ENGLAND / FORD Heimkehr der Töchter
Die oft der Heuchelei geziehene britische Presse widmete sich in der vergangenen Woche der Unaufrichtigkeit der Vereinigten Staaten. Während die USA, so hieß es, über Devisenmangel klagten und im kommenden Jahr 1,3 Milliarden Mark Stationierungskosten einsparen wollten, stünden sie nicht an, die märchenhaft hohe Devisensumme von 1,5 Milliarden Mark aufzuwenden, um die britischen Minderheitsaktionäre der Ford-Tochter in Dagenham bei London auszuzahlen.
Die Welle nationaler Empörung über diesen Vorgang schlug von der äußeren Linken bis hin zu den zornigen Konservativen des »Daily Express«. »Die Ford-Transaktion wird eine Kettenreaktion auslösen, die unvermeidlicherweise Englands wirtschaftliche Unabhängigkeit zerstören wird«, jammerte »Tribune«, der Unglücksprophet der Linkssozialisten.
Der rechtskonservative »Daily Express« schlug sich an die Brust: »Das Britische Reich muß vor dem Fordreich kommen!« »Warum sollen wir bei Ford haltmachen? Warum verkaufen wir nicht auch den Tower«, bebte das sozialistische Sonntagsblatt »Reynolds News«. Die Gazetten der bürgerlichen Mitte zeterten, England sei auf dem Wege, sein nationales Eigentum zu verramschen.
Das Palaver begann, als Mitte November der cäsarenköpfige Vizepräsident der amerikanischen Ford Company Tom Lilley in London eintraf. Er überbrachte dem Präsidenten der britischen Ford-Tochter ein Schreiben, das den Ford-Boß in Dagenham ermächtigte, den englischen Aktionären ihre Papiere für 1,5 Milliarden Mark abzukaufen.
Die amerikanisch-britische Ford-Niederlassung vor den Toren Londons hatte im vergangenen Jahr 476 000 Fahrzeuge produziert. Sie übertraf damit die deutsche Ford-Werke AG in Köln um das Dreifache. Mit einem Exportanteil von rund 50 Prozent trug das Unternehmen wesentlich dazu bei, daß England nach Westdeutschland der größte Automobilexporteur der Welt wurde. Ford-Dagenham und der, Autokonzern Vauxhall, eine Tochter von General Motors, beherrschen den britischen Automobilmarkt zur Hälfte.
Etwa 55 Prozent der englischen Ford-Aktien gehören derzeit der amerikanischen Mutter in Detroit. Sechs weitere Prozent sind amerikanischer Streubesitz. Mit dem Rest von 39 Prozent hatten sich die Briten immerhin ein maßgebliches Gegengewicht gegen die amerikanische Ford-Front gesichert.
Um die Briten abzuschütteln, will Tom Lilley nunmehr tief in die Fordkasse greifen. Er bot den Aktionären für ihre Papiere, die an der Londoner Börse noch vor kurzem mit 50 Mark pro Stück notiert wurden, eine Abfindung von 86 Mark.
Die Labour-Opposition nutzte den Alptraum der britischen Nation von der amerikanischen Überfremdung zu einem gezielten Tiefschlag. Labours »Schattenschatzkanzler« Harold Wilson äußerte den nicht näher präzisierten Verdacht, die Amerikaner wollten sich ihrer englischen Tochter vollends bemächtigen, um dann die Produktionskapazität zugunsten von Ford-Köln zu drosseln.
Wilsons These erwies sich als ebenso wirkungsvoll wie unlogisch. Tom Lilley wies die Anwürfe zurück, er gebe doch nicht so viel Geld für ein Minderheitspaket her, wenn er anschließend die Produktion drosseln wolle.
Seit Jahren gehört es zum Stil Fordscher Unternehmenspolitik, die europäischen Produktionsstätten zu straffen und zu konzentrieren. Bereits im Jahre 1957 hatte die Verwaltung der Kölner Ford AG ihre freien westdeutschen Aktionäre - allerdings zu weniger kulanten Bedingungen - ausgebootet, indem sie den Anteilseignern die Aktien gegen festverzinsliche Schuldverschreibungen abtauschte. Bereits im Jahr 1954 wurde die Ford-Niederlassung in Frankreich im Hinblick auf den europäischen Wettbewerb mit dem französischen Autokonzern Simca verschmolzen.
