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Heimliche Hauptstadt

aus DER SPIEGEL 21/1947

Jeden Vormittag um 6.15 Uhr öffnet sich die Tür zum Zimmer des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Kolb. Das ist der Augenblick, in dem ein Mann mit einem Kaffeegeschirr eintritt. Er trifft sein Stadtoberhaupt bereits hinter dem Schreibtisch. Der Kaffee wird getrunken, ohne daß Kolb sich flüchtig von den Akten und von den Erfordernissen des Tages abwendet.

Die Frankfurter schätzen ihren Oberbürgermeister. Er ist ein gewichtiger Mann, auch äußerlich. Die Gründe für seine Beliebt- und noch immer vorhandene Beleibtheit sind schwer zu definieren. Walter Kolb wiegt 3 Zentner. Es scheint, daß die Frankfurter in Kolb ein Symbol künftiger besserer Zeiten sehen. Doch ist die (wahrhaftige) Legende seiner Arbeitswut gewiß ein zweiter Grund seiner Popularität

Kolb kam vor Jahresfrist aus Düsseldorf nach Frankfurt. »Meine Stadt Frankfurt« pflegt er feierlich zu sagen, wenn er irgendeine Begrüßungsrede hält. Der Kahlköpfige kneift, wenn er spricht, die Augen zu. Elektrisches Licht blendet ihn. Man schreibt ihm das Wort von Frankfurt als »der heimlichen Hauptstadt des Reiches« zu, ohne daß sich heute noch feststellen läßt, ob er es jemals gesprochen hat.

Vor amerikanischen Korrespondenten lehnte es Kolb ausdrücklich ab, Frankfurt als die Hauptstadt der vereinigten amerikanischen und englischen Zone zu betrachten. Das war in dem Augenblick, da es sicher war, daß Frankfurt Sitz der bizonalen Aemter würde.

»Frankfurt lacht und weint zugleich.« Viele freuen sich über die Bedeutung ihrer Stadt. Sie sehen in die Zukunft. Viele haben Angst vor einer Wohnungsbeschlagnahme, weil Platz geschaffen werden muß für die Aemter und die Haushalte der 4000 Beamten. Der Ansturm der Büros erschüttert die Herzen der Geängstigten.

Walter Kolb beschwichtigt sie: »Ich hoffe auf die Gewährung von Sonderkontingenten und die Gestellung von Bauarbeitern, damit die zahlreichen beschädigten Wohngebäude wieder hergerichtet werden können.« Am Dienstag versicherte er, daß Frankfurt jetzt wieder die Rolle zu spielen beginne, die es Jahrhunderte hindurch gehabt habe. Aber: »Bei allen Verhandlungen mit amerikanischen, britischen und deutschen Verwaltungsstellen habe ich darauf hingewiesen, daß Frankfurt bei dem hohen Zerstörungsgrad der Stadt diese Aufgabe nur übernehmen kann, wenn die Besatzungsmächte und Länderregierungen die volle Unterstützung zur Durchführung dieser Aufgabe gewähren.«

In Berlin sieht man dem Werden der »heimlichen Hauptstadt Frankfurt« mit gut oder schlecht verhohlenem Gleichmut zu. Der CDU-Bürgermeister Dr. Ferdinand Friedensburg meinte, Berlin brauche eine Konkurrenz nicht zu befürchten.

Sein Parteifreund Ernst Lemmer stellte sich auf den gleichen Standpunkt. Frankfurt liege nun einmal verkehrstechnisch am günstigsten, und irgendwo müsse die bizonale Verwaltung ihren Sitz haben. »Soweit sich die bizonale Verwaltung darauf beschränkt, verwaltungstechnische und organisatorische Verbesserungen anzustreben«, sagte Lemmer, »kann man nichts dagegen einwenden. Doch ist natürlich die Gefahr einer politischen Tendenz vorhanden. Es kann zur Zeit kein größeres Unglück geben als das Auseinanderfallen Deutschlands. Darum ist es unsere Aufgabe, in taktvoller Weise auf diese Gefahr aufmerksam zu machen.«

Pieck und Grotewohls Zentralsekretariat bedauerte die Bildung der bizonalen Verwaltung von Anfang an, »da sie die Gesamtlösung für Deutschland erschwere«. Die Bi-Zone, die ohne Uebereinstimmung der Alliierten gebildet worden sei, habe zweifellos versagt. Das sehe man an den Schwierigkeiten in der Wirtschaft. Die Bi-Zone bedeute eine Zweiteilung Deutschlands.

Um die Einheit besorgt, zeigte sich auch der weißhaarige Dr. Wilhelm Külz, Reichsminister a. D. und Reichsvorsitzender der nicht sehr reichseinheitlichen DPD. »Wir kennen nur einen einheitlichen deutschen Staat, wie wir auch nur eine deutsche Volkseinheit und ein deutsches Einheitsvolk kennen.« Partikularismus werde von der DPD kompromißlos abgelehnt, auch wenn er sich im Gewand des Föderalismus tarne.

Auf die Frage, ob er fürchte, daß Berlin seine Bestimmung als deutsche Hauptstadt verlieren könne, antwortete Külz mit einem kategorischen »Nein«.

Frankfurts gewichtige Errungenschaft Walter Kolb kam von der Düssel

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