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RUNDFUNK / BARSIG Heimlich mitgeschnitten

aus DER SPIEGEL 18/1969

Der »Kosmische Beobachter«, eine schwäbische Astrologen-Zeitung, stellte ihm das Horoskop: »Der Mars in der Achse Sonne/Pluto gibt ihm den Drang, viel zu leisten.« Die Hamburger »Zeit« sah in ihm den »waschechten Typ eines cleveren Managers«. Er selbst rühmte sich der Fähigkeit, »Kurven« zu fahren, »die an Jayne Mansfield erinnern

Doch letzthin kam der clevere Kurvenkünstler ins Schleudern: SPD-Genosse Franz Barsig, 45, seit einem Jahr Intendant des Senders Freies Berlin (SFB) muß bremsen, wenn er heil bis ans Ende seiner fünfjährigen Amtszeit kommen will. Denn dem »schnellen Franz« (Parteijargon) droht Kollision mit dem StGB-Paragraphen 298.

Dieser Paragraph bestimmt, daß -- auf Antrag -- »mit Gefängnis bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen« bestraft wird, wer »unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einem Tonträger aufnimmt« oder »eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht«.

Und was Franz Barsig vollbrachte, hat unverkennbar Ähnlichkeit mit diesen Tatbestandsmerkmalen: Am 21. März, knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt« rief der SFB-Chef zu einer Mitarbeiter-Konferenz. Er ließ die hausinterne, nichtöffentliche Diskussion ohne Wissen der Anwesenden mitschneiden und verschickte, zwei Wochen später, insgeheim unvollständige Abschriften des Tonband-Protokolls an die Mitglieder des SFB-Rundfunkrats und die Intendanten der westdeutschen Rundfunkanstalten.

Der gesetzeskundige Sende-Herr, stets gelaunt, seinen Mitarbeitern SFB-Satzung wie Grundgesetz zu erläutern, riskierte die fragwürdige Tonband- und Brief aktion, um seine Intendanten-Kollegen von der ARD auf künftiges Unheil vorzubereiten: den Widerstand der Redakteure gegen die Anstaltsleitung.

Zwar, so Barsig, sei der Tenor des Protokolls vom 21. März bislang nur »typisch für den Sender Freies Berlin«, aber: »In einem halben oder in einem Jahr werden sie (die westdeutschen Intendanten) vor den gleichen Problemen stehen.« Die Bundes-Kollegen des SFB-Chefs jedoch halten die im Protokoll wiedergegebene Kritik der Mitarbeiter an Führungsstil wie Personalpolitik des Intendanten vorderhand wenigstens nicht für infektiös: »Barsigs Problem«, so formulierte es ein prominenter West-Funkmann, »heißt vor allem Barsig.«

Denn obschon sich der SFB-Vorsteher nach seiner Wahl als »Förderer der engagierten Meinung« empfahl, müht er sich seither, Sendungen, Redakteure und Mitarbeiter auf seine eigene, derzeit proporz-orientierte Weitsicht festzulegen.

Zunächst mißfiel dem Beuthener Bergmannssohn -- der sich vom katholischen Sängerknaben und HJ-Flieger erst zum Me-109-Piloten und Volksschullehrer, dann zum KP-Journalisten und SPD-Redakteur und schließlich bis zum Baracken-Sprecher und Chefredakteur des »Deutschlandfunks« emporgerackert hatte -- das Dritte Fernsehprogramm: Barsig bemäkelte Ernst Schnabels TV-Magazin »Literarische Illustrierte« so lange, bis der einstige NWDR-Intendant resigniert das Haus verließ.

Sodann entzog der neue Mann im »Haus des Rundfunks« an der Masurenallee dem liberalen Literaten Hans Werner Richter die Studio-Sendung »Berlin 33 Hasensprung«, zu der sich regelmäßig literarische wie politische Prominenz einfand.

Schließlich brachte sich der Intendant -- nach der Sendung eines bei der Rias-Redakteurin Marianne Regensburger in Auftrag gegebenen Fernsehfilms über die Berlin-Sicht der Apo -- selbst ins Bild und entschuldigte sich wortreich: Immerhin sei der Film »instruktiv im Sinne der Dürftigkeit der Argumente«.

