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Briefe

HEIMGESUCHTES KIND
aus DER SPIEGEL 46/1966

HEIMGESUCHTES KIND

Die Flut empörter Leserbriefe, die Sie abgedruckt haben, hat mich veranlaßt, Amos Elons Buch »In einem heimgesuchten Land« zu lesen. Um es gleich vorweg zu sagen, ich habe nichts Skandalöses darin gefunden. Es müssen schon seltsame Zeitgenossen sein, die sich derart darüber aufregen, daß die Bundesrepublik hier mit der sicher stark vergröbernden Brille eines Ausländers betrachtet wird. Warum nehmen sie es einem Israeli übel, daß er sich besonders für die Spuren der Vergangenheit interessiert? Jeder Reisebericht ist notwendigerweise einseitig, und warum sollte ausgerechnet die Einseitigkeit Elons ein Verbrechen sein? Sie ist es um so weniger, als er sich redlich bemüht, der Bundesrepublik gute Seiten abzugewinnen. Mir jedenfalls sind alle Dinge, die er hier gefunden hat, durchaus vertraut und geläufig, und das wird allen so gehen, die die Bundesrepublik nicht als Paradies auf Erden, sondern als recht unvollkommenes Produkt der Nachkriegsverhältnisse betrachten. Zuerst dachte ich, Elons Buch sei viel eher für Ausländer geschrieben, die Deutschland kennenlernen wollten. Nach der Lektüre der SPIEGEL-Leserbriefe muß man sich aber gerade in der Bundesrepublik (in der DDR wird man dieses Buch kaum kaufen oder lesen können) eine weite Verbreitung wünschen, um die Selbstgerechtigkeit ein wenig zu erschüttern.

Frankfurt DR. WERNER THÖNNESSEN

Meinen aufrichtigen Dank, daß der SPIEGEL sich so ausführlich des Deutschlandberichts von Amos Elon angenommen hat, denn dieses Buch, das ja kein üblicher Reisereport eines ausländischen Journalisten ist, sondern wirklich eine Bewußtseinsanalyse, verdient es zweifellos, aufmerksam diskutiert zu werden. Lassen Sie mich deshalb einige Bemerkungen zu den Leserstimmen beisteuern.

Als ich das Manuskript des Buches gelesen hatte, habe ich Elon viele negative Reaktionen prophezeit. Wenn ich mich recht erinnere, war ich sogar pessimistischer als er, was das zu erwartende Echo aus gewissen Urwäldern unserer akademischen Landschaft betraf. Aber, offen gestanden, Korpsstudenten und Füchse, die einem um gutes Deutsch erfolgreich bemühten israelischen Autor (das Buch ist keine Übersetzung) ihr verhunztes Kneipen-Idiom abfordern wollen, haben in meiner Vorschau gefehlt, ebenso der wehleidig werdende Theologiedirektor, der seine teutonische Begeisterung für blutgetränkte Textilien kompensiert, indem er nachträglich sein Vorzimmer mit verklausulierter Menschenfreundlichkeit tapeziert; oder der gewiß sehr junge und sich schon per Chronologie unschuldig fühlende Student, der glaubt, nach allen an Israel geleisteten Wiedergutmachungszahlungen habe kein Jude mehr das Recht, unser Land mit gemischten Gefühlen zu sehen.

Hochfahrende Selbstgerechtigkeit, wohl die eigentliche deutsche Querele, hat sich da wieder einmal mit somnambuler Unbeirrbarkeit auf einen Autor gestürzt, von dem zwar kaum ein ungutes Wort über »die Deutschen« kam, wohl aber eine Fülle zutreffender Feststellungen hinsichtlich der politischen und sozialen Schatten, die sie werfen.

Jene Fraktion des deutschen Zeitgeists, die sich so penetrant gegen derartige Feststellungen empört, wird es noch dahin bringen, daß man sich draußen allmählich sagt: Es lohnt nicht, über dieses Land nachzudenken.

München DR. KURT FASSMANN*

In seinem Buch »In einem heimgesuchten Land« stellt der Israelische Journalist Amos Elon am Ende seiner Reise »in beide deutsche Staaten« die Frage: Kann dieses große, geteilte Land Ursprung - und damit Opfer - neuer Heimsuchungen sein?

Zuschriften, die Sie brachten, enthalten die Antwort; sie offenbaren, was sie zu

verbergen trachten: antisemitische Gefühle.

München HELMUT KINDLER

Kindler Verlag

Es ist traurig zu sehen, wie viel die Tatsache bei den meisten Briefschreibern wiegt, daß Elon Israeli ist. Kritik ist Kritik, von wem auch immer! Hätte den Artikel ein Engländer geschrieben, wäre nicht sofort das Schreckgespenst einer Anglophobie wie das des Antisemitismus beschworen worden. Junge Deutsche verstecken sich bereits wieder hinter dem Mißverstandensein vor der Welt und ihren Unbilden, anstatt ihre Chance in der Unmittelbarkeit zu suchen. Da dämmert die wirklich gefährliche Reaktion.