Zweifellos paßt es nicht in das Konzept eines Großunternehmens vom Schlage Ford, sich, zumal im Ausland, mit einer starken Minderheit in der Unternehmensverwaltung auseinanderzusetzen. In den kommenden drei Jahren will Ford in England 830 Millionen Mark investieren. Die Früchte dieser Aufwendungen will Tom Lilley nicht mit Kleinaktionären teilen. Als weiteren Grund für die Übernahme aller Aktien führte Lilley die Bestimmungen der amerikanischen Anti-Trust-Gesetze an, wonach Preisabsprachen und-ähnliche Vereinbarungen mit einer Tochtergesellschaft nur dann getroffen werden dürfen, wenn alle Aktien bei der Muttergesellschaft liegen.
Wenige Tage nach seiner Ankunft saß Lilley im Arbeitszimmer des kleinen Schatzkanzlers Selwyn Lloyd, um von ihm die offizielle Zustimmung der britischen Regierung einzuholen, die aufgrund der Devisengesetzgebung beim Kauf britischer Aktien durch Ausländer um Erlaubnis gefragt werden muß. Höflich, aber kalt setzte Tom Lilley dem Schatzminister Selwyn Lloyd auseinander, Ford werde sich auf den Ausbau der deutschen Tochter konzentrieren falls London dem Wunsch der Detroiter nicht nachkommen würde.
Schatzkanzler Selwyn Lloyd hatte seinerseits einen guten Grund, den Vorschlag Lilleys zu akzeptieren. Englands Industrie unterhält in Amerika Auslandsbeteiligungen im Wert von etwa acht Milliarden Mark. (Die britische Regierung besitzt ein Aktienpaket der General Motors im Wert von einer halben Milliarde Mark.) Die Abrundung dieses Besitzes sowie notwendige Ersatzinvestitionen im Ausland führen zu einer ständigen Belastung des britischen Devisenhaushalts. Die anderthalb Ford-Milliarden würden Lloyds Devisentopf nachhaltig stärken.
Mit diesen Argumenten gewappnet, erschien Lloyd in der vorletzten Woche im Unterhaus und verkündete, daß er dem Angebot der Amerikaner zugestimmt habe. Verärgert über die Angriffe von links und rechts gegen den Schatzkanzler, brummte der konservative Großindustrielle Robert Carr, einstmals Tennis-Schiedsrichter in Wimbledon: »Es ist überraschend und beunruhigend, wenn man den engherzigen, nationalistischen, fast kubanischen Widerstand gegen dieses Projekt vernimmt.« Zwischenruf von links: »Ich wünschte, Dr. Castro wäre für ein paar Wochen bei uns Ministerpräsident und Schatzkanzler.« Die Castro-Gruppe Im britischen Unterhaus unterlag: Das Parlament stimmte dem Lloyd-Plan zu.
Um ein weiteres Anwachsen der amerikanischen Devisenausfuhr zu, vermeiden, beschwor US-Finanzminister Anderson Henry Ford II, von dem Dagenham-Projekt Abstand zu nehmen. Henry Ford erhält das Angebot aufrecht. Die Börse reagierte auf ihre Art; Nachdem Ford-Aktien an der Londoner Börse bislang nicht sehr begehrt waren, setzte nunmehr eine rege Nachfrage ein. Im Vergleich zu dem Abfindungskurs der Amerikaner, so schrieb die »Sunday Times«, seien diese Papiere »billig wie Dreck«.
Besonders erfreuliche Aspekte gewährt der Abfindungsplan den britischen Großaktionären der Londoner Ford-Dependence, darunter dem Versicherungskonzern Prudential und der anglikanischen Nationalkirche. In der Londoner City kursiert das Gerücht, die gewieften Finanzpastoren der anglikanischen Kirche wollten sich mit den Prokuristen der Assekuranz zusammentun, um aus Lilley einen noch höheren Abfindungskurs herauszuholen.
Ford-Vize Lilley
Freiheit gegen Kasse