PHOTOMATERIAL Heimliche Liebe
Eine »Katastrophe« nannte es der Syndikus des Deutschen Photo- und Kinohändler-Bundes, Erich Irrgang: Fachhandelsschreck Josef Neckermann war mit einem weihnachtlichen »Schnelldienst«-Angebot von Filmen der Marken Agfa, Kodak, Adox, Gevaert und Perutz in die Domäne der Spezialgeschäfte eingebrochen.
Neckermanns Coup erregt die rund 5000 westdeutschen Photohändler nicht allein deshalb, weil er ihren Jahresumsatz von etwa 1,5 Milliarden Mark zugunsten der Versandhäuser zu schmälern droht. Sie fürchten vor allem, daß die notorischen Preisdrücker des Kataloggeschäfts nun auch die Festpreise und hohen Handelsspannen der Photobranche attackieren werden.
Bisher hatten die Förderer des Schnappschuß-Hobbys ("Wer photographiert, hat mehr vom Leben") sehr viel mehr von ihrem Handel als die Kollegen anderer Branchen. Die durchschnittliche Handelsspanne im Photogeschäft liegt mit 41,5 Prozent (im Einzelfall über 50 Prozent) weit höher als die Durchschnittsspanne von 26 Prozent des gesamten westdeutschen Einzelhandels. Sie wird nur von den Spannen des Uhren- und Schmuckhandels und der Blumenbindereien übertroffen.
Händler-Syndikus Irrgang rühmte denn auch mit Recht, daß die »angemessene Spanne« dem westdeutschen Photohandel »die Möglichkeit einer in der übrigen Welt unbekannten Blüte und Entwicklung ... gegeben hat«.
Solche Entwicklungsmöglichkeiten hatten Josef Neckermann schon im vergangenen Jahr gereizt. Damals bot er in seinem Katalog erstmals das Filmmaterial der Kodak AG, der Stuttgarter Filiale des amerikanischen Konzerns, zum vorgeschriebenen Festpreis an.
Da das Werk seine Markenartikel »ausschließlich über Photofachhändler« vertrieben wissen wollte und »die Belieferung von Versandhändlern ... ausgeschlossen« hatte, besorgte sich Neckermann seine Kodak-Waren mittels Re -Import aus dem Ausland.
Die Stuttgarter Firma beantragte eine Einstweilige Verfügung gegen Neckermann. Doch das Landgericht Stuttgart wies das Kodak-Begehren zurück. Re -Import ist nach Artikel 85 des EWG -Vertrags zulässig, und die Preisbindung hatte Neckermann nicht verletzt.
Der Frankfurter Versand-Zar schlug jetzt zurück. Er zitierte Kodak und die Beherrscherin des westdeutschen Photomarkts, die Agfa AG des Bayer -Konzerns, vor das Bundeskartellamt.
Die Kartellwächter fanden, mit der Fachberatung beim. Kauf von »Standardartikeln« wie Filmen sei es in der Praxis ohnehin nicht weit her. Den Berlinern entging auch nicht, daß der Nürnberger Spezial-Versender Photo -Porst seit Jahrzehnten sämtliche Lichtbildartikel mittels Katalog verkauft, ohne deswegen jemals von der Belieferung ausgeschlossen worden zu sein.
Auf sieben Seiten wiesen die Berliner Kartell-Beamten Kodak und Agfa darauf hin, daß deren Verhalten gegenüber Neckermann im Sinne des Kartellgesetzes »ordnungswidrig« sei und mit einer Geldbuße belegt werden könne.
Um der Drohung aus Berlin Nachdruck zu verleihen, kündigte Neckermann seinen Gegnern aus der Photoindustrie an, er werde die von ihm aus dem Ausland importierten Kodak -Farbfilme für Kleinbildkameras künftig um volle zwei Mark unter dem Listenpreis von 19,50 Mark verkaufen.
Kodak kapitulierte. Emissäre der Firma eilten nach Frankfurt und erboten sich, dem hart pokernden Versandhändler künftig nicht nur Filme, sondern auch Geräte zu liefern, wenn er nur die festgesetzten Preise nicht antaste. Während die Händler - Fachverbände noch über »Nötigung« und »eine Art Vergewaltigung« zeterten deutete die Industrie bereits an, was die Fachhändler längst befürchtet hatten: Ihr war der Trend gar nicht so unlieb.
Schrieb »Photo-Technik und -Wirtschaft«, Hausblatt des Verbandes der Photographischen Industrie: »Versandhauskataloge werden ungefähr in jedem zweiten Haushalt der Bundesrepublik gelesen. Es war zu bezweifeln, ob die deutsche photographische Industrie auf diesen Werbeträger wirklich auf die Dauer hätte verzichten können.«
Vorerst freilich wahrt die Industrie trotz ihrer heimlichen Liebe zum Katalog noch die Einheitsfront. Außer Kodak hat noch kein Werk Neckermann direkt beliefert, so daß der Frankfurter seine Weihnachtsofferte mit Re -Importfilmen absichern mußte.
Agfa hat sogar nach Kodak-Muster eine Einstweilige Verfügung gegen Neckermann beantragt. Da jedoch den Juristen des Unternehmens kaum zweifelhaft sein kann, wie das Landgericht Düsseldorf angesichts des Kartellamts -Spruches entscheiden wird, drängt sich die Vermutung auf, Agfa wolle den Händlern nur guten Willen demonstrieren.
In der Tat können die Fachgeschäfte schwerlich hoffen, daß die Photoindustrie auch weiterhin fest bleibt. Auf der Bundestagung der Händlerorganisation Mitte Oktober in Berlin speiste Verbandssyndikus Irrgang die Tagungsteilnehmer mit nichtssagenden Sprüchen ab: »Es wird von uns herausgeholt werden, was möglich ist.«
Was möglich ist, hatten die Händler dem Blatt der Photo-Industriellen bereits entnehmen können: »... vielleicht eine Revision der Handelsspanne, über die sich Handel und Industrie sicher eines Tages unterhalten müssen.«
Nackermann