PROZESSE Heimatlose Hunde
Der libysche Obrist Junis Belkassem ist ein Freund der Deutschen. Als junger Offizier verehrte er den Generalfeldmarschall Erwin Rommel, kämpfte im Afrikakorps des Wüstenfuchses. Seit vielen Jahren unterhält der Ex-Geheimdienstler und jetzige »Sekretär des Volkskomitees für auswärtige Sicherheit« engen Kontakt zu deutschen Ermittlungsbehörden.
Im Sommer letzten Jahres meldete sich Belkassem im Bonner Verteidigungsministerium bei einem alten Bekannten und bat um Hilfe in einer Sondermission. Manfred Wörners Staatssekretär Günter Ermisch, früher Vize im Bundeskriminalamt (BKA), sollte einen Termin bei Generalbundesanwalt Kurt Rebmann vermitteln - was er auch prompt erledigte.
Kurze Zeit später wurde Belkassem von Rebmann empfangen, die beiden konferierten über Straftaten »von in Deutschland lebenden Libyern«. Muammar el-Gaddafis Abgesandter nannte die Namen vermeintlicher Staatsfeinde, nach deren Auslieferung der libysche Staatschef trachtete: Ganz oben auf der Wunschliste stand Dschibril el-Dinali, 30, ein ehemaliger Polizeibeamter und späterer Regimegegner. Acht Monate danach war Dinali tot - exekutiert durch »Kopfschuß in Form eines Fangschusses« (Polizeibericht), mitten im dichtbelebten Bonner Innenstadtviertel.
Sieben Tage lang verhandelte ein Schwurgericht gegen Fatahi el-Tarhoni, 29, den Mörder Dinalis. Am Montag letzter Woche sprach der Vorsitzende Walter Schmitz-Justen das Urteil: lebenslange Freiheitsstrafe.
Zwar sei dies, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, kein »politischer Prozeß« gewesen, »es ging nur um diesen Angeklagten«. Doch in seiner Schilderung des Tathergangs nannte Schmitz-Justen auch politische Hintergründe: »Der Angeklagte ist nicht aus dem luftleeren Raum in unser Land eingefallen«, vielmehr habe »der geistige Mutterboden« des revolutionären Regimes viel zu Tarhonis »abscheulicher Tat« beigetragen.
Eine Reihe Libyer, so der Vorsitzende Richter, sei »in die Zentren Europas katapultiert« worden, »um hier ihre sogenannte Mission durch Mord, Terror und Haß zu erfüllen. In Rom, London, Athen und Bonn hinterließen sie ihre blutigen Spuren, während sie in ihrer Heimat als Patrioten gefeiert werden«.
Die libysche Propaganda habe Tarhoni vielmehr »aufbereitet: Ohne die kritiklosen und geistig immungeschwächten Menschen vom Schlage des Angeklagten« wären die Staatsterroristen »nie zur Anzettelung« tödlicher Verfolgungsaktionen in der Lage gewesen. Dabei zitierte der Richter aus einem SPIEGEL-Gespräch (30/1980) mit Oberst Gaddafi.
Seit 1979 lebte der Regimekritiker Dinali in Bonn, von November 1981 an betrieb er seine Anerkennung als politischer Flüchtling. Im Herbst 1982 sprach er bei der Bonner Polizei vor. »Mittelsmänner« der libyschen Botschaft hätten ihm dringend geraten, die Finger von der Politik zu lassen, andernfalls sei »seine Zukunft nicht von langer Dauer«.
Im Frühjahr 1983 tickerte das BKA ins Polizeipräsidium nach Bonn, »vertrauliche
Quellen« signalisierten »eine konkrete Gefahr für das Leben von Dinali«. Personenschutz aber lehnte der Asylbewerber ab.