Bonn

HANS OLAF DONNER VON DONNERSBERG

Ich bedaure sehr, daß Sie aus Elons Buch nicht mehr veröffentlicht haben. Dann wären wahrscheinlich die Urteile anders ausgefallen. Meines Erachtens vermittelt der »Reisebericht in beide deutsche Staaten« dreierlei:

- ein ausgewogenes Urteil über unsere

Bundesrepublik,

- eine harte, aber nicht undifferenzierte Kritik an der DDR und

- den Geist eines Israeli, der jedem gutwilligen Deutschen die Hand reicht.

Augsburg HERBERT STECHER

Die Reaktionen gewisser akademischer Kreise auf den durch den SPIEGEL bekanntgewordenen Teilinhalt des Buches von Amos Elon, die voll von unterschwelligen oder offenen nationalistischen Emotionen sind, beweisen am besten die Richtigkeit vieler Beobachtungen und Feststellungen des Autors. Die Briefschreiber maßen sich ein Urteil an, ohne das ganze Buch mit seinen teilweise sehr wohl abgewogenen Meinungen auch nur jemals in der Hand gehabt zu haben. Wer laufend vor Studenten des In- und Auslandes Vorträge hält, weiß leider, daß diejenigen Professoren und Studenten, die das Universitätsleben endlich der heutigen Entwicklung anpassen wollen, an manchen Stellen noch immer auf stärksten Widerstand stoßen.

Lansdowne (USA)

DR. ROBERT M. W. KEMPNER*

Die Liste der nationalsozialistisch belasteten Rektoren oder einflußreicher Professoren an deutschen Hochschulen läßt sich noch sehr erweitern. Verblüffend ist, daß es sogar an den deutschen Kunsthochschulen, an denen man es aus vielen Gründen besonders wenig erwarten sollte, ähnlich gelagerte Fälle gibt. Hermann Kaspar, der zum Beispiel den propagandistischen Festschmuck zur Einweihung des Hauses der Deutschen Kunst in München und die Intarsienarbeiten im Zimmer und am Schreibtisch des Führers in der Reichskanzlei entwarf, war bis vor kurzem Vizepräsident der Akademie der Schönen Künste und der Kunstakademie in München. Nach der Veröffentlichung dieser Dinge in Münchner Zeitungen wurde er dann nicht wiedergewählt. Der Direktor der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig, Professor Karl Wollermann, war von 1941 bis Kriegsende Landesleiter der Reichskammer für bildende Künste in Mittelfranken, Sitz Nürnberg (damit einer der höchsten Kulturfunktionäre der Goebbelsschen Kulturdiktatur), Initiator und Aufsichtsrat der Nürnberger Gobelinmanufaktur, die Gobelins für die Reichsparteitagsgebäude webte etc., und stellvertretender Direktor der Kunstakademie Nürnberg. Obgleich diese Dinge allen zuständigen Stellen bekannt sind, ändert sich an seiner Stellung nichts. Man hört in solchen Fällen die tröstende Versicherung: »Wir müssen eben warten, bis diese alten Herren pensioniert oder gestorben sind, dann wird alles anders.« Es wird dabei übersehen, daß tatsächlich auf diesem Wege Generationen von Studenten politisch korrumpiert werden. Das politische Gespräch und das politische Interesse unserer Studenten ist aus solchen und ähnlichen Gründen minimal. Das Hauptinteresse ist Karriere und Einkommen, das wieder einen hohen Prozentsatz der Studenten (an den Technischen Hochschulen und Kunstakademien allerdings wesentlich geringer als an den Universitäten) in die Verbindungen und Korporationen treibt, wo sie dann für ihr Leben in ihrer sogenannten Gesinnung geprägt werden. Es ist erstaunlich, daß

kaum jemand von denen, die mit den Studenten zu tun haben, diese Zusammenhänge übersieht, die ein Ausländer, der wenige Wochen durch Deutschland reiste, erkennt.

Sicherlich gibt es an den deutschen Hochschulen auch viele liberale Professoren, die Frage ist nur, wie weit sie das Gesicht der deutschen Hochschulen erkennbar prägen.

Braunschweig PROF. JÜRGEN WEBER

Nach Elons Buch »In einem heimgesuchten Land« wähle ich NPD. Allerdings zeigt mir die Tatsache, daß Sie sich nicht schämen, Auszüge aus einem solchen Pamphlet zu veröffentlichen, daß es besser ist, diese Äußerung nur anonym zu machen.

Mömbris (Bayern)

* Mitarbeiter des Kindler Verlags, der Elons Buch herausbrachte.

* Stellvertretender US-Hauptankläger in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.

Kindler

Weber

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