Gesuch an die vier Gewahrsamsmächte, Heß eine Haftunterbrechung von einem Monat zu gewähren, wurde abgelehnt. Ich bin überzeugt, daß bei einer solchen Haftunterbrechung Heß die Wahrheit über die Hintergründe seines Flugs sagen und das Rätsel dieses Jahrhunderts auf lösen würde. Vor allem geht es darum, den Inhalt und das Ergebnis der Unterredung aufzuklären, die Rudolf Heß Anfang Mai 1941, also wenige Tage vor seinem Flug, mit Hitler in der Reichskanzlei hatte und die etwa vier Stunden dauerte. Diese Unterredung ist wahrscheinlich der Schlüssel für die Auflösung dieses Rätsels. München DR. ALFRED SEIDL Abgeordneter des Bayerischen Landtags

Kein vernünftiger Mensch, schon gar nicht ein Bundespräsident, will Heß als einen Unschuldigen oder gar Märtyrer

hinstellen. Aber auch der Schuldige hat nach 40 Jahren ein Recht auf Gnade, gewissermaßen einen moralischen Anspruch auf Barmherzigkeit. Oberkochen (Bad.-Württ.) WALTER GRUPP

Die Freilassung von Rudolf Heß wäre nicht nur ein Akt christlicher Nächstenliebe, sondern entspräche auch den Grundsätzen westlicher Demokratien. Ist Heß der einzig lebende Schuldige des Zweiten Weltkrieges? Sind die großen Staatsmänner unserer Zeit wirklich frei von Schuld (Dresden, Vertreibung, Hiroschima, Korea, Vietnam, Afghanistan)? Dobersdorf (Schlesw.-Holst.) PETER SINDT

Heß, ein Opfer des Okkulten und seiner Zeit, die ihm keine andere Wahl ließ? Diese Sichtweise der Geschichte stinkt nach Reaktion und dem Glauben an das Gute im Faschismus. Heß ist keine psychologische Frage, sondern eine politische, und er kann froh sein, noch leben zu dürfen (so übel das auch klingen mag!), und wer versucht, Heß zu rehabilitieren und zu beschönigen, beschönigt und rehabilitiert den Faschismus samt seinen modernen Anhängern. Hürth (Nordrh.-Westf. ) CHRISTOPH JÜNKE

Wären Rudolf Heß und seine Vasallen noch heute an der Macht, säße ich, wenn ich überhaupt noch am Leben wäre, mit unzähligen anderen homosexuellen Leidensgenossen im KZ. Solche Leute wie Heß gehören eingesperrt. Daran ändern auch alle Versuche, seine schäbige Rolle im Nazi-Terror zu beschönigen, nichts. Düsseldorf WOLFGANG CHRISTIAENS

Beim Quartierwechsel im Kaukasus 1942 fand ich in dem vergessenen Notizbuch eines deutschen Soldaten folgenden Vers: _____« Es ist ein Heß entsprungen aus einer Messerschmitt. » _____« Er hat das Lied gesungen »Ich mache nicht mehr mit!« Es » _____« singt das ganze Vaterland, »Wir fahren gegen Engelland«, » _____« doch wenn dann einer wirklich fährt, dann wird er für » _____« verrückt erklärt! »

Damit ist die damalige Volksmeinung meine ich, treffend skizziert.

Cismar (Schlesw.-Holst.) WERNER BOECK

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