Am 8. Mai 1984 griffen Mitglieder der »Nationalen Front zur Rettung Libyens« (NFSL), einer militanten Opposition, das Hauptquartier des Revolutionsführers in der Bab-el-Asisija-Kaserne von Tripolis an. Gaddafi rief öffentlich dazu auf, alle Konterrevolutionäre und »heimatlosen Hunde« müßten »zu Tode« gehetzt werden.
Nach westlichen Erkenntnissen hat der libysche Staatsführer 300 Todeskommandos zusammenstellen lassen; auf seiner Opferliste stehen 25 000 Libyer, 400 von ihnen leben in der Bundesrepublik - »Diebe, korrupte Geschäftemacher, Spione für den Feind«, erklärte der Diktator, »deshalb werden sie von unseren Revolutionskomitees verfolgt«.
Tripolis beschuldigte nach dem Kasernenanschlag eine Reihe deutscher Exil-Libyer, »gegen den libyschen Staat gerichtete terroristische Aktionen vorbereitet zu haben und weitere zu planen«. Auch Dinali wurde als NFSL-Anhänger genannt. Doch an militanten Aktionen hat sich die Gaddafi-Opposition in der Bundesrepublik, wie Verfassungsschützer bestätigen, nicht beteiligt.
Generalbundesanwalt Rebmann allerdings war vom Vortrag des libyschen Emissärs Belkassem nicht unbeeindruckt. »Man verstehe« nicht, notierte Rebmann hinterher Belkassems Argumente in einem Vermerk, daß Exil-Libyer »ungehindert in Deutschland agitieren können. Dinali sei geradezu ein Provokateur. Schon durch solche Tätigkeit gehe von deutschem Boden eine Gefahr aus«. Rebmann regte bei der Bonner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren an.
Anfang Februar 1985 meldete das BKA, gestützt auf »eine hochrangige und gutinformierte Quelle«, fernschriftlich ("geheim/amtlich geheimgehalten") die vermutliche Einreise zweier Libyer. Beide seien, der Quelle zufolge, »potentielle Killer« mit Mordauftrag - Tatort: »möglicherweise Bonn«.
Einer der Männer sollte der Gaddafi-Vertraute, führende Geheimdienstler und erprobte Attentäter Said Raschid, 36, sein. Der andere wurde als »Fatahi al-Tarhuni«, nähere Personalien »nicht bekannt« (BKA), angekündigt.
Der libysche Informant deutscher Sicherheitsbehörden gab an, von »Tarhuni« derzeit »keine Spur zu haben« und »nicht zu wissen, wen er zu töten beabsichtigt«. Aber er nannte »zwei mögliche Ziele«, und einer der potentiellen Todeskandidaten war Dinali.
Einen einreisenden Libyer namens Tarhuni konnten die Grenzschutzstellen in jenen Tagen den Ämtern nicht melden - wohl war in Frankfurt und schon am 2. Januar, mit Flugnummer LN 112, der Libyer Fatahi el-Tarhoni gelandet, Ziel: Bonn.
Zwar behauptete das BKA, die Bonner Kripo unter Hinweis auf die FS-Warnung über den frappierenden Namensgleichklang aufmerksam gemacht zu haben - telephonisch, ohne fernschriftliche Bestätigung, wie es den Gepflogenheiten entsprochen hätte. Der zuständige BKA-Beamte will darüber sogar eine Aktennotiz gefertigt haben.