Auch die »Entwicklung« anderer Programmbereiche machte Franz Barsig »Sorgen«. Der Intendant: »Ich nenne sie sehr offen: Es sind 'Hochschule und Gesellschaft' ... das Dritte Hörfunkprogramm und schließlich der Bereich der Jugendfunk-Sendungen.«

Zum Auftakt der Säuberungs-Aktion nahm er die Redaktion der pop-politischen Jugendfunksendung »Wir -- um 20« aufs Korn. Barsig beklagte die mangelnde Ausgewogenheit der Programme und hielt den Redakteuren Spritulla und Rüchel vor, sie hätten eines Tages den Herrn Regierenden Bürgermeister Schütz nur drei Minuten, den SDS-Ideologen Wolfgang Lefèvre aber ganze 15 Minuten zu Wort kommen lassen.

Barsig zu Spritulla: »Ich glaube es nicht verantworten zu können, Ihnen die Leitung der Sendung weiterhin zu überlassen.«

Spritulla wurde in die politische Redaktion versetzt -- zu den freien Springer-Mitarbeitern Herbert Hausen und Matthias Walden. Rüchel landete beim TV-Lokalanzeiger »Berliner Abendschau«.

Der Abteilungsleiter des Dritten Hörfunkprogramms Hanspeter Krüger geriet beim Intendanten in den Verdacht, er habe verbotener Rauschgiftproduktion Vorschub geleistet: Einer der Gäste in Krügers populär-literarischer Sendereihe »Autoren als Diskjockeys« hatte eine obskure Bananenschalen-Rezeptur zum besten gegeben.

Sogleich bestellte Barsig über die Berliner Kripo ein -- bislang ausstehendes -- Interpol-Gutachten und versprach dem verantwortlichen Redakteur, sollte sich der Rauschgift-Verdacht bestätigen, »fristlose Entlassung«.

Endlich nahm Ex-Jagdflieger Barsig auch den Hochschul-Redakteur Dr. Hans Friemond ins Visier. Er kritisierte Friemonds Versuche, die Motive der studentischen Rebellion auf zuhellen, redete von »Satzungsverstoß« und kanzelte den Redakteur am 21. März coram publico ab: »Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie aus dieser Sendereihe zu einem großen Teil eine Sendereihe »Apo und Astas« gemacht haben.«

Und auf die Bitte eines Mitarbeiters nach gültiger Auslegung des SFB-Satzungsparagraphen 3, der »Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit« sowie »das Wohl der Allgemeinheit zur Richtschnur« aller Sendungen erklärt, antwortete der gelernte Pädagoge nach einer weitschweifigen Lektion: »Das wäre fast Goethe: Wenn ihr"s nicht fühlt, ihr werdet's nie erjagen, könnte man sagen.«

Den immer noch Unbelehrten gab Franz Barsig eine Warnung mit auf den Weg. »Es ist bekannt«, so verkündete er düster, »daß ich am Monatsende wieder alle Sendungen lesen beziehungsweise hören werde, auch wenn das Nächte kostet.«

Doch schon bald danach verging dem Nachtarbeiter Hören und Lesen. Aufgeschreckt vom Protest seiner Redakteure -- die Barsigs unerlaubtem Tonband-Mitschnitt, seiner Protokoll-Retusche und dem Protokoll-Versand auf die Spur gekommen waren -, rettete sich der schnelle Franz ins kommunistische Ritual: Am 21. April ließ er seiner Kritik vom 21. März die Selbstkritik folgen.

Vor einer hastig einberufenen Mitarbeiter-Konferenz bekundete der Ertappte Reue: »Ich möchte dieser Konferenz mein Bedauern aussprechen, daß ich es am 21. März versäumt habe mitzuteilen, daß eine Bandaufnahme angefertigt werden soll.« Und noch am selben Tag bekannte er den pikierten Rundfunkräten, er könne sich gar nicht mehr erklären, wie er »dazu« gekommen sei.

Der Rundfunkrat nannte den Vorfall »bedauerlich«. Der Personalrat des SFB verurteilte »die Handlungsweise des Intendanten auf das schärfste«. Franz Barsig aber entflog. Der Freizeit-Pilot reiste als Ehrengast der Lufthansa mit der Vierstrahl-Boeing »Duisburg« ins ferne Osaka.

Berlins »Tagesspiegel« am 24. Januar 1968, fünf Tage vor der Wahl Barsigs zum SFB-Intendanten: »Sosehr man sich fragend bemüht, sowenig ist aus Kreisen, die Barsig näher kennen, Wesentliches über Qualifikationen für ein so wichtiges Berliner Amt zu hören.«

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