Medien Heimspiel im Osten
Punkt 16.11 Uhr, am vergangenen Mittwoch, kam die Meldung des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN) über den Ticker: DDR-Landwirtschaftsminister Pollack sei auf dem Alexanderplatz »bedrängt und sein Dienstfahrzeug beschädigt« worden. Und was noch vor einem Jahr unter dem sakrosankten SED-Regime eine Ungeheuerlichkeit gewesen wäre: Zwei DDR-Regenten wurden vom Volk mit Eiern und Gemüse bombardiert.
Staatssekretär Günther Krause, von den Haaren über die fliederfarbene Krawatte bis zum Jackett mit frischem Eigelb bekleckert, mußte vor aufgebrachten Bauern geschützt werden, die ihm an den Kragen wollten. Und Minister Pollack - vom Saft reifer Tomaten gezeichnet - flüchtete unter den Augen feixender Vopos auf den splitterbedeckten Rücksitz seines Dienstwagens. Der wütende Mob hatte die Heckscheibe der Karosse zertrümmert.
Krawalle, wie sie für die SED-treue Nachrichtenagentur ADN bis zum vergangenen Herbst nur im Land des Klassenfeinds denkbar waren. Daß das kapitalistische Krebsgeschwür von gestern nun vor der eigenen Haustür wuchert, wirft altgediente ADN-Journalisten nicht aus dem Gleis.
Zugegeben, sein Job bringe nun mehr Abwechslung, sagt Karl Helmholz, der für ADN über den Bauernprotest am Alex berichtet. Sonst aber habe sich nicht viel verändert: Die Ost-Agentur wolle mit professionellen Journalisten und - nun auf einmal - unparteiischer Berichterstattung auf dem gesamtdeutschen Markt bestehen.
Die westdeutsche Konkurrenz von dpa, die dem SED-Sprachrohr von einst eine Fusion angeboten hatte, holte sich eine Abfuhr. »Denen haben wir die kalte Schulter gezeigt«, tönt Günter Hundro, Geschäftsführer der Ende Juni gegründeten ADN GmbH.
Gemeinsam mit Chefredakteur Matthias Wirzberger will Hundro die nutzlos gewordene Propagandamaschine umrüsten zu einer »effizient arbeitenden unabhängigen Nachrichtenagentur«. Von ehemals 1350 Mitarbeitern sollen bis Jahresende noch ganze 250 für seine GmbH arbeiten. Denn künftig steht der Staat nicht mehr für Defizite gerade - 32 Millionen Mark Minus waren es 1989. »Jetzt zählt nur noch Leistung«, sagt Hundro.
Die Leiter sämtlicher ADN-Abteilungen wurden aufgefordert, Einsatz und Können ihrer Mitarbeiter in Ranglisten zu bewerten. »Bei jeder neuen Entlassungswelle wird gestrichen - von unten nach oben«, erzählt ein Redakteur. Die Situation sei angespannt, denn fast drei Viertel der noch verbliebenen Belegschaft sollen bis Dezember »freigesetzt« werden. Zu den ersten Opfern zählten die Korrespondenten in abgelegenen sozialistischen Bruderländern - in den Büros von Maputo, Luanda und Bagdad sind die Leitungen tot.
Während dpa darangeht, die neuen ostdeutschen Länder mit einem eigenen Korrespondentennetz zu überziehen, bastelt die geschrumpfte ADN-Mannschaft am Überlebenskonzept. »Wir müssen unsere Stärken ausspielen«, sagt Geschäftsführer Hundro, »bei Berichten aus Osteuropa, der Dritten Welt und aus den DDR-Ländern haben wir Heimspiel.« Wenn es etwa um die Stimmung am Chemiestandort Leuna gehe, wo 26 000 Menschen kurzarbeiten, seien die ADN-Mitarbeiter in der Region gefragt - »Leute, die Fleisch vom Fleisch dieses Landes sind« (Hundro). Damit die Ware den Ansprüchen der inzwischen 22 Westkunden von ADN genügt, wird eifrig an Stil und Aufbau gefeilt.
Pannen wie im April, als in einer Meldung noch vom »kapitalistischen Ausland« die Rede war, sollen vermieden werden. Wenn einzelne Redakteure »Jugoslawien«, andere aber traditionsbewußt noch »SFRJ« (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) schreiben, will der Chef vom Dienst Uwe Kunze dagegen nicht einschreiten: »Von Richtlinien haben wir hier erst mal genug.«
Kapitalkräftige Gesellschafter und auflagenstarke Kunden sollen einen geglückten Start in die Marktwirtschaft garantieren. Für ein Bruttogehalt von künftig 2600 Mark - dpa zahlt im Schnitt mehr als das Doppelte - wird von den ADN-Leuten höchste Einsatzbereitschaft erwartet. Vor allem in den Landesbüros kehren die Redakteure dem ADN deshalb scharenweise den Rücken, um zu Regionalzeitungen oder zum Fernsehen zu wechseln, weil nach ihrer Meinung die einstige Staatsagentur nicht mehr zu retten ist. Zu stark sei der Druck durch die Konkurrenz, zu tief sitze die Vergangenheit als wohltönendes Sprachrohr der Staatspartei.
»Bis hier erst mal alle richtig schreiben gelernt haben«, sagt ein Mitarbeiter, »ist der Ofen aus.« o