Doch die Bonner Polizei bestritt energisch, eine solche Warnung erhalten zu haben. Hätte es den Hinweis gegeben, wäre zwangsläufig das Ausländeramt informiert worden. So wurde am 21. Februar dieses Jahres einem Fatahi el-Tarhoni, der vorgab, ärztlich behandelt werden zu müssen, arglos eine zweimonatige Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Trotz Informationspanne wußte Dinali offenbar längst Bescheid, daß er akut bedroht war. Vor Gericht erinnerte sich der Abendschüler Manfred Arlt, 27, ein Bekannter Dinalis: »Etwa eine Woche vor der Tat waren plötzlich alle oppositionellen Libyer weg, untergetaucht. Sie hatten von zwei, drei Mann gesprochen, die in Richtung Bonn unterwegs seien.«
Auch eine Freundin Dinalis kannte dessen Angst: »Immer wurde er bedroht«, sagte die 30jährige Hotelkauffrau Margret Wehning als Zeugin aus, »ständig wechselte er seinen Wohnsitz.«
Dinali wollte sich nach England absetzen, um dort Asyl zu beantragen. Vier Tage vor dem Attentat verweigerten ihm die britischen Behörden die Einreise, Dinali kehrte nach Bonn zurück. Die beiden letzten Nächte verbrachte er bei Freunden.
Am 6. April, gegen 16.30 Uhr, streckte Tarhoni den Gaddafi-Gegner in einem Pulk von Passanten nieder - typisch für die Anschläge libyscher Todesschwadronen, die mit der Tat Aufsehen erregen wollten. Als Dinali bereits getroffen am Boden lag, feuerte Tarhoni den tödlichen Schuß aus höchstens zwanzig Zentimeter Entfernung ab. Ein Zeuge: »Er zielte sorgfältig, zwei bis drei Sekunden lang.«
Nach seiner prompten Festnahme durch den zufällig anwesenden, bewaffneten Kriminaloberkommissar Peter Klein (Richter Schmitz-Justen: »Der Jäger würde sagen, jetzt hat er sich gestreckt"), plauderte Tarhoni bereitwillig über Auftrag und Auftraggeber. Die Bonner Kripo informierte Innenminister, BKA und Verfassungsschutz: _____« In seiner verantwortlichen Vernehmung räumt der » _____« Beschuldigte ... ein, als Angehöriger » _____« eines libyschen Volkskomitees in die Bundesrepublik » _____« eingereist zu sein, um Gegner des libyschen Regimes zu » _____« töten. »
Im Prozeß aber schob der athletisch durchtrainiert wirkende und offensichtlich für eine Hauptverhandlung auch geschulte Angeklagte eine Blutrache-Version nach - und blieb dabei, trotz aller Indizien, die dagegen sprachen. Reise und Aufenthalt haben schießlich 18 000 Mark gekostet. Als der Vorsitzende nach der Herkunft des Geldes fragte, antwortete Tarhoni: »Geld spielt doch bei Blutrache keine Rolle.«
Gegen diese Blutrache-Version spricht auch, daß die bei dem Anschlag durch Querschläger schwerverletzte Postangestellte Hildegard Müssler, 44, kurz vor Prozeßbeginn von Tarhonis Bonner Anwalt Rüdiger Böhm 10 000 Mark Schmerzensgeld erhielt. Den wahren Spender nannte der Verteidiger nicht: Anwaltsgeheimnis.
Sicherheitsexperten vermuten, daß das Geld aus Libyen kam. Denn offenbar ist Tarhoni für Staatschef Gaddafi ein wichtiger Mann. Deshalb kann er auch hoffen, in absehbarer Zeit abgeschoben zu werden - wie sein Landsmann Baschir el-Mida, der 1980 ebenfalls im Bonner Stadtgebiet den Exilanten Umran el-Mahdawi getötet hatte. Drei Jahre später preßte ihn Gaddafi gegen vier in Libyen festgesetzte deutsche Geiseln frei.
Rechtzeitig zur Verhandlung gegen Tarhoni ließ Gaddafi über den libyschen Rundfunk wieder düstere Drohungen verbreiten. Westeuropäische Länder, die »antilibyschen Gruppen Unterschlupf gewähren, werden ihren Preis bezahlen«, tönte er, »für alle Straßenjagden oder Explosionen tragen sie die Verantwortung«.
An Freiwilligen wird es nicht fehlen. »Euer Blut«, schärft Gaddafi ihnen ein, »ist der Treibstoff der Revolution.«